Können teratogenetische Effekte durch Quecksilberdämpfe bei der Bearbeitung von Amalgamfüllungen entstehen?

Die Bearbeitung oder das Entfernen von Amalgam im ersten Trimenon kann aufgrund der dabei entstehenden erheblichen Quecksilberdampf-Konzentrationen das Risiko von Missbildungen vermutlich stark erhöhen. Ein Nachweis stellt sich allerdings im Nachgang als sehr schwierig dar - ein Missbildungsregister könnte dies ändern.

Vorbild für die Ursachenforschung: das Krebsregister

2009 wurde unter leitender Mitwirkung Prof. Ferdinand Hofstädter in Deutschland das Krebsregister eingeführt. Fortan können mit Hilfe lokaler Daten einzelner Entitäten Korrelationen verbessert aufgedeckt und mögliche Ursachen wesentlich fokussierter betrachtet werden.

Für die Pädiatrie hat sich leider bis dato niemand gefunden, der ein einheitliches Missbildungsregister in Deutschland einführt. Dabei hätte ein Missbildungsregister große Vorteile. Teratogenetische Effekte könnten schneller und effektiver ursächlich detektiert werden und erforderliche Präventivmaßnahmen eingeleitet werden.

Für Patientinnen in der frühen Schwangerschaft (3 . - 10. SSW) gilt:
Findet eine Bearbeitung von Amalgamfüllungen  im Zeitraum der teratogenetischen Determinationsperiode statt, so kann eine Schädigung der Frucht, z.B. Ausbildung einer Lippen- Kiefer- Gaumenspalte nicht ausgeschlossen werden. Teratogene Effekte nach der Inhalation von Quecksilberdämpfen wurden bereits im Tierversuch nachgewiesen.

Weil Quecksilber nach der Inhaltion schnell aus dem Blutgefäßsystem in das Nervengewebe verschoben und dort gespeichert wird, sind weder Blut- noch Speichel- oder Urintestungen geeignet, akute Belastungen durch inhalative toxische Peaks nachzuweisen, da diese in der Regel mit zu großem zeitlichen Abstand zur kurzzeitlichen Exposition einer zahnärztlichen Behandlung erfolgen und somit eher dazu beitragen, potentielle Gefahren inhalativer Risiken zu verschleiern.

Konsequenzen für PatientInnen - insbesondere Schwangere, Stillende und Kinder - Trepanationsverzicht bei Schmerzen
Weil  die inhalative Resorptionsrate hoch ist und keine Plazentaschranke für Quecksilber existiert, sollte zur Vermeidung von Belastungen durch Quecksilberdämpfe bei der Behandlung von Schmerzpatientinnen mit unklarer Schwangerschaftsanamnese, sowie bei stillenden Müttern wegen der möglichen Übertragung zum Säugling, auf eine Trepanation amalgamgefüllter Zähne stets verzichtet und stattdessen besser eine Dekapitation des betroffenen Zahnes durchgeführt werden.

Wenn Quecksilberdampf die Plazentaschranke passiert, gelangt Quecksilber sehr leicht in den fötalen Blutkreislauf. Bei schwedischen Frauen (n=119) wurde  eine Korrelation zwischen der Zahl der Amalgamfüllungen und dem Gehalt an anorganischem Quecksilber in der Plazenta nachgewiesen. Die Konzentration in der Plazenta lag um etwa das Dreifache höher als im mütterlichen Blut.

Kinder mit amalgamgefüllten Milchzähnen sollten bei akuten Schmerzen keinesfalls Trepanationsbohrungen ausgesetzt werden, weil sie sonst wegen ihres höheren Verhältnisses von  Lungenoberfläche zu Körpergewicht, sowie eines höheren Minutenvolumens  einer höheren Dosis von Quecksilberdämpfen ausgesetzt sind.

Als der Spiegel am 20.9.2019 über Clusterbildungen rätselhafter Handmissbildungen berichtete, ergaben die in mühevoller Kleinarbeit erbrachten  Befragungen eine Gemeinsamkeit: Alle betroffenen Mütter waren in der  Frühschwangerschaft beim Zahnarzt gewesen.

Für mich als Zahnarzt war es sofort naheliegend, dass eine relevante Quecksilberdampfbelastung nur in Zusammenhang mit der Bearbeitung und / oder dem Herausbohren von Amalgam entstehen kann. Zusammen mit dem anerkannten Spezialisten für Messtechnik und TÜV-Prüfungsverfahren, Prof. Martin Garbrecht, quantifizierten wir die entstehenden Quecksilberdampf-Konzentrationen bei der Bearbeitung von Amalgamfüllungen. Über unsere Messungen berichteten neben der zahnmedizinischer Fachpresse auch die renommierten Medizinjournalisten Martin Rücker und Rainer Woratschka.

ToxikologInnen wurden mit den Ergebnissen konfrontiert und um Beurteilung der Ergebnisse gebeten. Die Frage ist, ob vor dem Hintergrund der teratogenen Potenz aus embryotoxikologischer Sicht eine Forderung nach verstärkter Forschung für diese konkrete Fragestellung konsentiert werden kann. Es ist wohl überfällig, weil: In Deutschland existierten zum Thema Quecksilberdampf-Belastung im Zusammenhang mit der Bearbeitung von Amalgam bis zu unseren Untersuchungen keinerlei mit moderner Messtechnik ermittelten Daten (!).

Nachfolgende Fachleute wurden mit unseren Ergebnissen konfrontiert und reagierten daraufhin nahezu unisono:

  1. Prof. Thomas Eschenhagen, Director
    Department of Experimental Pharmacology and Toxicology
    University Medical Center Hamburg-Eppendorf (UKE) in einer persönlichen Mitteilung vom 11.10.23: "Es gibt übereinstimmende Berichte darüber, dass das Personal von  Zahnarztpraxen deutlich erhöhte Konzentrationen von Quecksilber im Urin  und Blut aufweisen. Es gibt viele Hinweise auf ein vermehrtes Auftreten von potentiell  Quecksilber-verursachten Störungen bei Mitarbeitern von Zahnarztpraxen, vor allem zentralnervös, Haut und Reproduktion. Allerdings gibt es vielfältige verzerrende Faktoren, was Ursache-Wirkungsbeziehungen wenig belastbar macht. Generell gilt, dass an der Giftigkeit von Quecksilber keine Zweifel bestehen und die Daten von Werwick et al. ebenso wie Ihre Untersuchungen, eben doch auf deutlich erhöhte Konzentrationen von Quecksilber-Staub und daraus entstehendem Quecksilber-Dampf hinweisen."
  2. Dr. Wolfgang E. Paulus, Universitätsfrauenklinik Ulm, Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie - Reprotox in einer persönlichen Mitteilung vom 20.8.24: "Wie Ihre Daten und die Studien von Warwick et al (2019) zeigen, entstehen an Amalgamfüllungen Quecksilberdämpfe in höherer Konzentration. Manipulationen an Amalgamfüllungen sollten deshalb insbesondere in Schwangerschaft und Stillzeit vermieden werden. Zu bedenken wäre jedoch auch die langfristige Belastung von Beschäftigten in Zahnmedizin."
  3. N. N.
    Fachärztin für Humangenetik, Uniklinik Deutschland (die Verfasserin möchte hier ausdrücklich namentlich nicht genannt werden) in einer persönlichen Mitteilung vom 14.10.24: "Wenn Anfragen zur Amalgamentfernung in der Schwangerschaft bzw. Stillzeit gestellt werden, so ist unsere Auskunft, dass dies unterbleiben soll. Zudem müssen Arbeitsschutzmaßnahmen ergriffen werden, zum Schutz  aller Beteiligter – Patientinnen und Beschäftigte."

Nachfragedruck nach Amalgamentfernung wächst

Am 1.1.2025 wird gemäß einer EU-Resolution Amalgam verboten. In einer offiziellen Mitteilung der KZBV werden Ersatzmaterialien als neuer GKV-Standard angekündigt. Diese Ersatzmaterialien sind zahnfarben. Das bedeutet, dass allein aufgrund des zahnfarbenen Materials ein Nachfragedruck nach Füllungsaustausch entstehen wird, der auch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass PatientInnen einer bedenklichen Gefährdung durch inhalative toxischer Peaks ausgesetzt werden. Parallel dazu wird sich die statistische Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Quecksilberdampf-Peaks vermehrt auch in der teratogenetischen Determinationsperiode inhaliert werden können. Mit einem Missbildungsregister könnte eine solche Korrelation sehr viel leichter nachgewiesen werden. Diese potentielle Korrelation nicht nachzuweisen, weil ein probates statistisches Werkzeug noch immer nicht vorhanden ist, bedeutet, eine wichtige Möglichkeit zum Nachweis potentiell teratogener Faktoren zu ignorieren. Prävention geht anders. Wichtige medizinrechtliche Fragen, die durch lokale Häufungen einzelner Entitäten auf eine Noxe hinweisen, die beispielsweise zum Auftreten einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte führen, werden auf diese Weise vermieden, weil sie aufgrund fehlender epidemiologischer Daten niemand stellen kann. Fragen zur Haftung bleiben somit ebenfalls unbeantwortet.

Eine Entfernung von Amalgamfüllungen wird schon jetzt von vielen PatientInnen angestrebt und von Zahnarztpraxen unter Zuhilfenahme dubioser Begleitumstände (Narkose!) beworben. Nicht nur bei bestehendem Kinderwunsch wird z.B. von vielen Krankenkassen eine Entfernung von Amalgamfüllungen unterstützt. Zudem werden TumorpatientInnen sehr häufig gedrängt, im Rahmen einer „Entgiftung“, die Entfernung ihrer noch intakten Amalgam-Füllungen vornehmen zu lassen. Dabei werden sie nicht nur überflüssigen inhalativen toxischen Belastungen ausgesetzt, sondern geraten, parallel zur oralen Tortur, ungewollt in die Fänge der Scharlatanerie.

Zur Thematik von Quecksilber-Amalgam sagt Sylvia Gabel, Verband medizinischer Fachberufe: "Dämpfe sind für das Fachpersonal gesundheitsschädlich! Beim Arbeiten mit Amalgam in der Praxis wird Quecksilberdampf freigesetzt. Da 99 Prozent der zahnmedizinischen Fachangestellten in Deutschland weiblich sind und Quecksilber sowohl schädlich für die Fruchtbarkeit als auch das ungeborene Kind ist, sind wir einem besonderen Risiko ausgesetzt.“ (Quelle)

Rituale gegen Cash

Die Methodenvielfalt, mit der sich ein Heer peinlich anmutender AmateurmedizinerInnen amalgamgefüllter Zähne als Basis dubioser Entgiftungsbehandlungen („Detox“) bedient, ist schier grenzenlos. Hier findet sich das volle Spektrum esoterischer Vielfalt: mal sind es Spirulina-Algen, mal ist es „Homöopathie“. Mal wird gependelt, mal werden Muskeln befragt, mal der Mond. Unwichtig, welches Verfahren dabei Anwendung findet - gemeinsam sind ihnen zwei Aspekte. Zum Einen sind Rituale gegen Cash für die AnwenderInnen finanziell stets lohnenswert - zum Anderen setzt sie eine invasive - manchmal zu oraler Verstümmelung führender - Quälerei voraus. Es reicht daher nicht, die Methodik zu belächeln und als Spinnerei abzutun, denn:

Sowohl im Falle eines Kinderwunsches als auch im Rahmen einer
Tumorbehandlung überwiegen nachweislich die Risiken einer
Amalgamentfernung aufgrund nicht abschätzbarer Risiken durch die Inhalation hoher Konzentrationen von Quecksilberdämpfen.

Relevante Konsequenzen für den Arbeitsschutz
Sowohl Björklung (2019), als auch Anglen und Gruninger (2015) berichten von erhöhten Gesundheitsrisiken (Infertilität, Neuropathien, Psyche) im Zusammenhang mit Quecksilberamalgam für Arbeitende im zahnärztlichen Umfeld.

Um MitarbeiterInnen vor den Quecksilberdämpfen zu schützen,
sollten zahnärztliche Arbeiten an amalgamgefüllten Zähnen (Trepanationen,
Präparationen, Amalgam-Entfernungen) daher ausschließlich unter den
Kautelen eines konsequenten Atemschutzes erfolgen (z.B. A1HgP3 von 3M).











     
     -------- Weitergeleitete Nachricht --------                                     Betreff:                         Re: WG: [ext] Anfrage an PD Dathe - Quecksilber -               Amalgam                                Datum:             Tue, 20 Aug 2024 16:40:19 +0200                                Von:             Dr. Hans-Werner Bertelsen <[email protected]>                                An:             [email protected]                                Kopie               (CC):             [email protected], [email protected],               [email protected], [email protected],               [email protected]                              
     

Danke für die klare Statement,

Frau Dathe und Frau Haug - ein kurzes Statement von Ihnen dazu         wäre ebenfalls sehr hilfreich.


Gruß aus Bremen:

Hans-Werner Bertelsen

PD Dr. med. Katarina Dathe

Ärztliche Leiterin - Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie

Prof. Dr. med. Thomas   Eschenhagen