In wenigen Tagen und Wochen finden in den ostdeutschen Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg Landtagswahlen statt. Während in Thüringen und Sachsen die Wähler:innen am 1. September 2024 zur Urne gebeten werden, wird in Brandenburg am 22. September 2024 gewählt. In allen drei Bundesländern scheint nach aktuellen Umfragen das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) dritt- beziehungsweise viertstärkste Kraft zu werden. Die Linkspartei, von der sich das BSW nach rechts abspaltete, büßt ihre ehemalige Stärke massiv ein. Während sie in Thüringen nach wie vor mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten stellen, kommen sie derzeit nur noch auf 13 Prozent der Wähler:innenstimme (2019: 31 Prozent). In Sachsen und Brandenburg droht sie sogar aus dem Landtag zu fliegen, was einmalig wäre seit der sogenannten „Wiedervereinigung“: In Brandenburg kommt sie auf 5 Prozent (2019: 10,7 Prozent) und in Sachsen auf 4 Prozent (2019: 10,4 Prozent). Die ehemalige „Kümmererpartei“, die teilweise den Charakter einer Volkspartei im Osten darstellte, scheint mit dem BSW eine ernste Konkurrenz zu haben: in Thüringen, Brandenburg und Sachsen kommt das BSW jeweils auf 18,7 Prozent, 17 Prozent und 13,1 Prozent. Doch wofür steht das BSW eigentlich genau? Und steht es programmatisch der Linkspartei nahe, geschweige denn der politischen Linke als solche?

Zu einer ersten Analyse wurde nicht ihr Parteiprogramm herangezogen, sondern ihre Antworten des Wahl-O-Mats. Da der Wahl-O-Mat für Brandenburg erst am 26. August 2024 zur Verfügung stehen wird, wird hier auf Thüringen und Sachsen fokussiert. Was auffällt, ist einerseits eine ungleiche Lage sozialpolitischer Schwerpunktsetzung und andererseits besonders in Hinblick auf Militarismus und Schulpolitisch diametrale Interessenlagen des BSW aus Thüringen und Sachsen. Die gemeinhin als „sozialkonservativ“ titulierte Partei, das an sich erstmal wenig Aussagekraft hat, präsentiert sich sozialpolitisch primär als klassisch sozialdemokratisch. So wird sich beispielsweise in Sachsen für ein „Landespflegegeld“ sowie die Abschaffung der Mietpreisbremse in den Ballungsräumen Leipzig und Dresden eingesetzt. Auch der Wiedereinführung der Vermögenssteuer, um solche Vorhaben zu finanzieren, steht man offen gegenüber. In Thüringen setzen sie auf die Kommunalisierung der Krankenhäuser sowie einer allgemeinen klimapolitischen Unterstützung, um die Klimakatastrophe im sehr kleinen Rahmen ein Stück weit unter Kontrolle zu bringen.

Also alles gut im Bündnis der ehemaligen Stalinistin Sahra Wagenknecht? Mitnichten. Gerade wenn es um das Geschichtsbild der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) geht, ist das BSW voll auf Linie rechter und bürgerlicher Parteien. Die sogenannte „Beschäftigung mit der SED-Diktatur“, welche bereits in den sächsischen Lehrplänen thematisiert wird, soll „stärker berücksichtigt“ werden. In der Begründung geben die sächsischen Wagenknechtist:innen an, „[d]ie sächsischen Lehrpläne insgesamt zu überarbeiten“. Einerseits wollen sie die Allgemeinbildung stärken, in der ein besonders Fokus auf den Geschichtsunterricht gelegt werden soll. Darin soll „die Beschäftigung mit der SED-Diktatur [...] im angemessenen Rahmen sichergestellt werden.“ Scheinbar scheint es in Thüringen mit den sozialpolitischen Forderungen wohl zu weit zu gehen, denn dort setzt man sich auch für eine Verschärfung des „Bürgergelds“ ein. Weshalb sich das BSW für schärfere Sanktionen einsetzt, will es allerdings nicht begründen.

In der medialen Darstellung der Partei wird immer wieder auf ihre Politik in Bezug auf Asyl und Migration hervorgehoben. Und dort schlagen die Wagenknecht:innen einen deutlich rechten Kurs ein. Hier geschieht allerdings etwas Erstaunliches, in dem ein besonderer Opportunismus des BSW deutlich wird. Da sich Thüringen in Herzen der BRD befindet und keine EU-Außengrenzen besitzt, schlagen sie in Sachsen einen ausländischen Kurs ein. Dort stellen sie klar, dass an den Grenzen zu den Nachbarstaaten Polen und Tschechien Personenkontrollen weitergeführt werden und Asylant:innen konsequent abgewiesen werden sollen. Die „Asylanträge“ sollen „in Drittstaaten gestellt und entschieden werden“. Darunter fallen unter anderem Griechenland und Italien, die in der Vergangenheit alles andere als positive Beispiele hervortraten. Was scheinbar widersprüchlich scheint, ist allerdings die Forderung des sächsischen BSW immerhin denjenigen, die es in die BRD schaffen, einen „gebührenfreien Deutschkurs“ zu ermöglichen. Begründet wird diese Forderung allerdings mit dem thematisch nicht passenden Zusatz, die vermeintlich „über 200.000 Ausreisepflichtige“ des Landes zu verweisen.

Die Sache mit den Deutschkursen sehen die Parteikolleg:innen in Thüringen jedoch alles andere als positiv an. Dort wird der Forderung eine klare Absage erteilt, die allerdings nicht begründet wird. Scheinbar will man nicht in einen zu direkten Konflikt mit dem BSW in Sachsen kommen. Konfliktpotential gibt es allerdings in einem ganz zentralen Punkt: der Militarisierung der Bildungspolitik. In Thüringen stellen sie sich ohne eine nähere Begründung gegen die Forschung militärischer Zwecke an den Universitäten und Hochschulen; in Sachsen bedient man sich für die Weiterführung eines dialektisch eigenartiges Tricks. Dort wird mit Verweis der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit der Zugang des Militärs befürwortet, wenngleich man der Zivilklausel grundsätzlich nicht abgeneigt ist. Es bleibt also erstaunlich inkonsequent und scheinbar will man sich gerade in den Punkten, in dem eine Einigkeit zwischen Thüringen und Sachsen nicht herzustellen ist, keine besondere Aufmerksamkeit schenken.

Was bleibt? Ist die teilweise Fremdzuweisung des „Sozialkonservativismus“ gerechtfertigt? Sozialpolitisch ist eine deutlich (rechts-)sozialdemokratische Handschrift erkennbar, auch wenn es gerade bei der Unterstützung der schwächsten der Gesellschaft, das heißt Bezieher:innen des „Bürgergelds“, schlecht gestellt ist. Migrationspolitisch stehen sie auf klarer Linie mit den Regierungsparteien und vermeintlichen Konkurrent:innen wie der Alternativen für Deutschland (AfD). Personenkontrollen und Abschiebungen werden befürwortet, Deutschkurse an einen starken „Integrationswillen“ geknüpft. Dieser Nationalismus schlägt sich auch im Militarismus nieder. Politische Gegner:innen des BSW werfen den Wagenknechtist:innen steht einen „Lumpenpazifismus“ vor, dabei betonen sie die Bejahung der militärischen Forschung an Hochschulen und Universitäten. Das steht dabei in keinem Widerspruch zur Ablehnung der militärischen Unterstützung der Ukraine. Im Kern handelt es sich beim BSW um eine (rechts-)sozialdemokratische Partei mit einem deutlichen Schlag nach rechts, wenn es um die Asyl- und Migrationspolitik geht. Dabei wird an ein nationalistisches Gewissen appelliert, welches besonders in den ostdeutschen Bundesländern Anklang findet. Das ist alles andere als linke Politik, da es nicht die Klassen- und Systemfrage stellt, sondern an den herrschenden Verhältnissen nicht rütteln will – ganz im Gegenteil. Das BSW als faktische Rechtsabspaltung der Linkspartei ist weder eine linke noch eine soziale Opposition, sondern eine konsequent bürgerliche Partei, die der gesellschaftlichen Rechtsentwicklung eine pseudo-sozialpolitische Note verpasst.