Ich musste diesen Take von Friederike Busch vier mal lesen, um zu verstehen, dass das völlig unironisch gemeint und wirklich journalistisch gewollt ist.

Aber fangen wir von vorne an, denn Böhmermann und Busch zeigen, was aus meiner Perspektive in der Publizistik grundlegend falsch läuft.

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Der ganze Böhmermann-Ansatz war schon kaputt, weil man schnell ahnt, dass "Menschenfeindlichkeit" nicht dem Ausschluss wirklicher Extremisten dient (was ich noch verstehen könnte), sondern beliebig erweitert wird, weil irgendwann alles "false balance" ist.

Diese Verengung des Meinungskorridors, so Busch, sollen "wir alle" uns brav "auf ein Post-It schreiben" und "an den Bildschirm kleben", damit wir es ja nicht vergessen. Und für journalistische Formate nutzen, damit es auch Einzug hält in den deutschen Medienbetrieb.

Diese Haltung von Busch findet sich in bestimmten journalistischen Milieus immer wieder und zeugt für mich von einem falsch verstandenen Berufsethos, bei dem roi soleil-Berichterstatter sich anmaßen zu beurteilen, was richtig und was falsch ist.

Medien werden aber nicht besser, wenn nur noch progressive R2G-Wahlvereine entscheiden, welche Person einladbar und welche Meinung sagbar ist. Sie entkoppeln sich von der Bevölkerung, was eine ohnehin anhaltende Entwicklung ist.

Zumal Böhmermanns Beispiele, Dr. Kekulé und Dr. Streeck, denkbar schlechte Beispiele für "Menschenfeindlichkeit" sind. Die Virologen sind streitbar, mögen mal falsch liegen, viele würden ihnen widersprechen – aber natürlich müssen ihre Ansichten vertreten und artikuliert werden.

Gleiches gilt für die AfD, die fast sechs Millionen Menschen gewählt haben, und die in Teilen sicherlich menschenfeindlich und extremistisch ist, aber politische Punkte vertritt, die, ganz egal was die Twitteria hier behauptet, mediales Gehör verdienen.

Das Drama ist aber noch nicht zu Ende. Nachdem es Kritik hagelte, entschied sich Friederike Busch zu einer Erklärung, die dabei helfen sollte, ihren Punkt zu verstehen, in Wirklichkeit aber ziemlich entlarvend ist.

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Das Beispiel ist deshalb so irrwitzig, weil es zeigt, dass es Blasen gibt, die sich anscheinend gar nicht vorstellen können, dass man "Gleichstellung" legitimerweise ablehnen kann. (Oder daraus "Menschenfeindlichkeit" ableiten, who knows.)

Ich finde aber man kann sehr wohl debattieren, OB Gleichstellung erreicht werden sollte. Gleichstellung bedeutet meines Erachtens ziemlich großen sozialen Druck, oft verfassungswidrige Quoten. Ich habe meine Zweifel, ob es ein sinnvolles Anliegen ist.

Auch finde ich die auf Twitter bereits mehrfach formulierte Ansicht, dass Gleichberechtigung statt Gleichstellung gefördert werden sollte, einleuchtend.

equality of opportunity ≠ equality of outcome.

Aber sei's drum. Kann man ja anders sehen. In jedem Fall würde ich *nie* auf die Idee kommen, eine Position, die die Allzweckfloskel Gleichstellung in Frage stellt, als Beispiel für meine Eingangsthese von "false balance" und "Menschenfeindlichkeit" anzuführen.

Das nächste Beispiel von Busch: Klimawandel.

Nur zwei Wochen, nachdem grüne Aktivisten mit "false balance" begründeten, dass der WELT-Redakteur Axel Bojanowski – bei bestem Willen kein Klimawandelleugner – von einer öffentlich-rechtlichen Diskussion ausgeladen gehört.

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Axel Bojanowski aber ist, soweit ich das beurteilen kann, weder Menschenfeind, noch ist seine Position eine, die man ächten sollte. Sicherlich sieht er manches anders als yours truly antikapitalistische Klimaschutzbewegung; er publiziert aber seit Jahren zu dem Thema.

Es erstaunt eher, mit welcher Leichtigkeit Klimaretter seine Expertise a priori anzweifelten und keinerlei Demut vor dem (streitbaren) Standpunkt eines Publizisten hatten, der jahrelang zu einem Thema arbeitet, nur weil dieser anderer Meinung ist bzw. zu anderen Schlüssen kommt.

Das nächste Beispiel war dann … natürlich … Rassismus.

In den vergangenen Monaten haben auf Twitter progressive Heilsbringer immer wieder erklärt, dass das Konzept Rassismus inzwischen auf *alles* zutrifft, beginnend bei der Frage "Woher kommst du?" und endend bei Flechtfrisuren.

Auf Twitter galt schon Boris Palmer als Rassist, ebenso wie Jamie Oliver, Sahra Wagenknecht, Heinz Buschkowsky, Wolfgang Thierse oder der Torwarttrainer von Hertha BSC.

Worauf ich hinauswill: Es ist nicht schwer, Menschen als Rassisten zu labeln, wenn man Kriterien verändert. In jedem Fall würde mich interessieren, ab wann "false balance" bei Rassismus beginnt. Dass wir alle gegen Rassismus sind … jaja, schon klar. Aber wenn es nach einigen geht, gehört der Begriff umdefiniert und erweitert, was das Ganze schon fragwürdig macht.

A propos false balance: Es ist für mich auch false balance, wenn Jugendkanäle mit postmodernem Sektensprech vollgestopft werden und vorgeben, "für die migrantische Community" zu sprechen, obwohl weite Teile jener Migranten nichts übrig haben für ihre radikalen Konzepte.

Aber, und das ist der Punkt: Auch wenn es mir nicht gefällt, würde ich das Recht entsprechender Stimmen auf Meinungsäußerung stets verteidigen und mir nie anmaßen, sie per se irgendwohin nicht einzuladen, weil ich glaube, ihre Meinung sei falsch und meine richtig.

Die hier eingangs demonstrierte Tugendhaftigkeit und das ganze "false balance"-Konzept ist Müll, weil es beliebig erweitert werden kann. Dass wir die NPD und Attila Hildmann nicht einladen sollten, ist klar.

Aber man ahnt: Um die geht es weder Jan Böhmermann noch Friederike Busch. Man ahnt auch, dass es mit der Meinungsfreiheit toleranter Milieus nicht weit gefasst ist, sondern Meinungsfreiheit (ebenso wie Toleranz und Diversität) nur dann als Wert hochgehalten wird, wenn es bequem erscheint.

"I think people’s tolerance for discomfort—people’s tolerance for dissonance, for not hearing exactly what they want to hear—has now gone down to zero"

, schrieb kürzlich Anne Applebaum in "The Atlantic", und das trifft hier ziemlich genau zu.

The New Puritans
Social codes are changing, in many ways for the better. But for those whose behavior doesn’t adapt fast enough to the new norms, judgment can be swift—and merciless.

Wenn man nicht streiten kann, weil eine Seite für sich die Wahrheit pachtet – und darauf läuft die Haltung von Böhmermann und Busch hinaus –, dann gibt es keine Gesellschaft mehr, sondern hermetisch abgeriegelte Milieus. Und btw bald Menschen, die keine Medien mehr konsumieren.

Kurz: Der Glaube, die Meinungsfreiheit der guten Sache wegen beschneiden zu wollen, ist keine gute Entwicklung, sondern fucking gruselig. ✌️