Twitter ist für Viele ein zweites „Zuhause“ zum Austausch von Gefühlen, Gedanken und Meinungen geworden. Es ist für Viele mehr, als einfach nur „Larry the Bird“. Ich wollte selbst erfühlen ob „Larry“ der flatternde und zwitschernde Kolibri, der ein Symbol für Hoffnung, Freiheit, Innovation, grenzenlose Möglichkeiten, Verbindung von Ideen, Entwicklungen und Interessen steht, das hält was er verspricht.

Es eröffnete sich mir eine riesige und sehr beunruhigende Welt der Spaltung und des Zustands unserer Gesellschaft. Ein Spiegelbild zum Greifen nah. So klein und niedlich der zwitschernde Kolibri auch erscheinen mag, so kraftvoll ist er in Wirklichkeit.

Grand Canyon wäre für diesen Zustand das passende Sinnbild hierfür. Eine steile lange, dunkle und tiefe Schlucht, abenteuerlich, befremdlich, unberechenbar, launisch, grotesk, vielfältig mit unendlich vielen Dimensionen und Ausprägungen. Sie ist gezeichnet von zahlreichen Erdbeben, dutzenden von Verwerfungen, die sich auf beiden Seiten immer wieder massiv und zum Teil in gewaltvollen Äußerungen kreuzen, unterschiedlichsten Lebensräumen und -formen aber auch kleinen blühenden Inseln. Man spürt die Massenbewegungen, die enorme Schleifwirkungen erzeugen und katastrophale Einschnitte hervorrufen. Man registriert eine Aktivität und Intensität, als wäre sie seismisch hoch explosiv. Beide Seiten sind steil, stark und kräftig. Es gibt sehr spitze, schroffe und harte Elemente, die sich zum Teil massiv und extrem dominant in ihre eigene Seilschaft hineinbohren, aber auch weiche, sensitive, runde und warme Elemente, die versuchen tiefe Schnittwunden ein wenig auszugleichen.

Die steil emporragenden Wände sind gekennzeichnet von unbeschreiblichen Kraftausdrücken, welche eine enorme und nicht zu unterschätzende Spann- und Sprengkraft besitzen. Das alles gepaart mit Gefühlen, Emotionen, Egoismus, Respektlosigkeit, Verletzungen, Beleidigungen, Manipulationen, Vorwürfen, Anfeindungen, Hass und Hetze, Informationen, Aufklärung, ein Aufeinander schauen, Gedenken, Anteilnahme, Zuhören, Unterstützen, Solidarität, Gemeinsamkeiten, einem Suchen, Finden und Teilen.

Ich schließe meine Augen und sehe den Kolibri als einen sehr kraftvollen Lebenskünstler effizient im freien Fall, kopfüber und rückwärts über dem Grand Canyon fliegen. Mal wirkt er wie ein Düsenjet, mal wie ein Tänzer beim Drahtseilakt und all das immer im Turbo-Dauer-Modus.

Heute bringt Larry the Bird gute und schlechte Nachrichten, er warnt vor Verhärtungen, ruft um Hilfe, schreit Verzweiflungsrufe aus, sein Rufen ist laut, schrill und dominant, aber er kann auch leise und einfühlsame Töne von sich geben (auch wenn diese eher seltener sind). Man spürt, dass bei seinem Rufen und Zwitschern sein Herz mitschwingt und dieses auf beiden Canyon-Seiten tief in die Seelen eindringt. Die Tweets sind wie die Flügelschläge des Kolibris: schnell, unzählig viele, sie sind kaum einzeln erkennbar und doch so kraftvoll und mit enormer Schlagkraft. Larry fliegt steiler und steiler nach oben.

Aber was ist mit unserem Kolibri passiert?

Seine Botschaft sollte doch eigentlich Freude am Dasein, am Licht und an unserem Leben bedeuten. Er wurde immer als Botschafter der Liebe, des Lichts, der Freude, des Glücks, der Wahrheit, der Ausgeglichenheit im Leben und der Hoffnung geschätzt und hoch verehrt. Unser Kolibri war ein Symbol dafür von Blüte zu Blüte zu fliegen, ein Genießer, der keine Blüte auslässt und immer auf der Suche nach den grundsätzlichen Lebensfragen ist.

Er fliegt über dem Canyon und von einem guten Gleichgewicht ist schon lange nichts mehr vorhanden. Seine Rufe sind laut und kraftvoll, sie sind gekennzeichnet von Intoleranz, Verachtung, Hilferufen, Verzweiflung, Lügen, Propaganda, Zwang, Ausreden, Anfeindungen, Verletzungen, Manipulationen und Hetze. Vieles, was gesagt und geschrieben wird, ist erschütternd salonfähig geworden.

Zwei Bergsteigerteams versuchen jeden Tag mit aller Kraft, die ihnen bleibt und zur Verfügung steht, ans Licht empor zu steigen, um den Boten „unseren Kolibri“ für Friede, Freude, Glück und Freiheit zu erreichen. Beide Teams verfügen über Expertise in Strategie, Führung, Analyse, IT, Presse, Kommunikation, Wissenschaft, Medizin, Judikative, Marketing, Finanzen... Ein Gemeinsam gibt es schon lange nicht mehr. Eines der wichtigsten Merkmale unseres Kolibris war immer seine nahezu ständige Bewegung, seine harte Arbeit, sein unermüdliches Schaffen in ALLE Richtungen (von Blüte zu Blüte). Bei meinem Blick in den Canyon sehe ich unendlich viele Teams, die sich ehrenamtlich rund um die Uhr aufarbeiten, mit bewundernswerter Energie und Leidenschaft ihre Mannschaften zu sichern und sicher ans Ziel empor zu bringen. Aus der Vogelperspektive kann ich auch viel Leidenschaft, Nächstenliebe und Solidarität erkennen, das weckt Hoffnungen bei mir, aber ich sehe auch, dass der Graben tiefer, tiefer und dunkler wird und eine verbindende Brücke keineswegs in Sicht ist und auch nicht am Horizont greifbar werden wird. Beide Seiten haben Freunde, Familienmitglieder, Kollegen und Bekannte bei ihrem Aufstieg nach oben verloren. Tiefe Risse sind entstanden und sie schmerzen. Die Fronten sind unendlich verhärtet und die verwendeten Mittel zum Aufstieg werden ausgefeilter, ausgeklügelter, bedrohlicher und zum Teil gefährlicher.

Von weit oben sehe ich die vielen Zurückgebliebenen, die noch keinem der beiden Bergsteigerteams angehören. Sie haben den Aufstieg der Mannschaften zum Teil immer noch nicht mitbekommen, haben das Getöse und Geschrei über ihren Köpfen nicht gehört (oder wollten es auch nicht hören) und sie schauen nun ungläubig zum Himmel empor. Die Wände sind mittlerweile steil schroff und kaum noch zu erklimmen. Ich frage mich: Was wird mit ihnen wohl passieren?! Inzwischen sind beide Bergsteigerteams schon fast außer Sichtweite, beide streben dem Licht am Ende des Canyons weit oben entgegen und die Wände drohen, vielleicht irgendwann massiv und mit aller Gewalt einzustürzen.

Werden sie alle unter dem Geröll begraben werden oder schaffen es beide Teams noch, gemeinsam eine Brücke zu bauen?

Kolumne von B. Neshama

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