Wie wahrscheinlich viele Leute meiner Generationen, bilde ich mir ein, dass ich zwar mein Handy als sehr praktisch betrachte, dass ich aber ohne weiteres ein paar Tage ohne leben kann. Diese Woche musste ich zwangläufig diese Vorstellung auf Probe stellen... und entdeckte dabei zu meiner großen Überraschung, dass es doch alles nicht so einfach ist.
Tag minus 1: 4. Februar
Es ist Sonntagabend und wir sind auf dem Weg nach Hause. Das Wochenende haben wir bei Freunden verbracht, die ein rund 50 Hektare großes Grundstück im Bush, 2 Stunden nördlich von Sydney, besitzen.
Es ist immer schön dort zu sein und unsere guten Freunden zu besuchen. Wir waren am Freitag angekommen und hatten abends noch gemütlich zusammen gesessen und ein Glass Rotwein genossen.
Am Samstag hatten wir eine Weintour in der Hunter Valley Gegend geplant und ich konnte ausnahmsweise, nicht zu nur Mittag ein Glasswein trinken sondern auch an die Weinprobe teilnehmen, da mein Sohn sich angeboten hatte zu fahren.
Den Sonntag haben wir nur überlebt, weil wir immer wieder das Schwimmbad im Anspruch genommen haben. Die Wettervorhersage hatte nämlich eine Hitzewelle vorausgesagt und tatsächlich erreichten die Temperaturen an diesem Tag 45° C !
Nun kam der Abend und wir mussten schweren Herzens verabschieden, um nach Hause zu kehren. Unterwegs nahmen wir allerdings die Panoramastrecke, um das Wochenendegefühl auseinander zu ziehen. Ich war noch voll im Gedanken bei unseren Freunden und der schönen Zeit, die wir gerade gehabt hatten, als das Telefon von meinem Sohn klingelte... und siehe da, es war meine Freundin Judy.
Und exact in dieser Sekunde wurde mir klar, dass die Tatsache, dass sie versuchte mich über meinen Sohnes Telefon zu erreichen nur eins bedeuten konnte: ich hatte mein Handy bei denen vergessen. Dabei waren wir schon fast wieder in Sydney, nämlich 2 Stunden von deren Grundstück entfernt. also zu weit weg um zurückzukehren.
Meine erster Gedanke war : Hilfe! Was mache ich ohne mein Handy!!!!!!!
Da ich aber als Elternteil ein Beispiel für meinen Sohn sein wollte, verschluck ich mein Hilfeschrei und behielt diesen Gedanke allerdings für mich. Daraufhin versuchte ich, einen Plan mit meiner Freundin Judy auszutüffeln, um zu sehen, wie ich am besten mein Handy (SCHNELLSTENS!) zurückbekommen konnte. Eins war sicher: es musste innerhalb der nächsten Woche geschehen, weil ich am 11. Februar nach Europa fliegen würde. Meine Freundin schlag vor, sich bei einer Nachbarin zu erkundigen, ob diese vielleicht am Montag nach Sydney fahren würde, da sie dort beruflich immer wieder zu tun hat. Judy würde mir sofort wie möglich Bescheid geben.
Tag 1: 5 Februar
Es ist erst 6.30 Uhr aber ich sitze schon vor meinem Komputer, in der Hoffnung eine Nachricht von meiner Freundin zu haben. Und prompt sehe ich ein Email von ihr, der allerdings besagt, dass ihre Nachbarin doch nicht vor hat, diese Woche nach Sydney zu reisen. Schweiss strömt mir über den Rücken: immer noch diese Hitzewelle? Tja wohl nicht nur. Ich, die meinen Kindern immer wieder daran erinnere, nicht ihre ganze Zeit an deren Handy zu verbringen, ich die keine Sozialmedien benutze, ausser Sofornachrichtendienste, um mit meinen Kindern und Freunden kommunizieren zu können, die auf andere Kontinenten leben, ich muss zugeben, mein Handy fehlt mir. Es ist, als ob ein Teil von mir nicht da wäre.
Was nun?
Meine Freundin fragt, ob ich mein Handy dringend brauche und ich möchte tapfer erscheinen, also antworte ich leger: "Nein, eigentlich nicht". Darauf hin schlägt sie vor, noch jemanden anderes zu fragen. Falls diese Spur ebenfalls fruchtlos sein sollte, will sie mein Handy am Dienstag per Eilpost schicken.
7.00 Uhr: wollte ich nicht heute zum Australischen "ADAC" hin, um einen internationalen Führerschein zu beantragen? Aber dafür brauche ich doch meinen Australischen Führerschein... den ich nur digital auf mein Handy habe. Gerade war er fällig gewesen (den muss man nämlich in Autralien alle 5 Jahren erweitern lassen) und den neuen bekommen ich diese Woche per Post... Macht nichts, ich werde halt erst später in der Woche dies erledigen.
8.00 Uhr: heute fange ich die Arbeit erst später an, also habe ich noch Zeit, davor einkaufen zu gehen. Am Freitag hatte ich angefangen eine Einkaufsliste... digital auf mein Handy zu schreiben. Was war das noch was ich dringend brauchte? Tja, diese Liste ist eigentlich super praktisch. Alle Mitglieder unserer Familie sind daran angeschlossen und können jeder Zeit was hinzufügen. Merkt die Tocher, dass sie keine Zahnpasta mehr hat, so schreibt sie dies auf ihre Liste und es erscheint gleichzeitig auf meine. Will meinen Sohn den Abendessen kochen, so fügt er die gebrauchten Ingrediente auf seine und dadurch auf meine Liste hinzu. Am Ende des Tages, egal wer einkaufen geht, die Einkaufsliste ist immer auf den letzten Stand.
Nachmittag: der Tag ist soweit erstaunlicherweise ruhig und entspannend vergangen. Ich arbeite von zu Hause aus, also ruft mich meine andere Hälfte meistens mittags an. Dies fehlte ein bisschen, aber auf der anderen Seite, ich muss zugeben, dass ein Tag ohne Handy sich fast wie eine Befreiung anfühlt! Fast erinnere ich mich sehnsüchtig an die Zeit, in denen wir ohne leben mussten.
Abend: ich muss wohl das leckere Essen sowohl die am Wochenende mit dem Alkohl extra erworbenen Kalorien mit einer Runde Rennen abbauen. Gott sei Dank kann ich dabei Musik hören, weil ich Rennen eigentlich hasse. Oder doch nicht, heute? Blöder Handy...
Noch eins: wie werde ich morgen in der früh wach? Ich habe ja kein Wecker mehr!
Nachts: ouch! Kein Podcast zum Einschlafen. Endlose Betrübheit und doch bin ich ziemlich schnell eingeschlafen.
Tag 2: 6. Februar
6.30: ich wurde mit einem Kuss geweckt! Es ist eigentlich viel schöner, als mit meinem üblichen Alarm.
7.00 Uhr: Judy meint, ihre andere Bekannte wird auch nicht diese Woche nach Sydney hinfahren, aber dafür ihr Mann, allerdings erst am Donnerstag. Ausserdem hat Judy festgestellt, dass mein Sohn bei denen ein paar seinen Lernbüchern vergessen hat.
Das Handy zu schicken ging noch, aber ich möchte von meiner Freundin nicht verlangen, dass sie auch noch ein Packet voller Bücher zur Post hinbringen muss. Ich werde wohl bis Donnerstag warten müssen.
10.00 Uhr: gut dass ich online gegangen bin, um auf Gumtree nachzuschauen, ob die Anzeige für die Ankerkette, die ich verkaufen möchte, erfolgreich war. Zwei Leuten haben anscheinend ein SMS am Samstag geschickt, um zu nachzufragen, ob sie noch verfügbar ist. Und wie glaubwürdig klingt es, wenn man sagt, dass man leider im Moment kein Handy, also auch kein SMS bekommen hat?
Mittags: Ich darf nicht vergessen, eine Nachricht zu meiner Schülerin Sally zu schicken, um sie zu fragen, ob ich ihr morgen einen Kurs um 11.00 Uhr statt um 10.00 Uhr geben kann. Sie ist erst 17 und Emails sind nicht die beste Option, um sie zu erreichen, aber was kann ich im Moment sonst machen?
17.00 Uhr: Ich muss mich sputen, wenn ich noch rechtzeitig bei meinem Termin beim Physio ankommen möchte. Ich brauche ungefähr eine Stunde zu Fuß. Mein Motorrad ist im Moment zu Reparatur und Fremdenverkehrsmitteln langweilen mich. Dafür laufe ich lieber und höre dabei einen interessanten Podcast... oder heute vielleicht nicht? :-(
Noch ein Tag ohne Handy und ich habe ihn ganz gut überlebt. Diese Ruhe!
Schlafstörung!
Etwa um Mitternacht: ich habe zu schnell gesprochen. Heute abend/morgen? kann ich nicht so leicht einschlafen. Lesen hilft nicht und relaxen schon gar nicht. Ich sehne mich nach meiner Einschlafroutine, die 15 minuten Podcast hören beinhaltet und immer so gut funktionniert.
Tag 3: 07 Februar
4:30 Uhr. Nein, ich habe keine Schlafstörungen, aber ich habe gehört, wie jemand in der Küche die Kaffeemachine anmachte und dachte mir, es ist wohl schon Zeit zum Aufstehen. Dabei ist es nur meine bessere Hälfte, die zu früh wach geworden ist und beschlossen hat, nicht mehr zurück ins Bett zu gehen. Schade, dass ich nicht auf mein Handy die Uhrzeit prüfen konnte, bevor ich selber aufstand. Ich hätte mich einfach umgedreht und weitergeschlafen. Jetzt ist es allerdings zu spät. Ich mache mir eine Tasse Tee und fange gleich mit der Wäsche an, aber ich fürchte, ich werde heute nachmittag ganz schön müde sein!
7:00 Uhr. Gestern ist mein Führerschein mit der Post gekommen, also kann ich heute zur ADAC hin. Ich mache mich lieber gleich auf die Socken, weil ich gern dort ankommen möchte, kurz bevor sie aufmachen, um gleich dran zu kommen. Natürlich habe ich vergessen, den Weg bis dahin nachzuschauen. Normalerweise würde ich ja mein GPS (Entschuldigung, mein Handy) dabei haben. Ich weiss ungefähr die Richtung, aber nicht den kürzeren Weg dahin. Ich werde wohl ein wenig länger brauchen.
11:00 Uhr. Ein wenig länger! Statt 1 Stunde und 40 Minuten habe ich fast 2 Stunden gebraucht.
12.00 Uhr: das war knapp. Fast wäre ich zu spät für meine erste Unterrichtstunde nach Hause gekommen. Gott sei Dank unterrichte ich seit der Pandämie nur noch Online!
Nachmittag:
Gerade habe ich ein letztes Hotelzimmer für meine Europareise online gebucht. Die Buchungsseite empfielt, den dazu passenden App runter zu laden, um alle entsprechenden Informationen zur Hand zu haben. Tja, es ist in der Tat praktisch, aber es wird wohl warten müssen.
Ein wenig später:
Ich habe noch nichts von Hugh (Judys Ehemann) gehört. Hoffentlich kommt er wirklich morgen nach Sydney. Ich würde nämlich gern anfangen, meinen Koffer zu packen, weil ich Freitag keine Zeit dazu haben werde, aber meine Ausfühliche Liste ist auf mein Handy. Und eine neue Liste zu schreiben, dazu habe ich keine Lust! Wie ich mich kenne, würde ich einiges vergessen und es dann vermissen. Also doch bis morgen warten?
Fortsetzung folgt!
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