Er blickte auf die Uhr am Bahnsteig. Noch 10 Minuten. Er wartete bereits etwas mehr als eine halbe Stunde. Vor lauter Sorge, er könnte beim Eintreffen des Zuges nicht am Gleis sein, war er viel zu früh losgefahren. Aber das machte ihm nichts aus. Er hatte schon so lange auf sie gewartet, da kam es auf diese dreiviertel Stunde auch nicht mehr an. In Gedanken war er sowieso die ganze Zeit nur bei ihr. Versonnen betrachtete er den Strauß Rosen in seiner Hand. Tiefrot. Fast blutrot. Die Farbe der Liebe. Und des Lebens. Und wie sehr er sie doch liebte.

Er sah den Bahnsteig hinunter. Er war menschenleer. Der Zug, mit dem sie kam, war der letzte, aber auch tagsüber war auf diesem kleinen Bahnhof vor der Stadt nicht sehr viel mehr los. Die meisten Passagiere stiegen kurze Zeit später am Hauptbahnhof aus.
Er blickte in die andere Richtung. An einer Ecke eines Nebengebäudes des Bahnhofs stand eine Dreiergruppe im Halbdunkel. Vielleicht Jugendliche, die am Samstag Abend in die Stadt fahren wollten. Jedenfalls hoffte er, daß es so war. Dies hier war keine ganz ungefährliche Ecke, das wusste er aus der Zeitung. Die Arbeitslosigkeit in den Vorstadtbezirken war hoch, es waren viele Drogen im Umlauf und immer wieder kam es zu Überfällen. Sehr gewalttätigen Überfällen. Er meinte sogar sich zu erinnern, daß vor ein paar Monaten ein Mann dabei zu Tode gekommen war. Die Angreifer hatten sich, vermutlich aus Wut darüber, daß er sich gewehrt und einen von ihnen verletzt hatte, nicht damit zufrieden gegeben, ihn zusammenzuschlagen und auszurauben, sondern ihm, als er am Boden lag, wiederholt auf den Kopf getreten, so daß er an einem Schädeltrauma gestorben war.
Er schüttelte den Kopf. Was für eine Welt. Aber so etwas würde heute hier nicht passieren. Heute hatte er eine Verabredung.
Doch immer, wenn man sich seiner Sache sicher ist, kommt das Schicksal um die Ecke und erhebt Einspruch.
Dieses mal kam es in Form der Dreiergruppe, die sich aus dem Halbdunkel löste, und langsam in seine Richtung kam.
Er hätte sich gern eingeredet, daß sie harmlos waren und nur zum Gleis gingen weil der Zug bald eintraf, aber das wäre naiv gewesen. Naiv, dumm und gefährlich. Die drei strahlten den nahenden Ärger förmlich aus. Es war die Art von dunklen Gestalten, die wollten, daß man ihnen ihre Gefährlichkeit ansah. Finstere Gesichter, kurz rasierte Haare und auch ihre gefütterten Jacken konnten nicht verbergen, daß sie Kraftsport betrieben. Sollten sie auch gar nicht. Im Gegenteil. Fast schon klischeehaft. Nun ja, so ein Klischee entstand ja auch nicht einfach aus dem Nichts heraus.

An jedem anderen Abend hätte es ihm nichts ausgemacht. Er hätte ihnen widerspruchslos Portemonnaie und Smartphone ausgehändigt und wäre vielleicht ohne Gewaltanwendung davon gekommen. Diese Dinge konnte man ersetzen. Aber nicht heute Abend. Heute hatte er eine Verabredung. Und er hatte dafür etwas Besonderes dabei. Etwas Unersetzliches. Ein Liebespfand. Und das würde er auf keinen Fall hergeben.

Er atmete durch. Es war nicht so, daß er nicht bis zu einem gewissen Maße für eine solche Situation gewappnet gewesen wäre. Er hatte sich im Laufe seines Lebens immer wieder mit den verschiedenen Möglichkeiten der körperlichen Auseinandersetzung beschäftigt. Sowohl praktisch, als auch theoretisch. Er hatte es nie zu irgendeiner Meisterschaft in einer der verschiedenen Kampfsportarten gebracht, an denen er sich aus Interesse kurzeitig versucht hatte, aber zumindest hatte er ein grobes Verständnis dafür bekommen, worum es dabei ging. Auch über den Rahmen des sportlichen Wettkampfs hinaus. Das allerdings waren rein theoretische Gedanken, die er für sich weitergedacht hatte.
Er seufzte. Die Gruppe hatte bereits den halben Weg zu ihm zurückgelegt. Wenn er die Männer richtig einschätzte, war kaum mit der Option der Deeskalation zu rechnen. Er drehte ihnen den Rücken zu, als würde er die Uhrzeit auf der großen Uhr am Gleis überprüfen. In solch einer Situation war es wichtig, möglichst harmlos, arglos und unvorbereitet zu wirken. Kein Vorteil war größer als der, unterschätzt zu werden. Ihm war klar, daß er in seinem grauen Anzug, mit einem großen Strauß Rosen in der Hand zwar einen feschen, sicher aber keinen gefährlichen Eindruck hinterließ. Ein leichtes Opfer, vermutlich nahezu wehrlos, aber sicher mit Geld. Er zog mit der rechten Hand seinen Schlüsselbund aus der Tasche seiner Anzughose und platzierte ihn so, daß sich nur noch sein Autoschlüssel in der Tasche befand, der Rest des Schlüsselbundes aber gut erreichbar nach vorne heraus hing. Dann verdeckte er den Schlüssel wieder mit seinem Jackett.
Er erinnerte sich an die drei wichtigsten Dinge in solch einer Situation. In Sicherheit wiegen. Den Gegner ablenken. Überraschend und so hart wie möglich zuschlagen. Wie hieß es bei einem seiner Lieblings-Schriftsteller?
„Halte das Tier zurück, bis Du es brauchst. Es wird kommen, wenn Du es rufst. Lass es für Dich kämpfen. Das Tier kämpft nicht fair. Das Tier will töten.“

Nun ja, in der Literatur klang das recht einfach. Wie sich das in der Praxis gestaltete, hatte er noch nie herausfinden müssen. Aber es stimmte. Fairness oder falsche Zurückhaltung waren in einer wirklich bedrohlichen Situation fehl am Platz. Hatte man Glück und erwischte den Anführer einer Gruppe schnell und hart genug, brauchte man sich mit den anderen vielleicht gar nicht mehr auseinanderzusetzen.
Er seufzte wieder. Wenn ihn sein kurzer Eindruck, den er von den Männern gewonnen hatte nicht täuschte, brauchte er hier allerdings nicht darauf hoffen. Er hörte, daß die drei nun fast bei ihm waren, drehte sich um und lächelte sie freundlich und unbefangen an. Sie lächelten nicht zurück.

„Hey, mein Freund, hast Du mal Feuer?“

Klassisch. Genau die Art und Weise einen Fremden mit „mein Freund“ anzusprechen, in der alles lag, aber sicherlich keine freundschaftliche Haltung. Ebenso klassisch war, daß der Fragesteller, offensichtlich der Anführer der Gruppe, der nun vor ihm stehen geblieben war, sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte eine Zigarette in der Hand zu halten, für die er um Feuer hätte bitten können. Mal ganz abgesehen davon, daß sein Begleiter, der rechts von ihm stand, bereits rauchte. Was für eine Farce.
Der dritte Mann war, betont desinteressiert, an ihm vorbei geschlendert und, wie er an dem Verklingen der Schritte hörte, hinter ihm stehen geblieben. Dummerweise konnte er die Entfernung nicht einschätzen, da er sich nicht nach ihm umdrehte, um den unvorbereiteten Eindruck, den er zu machen bemüht war, nicht zu stören. Nun gut, man konnte eben in einer solchen Situation nicht auf den Idealfall hoffen. Er musste sich jetzt auf das Wichtigste konzentrieren. In Sicherheit wiegen. Den Gegner ablenken. Überraschend und so hart wie möglich zuschlagen.
Er passte seinen Stand der endgültigen Position an, die sie nun eingenommen hatten, in dem er den linken Fuß leicht vorstellte.

„Aber sicher, einen Moment.“

Er klopfte mit der linken Hand suchend seine Taschen ab, während er die rechte mit dem Blumenstrauß an der Seite nach unten hängen ließ. Er konnte sehen, wie der Fragesteller und sein Nebenmann einen schnellen aber bedeutungsvollen Blick wechselten.

„Ich muss es hier irgendwo haben, einen Moment. Würden Sie mal kurz meine Blumen halten?“
Mit diesen Worten hob er die rechte Hand und hielt dem Mann die Blumen vors Gesicht.

In dem Moment, als sein Gegenüber, überrumpelt von seiner Bitte, ganz automatisch nach den Rosen griff, ließ er sie los und schlug ihm aus der Deckung des Blumenstraußes heraus eine blitzschnelle Linksrechts-Kombination gegen Brust und Gesicht. Ohne die Bewegung zu unterbrechen machte er einen Ausfallschritt nach links und schlug dem zweiten Mann mit einer schnellen Geraden seitlich auf die Nase. Sofort darauf packte er das Ohr des ersten, der nach der schnellen und unerwarteten Schlagkombination noch desorientiert war, riss ihn zu sich heran und schwang seinen rechten Ellenbogen mit aller Kraft gegen dessen linke Gesichtshälfte.

Der Ellenbogen war neben dem Schienbein der härteste Knochen im menschlichen Körper. Mit genügend Kraft und dem richtigen Trefferpunkt konnte man mit ihm nahezu jeden anderen Knochen des Körpers brechen. Das Geräusch, das erklang, erinnerte an eine große Wassermelone, die man aus geringer Höhe auf einen Fliesenboden fallen ließ.

Sein Gegner wäre nach diesem Treffer wahrscheinlich sofort zu Boden gegangen, hätte er ihn losgelassen. Stattdessen packte er dessen Ohr noch fester, griff mit der Rechten in seinen Nacken, zog ihn nach unten und riss gleichzeitig sein Knie nach oben. Das Knacken, das er hörte, und sogar im Knie spürte, zeugte davon, daß er ihm den Kiefer entweder gebrochen hatte oder dieser zumindest durch den Treffer aus den Gelenken gesprungen war. Er ließ den Mann los, worauf dieser sofort in sich zusammen sackte.

Natürlich war ihm das Phänomen der verlangsamten Zeitwahrnehmung in Gefahrensituationen theoretisch bekannt. Trotzdem war es erstaunlich, es jetzt praktisch zu erleben. Die ganze Aktion hatte weniger als fünf Sekunden gedauert, trotzdem hatte er genug Zeit gehabt, jedes Detail wahrzunehmen und den Ablauf seiner Attacke genau durchzuführen.
Der erste Mann lag ausgeschaltet am Boden, der zweite hatte noch nicht mal die Zeit gehabt, sich von der schnellen Geraden zu erholen, die er ihm auf die Nase geschlagen hatte, um Zeit zu gewinnen. Ein direkter Treffer auf die Nase eignete sich dafür hervorragend, denn er trieb jedem die Tränen in die Augen und machte ihn kurzzeitig fast blind.

Leider musste er feststellen, daß er es hier nicht mit ein paar jugendlichen Schlägern oder pöbelnden Betrunkenen zu tun hatte. Sein Eindruck, es hier mit Männern zu tun zu haben, denen derartige Konfliktsituationen nicht fremd waren und bei denen der Vorteil des Überraschungsmoments wesentlich geringer ausfiel, wurde in dem Moment bestätigt, als der dritte Mann ihn plötzlich von hinten umklammerte und ihm so beide Arme fest an den Körper drückte.

Der zweite Angreifer hatte sich auch bereits von dem Schlag auf die Nase erholt und stürmte auf ihn los. Er konnte ihn gerade noch rechtzeitig stoppen, in dem er das rechte Bein hochriss und ihm in den Magen trat.
Dann zog er beide Beine an den Körper, so daß der Mann, der ihn von hinten festhielt, unter seinem Körpergewicht nach vorn stolperte, und stieß dann die Beine wieder kraftvoll nach unten, wodurch er hoch schnellte. Dabei stieß er mit dem Kopf nach hinten. Ein Knirschen und plötzlicher Schmerz am Hinterkopf bestätigten ihm, daß er sein Ziel getroffen hatte. Augenblicklich löste sich die Umklammerung des Mannes. Er setzte nach, in dem er noch einmal mit dem frei gewordenen Ellenbogen nach hinten in Richtung Brustbein des Gegners stieß. Dann war er den Mann endgültig los.

Bis zu diesem Punkt war alles gut gelaufen. Doch jetzt, nach seinem Befreiungsschlag aus der Umklammerung, traf der zweite Angreifer, den der Tritt zum Magen wieder nur kurzzeitig gestoppt hatte, ihn mit einem Stoß vor die Brust, so wuchtig, daß es ihm sofort den Atem nahm und ihn nach hinten stolpern ließ.
Dieser Treffer hätte alles entscheiden können. Doch statt sofort nachzusetzen, machte der Mann den Fehler, stehen zu bleiben und ihn anzustarren. Diese wenigen Sekunden reichten ihm aus, wieder atmen zu können, seinen Stand zu sichern und den Angriff zu erwarten.
Sein Gegenüber machte drei schnelle Schritte auf ihn zu und versuchte ihn mit der rechten Hand am Revers seines Jacketts zu packen. Ein weiterer Fehler, den er bereuen sollte. Sofort packte er das Handgelenk des Angreifers, drehte dessen Arm etwas nach innen ein und zog ihn, den Schwung des Heranstürmens ausnutzend, an sich vorbei. Als er halb an ihm vorbei war, schlug er mit der linken offenen Hand mit aller Kraft gegen den Ellenbogen des durchgesteckten Armes.

Es war erstaunlich, wie leicht Gelenke brachen, bewegte man sie nur mit ausreichend Kraft entgegen der Richtung, für die sie konzipiert waren. Das Krachen des Ellenbogengelenks war unnatürlich laut.

Er zog den Mann an seinem Arm, der nun in einem schauderhaft falschen Winkel abstand, nach unten. Der ging die Bewegung laut schreiend mit. Dann griff er mit der linken Hand über dessen Schulter, packte ihn direkt unter dem Kinn am Hals und riss ihn nach hinten. Gleichzeitig ließ er den lädierten Arm los, holte mit der rechten Hand weit aus, und schlug seine Handkante hart auf den Kehlkopf des Mannes.
Er spürte, wie der Kehlkopf unter der Wucht des Schlages nachgab.

Der Kehlkopf gehörte zu den 68 sogenannten kritischen Atemi-Punkten, Stellen des menschlichen Körpers, die bei einem entsprechenden Treffer den sofortigen oder baldigen Tod zur Folge haben konnten. Wurde der Kehlkopf eingedrückt, bewirkte der Knorpel, ähnlich wie ein Rückschlagventil, daß das Einatmen erschwert oder sogar unmöglich wurde. Mit dem Wissen, den Mann ausgeschalten zu haben, ließ er ihn los. Dann wandte er sich, gerade noch rechtzeitig, dem dritten Mann zu.

Dieser hatte sich nach dem harten Kopfstoß wieder aufgerappelt und stand ihm nun mit blutüberströmten Gesicht gegenüber. Die Nase des Mannes war ganz offensichtlich gebrochen. Mit der linken Hand hatte er einen Schlagring heraus geholt, und war gerade dabei, diesen über die rechte zu streifen.

Schlagringe gehörten nicht umsonst zu den verbotenen Gegenständen. Drohte auch bei falscher Handhabung die Gefahr, sich die Finger zu brechen, war es trotzdem so, daß ein erfahrener Kämpfer damit großen Schaden anrichten konnte. Wo eine gut platzierte Faust mit einem Schlagring traf, brachen Knochen. Ganz gleich, ob nun Rippen oder Gesichtsknochen. In den richtigen Händen eine überaus gefährliche Waffe.

Er griff nach dem Schlüsselbund, das immer noch aus seiner Hosentasche hing. Er brachte den Autoschlüssel, einer der alten Art, nicht die modernen mit Funkfernbedienung und ausklappbarem Bart, so in der Hand zum Liegen, daß er seine Faust fest darum schließen konnte und der metallene Bart des Schlüssels wie ein Dorn unten aus seiner Faust ragte.
So erwartete er den anderen.

Sein Gegner, angetrieben von Schmerz und Wut über die gebrochene Nase, machte zwei Schritte auf ihn zu und attackierte ihn mit einem wilden Schwinger. Ein Schlagring eignete sich dafür nur bedingt, zu groß war die Gefahr, daß er schief auftraf und dem Schlagenden die Finger brach, doch das schien dem Mann in diesem Moment nicht in den Sinn zu kommen.
Statt dem Schwinger auszuweichen, machte er mit links einen halben Schritt auf den Mann zu und verkürzte so dessen angestrebte Schlagdistanz.
Gleichzeitig riss er seinen angewinkelten linken Arm hoch, um seinen Kopf zu schützen. Der Schwinger traf ihn mit voller Wucht, da er aber die Distanz verkürzt hatte, mehr mit dem Unterarm als mit der beringten Faust.
Er schlug seinen linken Arm auf die Schlaghand des Mannes, griff den Ärmel seiner Jacke und drückte sie nach unten. Als nächstes drehte er seine rechte Schulter nach vorn und ging so in die Nahdistanz.
Mit dem rechten Arm drückte er den linken des anderen zur Seite und brachte seinen Arm darüber. Dann ließ er drei schnelle, aber kraftvolle sogenannte Hammerschläge mit der bedornten Unterseite seiner Faust auf die linke Schläfe des Mannes folgen.

Ein harter Schlag auf die Schläfe konnte bereits mit der bloßen Faust zu sofortiger Ohnmacht oder, in ungünstigen Fällen, auch zum Tod führen. Maximierte man allerdings die Auftrefferkraft dadurch, daß man sie auf einen kleinen Punkt konzentrierte, wie zum Beispiel durch einen Kugelschreiber, oder eine Schlüsselspitze, war die Wirkung verheerend.

Er spürte, wie die Spitze des Autoschlüssels bei jedem Schlag eindrang.

Der Mann ging augenblicklich zu Boden.

Die gesamte Aktion hatte kaum mehr als eine Minute gedauert. Trotzdem musste er zu Atem kommen, als hätte er einen Dauerlauf hinter sich. Aufgepeitscht vom eigenen Adrenalin stand er da und betrachtete das Resultat der Auseinandersetzung.

Der Mann, der ihn angesprochen hatte, lag regungslos auf dem Rücken. Sein Unterkiefer war stark deformiert, außerdem lief ihm Blut in feinen Rinnsalen aus beiden Ohren. Vermutlich hatte der Ellenbogentreffer zu einem Schädelbasisbruch geführt.
Der zweite Angreifer lag mit unnatürlich nach hinten gerichteten Arm halb auf der Seite. Es war nicht zu erkennen, ob durch den eingedrückten Kehlkopf seine Atmung bereits zum Stillstand gekommen oder nur sehr flach war.
Am deutlichsten hatte es den dritten Mann erwischt. Er lag lang ausgestreckt auf dem Rücken, die Augen aufgerissen und so weit nach oben verdreht, daß nur noch das Weiß der Augäpfel zu sehen war. Seine Arme und Beine zuckten unkontrolliert. Hier war lag definitiv eine schwere Hirnverletzung vor.

Und er selbst? Abgesehen vom anschwellenden Knie, einem pochenden Schmerz im Hinterkopf und dumpfen Schmerzen am Brustbein, schien alles so weit in Ordnung zu sein. Er schaute an sich herunter, um den Zustand seines Anzuges zu überprüfen.
Na großartig, dachte er, das hatte ihm gerade noch gefehlt.

Dort, wo ihn der wuchtige Stoß des zweiten Angeifers getroffen hatte, ragte ein Messergriff aus seiner Brust. Da er nicht davon ausgehen konnte, daß es sich dabei nur um den Griff eines Messers handelte, der auf wundersame Weise an seinem Hemd hängen geblieben war, bedeutete das wohl, daß der Rest des Messers in seinem Brustkorb stecken musste.
Er zog probeweise an dem Griff. Das Messer steckte offenbar sehr fest.
Das kam jetzt wirklich sehr ungelegen.
Er schaute zur Uhr. In wenigen Minuten würde ihr Zug ankommen. So konnte er unmöglich bleiben. Wie sollte er sie denn in seine Arme schließen können, mit diesem Ding zwischen ihnen?
Das Messer erklärte natürlich auch das Zögern des Mannes, nachdem er ihm den vermeintlichen Stoß verpasst hatte. Er hatte eine Reaktion erwartet, die ausgeblieben war. Außerdem hatte er auch nicht versucht, ihn am Revers zu fassen, sondern er hatte sein Messer wiederhaben wollen. Nun, den Wunsch konnte man ihm erfüllen. Er umfasste fest den Griff des Messers und zog. Er spürte, wie die Klinge beim Herausziehen an seinen Rippen entlang kratzte. Dann hatte er es heraus gezogen.
Traurig betrachtete er den Schlitz, den das Messer an der Eintrittsstelle in seinem Hemd hinterlassen hatte. Dort breitete sich nun schnell ein großer roter Fleck aus. Tiefrot. Fast Rosenrot. Die Farbe des Lebens. Und der Liebe.
Es war ihr Lieblingshemd. Etwas verärgert warf er das Messer in Richtung des Mannes, dem es gehörte. Vielleicht fand der ja später eine andere Verwendung dafür.
Dann sah er sich nach ihrem Blumenstrauß um.
Offensichtlich waren er und seine neuen Freunde bei ihrer kleinen Rangelei darauf herum getreten. Er hob eine einzelne Rose auf, die unversehrt war. Sie war wunderschön. Genauso wie die Frau, für die sie bestimmt war. Außerdem passte sie farblich perfekt zu dem großen roten Blutfleck, der inzwischen fast die gesamte Vorderseite seines Hemdes einnahm.
Er hörte, wie der einfahrende Zug sich näherte. Gleich würde er sie endlich wieder in seine Arme schließen können.
Nur gut, dachte er, daß er ihr schon vor so langer Zeit sein Herz geschenkt hatte. Hätte er es heute bei sich gehabt, hätte ihn dieses Messer in ernste Schwierigkeiten bringen können.
Der Zug war inzwischen zum Stillstand gekommen. Eine der Türen öffnete sich, und SIE stieg aus. Endlich.
Die Welt um ihn herum wurde weich.


Hinweis: Die oben beschriebenen Techniken können Ihnen oder anderen bei richtiger oder falscher Durchführung schwere bis tödliche Verletzungen zufügen. Außerdem ist auch in einer lebensbedrohlichen Notwehrsituation anschließend mit juristischen Konsequenzen zu rechnen. Der Autor rät dringend davon ab, diese Techniken zu Übungszwecken oder auch im Ernstfall anzuwenden, und übernimmt für eventuelle Schäden, die Sie sich oder dritten zufügen könnten keinerlei Haftung.

Umbringen lassen sollten Sie sich aber auch nicht.

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Nachwort in eigener Sache:


Wie Sie vielleicht wissen (oder vielleicht auch nicht) habe ich vor Kurzem meinen Beruf aufgegeben, um mich ganz dem Schreiben zu widmen. Denn das ist das, was ich am liebsten tue und von dem ich glaube, das ich es am besten kann.
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Vielleicht wollen Sie die ja auch noch lesen?

So oder so danke ich Ihnen für Ihr Interesse.
Ohne gute Leser ist selbst die beste Geschichte nutzlos.

Es grüßt Sie, Ihr

Herr Balsam

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