Eine Vereinigung soll „unterstützt“ worden sein, obwohl sie zum vermeintlichen ‚Unterstüzungs-Zeitpunkt‘ schon nicht mehr existierte

Am 17. Januar ließ die Staatsanwaltschaft Karlsruhe die Redaktionsräume des Freiburger Senders Radio Dreyeckland (RDL) und die Wohnungen von Mitarbeitern des Senders durch die Polizei durchsuchen: „Der Staatsschutz hat in Freiburg eine Razzia in der linken Szene durchgeführt. Betroffen waren unter anderem die Geschäftsräume des freien Senders ‚Radio Dreyeckland‘. Die Polizei hat am Dienstagvormittag in Freiburg die Geschäftsräume von ‚Radio Dreyeckland‘ sowie die Wohnungen eines Redakteurs und des Geschäftsführers des Senders durchsucht.“ (SWR vom 17.1.2023)

Der Sender, der seine Frequenz von der baden-württembergischen Landesanstalt für Kommunikation (entspricht zum Beispiel der Landeszentrale für neue Medien in Bayern und der Medienanstalt Berlin-Brandenburg) zugeteilt bekam, gilt als der älteste freie Radiosender in der Bundesrepublik und hat eine bewegte Geschichte: Er begann als Piratensender, der sich Radio Fessenheim nannte, ohne offizielle Frequenz. „Damals wollte der rechtskonservative Ministerpräsident mit NS-Vergangenheit Hans Filbinger bei Freiburg das Atomkraftwerk Wyhl errichten. Es bildete sich eine Opposition aus Winzer*innen und Landwirt*innen aus der Region und der linksalternativen Szene Freiburgs. Der Sender wurde zu deren Sprachrohr. Bald gab es in Freiburg auch zahlreiche Hausbesetzungen, über die die Sender häufig berichtete. Ab 1988 sendete RDL mit einer legalen Frequenz und wurde zum Pionier der Bewegung der Freien Radios.“ (taz vom 20.01.2023)

Die Journalist*innenorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF) kritisierte aus Anlaß der Durchsuchung bei Radio Dreyeckland: „Durchsuchungen von Redaktionsräumen gefährden immer auch den Quellenschutz. Sie schrecken davon ab, sich mit vertraulichen Informationen an Journalistinnen und Journalisten zu wenden.“ (netzpolitik.org vom 17.01.2023)

Auch die deutschen journalistinnen und journalisten union (dju) in der Gewerkschaft ver.di (Landesverband Baden-Württemberg) sprach „den betroffenen Journalistinnen und Journalisten des Radio Dreyecklands ihre volle Solidarität aus und fordert, solche Eingriffe in die Rundfunk- und Pressefreiheit im Sinne unserer demokratischen Ordnung im Vorfeld zu unterbinden“. „Es ist unabdingbar, dass die Medien ihre Arbeit unabhängig und ohne Einschränkungen ausüben können, um die Öffentlichkeit zu informieren und kritisch zu begleiten“, so die gewerkschaftlich organisierten JournalistInnen (ver.di BaWü am 19.01.2023)

Staatsanwaltschaft Karlsruhe kennt den Unterschied zwischen Telekommunikation (z.B.: Datenübertragung) und Webhosting (Bereithaltung von Daten) nicht oder ignoriert ihn absichtlich

Über die Durchsuchungen hinaus versuchte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe sogar die „IP-Zugriffe“ auf die Webseite von Radio Dreyeckland von Strato, dem Hoster der Seite, in Erfahrung zu bringen, wie circa drei Wochen nach der Polizeiaktion – durch den Beschuldigten gewährte Einsicht in die Ermittlungsakten – bekannt wurde.

Nun versucht sich die Staatsanwaltschaft Karlsruhe darauf rauszureden, daß sie gar nicht die IP-Adressen der Leser*innen der rdl-Webseite gemeint habe, sondern die IP-Adresse von rdl selbst. Diese Ausflucht ist aber wenig überzeugend, wie Detlef Georgia Schulze am Samstag in einem ausführlichen Artikel bei den taz-Blogs erläuterte:

1. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe spricht von ‚personenbezogene[n] Bestandsdaten‘ und beruft sich u.a. auf die §§ 172 ff. Telekommunikationsgesetz.

Selbstverständlich hat rdl einen Telekommunikationsvertrag (für seine internet- und Telefonanschlüsse) und dazu gibt es auch Bestandsdaten. Und vielleicht mögen dazu auch die IP-Adressen der internet-Anschlüsse von rdl gehören. Nur handelt es dabei um Bestandsdaten bei dem Unternehmen, mit dem rdl seinen Telekommunikationsvertrag hat – und das ist nicht Strato.

2. Der rdl-Server bei Strato hat zwar auch eine IP-Adresse; aber für diese muß niemandE um Auskunft gefragt werden. Die kann die Staatsanwaltschaft (und können alle anderen) einfach im internet einsehen.

Außerdem handelt es sich bei dem Vertrag zwischen rdl und Strato nicht um einen Telekommunikationsvertrag, sondern um einen Vertrag über die Bereithaltung eines Telemediums.

3. Und dann gibt es natürlich noch die IP-Adressen der Leute, die die rdl-Homepage lesen (auf sie zugreifen). Diese Daten sind aber keine Bestandsdaten, sondern Nutzungsdaten (§ 100k StPO) und diese dürfen nur in Bezug auf Beschuldigte und sog. ‚Nachrichten-MittlerInnen‘, aber nicht in Bezug auf unbeteiligte Dritte abgefragt werden (§ 101a Absatz 1a in Verbindung mit § 100a Absatz 3 StPO).“ (taz-Blogs vom 11.02.2022)

Der Ausgangspunkt des Ermittlungsverfahrens: Das Verbot eines angeblichen Vereins und ein Link in einem redaktionellen Beitrag auf ein Archiv der von dem angeblich Verein herausgegebenen internet-Zeitung

Anlaß der Durchsuchungen ist ein Ermittlungsverfahren gegen die beiden Redakteure; sie werden beschuldigt, die 2017 vom Bundesinnenministerium „auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten[e]“ Internetplattform linksunten.indymedia (BMI vom 25.08.2017) unterstützt zu haben, was – da das Verbot inzwischen bestandskräftig geworden ist (BAnz AT 30.04.2020 B2) – nach § 85 II StGB strafbar sei.

Allerdings ist zwischen der Internetplattform und dem ‚dahinterstehenden‘ Hausgeber*innenkreis zu unterscheiden, wie das Bundesverwaltungsgericht 2020 klarstellte:

„Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“ (https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Tz. 33).

Wenn im vorliegenden Zusammenhang überhaupt etwas strafbar ist, dann das Unterstützen des „Personenzusammenschlusses“. Das Bundesinnenministerium ist allerdings der Ansicht, dass es erfolgreich gewesen sei: Der Verein existiere nicht mehr. Das Ministerium erklärte am Freitag, dass ihm „keine Erkenntnisse über eine Fortführung oder über eine Ersatzorganisation der verbotenen Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ vor[liegen]“ (taz-Blogs vom 11.02.2023)

Karlsruher Verfolgungswille:

Abstrakte Gefahr ohne Schädigungserfolg genüge für die Strafbarkeit

Auch die Staatsanwaltschaft Karlsruhe bestreitet dies nicht, allerdings ist sie der Auffassung: „Ausreichend für eine Strafbarkeit nach § 85 StGB ist eine Handlung, die auf die Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhangs abzielt und die insoweit geeignet ist, eine vorteilhafte Wirkung hervorzurufen (etwa indem der ursprüngliche Vereinszweck weiter unterstützt und gefördert wird). Es handelt sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das keinen konkreten Erfolg voraussetzt.“ (ebd.)

In der Tat hatte der Bundesgerichtshof mal – noch zur Zeit der KommunistInnen-Verfolgung1 in der Bundesrepublik im Umfeld der KPD-Verbotes von 1956 – entschieden:

„der Begriff des Unterstützens [setzt] nicht voraus, daß der Organisation nachweisbar ein durch den Täter verursachter meßbarer Nutzen in bezug auf ihr politisches Ziel oder ihre Tätigkeit entstanden ist“. (Entscheidung des Bundesgerichtshof in Strafsachen. Band 20, S. 89 - 90 [90])

Aber dass die angebliche unterstütze Organisation zumindest existieren muss, bestritt auch der BGH nicht. Ohne Unterstützungsobjekt ist die vermeintliche Unterstüt­zungshandlung schon nicht geeignet, die Organisation zu unterstützen.

Schulze führt dazu in seinem*ihrem Beitrag bei den taz-Blogs eine weitere BGH-Entscheidung an:

„Begangen ist die Unterstützung, ebenso wie jede Beihilfe, am Ort der Haupttat [RGSt. 74, 55, 60), bei § 90 a Abs. 2 StGB [34] also da, wo die trotz Verbots unterstützte Organisation besteht.“ (BGH, in: Neue Juristische Wochenschrift 1965, 260 - 261 [261])

In dem Zitat gehe es zwar speziell um die Tatortfrage; „trotzdem impliziert das Zitat die Notwendigkeit der Existenz der Organisation als Voraussetzung für die Strafbarkeit der Unterstützung“, so Schulze. Dies sei auch in der juristischen Fachliteratur anerkannt; Schulze führt folgendes Zitat an, die zwar verbotene Parteien betreffen, aber auf verbotene Vereinigungen zu übertragen seien (weil das „strukturelle Verhältnis zwischen Unterstützung und Unterstützungsobjekt“ das gleiche sei – egal, ob die verbotene Organisation eine Partei oder Vereinigung sei):

„Strafgerichte haben darüber zu befinden, ob zwischen einer vom BVerfG verbotenen und einer tatsächlich existierenden Organisation eine hinreichende Identität besteht, […].“ (Becker, in: Matt/Renzikowski, StGB, 2013, § 84, Randnummer [RN] 3)

„Schlichte Personen-(Teil-)Identität ist nur ein Indiz, aber kein Nachweis der Tatbestandsmäßigkeit, da – überspitzt gesprochen – eine Gleichgerichtetheit der Steckenpferde (Sport, Musizieren etc.), neben der kriminalisierten gemeinsamen politisch-organisatorischen Weltsicht, nicht v[on] vornherein ausgeschlossen werden kann.“ (Paeffgen, in: Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, 4. Auflage: 2013, § 84, RN 12)

Es müsse organisatorische Identität zwischen der verbotenen und der unterstützten Organisation geben; das heißt: Es muß (1.) überhaupt eine unterstützte Organisation geben und diese müsse (2.) „im Wesentlichen“ denselben „organisatorische Apparat“ haben wie die verbotene Vereinigung:

„Voraussetzung für eine derartige Identität ist, dass der organisatorische Apparat und seine Träger im Wesentlichen dieselben geblieben sind.“ (Steinmetz, in: Münchener Kommentar zumStrafgesetzbuch, 3. Auflage: 2017, § 84, RN 8)

Ohne fortbestehenden Organisationsapparat also auch keine Vereinigungsunterstüzung.

Erstaunlich ist daran allein, daß es überhaupt nötig ist, erst die juristische Fachliteratur für die Binse zu mobilisieren: Ohne Vereinigung keine Vereinigungsunterstützung.

1 Siehe dazu:

  • Bundesgerichtshof – Montag, den 20. Mai vor 61 Jahren: 3,5 Jahre Haft wegen mitgliedschaftlicher Betätigung in der Arbeitsgemeinschaft demokratischer Juristen (ADJ), in: scharf-links vom 21.05.2019
  • Kurze Beine an langen Ohren. Geschichtsklitterung im Verfassungsschutzbericht 2018 […] wie es wirklich war steht u.a. im Gemeinsamen Minsterialblatt von 1951, in: Twitter vom 06.02.2002 und Tweets drumherum (die Seiten-Reihenfolge ist leider etwas konfus).