Es fällt mir nicht so schwer an deinem Grab zu stehen. Da ist ein Stein auf den ich glotzen kann. Mit deinem Namen, der darin eingemeißelt wurde. Manchmal verspüre ich den Drang mit dir reden zu wollen. Ich möchte einen epischen Filmmoment erzeugen, möchte die größte Szene meines Lebens für dich spielen, mit dramatischer und hochemotionaler Musik im Hintergrund. Doch dann wird mir bewusst, dass du mir eh nicht mehr zuhören kannst. Ich wippe einfach nervös auf der Stelle hin und her. Die Blumen sind ja auch noch frisch, Oma und Opa haben sie erst neu gepflanzt und gut gegossen.
Was mache ich eigentlich an deinem Grab? Jetzt, wo du nur noch Staub bist?
Rein biologisch betrachtet bist du einfach nur noch ein kleines Häufchen inaktiver Zellen. Ein toter Organismus den wir ganz traditionell in einen Sarg packten und verbrennen ließen. Funktionslos. Für die Natur wärst nur noch als Dünger zu gebrauchen. Doch wir haben dich in eine Urne gepackt und in einen betonierten Schacht gelegt. Da liegst du jetzt. Zu nichts zu gebrauchen. Nicht einmal mehr anschreien kann ich dich. Ich könnte gegen deinen Grabstein treten oder die Blumen zertrampeln, aber wozu? Die können ja auch nichts dafür.
Die Trauer ist schon ein merkwürdiges Gefühl. Sie ist so egoistisch und selbstzerstörend und doch so wichtig. Und meist fühlt sie sich gar nicht traurig an, eher machtlos. Weil man jetzt nichts mehr ändern kann. Weil man jetzt einfach mit der Situation leben muss. Zumindest ich lebe jetzt so. Und wenn du jetzt noch da wärst, dann würde ich dir sagen, dass du ein Idiot bist. Aber du liegst ja nur unnütz unter der Erde rum, also verkneife ich mir sämtliche Worte.
Manchmal bin ich froh, dass mein Herz dich früh genug ausgesperrt hat, denn es erlaubt mir heute mit genügend Rationalität deine Nichtexistenz zu akzeptieren. Deine Nichtexistenz. Nicht einmal mehr meine Erinnerungen an uns können etwas daran ändern, denn auch du hast diese schon längst vor deinem Tod vergessen. Du hast dich selbst vergessen. So wie auch meinen Namen und mein Leben. Wir hätten Tochter und Vater sein können, doch der Alkohol hatte andere Pläne.
Nun stehe ich also an deinem Grab, weil ich dich nicht vergessen habe und weil ich mich an dich erinnern möchte. So egoistisch wie möglich, aber ja nicht zu sentimental. Und meine Wut über dich, die schützt mich auch ein bisschen. Das ist ganz gut so.
Es fällt mir nicht so schwer an deinem Grab zu stehen.
Denn du kannst letztendlich auch nichts dafür.
Und so denke ich an dich. An dich und deine Nichtexistenz.