Es wird viel über die Entwicklung von Gründerökosystemen geredet. Dabei spielen Coworking Spaces, möglichst hippe Events und coole Locations eine wichtige Rolle. Schließlich soll gründen Spaß machen. Gute Inszenierungen als Stimmungsaufheller. Es gibt unterschiedliche Meinungen zu der Frage, ob das was in den deutschen „Gründerhauptstädten“ angesagt ist auch in der „Fläche“ funktionieren kann, immerhin befinden sich mehr als 60% der Startups nicht in Berlin, Hamburg, München oder Stuttgart/Karlsruhe. Entscheidender ist aber die Frage, wie nachhaltig diese Ökosysteme auf die Entwicklung von Startups wirken können. Möglich auch, dass die Diskussion über neue Formen der Kollaboration an den aktuellen Herausforderungen vorbeigeht.

Der Deutsche Startup Monitor 2019 zeichnet aus unserer Sicht ein realistisches Bild des Gründergeschehens. Die Gründerquote hat sich in den letzten 15 Jahren mehr als halbiert. Sie sank von 2,8 Gründungen pro 100 Erwerbstätige im Jahr 2003 auf 1,1 Gründungen im Jahr 2018. Natürlich stehen Quantität und Qualität von Gründungen in keinem unmittelbaren Zusammenhang. Sicherlich ist es gut, wenn Gründungen aus Ermangelung anderer beruflicher Alternativen abnehmen und solche, mit echten Marktchancen im gleichen Zeitraum um ca. 20 % zunehmen. Denkt man aber an den Generationswechsel in mittelständischen Unternehmen und Handwerksbetrieben, dann ist das nur die halbe Wahrheit. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass sich das Gründungsgeschehen in Deutschland zu mehr als 75% außerhalb des verarbeitenden Gewerbes abspielt, dann bleibt das langfristig nicht ohne Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Sicherlich kann man den, seit mehreren Jahren erkennbaren, hohen Anteil an digitalen Geschäftsmodellen, mit einem gewissen Nachholbedarf in diesem Bereich erklären. Aber ist es beruhigend, wenn eine Nation, die viel in Ausbildung und Forschung investiert und Ihren Wohlstand auf eine starke Exportorientierung gründet, nicht mehr als einen 16% -igen Anteil im Bereich von Technologieentwicklung und -fertigung erreicht?

Wir denken, dass sich die Maßnahmen zur Weiterentwicklung eines Gründerökosystems an diesen Fragen und den konkreten Bedingungen vor Ort orientieren müssen. Wir glauben auch, dass es lohnenswert ist, das Engagement und die Kreativität der Gründerszene zu unterstützen. In den letzten Jahren hat sich hier sehr viel getan. Nicht nur die Qualität der Gründungen hat sich verbessert, auch die öffentliche Wahrnehmung ist heute eine andere. Großunternehmen haben eigene Acceleratoren gegründet und die Möglichkeiten einer Beteiligungsfinanzierung haben sich verbessert. Dennoch ist ein kritischer Blick angebracht, um noch bestehende Hemmnisse zu erkennen.

Woher die Talente kommen

Beginnen wir bei der Frage woher Gründer und immer noch zu wenige Gründerinnen kommen. Wenn man in diesem Punkt Ausbildungseinrichtungen und Unternehmen vergleicht, dann wird deutlich, dass es, angefangen beim Existenzgründerstipendium EXIST auf Bundesebene, bis hin zu Stipendienprogrammen in einzelnen Bundesländern, etablierte Angebote zur Gründungsförderung gibt. Auch einige Forschungseinrichtungen unterstützen ihre Mitarbeiter bei der Ausgründung. Auf der Seite von Unternehmen ist darüber wenig bekannt. Hier herrscht eher das Interesse vor, neue Geschäftsmodelle an das eigene Unternehmen zu binden und ggf. zu integrieren. Dabei zeigen Statistiken, dass gerade Ausgründungen aus Unternehmen besonders erfolgreich sein können. Die Gründer bringen nicht nur berufliche Erfahrung und Spezialkompetenz mit, sondern kennen i.d.R. auch Markt- und Kundenanforderungen gut. Immerhin erwirtschaften 68% der Startups ihre Umsätze mit Geschäftskunden (B2B). Gerade für sie liegt eine große Chance in der Kooperation mit etablierten Unternehmen.

Unterstützung statt Beratung

Im Bereich der Beratungs- und Infrastrukturangebote für Gründer gibt es, oberflächlich betrachtet, einen Wettbewerb, um wachstumsstarke Gründungen. Wenn man aber auch hier etwas genauer hinsieht, fällt auf, dass praktische Unterstützung in der frühen Entwicklungsphase eines Unternehmens (Seed-/Startup-Phase) immer noch Mangelware ist. Unzureichende finanzielle und personelle Ressourcen auf der Gründerseite lassen viele, gut gemeinte, Beratungsangebote ins Leere laufen. Außerdem liegen die Investitionserfordernisse in diesen Phasen schwerpunktmäßig nicht im Bereich der materiellen Ausrüstungsgüter. Vielmehr sind Produkt- und Organisationsentwicklung, Marketing und Vertrieb sowie Markenaufbau wichtige Investitionstatbestände. Da sich immaterielles Kapital selten als Sicherheit eignet und die Ableitung einer Renditeerwartung aus Bilanz- und Planungsdaten mit einer hohen Unsicherheit behaftet ist, relativiert sich seit langem die Bedeutung von Unternehmenskrediten. Benötigt werden vielmehr Business Angel oder auch aktiv gemanagte Seedfonds, die dicht am Gründerteam agieren und das jeweilige Markt- und Wettbewerbssegment gut kennen.  Weil sie an Chancen und Risiken teilnehmen, gibt es hier eine ausreichende Motivation für die Bereitstellung eigenen Know-hows und die Öffnung vorhandener Netzwerke. Wir sind selbst seit über 10 Jahren im Business Angel Netzwerk BANSON e.V. engagiert und schätzen die Kompetenz und das Engagement privater Investoren sehr. Gleichzeitig wird uns aber, gerade dadurch, der Bedarf an ergänzenden Beteiligungsangeboten deutlich vor Augen geführt. Deshalb überrascht es uns auch nicht, dass von den, im Startup Monitor 2019 befragten Gründungsunternehmen, nur drei von zehn Befragten mit dem Zugang zu externem Kapital zufrieden sind. Wenn man die Trägerstrukturen der Beteiligungslandschaft in Deutschland analysiert, dann wird schnell klar, warum es gerade hier einen Engpass gibt. An einer Verbesserung der Situation wird weiter zu arbeiten sein.

Finanzierung - die unsichtbare Macht

Die Skalierbarkeit eines Geschäftsmodells ist wichtige Voraussetzung für das Engagement eines Investors. Quantitative und qualitative Key Performance Indicators (KPIs) messen die Leistungsfähigkeit eines Startups und dienen damit sowohl dem internen Controlling als auch der externen Analyse. In unserem, seit zwei Jahren existierenden, Accelerator „ELEVATOR Lüneburg“ nutzen wir entsprechende KPIs, nicht nur dazu die Fortschritte während eines maximal sechsmonatigen Betreuungsprogramms zu messen, sondern führen Startups, insbesondere mit den Themenschwerpunkten IT/Medien, gezielt an Privatinvestoren heran. Dabei binden wir, soweit verfügbar, den INVEST – Zuschuss für Wagniskapital (BMWi) und Innovationsförderprogramme (Bund, Land Niedersachsen) in die Gesamtfinanzierung ein. Unterschiedliche Antragsstichtage, Fristen und Bearbeitungsverfahren stehen einem beschleunigten Wachstum von Startups mit Hilfe von staatlichen Zuschüssen nicht selten im Wege. Dennoch gelingt es Business Angel, in dieser frühen Phase der Unternehmensentwicklung als Investor zu gewinnen. Viele, auch öffentlich finanzierte Fonds, machen heute ein eigenes Engagement von der Beteiligung eines Business Angel am Startup abhängig. Wenn damit aber Business Angel länger als notwendig an das Startup gebunden werden, dann fehlt das knappe Gut von Wagniskapital + Know-how an anderer Stelle. Eine angemessene Vergütung für Vorleistungen und Risikoübernahme könnte hier weiterhelfen. An dieser Stelle wird auch deutlich, dass INVEST-Zuschuss und Innovationsförderung helfen, aber eine Reform der Unternehmenssteuern nicht ersetzen können. Insgesamt deuten auch die Ergebnisse des Deutschen Startup Monitor 2019 auf fehlendes Kapital und damit auf eine Wachstumsbremse für Startups hin. Es bleibt damit eine der größten Herausforderungen bei der Weiterentwicklung des Startup-Ökosystems.

Harmonisierung statt Regulierung

Damit sind wir bei der Rolle der Politik zur Entwicklung von geeigneten Rahmenbedingungen für Startups. Um Wachstum und Skalierung ihrer Geschäftsmodelle zu unterstützen, ist es wichtig, den Binnenmarkt weiter auszubauen. Gleichzeitig muss aber auch die Regelungskompetenz neu geordnet werden. So ist zum Beispiel das Medienrecht immer noch Sache der Bundesländer, wird aber auch durch detaillierte Vorgaben auf EU- und Bundesebene besetzt. Es mag juristisch möglich sein allen Akteuren im Bereich der Datenerfassung und -verarbeitung entsprechende Mitsprache- und Teilhaberechte zuzuordnen. Ob damit allerdings eine dringend notwendige Beschleunigung von technischen Entwicklungen und Innovationen verbunden ist, steht auf einem anderen Blatt. Bei allem Respekt vor Arbeitnehmer- und Verbraucherrechten sollte es das Ziel sein, gerade junge Unternehmen, durch administrative Vorgaben nicht zu überfordern. Die Ende Mai 2018 in nationales Recht umgesetzte EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hat, trotz der einen oder andere Erleichterung für Kleinstunternehmen und Einzelunternehmer, auch diesen neue Dokumentationspflichten gebracht. Gleichzeitig wirft die „Verordnung für Algorithmische Systeme“ bereits ihre Schatten voraus. Die Arbeitsstättenverordnung, mit behördlichen Ermessensspielräumen und Ausnahmeregelungen, ist ein weiteres Beispiel für rechtliche Rahmenbedingungen, deren Auswirkungen für Startups entweder schwer kalkulierbar oder mit hohen Kosten verbunden sind. Beides fördert Investitionen in Sachanlagen nicht. Insofern kann auch das ein Teil der Erklärung dafür sein, warum der Anteil an Startups im verarbeitenden Gewerbe derzeit so gering ist.

Der Direktor des Circus Roncalli, Bernhard Paul, hat einmal gesagt: „Die beste Förderung ist weniger Behinderung“. Ein Satz, der auch außerhalb der Zirkuswelt gültig ist. Bei einer Abwägung zwischen gesellschaftlich notwendigen Innovationen und schützenswerten Interessen sollte dieser Grundsatz stärker berücksichtigt werden. In globalisierten Märkten treffen nationale oder auch kontinentale Regelungen immer diejenigen, die sich diesen Vorgaben nicht entziehen können. Internationale Konzerne oder die als „Torwächter“ bezeichneten Plattformbetreiber wie Faceboock, Amazon oder Google gehören nicht dazu. Wenn die Umsetzung guter Ideen in Innovationen zukünftig stärker in Deutschland und Europa stattfinden soll, ist ein Umdenken erforderlich. Nicht nur Startups werden davon profitieren.