Die Nachfrage ist gering

Es mag schon sein, dass wir in der Praxis einem Wahrnehmungs-Bias unterliegen, aber wir haben in den letzten Monaten vielleicht zehn? aktive Nachfragen nach einer Impfung für 5-11jährige gehabt. Es kamen mehr Fragen nach Einführung des Jugendlichenimpfstoffes, klar, und seitdem die Medien das Thema aufgreifen, fragen auch mehr Eltern kleinerer Kinder nach. Eine erkleckliche Anzahl lässt sich allgemein informieren, erstaunlich viele hören sich das Beratungsgespräch an, sind aber eher skeptisch, was die Impfung für Kinder angeht. Und das, obwohl wir eine überaus und sehr impffreudige Kinder- und Jugendarztpraxis sind. Erzähle ich im Team von den Bedarfsnachfragen in den Sozialen Medien runzeln alle die Stirn - die Realität sieht anders aus. Vielleicht unterliegt auch Twitter einem Wahrnehmungs-Bias.

Der Impfstoff für Kinder war bisher nicht zugelassen

Simply as that. Es gibt faktisch in Deutschland, wegen der EMA sagen wir Europa, keinen zugelassenen Impfstoff für Kinder zwischen 5-11 Jahren. In dieser Woche wurde die Empfehlung der Zulassung seitens der EMA ausgesprochen, die Europäische Kommission muss noch zustimmen. Ein erster Schritt.

Es gibt keinen Kinderimpfstoff

Die Zulassung fürs Kinderimpfen ist keine Erweiterung der Zulassung des Erwachsenenimpfstoffes, d.h. es bleibt weiter off-label, den Erwachsenenimpfstoff in entsprechende Dosen für Kinder aufzuteilen. Mit der Produktion und Auslieferung eines Kinderimpfstoffes rechnen wir erst Ende des Monats Dezember, der goldene Tag sei der 20. Dezember - suprise for christmas!

(Die STIKO hat noch keine Empfehlung abgegeben)

(Naja. Sagen wir mal so: Ich bin enttäuscht! Die STIKO hat sich IMHO in den letzten Monaten nicht gerade mit einer ausgesprochenen Schnelligkeit für Impfempfehlungsentscheidungen hervorgetan. Wenn man den Eindruck hat, das das Robert-Koch-Institut darauf pfeift, wie stark der politische Druck ist, so scheint die STIKO aus Trotz eine andere, bremsende Meinung zu haben. Hier geht sie übrigens Hand in Hand mit den bestimmenden Verbänden der Kinder- und Jugendärzte, dem BVKJ oder der DGKJ, die weiterhin die Diktion predigen, eine COVID19-Infektion sei für Kinder zunächst mal harmlos. Bei den aktuell ansteigenden Zahlen und der Delta-Mutation ist diese Predigt nicht mehr haltbar. Aber müssen wir uns nicht an den ExpertInnen orientieren? Wenn wir das aufgeben, bewegen wir uns sehr nahe an der selbstgestrickten Wahrheit ähnlich der Querdenker. Kein wirkliches Argument gegen die off-label-Impfung.*

Es sind zu wenige Erwachsene geimpft

Das muss ich erklären: Es ist ein absoluter Skandal, dass (zum Zeitpunkt dieses Postings) gerade knapp 70 Prozent der Erwachsenen in Deutschland geimpft sind. Wir haben ungefähr 4,5 Millionen Kinder zwischen 5-11 Jahren in unserer Bevölkerung. Auch wenn wir diese komplett impfen würden (was völlig illusorisch ist, denn Eltern sind noch viel skeptischer was Impfungen angeht, wenn es um ihre Kinder geht, als um die eigene Impfung), ist das eine Erhöhung der Impfquote um gerade mal 5,5% - immer noch weit weg von einem angestrebten Impfziel von >90%. Um die Infektionskurve wieder abzuflachen, braucht es vor allem Bestrebungen, diese Impflücke zu schließen! Vielleicht ein kleiner whataboutism, wenn es um den off-label-use bei Kindern geht, aber hier liegt der Schlüssel: Das Gesundheitssystem wird vor allem durch intensivpflichtige Erwachsene in die Knie gezwungen, nicht durch die Kinder.

Die Finanzierung ist nicht geregelt

Ein nicht zugelassenes Medikament, auch ein Impfstoff, wird nicht von den Kassen, also der Solidargemeinschaft bezahlt. Der richtige Weg wäre: Die Eltern gehen in Vorleistung und holen sich eventuell das Geld von der Krankenkasse zurück. Problem beim Corona-Impfstoff: Er wird vom Staat zur Verfügung gestellt. Da kann sich niemand das Geld für den Impfstoff zurückholen. Juristen sagen, nach Zuteilung des Impfstoffes sei er im Eigentum der Praxis, dann könne diese damit machen, was sie wolle, z.B. sie auch kostenlos an Kinder abgeben. Kann sein. Aber stimmt das auch? Achso: Wir rechnen die Impfung über KV-Impfziffern ab. Der Leistungstext ist hier eindeutig (welcher Impfstoff, ob erste oder zweite oder dritte Impfung), Kinder kommen nicht vor. Außerdem wird ja der Impfstoff geteilt, weil Kinder eine geringere Dosis bekommen. Wie verrechnet man das?

Wir haben uns im Team dagegen entschieden

Ich bin nicht alleine in der Praxis, sondern habe zwei KollegInnen, und wir sind stets bemüht, eine gleiche Medizin in Einstellung, Diagnostik und Behandlung zu betreiben. Alles andere würde Eltern nur verunsichern. Also haben wir ein agreement, was Glaubuli angeht, Hustensäfte, Sälbchen und Tröpfchen, die ohne Wirkung sind, aber auch in allen anderen Dingen. Über die off-label-Impfung haben wir uns genauso intensiv ausgetauscht. Die Teamentscheidung steht.

Impfhelden sehen anders aus

Ich verstehe den Wunsch vieler Eltern, ihre Kinder endlich impfen zu lassen. Ich sehe die Risikokinder, die wir impfen möchten, die Risikoeltern, die durch ihre geimpften Kinder besser geschützt wären, den psychischen Druck durch monate- bis jahrelange Pandemie. Ich bin ein Verfechter der Impfstrategie zur Bekämpfung der Pandemie, es ist die einzige Exitchance, die wir haben. In der Praxis haben wir schon über tausend Menschen gegen COVID19 geimpft.

In den Sozialen Medien werden KollegInnen gen Himmel gehoben, die Eltern die Impfung ihrer Kinder ermöglichen. Sie werden als Impfhelden gefeiert, und sie lassen sich auch gerne feiern. Dies ist legitim. Aber ich bin nicht so ein Typ. Ich bin eher der Angsthase vor Regress, Haftpflicht und Schaden am Kind.

Sobald die Zulassung komplett durch ist, und endlich der Kinderimpfstoff mit geringerer Dosierung auf dem Markt ist, werden wir auch in der Praxis impfen, was das Zeug hält, bzw. so viele Dosen verimpfen, wie uns zugeteilt werden. *Auf die STIKO-Empfehlung werden wir dann nicht warten. Aber das hat auch nichts mit off-label zu tun.

Ursprünglich hier

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