Ein Tag ohne speiende Dämonen, dachte sie zufrieden. Und machte sich Popcorn mit viel Salz. Es war Abend und sie wartete knabbernd. Darauf dass er ankommen würde in München – in ihrem kleinen Studentenkarree.

Er, das war Noah. Gebürtiger Berliner, lebte und arbeitete aber irgendwo anders dort oben. Wo genau, wusste sie nicht mehr – vergessen. Großer Konzern, Management, irgend so was. Die beiden hatten sich vor ein paar Monaten in einem Club kennengelernt. Er war auf Dienstreise hier gewesen und Fatzke ihr erster Gedanke bei seinem gefallen wollenden Blick. Im Gespräch jedoch waren sie recht schnell Verbündete ihrer schmerzenden Herzen geworden. Hatten einander in ihrem Liebeskummer getröstet. Und sich schließlich miteinander. Ihm gefiel wohl, dass sie ihm nicht verfiel. War er es doch gewohnt, dass die Frauen an seinen eisblauen Augen hängen blieben. Also war er drangeblieben an ihr. Jagdtrieb geweckt. Ausdauerndes Bezirzen folgte via Text und Telefon.

Es läutete an der Tür und da stand er nun wieder vor ihr in 3-D, Monate später: Noah aus der anderen Stadt. Hatte sogar ein Geschenk mitgebracht. Ein kleines rotes Schächtelchen mit rosa Röschen drauf. Darin eine Kette – lang, aus dunkelbraunen Holzperlen. Dran hing eine Nuss. Souvenir aus Südamerika. Fand sie recht charmant, weil leicht ... rustikal. Und weil die Kette einfach grässlich war. Sie mochte verschobene Klischees.

Es war schon spät. Genau die richtige Zeit für Club, meinte er. Was sie etwas verwunderte, nach stundenlanger Autofahrt war man doch platt – jetzt noch mal raus ins treibende Nachtleben? Nun denn, dachte sie nur, und man zog los.

So befanden sich die beiden schließlich wieder dort, wo sie sich kennengelernt hatten. Trafen zufällig Bekannte von ihr. Geselliges Gedränge an der dicht bevölkerten Bar. Die Musik wummerte. Ihr wäre daher gar nicht aufgefallen, dass Noah häufig verschwand. Bis einer ihrer Leute feixend fragte, ob unten auf Klo noch eine bessere Party steigen würde. In ihr keimten Sorgen auf bezüglich Noahs Wohlergehen – war er in der Tat oft weg, und lange. Stets kam er jedoch frisch und heiter wieder und lernte dort wohl auch immer nette Leute kennen. Spaßend zurückschlendernd verabschiedete man sich dann, einander zuzwinkernd.

Irgendwann trennte sich Noah nach einem dieser noch zahlreich gefolgten WC-Gänge nicht von seinem neu geknüpften Klokontakt, sondern beschloss, man schließe sich diesem jetzt an. Im Taxi ging es also heim zu ihm – private „After-Party“ im Wohnzimmer auf und neben dem Sofa, mit ein paar weiteren von dessen Freunden. Grüppchen verschwanden regelmäßig ins Bad. Stets mit dabei: Noah. Männersache, hieß es. Mädchen, dachte sie erheitert, wenn auch zunehmend müde. Und hielt sich einen anderen Sofagast rutschenderweise vom Leib. Ergriff der doch stoisch bei Noahs mittlerweile häufigerer Ab- als Anwesenheit die Chance, über seine Textfaselei auf Tuchfühlung mit ihr zu gehen ...

Was hat dieser Mann Energie zum Aufbleiben, zog sie nach diesen Tagen mit Noah Bilanz. Leicht erschöpft, aber auch schön leicht. Denn diese wache Zeit hatte er erfolgreich dafür genutzt, aus ihrem bewölkten Sein-Müssen ein scheinendes Sein-Wollen zu machen. Bevor er zurückfuhr, kaufte er ihr noch Blumen. Extra ohne Dornen, damit sie sich nicht daran stach. Und nahm sie dann einfach direkt mit in seine Stadt. Und sie blieb.

Es ist Zeit vergangen seitdem. Die Tage sind milder geworden. Seine Stimmung hat leider abgekühlt. Mittlerweile weiß sie auch, warum Noah oft und lange auf der Toilette verschwindet. Warum er dann nicht mehr müde wird. Keinen Hunger hat. Dass die Nächte drei Tage dauern, bis sie sich vor Erschöpfung nur noch übergibt. Weil sie ihm trotzdem nicht von der Seite weicht aus Angst um ihn. So schweißnass, wie er dann ist, getrieben – und viel redet. Ja, wenn er so ist, kann er reden. Über seine Gedanken, seine Gefühle – Ängste. Seine Pläne mit ihr. Dann ist Noah endlich wieder weich und warm. So wie am Anfang damals immer, meint sie. Sieht nicht: Es ist alles euphorisch verzerrt, alles geweißte Fantasie. Und glaubt daran, ihn retten zu können. Wenn sie nur genügend liebt.

Es ist zehrend mit ihm, zermürbend. Ihre Dämonen kehren zurück. Speien immer lauter – Noah selbst wird zu einem von ihnen. Denn wenn diese weißen Nächte Noahs ernüchtertem Kater weichen und er zurückprallt in seine unbestäubtbetäubte Realität, platzt diese beschissene Schneekugel mit seinem gesäuselten Wunderland darin. Für ihn wie für sie. Endless Repeat.

Dann schmerzen seine Worte wieder. Das findet er gut. Den Worten lässt er nun auch Taten folgen. Watschen aufs Trommelfell. So oder so. Aber sie kämpft beharrlich, überzeugt um seine einstige Wärme. Kämpfen, das kann sie. Denn das kennt sie noch von früher. Wenn Wärme weg, war Mädchen nicht brav. Selber schuld.

Irgendwann werden die Sirenen wohl doch zu laut. Das blaue Licht zu grell. Verzweifeltes Erwachen aus einem bösen Traum, der ihr Echt geworden ist. Sie schaut in den Spiegel. Streicht sich die Haare übers violett-blaue Ohr. Überschminkt sich die geschundene Nase. Denn er schindet nicht nur seine. Nur dass ihm sein Pulver gewiss nicht so wehtut wie ihr seine Pranke.

Dennoch muss sie schmunzeln – mittlerweile ja um viele weiße Lügenerkenntnisse weiser –, als sie so zurückdenkt an diesen Anfang in München. Seinen Besuch bei ihr daheim. Ihre Rührei-Kreation für ihn nach Tagen ohne Schlaf – stolz beträufelt mit feinem Trüffel-Öl. Aufgespart fürs Besondere. Obwohl Noah bekundeter- und für sie nun auch verständlicherweise nicht allzu hungrig gewesen sein muss ... Seine interessiert-höfliche Frage nach dem ersten Bissen, ob denn da Pilze drin seien. Ihr begeistertes Nicken, offenbar genoss er den delikaten Geschmack. Aß alles anstandslos auf – wohlwollend-lobend, aber jetzt weiß sie ja: aus seiner Schneekugel geschnurrt.

Denn Noah hasst Pilze.

Und sie hasst Noahs Sucht.

Im Winter gab es noch Rosen von ihm zärtlich überreicht. Im Frühling Veilchen grob verpasst.

„Lieber hock ich einen Sommer auf einem Kaktus als eine Sekunde mehr unten im Kellerin dieser Stadt.“

Also stellt sie sich von Endless Repeat auf Final Exit. Und geht.

(*Dies ist eine Geschichte. Ähnlichkeiten zur Realität sind reiner Zufall.)

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