Putin schielt nach der Ukraine, die Nato schielt nach der Ukraine, und die Ukraine schielt gen reichen Westen. Eine Menge Konfliktpotential, das sich da jetzt entladen hat, und alle fühlen sich im Recht, denn wen kümmern schon die Sicherheitsinteressen des jeweils Anderen.
Es gibt einen breiten Konsens, dass Krieg doof ist. Unmenschlich eh, und selbst für den Sieger mit mehr Nach- als Vorteilen verbunden. Trotzdem ist die Menschheitsgeschichte bis heute von Kriegen gesäumt. Wo also liegt der Denkfehler? Ist der Konsens falsch oder zu vereinfachend (wie nur allzu oft) oder sind alle kriegführenden Herrscher dumm, wahnsinnig, außer Kontrolle?
Mein Youtube-Clip bietet eine kurze Zusammenfassung dieses Artikels:
Krieg als geschichtliche Normalität?
Tatsache ist: Alle großen Imperien, vom Altertum bis zum heutigen China, Russland, USA und Nato haben Kriege geführt. Und selbst wenn es immer wieder mal wahnsinnige oder auch schlicht dumme Herrscher gab, die stellen keinesfalls die Mehrheit. Niemand wird bestreiten, dass Julius Caesar oder Napoleon ausgesprochen kluge Köpfe waren. Oder Obama, der Friedensnobelpreisträger, der mehr Kriege führte als alle seine Vorgänger.
Und wurde nicht sogar die deutsche Freiheit am Hindukusch verteidigt?
Die Zahl der Kriege, die Russland und die USA seit der Jahrtausendwende führten, ist ungefähr gleich groß. Wobei die Kriege der USA natürlich alle als "gerecht" und "notwendig" verkauft wurden, und die Kriege Russlands alle als aggressiv und imperialistisch. Womöglich nur eine Frage des Blickwinkels?
Nachweisliche Tatsache ist nur, dass sich kriegführende Nationen fast immer im Recht fühlen, mindestens vorgeblich, oft aber tatsächlich. Wer hat also recht?
Die Frage ist komplex, die Antwort dagegen ganz einfach: Der Sieger hat recht. Er schreibt die Geschichte, er setzt die Gerichte ein. Siegerjustiz. Es gibt keine übergeordnete Gerechtigkeit (jenseits des Himmels) und erst recht keine internationale "Polizei", die sie überwachen könnte, auch wenn die Amerikaner gerne vorgeben, das zu sein.
Krieg im Altertum
Diese Aussage ist gar nicht so kriegerisch gemeint, wie sie zunächst klingt, obwohl Heraklit auch Kriege zum natürlichen Bestandteil des Universums zählte. Vielmehr aber ahnte Heraklit schon vor über 2000 Jahren sowohl Darwin als auch die moderne Physik voraus. Alles entsteht aus Kampf und Spannung zwischen Gegnern und Gegensätzen, von der biologischen Evolution bis zur Elektrizität und Atomkraft. Selbst Wissenschaft und Demokratie basieren auf Streit, niemals auf Konsens. Auch der Wettbewerb der Ideen folgt den Gesetzen der Evolution. Jeglicher Fortschritt basiert auf Streit und Widerspruch.
Wer Wissenschaft und Demokratie vor Widerspruch und Dissens schützen will, der schafft sie ab. Wer Streitkultur und Kompromissbereitschaft missen lässt, der riskiert die Eskalation.
Dazu passt dann auch die Aussage des altgriechischen Strategen und Geschichtsschreibers Thukydides, auch wenn diese tatsächlich vor allem auf den militärischen Krieg bezogen war:
"Frieden ist nur ein Waffenstillstand in einem endlosen Krieg."
Thukydides - ca. 454 - 396 vor Chr.
Tatsächlich ist die Annahme, dass Frieden der Normalzustand sei, ausgesprochen naiv. Seit Lebewesen auf diesem Planeten herumkrabbeln, ist Krieg der Normalzustand. Fressen und gefressen werden, erobern und beherrschen - Territorium bedeutet Sicherheit und Wohlstand.
Frieden war immer nur ein zeitlich und räumlich begrenzter Zustand, oft durch Krieg bzw. Eroberung erkämpft.
Frieden muss erkämpft werden!
Nicht unbedingt mit Waffen, auch mit gegenseitigem Zuhören, Verhandlungen, Kompromissen. Wenn eine Seite darauf beharrt, der Gute zu sein, im Recht zu sein, keinen Millimeter nachgibt, dann ist auch das eine Form der Kriegserklärung. Die eskalieren kann.
Erkämpft werden kann und muss Frieden also auch einfach durch Zuhören, Zugeständnisse und Entgegenkommen. Wenn zwei unnachgiebig auf ihrem "Recht" beharren, und ein übergeordneter Richter mit Polizeigewalt fehlt, sind Konflikte, die eskalieren können, vorprogrammiert. Sie gehören zur Natur der Welt.
Waffengleichheit
Wenn jemand, der perfekt Schach spielt, einen Gegner zu einer Partie einlädt, der nicht Schach spielt und der weiß, dass er nicht gewinnen kann, dann darf man sich nicht wundern, wenn dieser die Figuren umschmeißt. Jede Kultur hat ihre eigenen Spielregeln, meist zu ihren Gunsten ausgelegt, und empört sich dann, wenn andere sich davon bedroht fühlen und sich nicht an die hauseigenen Spielregeln halten.
Nachträgliche Empörung aber verhindert keine vorhersehbaren Ereignisse und Konflikte. Russland kann mit der Attraktivität des Westens und dessen fast internationaler Propaganda- bzw. Werbemaschinerie nicht konkurrieren. Also kann Russland nur die Spielfiguren umschmeißen, wenn es seine Interessen gefährdet sieht. Das ist ein Verstoß gegen unsere Werte und Regeln. Ein massiver Verstoß. Aber es sind eben UNSERE Regeln und Werte, gegen die da verstoßen wird, und unsere Empörung nutzt niemandem.
Willkommen in der Realität
All die westlichen Politiker und Schreiberlinge, die es sich so gemütlich in ihrem bunten, nachhaltigen, multikulturellen Paralleluniversum eingerichtet hatten, in dem alle divers sind, aber brav die gleiche Meinung haben, in dem sich alle lieb haben, gegenseitig bereichern und gemeinsam Ringelreihen tanzen - und anschließend ihren Namen, werden jetzt aufgeschreckt mit der Realität konfrontiert. Und reagieren hilflos und aktionistisch wie immer.
Man befriedet einen Konflikt nicht, indem man Waffen liefert und auch nicht mit Wirtschaftssanktionen. Letzteres ist historisch nachweislich völlig wirkungslos und deshalb schlicht infantil. Es trifft nur die Ärmsten auf BEIDEN Seiten, nicht aber die politische Führung.
Ein Verlierer steht deshalb jetzt schon fest: Europa, wir alle!
Alle verwendeten Bilder sind von mir und dürfen gerne weiterverwendet und geteilt werden, Urheberhinweis wäre nett. Hier mein Bildarchiv bei Flickr.