Die Menschen auf der Straße schreckten aus ihren trüben Gedanken hoch, als die Tür, die hinter ihr ins Schloss gefallen war, die morgendliche Ruhe durchbrach - wie ein Donner in der Nacht - und blickten ängstlich umher. Als sie ihre Augen fanden, entschuldigte sie sich bei ihnen mit einem Blick, den man heutzutage immer öfter sah.
Lärm war nicht erwünscht.

Sie ging die Straße hinunter, um die Ecke, am leeren Spielplatz vorbei und blieb stehen. Eine Schaukel bewegte sich trostlos - ohne Lachen und Quietschen und Jauchzen - fast so, als ob gerade noch jemand auf ihr gesessen war. Sie schaute sich um. Nein, da war niemand. Nur sie und Staub und Schmutz und Dreck.
Lärm war nicht erwünscht.

Mit hängenden Schultern, die die Welt nach unten drückte, führte sie ihren Weg fort. Der Duft von warmen Brot und süßem Gebäck stieg ihr in die Nase. Sie hob den Kopf und erblickte eine Reihe farbloser Menschen wie durch einen trüben Nebelschleier. Sie standen vor dem Bäcker, nah beieinander, mit gesenkten Köpfen und Blicken, die so tief nach innen gerichtet waren, als wären sie auf der Suche nach ihrer Seele. Keiner rührte sich, denn jede Bewegung konnte die Welt zusammenbrechen lassen.
Lärm war nicht erwünscht.

Sie kam an dem alten Brunnen vorbei. Auf ihm thronte die Statue einer ehemals schönen Frau - in ihren Armen ein fast zerbrochener Krug, aus dem kein Wasser lief. Die Quelle war versiegt und der lächelnde Ausdruck in dem vernarbten Gesicht aus Stein, war nur noch trist und leer wie das Becken unter ihr. Das Becken um sie alle herum.
Lärm war nicht erwünscht.

Die große Flügeltür war weit geöffnet. Ein Maul, das jeden zu verschlingen drohte. Mit jedem ihrer lautlosen Schritte kam sie der inneren Leere des Gebäudes näher, um sie schließlich mit ihrer eigenen zu füllen. Die Gänge darin waren lang und dunkel - wie die blutlosen Venen in einem toten Körper - und mit ihrem eigenen durchschnitt sie die dicke Luft, die ihr den Atem nahm.
Ihre Füße trieben sie immer schneller zum Lichtschein am Ende des Flurs, so als ob nur er ihr die Kälte - ihre alte Weggefährtin – austreiben konnte. Doch sie betrat nur einen weiteren Raum der Stille. Und sie war greifbar, spürbar, sichtbar in jedem Augenpaar, das sie stumm anflehte oder resigniert durch sie hindurch brach wie Licht das Glas. Und keiner grüßte und keiner sprach. Sie atmeten leise vor sich hin, das einzige, was ihnen noch geblieben war.
Lärm war nicht erwünscht.

Sie starrte auf die leeren Stühle. Ein Neuer war hinzugekommen. Wie so oft in letzter Zeit.
Stille und Leere. Stille und Leere. Stille und Leere.
Dazwischen war nur die Zeit, die träge und lustlos alle vor sich hertrieb, bis sie auch die letzten von ihnen in die Knie zwang. Die Hoffnung hatte schon längst den Rückzug angetreten und war der Angst - einer so viel mächtigeren Gegnerin – gewichen. Und die Erfahrung lehrte nicht mehr. Und der Glaube tröstete nicht mehr. Und die Welt war verstummt.
Denn Lärm war nicht erwünscht.

„Wenn die Sonne heute untergeht, dann schaue ich ihr zu. Ein aller letztes Mal“, dachte sie. „Und ich werde lächeln und weinen. Ich werde barfuß durch das Gras springen und ich werde schaukeln und quietschen und jauchzen. Ich werde singen und mir selbst Beifall klatschen. Ich werde lachen und toben. Ich werde schreien und brüllen. Mit all der Kraft, die mir noch bleibt. Und dann werde ich der Hoffnung folgen und verschwinden.“
Denn Lärm ist nicht erwünscht.