Das unausrottbare Misstrauen gegenüber Wissenschaft, Technik und Industrie, die man verdächtigt, miteinander zum eigenen (pekuniären) Vorteil zu konspirieren ist nicht nur Nährboden für Verschwörungstheorien aller Art sondern auch mitverantwortlich für den Erfolg der Homöopathie.
Robert Musil beschrieb das Phänomen der „höheren Dummheit“. Er unterschied zwischen der „gewöhnlichen Dummheit“, die sich z.B. in ungenügender Fähigkeit zum Abstrahieren äußert und einer „höheren Dummheit". Letztere manifestierte sich durch ein gewisses Übermaß an Intelligenz, Bildung und Denkleistungsvermögen in Kombination mit einem aus dem Normbereich verrückten „Gemüt“. Es können und werden nun alle Ideen, Wunschvorstellungen, Ideologien und Dogmen, die einem verrückten „Gemüt“ entspringen bzw. sympathisch sind, verteidigt und propagiert. Man ist überzeugt überdurchschnittlich klug und kritisch zu sein. Hochgebildete und zu jeder Denkleistung äußerst befähigte Menschen ersinnen dann pausenlos Argumente für widersinnigste Ansichten.
Und so bildet sich die unerschütterliche Ansicht heraus, dass Schulmedizin schädlich und im Grunde gar nicht so notwendig sei. Schließlich wird, in maßloser Überschätzung des eigenen Urteilsvermögens, die Homöopathie als wirksame und nebenwirkungsfreie Medizin propagiert, und das auch im Extremfall trotz negativer beruflicher und privater Konsequenzen. Und es gibt – wie man weiß –für jeden Unsinn mittlerweile mediale Plattformen, die mit Beifall „Gefällt mir“ und „Thumbs up“ reagieren. Damit kann man auch Geld verdienen.
Für Paul Watzlawick sind Ideologien auch Denkfallen bzw. Gedankenkäfige. Er prägte dafür den Begriff der „philosophischen Wespenfalle“. Wer in so eine philosophische Wespenfalle hineinfliegt, schwirrt im Kreis seiner Argumente umher und findet nicht mehr heraus.
Sensationelle Weltbilder bzw. Ideologien zu verteidigen, ist „einfacher“ und auch befriedigender, als sich davon mit weitreichenden Konsequenzen zu verabschieden. Wer will sich schon eingestehen, lange Zeit – trotz jeder Menge an öffentlich zugänglichen, gesicherten, bewährten und naturwissenschaftlich einwandfreien Informationen – auf einem weitreichenden Irrtum beharrt zu haben?
Auch ein Herkules der Wissenschaft, ausgestattet mit allen nur denkbaren Argumenten, kann den Glauben an eine kausal wirksame“ Homöopathie nicht erschüttern. Der Glaube, dass beim Impfen heimlich Chips implantiert werden oder dass eben die Homöopathie eine ungefährliche, harmlose Alternative ist, ist mit dem Glauben an die Astrologie vergleichbar. So wie z.B. religiöse Fundamentalisten trotz umfangreicher Gegenbeweise überzeugt sind, dass die Erde eine Scheibe ist, können naturwissenschaftlich gut gebildete Mediziner der festen Überzeugung sein, dass man mit Homöopathie fast alles behandeln kann und Impfen eine höchst gefährliche und wirkungslose Vorbeugung sei.
Ursache für dieses Verhalten ist sicher kein Intelligenzdefizit oder irgendeine Denkstörung sondern das Gegenteil. Mit missionarischem Eifer werden irrige Überzeugungen mit überdurchschnittlicher intellektueller Begabung „logisiert“. Naturwissenschaftlich fundierten Fragen wird gekonnt ausgewichen.
Geantwortet wird stets für das mithörende Publikum. Dieses wird einerseits mit den angeblich positiven Eigenschaften der Homöopathie und andererseits mit negativen Vorbehalten gegenüber der Pharmaindustrie oder der angeblich instrumentalisierten Wissenschaft eingelullt. Über andere alternativmedizinische Methoden, und seien diese auch noch so irrwitzig wird grundsätzlich nicht gesprochen und jede Beurteilung strikt vermieden.
Wichtig ist – um diesen Punkt noch einmal zu betonen –, dass die von Musil apostrophierte „höhere Dummheit“ eben kein Mangel an Intelligenz oder sonstigen geistigen Fähigkeiten sondern das Gegenteil ist. Die „höhere Dummheit“ wird erst dann allgemein als Dummheit erkannt, wenn sie, durch das Festhalten an fragwürdigen Überzeugungen die Lebensführung behindert wird, und medialer Beifall und finanzieller Erfolg ausbleiben. Das Ansehen des harten Kerns der Homöopathen ist jedoch, wie zu beobachten ist, bis dato nicht ernsthaft erschüttert.
Unterstützt wird das Festhalten an der Homöopathie durch die scheinbare Objektivität der selektiven Wahrnehmung – eine an sich erfolgreiche und bewährte Eigenschaft, die uns allen eigen ist. Sie hilft uns, im täglichen Datenwust das Richtige zu sehen, aber eben nicht immer. Vorurteile gehören auch zur schnellen Entscheidungshilfe, sind nützlich, haben jedoch ihre Tücken. Manchmal sehen wir zu viel. Und dann kommt der Punkt, an dem die betroffenen Personen nur mehr Bestätigungen ihrer Vorstellungen anerkennen, sodass diese durchaus die Intensität und das Ausmaß eines Wahnes annehmen. Ein Spielsüchtiger sieht sofort in zufälligen Zahlen ein Muster und jeder Misserfolg bestärkt ihn in seiner Theorie, die nicht verworfen, sondern pseudologisch verfeinert wird.
Tatsache ist, dass auch Menschen mit exzellentem Denkvermögen und überdurchschnittlicher Bildung vielen Scheinbeweisen für Aberglauben, Verschwörungstheorien, Kreationismus, Schädlichkeit des Impfens und für die spezifische kausale Wirksamkeit der Homöopathie zustimmen. Und das schneller und ausgiebiger als darauf sachlich geantwortet werden kann. Es ist dann eine „Schraube“ locker, wie der Volksmund sagt.
Diese „Schraube“ ist, so glaube ich, die Stellschraube zwischen dem Gemüt und dem Verstand. Und je nach Einstellung wird man eben in seinem Verhalten, Denken und Wahrnehmen mehr oder weniger von einer bestimmten Ideologie oder selektiven Wahrnehmung geleitet, und es kommt zu einem Beharren auf Ansichten, Gewohnheiten über ein Maß hinaus, das nicht mehr als „unauffällig“ toleriert werden sollte.
Alles was hier aufgezeigt wurde, wird von den Vertretern der Homöopathie den Befürwortern der evidenzbasierten Medizin vorgeworfen. Allerdings stützen um Objektivität bemühte Mediziner bzw. Wissenschaftler ihre Argumente nicht auf persönliche Ansichten und verbreitete Anekdoten ohne empirische Evidenz. Man orientiert sich vielmehr an objektiv nachprüfbaren Fakten, die im Einklang und nicht im Widerspruch zu den grundlegenden, erprobten und bewährten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen stehen.
© Dr. E. Berndt
Attersee, am 26. 2.2024