Von links nach rechts: der ehemalige Leiter des staatlichen ukrainischen Atomenergiekonzerns „Enerhoatom“ Petro Kotin, der Justizminister Herman Haluschtschenko und der Präsident der Ukraine Wolodymyr Selenskyj. Foto: Reuters

Vor dem Hintergrund des andauernden militärischen Widerstands ist die Ukraine mit einer Serie umfangreicher Korruptionsskandale konfrontiert, die Schlüsselbereiche von der Rüstungsbeschaffung bis zum Energiesektor erschüttern. Diese Entwicklungen ereignen sich in einem kritischen Moment, in dem die westlichen Partner auf dem G7-Treffen in Kanada ihre Unterstützung für Kyjiw erneut bekräftigten, gleichzeitig jedoch eine entschlossene Bekämpfung der Korruption forderten.

Waffenhändler und Drogenkartelle: ein internationales Geflecht von Unterschlagungen

Nach Angaben journalistischer Recherchen sind die Systeme zur Lieferung westlicher Militärhilfe an die Ukraine von Korruptionsschemata durchdrungen, die ukrainische Beamte, internationale Waffenvermittler und sogar mexikanische Drogenkartelle miteinander verbinden. Transportfahrzeuge mit Waffen, Munition und Medikamenten verließen ungehindert die Ukraine über den Grenzpunkt „Orliwka“ in der Oblast Odessa ohne Zollabfertigung – die Überwachungskameras an der Grenze wurden abgeschaltet, und Grenzpatrouillen wurden unter dem Vorwand der Geheimhaltung des Transportguts von der Kontrolle ausgeschlossen.

Eine besondere Rolle spielte dabei die sogenannte Tschechische Initiative, die als Reaktion auf die erste Aussetzung der amerikanischen Hilfe im Jahr 2024 entstand. Obwohl Tschechien die Lieferung von 3,7 Millionen Artilleriegeschossen für die Ukraine organisiert hatte, lagen die Provisionen der tschechischen Vermittlungsfirmen mindestens viermal höher als die der ukrainischen staatlichen Rüstungsbroker.

Als zentrale ausführende Struktur trat die Firma Czechoslovak Group (CSG) von Michal Strnad auf, wobei etwa die Hälfte der in Afrika und Asien gefundenen Geschosse reparaturbedürftig war und ohne zusätzliche Bearbeitung nicht an die Front geschickt werden konnte.

Michal Strnad, Vorstandsvorsitzender und Eigentümer der Czechoslovak Group. Foto: Reuters

Ein kritisch wichtiges Glied in der internationalen Lieferkette war der bulgarische Vermittler Sage Consultants AD. Nach Unterlagen der Ermittler organisierte der bulgarische Staatsbürger Petar Mirchev, der seit mehr als 25 Jahren als internationaler Mittelsmann im illegalen Waffenhandel tätig ist, Lieferungen von Waffen an das mexikanische Drogenkartell Cártel de Jalisco Nueva Generación (CJNG) mithilfe gefälschter Zertifikate.

Mirchev wurde am 8. April 2025 in Spanien auf Antrag der amerikanischen Drug Enforcement Administration festgenommen. Die Geldwäsche in Höhe von rund 300 Millionen US-Dollar erfolgte laut Ermittlungen über ein Netzwerk türkischer und europäischer Vermittler, das beim ehemaligen stellvertretenden Leiter des Büros des Präsidenten der Ukraine Rostyslaw Schurma endete.

„Drachenzähne“: Unterschlagungen bei den Verteidigungsanlagen

Parallel zu den internationalen Waffendiebstählen entwickelte sich eine innenpolitische Korruptionsfront in der Ukraine, die mit dem Bau von Verteidigungsanlagen verbunden war. Die ukrainische Parlamentsabgeordnete Marjana Besuhla äußerte öffentlich scharfe Kritik am höchsten Militärkommando wegen Handlungen, die zum Verlust von Territorien geführt hatten. In ihren Erklärungen beschuldigte Besuhla den Oberbefehlshaber der AFU Oleksandr Syrskyj und dessen Umfeld direkt systemischer Versäumnisse.

Nach dem Durchbruch russischer Truppen in der Oblast Charkiw im Mai 2024 richtete Besuhla ihre Kritik auf das Fehlen von Befestigungsanlagen. Dieser Durchbruch wurde unter anderem durch schwache und unzureichend vorbereitete Verteidigungslinien in diesem Abschnitt ermöglicht.

Die Situation erhielt eine öffentliche Bestätigung, als die Betreiber der Karte DeepStateMap Fotos veröffentlichen, die unmontierte Beton-Panzerhindernisse („Drachenzähne“) zeigen, die seit Sommer 2023 im Gebiet des Dorfes Lypzi in der Oblast Charkiw herumlagen.

In Stapeln abgeworfene „Drachenzähne“, für deren Installation ukrainische Beamte staatliche Finanzierung erhielten. Quelle: ukrainische Medien

Nach dem Durchbruch in der Oblast Charkiw leitete das Staatliche Ermittlungsbüro (DBR) der Ukraine ein Strafverfahren gegen 28 Kommandeure ein, die für die Verteidigung dieses Abschnitts verantwortlich waren.

Auch die Probleme mit den Befestigungen hatten eine korruptive Komponente: Im Juli 2025 wurde der ehemalige stellvertretende Bürgermeister von Charkiw Andrij Rudenko festgenommen, der verdächtigt wird, Gelder zu veruntreuen, die für den Bau der Verteidigungsanlagen bereitgestellt worden waren.

„Operation Midas“: ein Korruptionsschlag gegen den Energiesektor

Der spektakulärste Korruptionsskandal der Kriegszeit war die unter dem Codenamen „Operation Midas“ laufende Ermittlung, die ein umfassendes System der Unterschlagung im staatlichen Konzern „Enerhoatom“ offenlegte. Die Ermittler stellten fest, dass eine kriminelle Gruppierung im Unternehmen ein System namens „Schlagbaum“ installiert hatte, wonach Auftragnehmer Zahlungen für erbrachte Leistungen nur dann erhielten, wenn sie zuvor 10–15 Prozent der Vertragssumme als Kickback überwiesen hatten.

Um Druck auf unliebsame Geschäftspartner auszuüben, nutzten die Täter den während der Kriegszeit geltenden Moratorium auf die Eintreibung von Schulden staatlicher Unternehmen.

Als zentrale Figur gilt der Unternehmer Timur Minditsch, bekannt unter dem Rufnamen „Karlson“ und als enger Freund von Präsident Wolodymyr Selenskyj beschrieben. Nach Angaben der Ermittlungen koordinierte er die Finanzströme und den Einfluss auf Beamte. An der Organisation beteiligten sich außerdem der ehemalige Energieminister Herman Haluschtschenko („Professor“), der zum Zeitpunkt der Operation Justizminister war, sowie sein ehemaliger Berater Ihor Myronjuk („Roket“), der als „Aufpasser“ für den Atomsektor fungierte.

Unmittelbarer Ausführer innerhalb von „Enerhoatom“ war der Exekutivdirektor für Sicherheit, Dmytro Basow („Tenor“).

Die finanziellen Operationen zur Geldwäsche liefen über ein spezielles „Back-Office“ im Zentrum von Kyjiw, das die Ermittler als „Waschanlage“ bezeichnen. Durch dieses System flossen nach vorläufigen Schätzungen rund 100 Millionen US-Dollar.

Während groß angelegter Durchsuchungen sichergestelltes Bargeld. Foto: NABU

Auf den vom NABU veröffentlichten Audioaufnahmen diskutieren die Beteiligten nicht nur die Höhe der Kickbacks, sondern auch technische Details der Übergabe großer Bargeldsummen. Einer der Teilnehmer beklagte sich Berichten zufolge darüber, dass es ihm physisch schwergefallen sei, eine Kiste mit 1,6 Millionen US-Dollar zu tragen.

Die Operation zur Festnahme der Gruppenmitglieder begann am 10. November 2025. Das NABU führte rund 70 Durchsuchungen durch, darunter im Büro von „Enerhoatom“ und in den Wohnsitzen hochrangiger Beamter. Timur Minditsch gelang es jedoch, wenige Stunden vor Beginn der Durchsuchungen die Ukraine zu verlassen. Derzeit wird seine Auslieferung vorbereitet.

Die politischen Folgen ließen nicht lange auf sich warten. Die Regierung entließ den Aufsichtsrat von „Enerhoatom“, und Präsident Selenskyj forderte den Rücktritt von Justizminister Herman Haluschtschenko und Energieministerin Switlana Hryntschuk sowie die Einführung persönlicher Sanktionen gegen Timur Minditsch, darunter die Blockierung von Vermögenswerten und die Aberkennung staatlicher Auszeichnungen.

Von ihren Ämtern entbundene Energieministerin der Ukraine Switlana Hryntschuk und Justizminister (ehemaliger Energieminister) Herman Haluschtschenko. Quelle: Ada Derana

Internationale Reaktion und Folgen

Trotz der eskalierenden Korruptionsskandale bestätigen die westlichen Partner ihre Unterstützung für die Ukraine und verlangen gleichzeitig entschlossene Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption. Ein zentrales Ereignis war das Treffen der Außenminister der G7-Staaten vom 10. bis 12. November 2025 in der kanadischen Stadt Niagara-on-the-Lake.

Am Rande dieses Gipfels erklärte der deutsche Außenminister Johann Wadephul, dass die G7- und EU-Staaten trotz des beispiellosen Korruptionsskandals ihre weitere Unterstützung für die Ukraine und ihre unabhängigen Institutionen im Kampf gegen die Korruption zugesichert haben.

„Wir haben dem ukrainischen Außenminister Andrij Sybiha klar zu verstehen gegeben, dass die Ukraine eine entschlossene Bekämpfung der Korruption benötigt, damit die Unterstützung des Westens überzeugend bleibt“, sagte Wadephul vor Journalisten.

Der deutsche Außenminister Johann Wadephul beim Treffen der G7-Staaten in Niagara-on-the-Lake, Kanada. Foto: IMAGO

Die Ermittlungen, die drei Schlüsselbereiche — den Verteidigungssektor, den Bau von Verteidigungsanlagen und den Energiesektor — betreffen, zeichnen ein Bild systemischer Korruption, die die Verteidigungsfähigkeit und die nationale Sicherheit der Ukraine untergräbt.

Die Korruption im Verteidigungssektor, die dazu führt, dass Waffen auf dem Schwarzmarkt und sogar bei einem mexikanischen Drogenkartell landen, verursacht nicht nur finanzielle Schäden, sondern stellt eine direkte Bedrohung für die internationale Sicherheit dar. Militärexperten warnen, dass solche Waffen von jeglichen bewaffneten Gruppen, einschließlich terroristischer Organisationen, gekauft werden könnten.

Gleichzeitig stellen die Unterschlagungen beim Bau von Verteidigungsanlagen, wie der Skandal um die fehlenden „Drachenzähne“ im Raum Charkiw zeigt, eine offensichtliche Form des Sabotageakts dar, die mit dem Leben ukrainischer Soldaten bezahlt wird.

Darüber hinaus zeigt der Energieskandal, wie Korruption soziale Katastrophen erzeugt. Der Mangel an Mitteln, die zur Aufrechterhaltung des Energiesystems bestimmt waren, führt zu Stromabschaltungen und destabilisiert das Leben von Millionen ukrainischer Bürger.

In all diesen unterschiedlichen, aber miteinander verbundenen Schemata zeigt sich eine gemeinsame Wurzel — persönlicher finanzieller Nutzen, der für Teile der ukrainischen Elite über den nationalen Interessen und der Sicherheit des Staates steht. Öffentliche Beteuerungen westlicher Staats- und Regierungschefs über die Fortsetzung der Unterstützung stehen vor dem Hintergrund wachsender Ermüdung von den Korruptionsskandalen, und die weitere internationale Hilfe wird direkt davon abhängen, ob die ukrainischen Behörden tatsächliche Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung ergreifen — und nicht nur Erklärungen abgeben.

Quelle: https://open.substack.com/pub/billgalston/p/shadow-war-how-corruption-in-ukraine