Manche sehen in ihr eine Missionarin der Kochmethoden und -rezepte indigener Māori. Doch die neuseeländische Köchin Monique Fiso möchte sich in keine Schublade stecken lassen. Die 33-Jährige kreiert Geschmackserlebnisse, die ihre Persönlichkeit widerspiegeln: Kreativ-innovativ, mutig und vor allem dynamisch.
Gut, sie trägt auch keine Gummistiefel! Es ist mein erster Gedanke beim Anblick von Chefköchin Monique Fiso. Angesichts des Regenwetters, das in den letzten Tagen den Waldweg hier im „Puketoki Reserve“ in der neuseeländischen Bay of Plenty beinah in einen Sumpf verwandelt hat, sind ihre schwarzen Sportschuhe eine mutige Wahl. Doch Tawhirimatea, der mächtige Wettergott in der Mythologie der Māori, scheint uns gewogen zu sein: Der Regen macht Pause, ab und an blinzelt gar die Sonne zwischen den Wolken hervor. Perfektes Wetter, um gemeinsam mit Monique Fiso im Wald nach essbaren Farnen, Beeren, Pilzen und Kräutern zu suchen. Seit rund zwei Jahren bemüht sich die 33-Jährige, traditionelle Zutaten wie Mamaku, Kieki, piko-piko, Koromiko oder Karamu Beeren – wie sie in Te reo Māori (indigene Sprache) heißen – zu Gourmetgerichten zu verarbeiten.
Dass sie einmal eine 20-köpfige Gruppe Interessierter auf der Suche nach Essbarem durch die Wildnis führen würde, hätte sich Fiso noch vor drei Jahren in ihrer blühendsten Fantasie nicht ausmalen können. Damals stand die Neuseeländerin mit halb Māori, halb samoanischen Wurzeln als Sous Chef in den besten Küchen New Yorks – wie „The Musket Room“ oder „PUBLIC Restaurant“ – und träumte davon, wie einige ihrer Vorgesetzten selbst einen Michelin-Stern zu erkochen. Das Leben hatte Anderes vor. Nach sieben Jahren in der Gourmet-Szene New Yorks kehrte Monique 2016 nach Aotearoa (Land der langen, weißen Wolke) zurück und fand sich in einer veränderten Gesellschaft wieder. „In meiner Kindheit haben wir versucht, uns an den Lebensstil der Pakeha (Neuseeländer europäischer Abstammung) anzupassen“, erklärt die Unternehmerin, die in den 1990er Jahren aufgewachsen ist. Heute sei das anders: „Heutzutage kommst du in Neuseeland um ein Basiswissen über die Māori-Kultur nicht herum.“
Auferstehung des Māoridom
Zwar sorgte erst kürzlich der Māori-Filmemacher und Künstler Taika Waititi mit seiner Aussage „New Zealand is racist as f...“ für Schlagzeilen, und immer noch landen überproportional viele Māori im Gefängnis, während sie unterdurchschnittlich in Führungsrollen vertreten sind. Ungeachtet dessen hat Monique Fiso mit einem recht: Nachdem sowohl te reo Māori und mit der Sprache auch die Kultur der Indigenen lange Zeit ein Schattendasein fristeten, führten Protestaktionen in den 1970 und 1980ern zu einem neuen Selbstverständnis. Seither bemüht sich auch die Regierung Aotearoas mehr oder weniger erfolgreich, den kulturellen Reichtum der ersten Einwanderer in den Alltag zu integrieren. So wurden die Prinzipien des „Vertrags von Waitangi“, der seit 1840 das Zusammenleben zwischen Māori und Pakehas regeln sollte, als rechtskräftig anerkannt sowie einklagbar gemacht, und Mitte der 1980er Jahre wurde Te reo Māori als Sprache wieder eingeführt. Inzwischen wird sie in den Schulen unterrichtet, kommt via Māori Radio- und TV Stationen über den Äther, und Ausdrücke wie der Gruß „Kia ora“ sind aus dem neuseeländischen Sprachgebrauch nicht mehr wegzudenken. Auch praktizierte Traditionen wie „karakia“, ein segnendes Gebet zu Beginn von Verhandlungen oder Projekten, sind Beweise für die Wiedergeburt des „Māoridom“.
Hiakai
Nur ein Bereich scheint von diesem Revival wenig profitiert zu haben: Die Māori Küche. Zwar werden klassische Kochmethoden wie Hangi, bei dem Fleisch in Körben oder Behältnisse auf heißen Steinen auf dem Grund des Erdbodens platziert, mit Erde bedeckt wird und so etwa drei bis vier Stunden vor sich hin kocht, in den Whanaus (Familien) und Maraes (Versammlungsstätten) praktiziert. Auch einige Küchenchefs wie Charles Royal aus Rotorua oder Monique Fisos früherer Boss im New Yorker „Musket Room“, der neuseeländische Michelin-Sterne-Koch Matt Lambert, experimentieren seit längerem mit den indigenen Zutaten und Techniken. Māori Lokale hingegen suchte die Köchin bei ihrer Rückkehr in die Heimat vergeblich – von Gourmet-Lokalen ganz zu schweigen. Das weckte die Neugier der Geschichtsliebhaberin, die am „Wellington Institute of Technology“ ausgebildet wurde. Sie begann, das Internet zu durchforsten und sämtliche Bücher über indigene Pflanzen zu verschlingen, die sie finden konnte. „Am Schwierigsten war für mich, etwas über die Zutaten zu erfahren“, beschreibt Fiso, die zurzeit selbst an einem Buch zur Māori Küche arbeitet, das mühsame Unterfangen, „einerseits ist das Wissen auf 20 bis 30 Werke verteilt. Andererseits wird meistens die medizinische Wirkung der Pflanzen behandelt, nicht deren kulinarischen Facetten.“ Nachdem das Know-How der Māori traditionellerweise mündlich weitergegeben wird, befragte sie jeden, der sich auch nur annähernd mit dem Thema beschäftigte: „Wie schmeckt die Pflanze? Wofür wird sie verwendet? Wofür wurde sie traditionellerweise verwendet? Hast du Rezepte? Das ist der Ausgang deiner Arbeit.“ Eine Arbeit, die im Juni 2016 zur Gründung der Pop-Up-Restaurants-Serie „Hiakai“ (Māori für 1) hungrig 2) Gusto haben) führte. Zwar sei es eine Herausforderung, die Menschen davon zu überzeugen, dass Māori Küche genauso erlesen schmecken kann wie französische Gerichte – insbesondere, weil Gourmetkritiker wie der „Guide Michelin“ das ferne Neuseeland nicht auf dem Radar haben. Damit nicht genug, hat Māori Küche unter Einheimischen keinen guten Ruf. „Viele Leute sagen: Ich mag Hangi nicht, es schmeckt immer gleich“, wollte sich Fiso der Herausforderung stellen, „als Koch aber liegt es an mir, besser in der Technik zu werden und die Gerichte schmackhafter zu machen. Statt also das Fleisch in den Hangi zu werfen, muss ich es würzen und pökeln, damit es nicht trocken wird.“ Einfacher gesagt, als getan. Während das Ausstechen der Erdgrube, das Transportieren der heißen Steine und das stundenlange Arbeiten über heißem Dampf den Hangi körperlich anstrengend, ja, sogar gefährlich machen, war das dennoch Fisos geringstes Problem. „Ich habe versucht, die Zutaten für die geplanten Gerichte zu bekommen, konnte sie aber nirgendwo kaufen“, stellte die ambitionierte Köchin fest, „da ist mir bewusst geworden, dass der Mangel an Māori Restaurants vielleicht daran liegt, dass man zuerst eine Lieferkette aufbauen muss. Wenn du ein Indisches, Italienisches oder ein Französisches Restaurant aufmachen möchtest, kannst du einfach Zutaten bestellen. Aber wenn du ein Māori-Restaurant eröffnen möchtest, musst du selbst hinaus und alles in der Wildnis sammeln. Wie ineffizient ist das denn?“ Zwei Jahre, endlose Bemühungen, nationale wie internationale Erfolge und Auszeichnungen - unter anderem mit dem „New Zealand Innovation Award“ - später, lautet die Antwort auf diese rhetorische Frage noch immer: Ziemlich ineffizient. „Man muss eindeutig mehr planen“, gibt Fiso zu, die im September ihr erstes Fine-Dining-Restaurant in Wellington eröffnet, ,„wenn du weißt, dass die Saison für bestimmte Pflanzen beginnt, kontaktierst du die Leute, damit sie hinausgehen und die Natur beobachten können. Schwierig ist es noch immer.“
Tikanga Māori
Wie anstrengend das Finden von ess- und kochbaren Zutaten vor allem in der notwendigen Menge ist, lässt unser Wildnis-Spaziergang im Puketoki Reserve erahnen. Dabei haben wir gleich zu Beginn Glück: „Das ist Supplejack“, springt Monique Fiso ins schlammige Gebüsch und greift nach einer biegsamen Rebe. „Die Spitze ist essbar und schmeckt nach Spargel“, erklärt die zierliche Dunkelhaarige, bricht eben jene ab und reicht sie in die Runde. Die Ersten beissen eher skeptisch in den braunen Stiel. Tatsächlich, der erdige Geschmack erinnert an eine delikate Mischung aus Spargel und Erbse. Ob Supplejack, Koromiko, deren Blätter als Tee bei Verdauungsproblemen helfen, die winzigen orangefarbenen Karamu Beeren, die früher zum Färben verwendet wurden und von Fiso zu bittersüßen Desserts verarbeitet werden, oder der braune „Wood Ear“ Pilz, der getrocknet als „Art natürlicher Geschmacksverstärker“ für Brühen und Soßen zum Einsatz kommt – immer wieder läuft die Neuseeländerin ins Dickicht, lässt ihren Blick mal suchend in die Baumwipfel, mal zu ihren Füßen gleiten und stellt ihre Spürnase eindrucksvoll unter Beweis. Am Fluss wartet ein nächster Fund auf uns. Cyathea medullaris oder auch schwarzer Baumfarn, ein Zweiter der sieben essbaren Farne Neuseelands, der bis zu 20 Meter hoch wachsen kann. Monique Fiso hat einen anderen Namen für ihn: Mamaku. „Man ritzt den Stamm, der mit schwarzen Stacheln überzogenen ist, vorsichtig auf“, erklärt sie, „zuerst kommt klebriger Schleim heraus, aber wenn man das Mark dünn schneidet und länger gart, schmeckt es leicht nach Kohl.“ Trotzdem findet sich Mamaku nur selten auf Fisos Menüs: „Nachdem es bis zu fünf Jahre dauert, bis der Farn nachwächst, haben ihn die Māori nur in Ausnahmefällen geerntet“, hält sich die 30-Jährige an die Sitten ihrer Vorfahren (tikanga). Das Befolgen dieser Regeln gehört als „dritte Ebene“ genauso zu Fisos Verständnis der Māori Küche dazu wie das Verwenden endemischer Pflanzen sowie die traditionellen Kochmethoden. Das war nicht immer so. „Es ist verrückt, wenn ich jetzt darüber nachdenke“, gesteht sie, „ich habe gedacht, ich müsste einfach eine moderne Version der Māori Gerichte servieren. Das Ganze hatte keine Seele, es fehlte mir an Verständnis für die Kultur.“ Durch die Beschäftigung mit der Geschichte der Zutaten und Techniken hat sie nicht nur jenes entwickelt, sondern vor allem eine höhere Wertschätzung ihren Vorfahren gegenüber bekommen. Beides möchte sie auch an andere weitergeben: „Ich glaube, Unwissenheit hat in der Vergangenheit oft zu Missverständnissen geführt“, meint sie nachdenklich, „dadurch sind Vorurteile gegenüber Māori entstanden.“ So läge es weder an fehlendem Willen noch an Faulheit, dass die Indigenen nach einem Regen nicht zur Ernte gingen. Vielmehr entspreche es dem Tikanga, der Pflanze Zeit zum Regenerieren zu lassen, gibt sie auch der buntgemischten Gruppe im Puketoki Reserve mit auf den Weg.
So strikt sie sich ans tikanga hält, so kreativ und flexibel ist ihr Zugang zu allem Anderen: „Es beginnt mit einer generelle Idee“, beschreibt sie ihre Arbeit, „dann aber sollen sich die Dinge frei entwickeln können.“ Da wird aus Kawakawa Blättern, die üblicherweise zu herzhaften Gerichten verarbeitet werden, ein leichtes Sorbet. Und wenn sie bei einem Festival im australischen Hobart an vier Tagen je 300 Menschen verköstigt oder in Los Angeles bei der „Times Food Bowl“ Serie aufkocht, findet sie fürs traditionelle Hangi alternative Zutaten. „Da werden dann viele Emails hin und hergeschickt, um etwa eine Süßkartoffelart zu finden, die unserer einheimischen Kumara ähnelt“, geht es Fiso um individuelle, kreative Lösungen, „in den USA etwa stellt sich die Frage, welche Elemente der Kultur der amerikanischen Indigenen wir in unsere Hangi einbauen können. „Typisch Māori, könnte man meinen, haben die neuseeländischen Ureinwohner doch seit ihrer Ankunft von den polynesischen Inseln ihre Innovations- und Anpassungsfähigkeit bewiesen. Als „Missionarin der Māori “ sieht sich Fiso allerdings nicht, „für mich geht es darum, Antworten auf Fragen zu finden. Ich möchte so viel wie möglich lernen, meine Erkenntnisse katalogisieren und weiterentwickeln.“ Vor allem möchte sie anderen Köchen Appetit darauf machen, die Vielfalt Neuseelands verstärkt auf die Teller zu bringen und gemeinsam der Māori Küche den wohlverdienten Platz in der Kulinarik zu geben. Mit ihrem 2019 gegründeten Restaurant Hiakai in Wellington hat sie jedenfalls gute Chancen, den Michelin-Stern, von dem sie mit Mitte Zwanzig in New York geträumt hat, auch nach Neuseeland zu bringen...