Als Landbewohner liebt man es, seinen eigenen Garten zu pflegen und – im wahrsten Sinne des Wortes – die Früchte seiner eigenen Arbeit zu genießen. Auch dieses Jahr wurde wieder fleißig gepflanzt, darunter eine Zucchini, die bereits erste Früchte trägt. Letzte Woche habe ich einen kleinen Riss entdeckt, den wahrscheinlich meine Hündin Molly beim Erkunden des Beetes mit ihrer Kralle verursacht hat. Am Tag darauf war schon eine kleine Furche zu sehen, wahrscheinlich hatte sich eine Schnecke daran gütlich getan. Später war die Frucht komplett ausgehöhlt und als ich gestern schaute, war sie vollkommen aufgefressen.

Was hat das nun mit Meinungsfreiheit zu tun? Eine ganze Menge. Mit der Meinungsfreiheit verhält es sich wie mit meinen Zucchinis im Garten. Eine kleine Verletzung reicht aus, um die ganze Frucht zu zerstören.

In letzter Zeit habe ich die besorgniserregende Tendenz beobachtet, den Korridor erlaubter Meinungen immer weiter einzuengen, um "Hass und Hetze" im Internet zu bekämpfen.

Dabei will ich den Vertretern dieser Politik nichts Böses unterstellen – sie denken vermutlich, ein hehres Ziel zu verfolgen. Denn viele der im Netz geäußerten Meinungen sind unappetitlich, bösartig und hasserfüllt. Jeder hätte gerne ein Internet voller Hundevideos, konstruktiver Debattenbeiträge und aufmunternder Worte.

Die Realität sieht anders aus. Entgegen der kursierenden Phrase ist Hass eben doch eine Meinung. Ich hasse Tierquäler, Putin und Nazis. Sind das keine legitimen Meinungen? Will man als Staat pauschal gegen Hass vorgehen? Dann wären alle diese Aussagen strafbare Äußerungen. Oder will man einen Katalog „akzeptabler“ Hasssubjekte und -objekte erstellen? Vielleicht wäre der Hass gegen Tierquäler dann noch akzeptabel, der gegen Putin – je nach regierender Partei – dann nicht mehr.

Das macht das Problem eines solchen Katalogs offensichtlich: Diesen könnte die regierende Macht nach vollkommen arbiträren Maßstäben füllen. Eine AfD-Regierung würde vielleicht die deutsche Flagge für sakrosankt erklären - mit katastrophalen Ergebnissen für die Demonstrationen am 1. Mai quer durch die Republik. Das BSW könnte Kritik an Putin verbieten. Und selbst liberale Parteien glänzen mittlerweile durch rege Nutzung des neuen Majestätsbeleidigungsparagraphen. Und bei einem Machtwechsel sähen sich vielleicht diejenigen auf einmal selbst unter der Klinge, die sie selbst geschmiedet haben. So ein Katalog wäre also höchstens dann akzeptabel, wenn er aus einer einzigen leeren Seite bestünde, aber selbst dann wäre die Versuchung zu groß, diese Seite zu befüllen.

Was kann man tun? Es muss im Interesse aller Demokraten sein, die Meinungsfreiheit so weit wie möglich auszulegen. Denn ein freier Austausch an Meinungen und Ideen ist ein Grundpfeiler der Demokratie. Für mich persönlich bedeutet das mittlerweile, dass größtmögliche Redefreiheit herrschen sollte, und lediglich Äußerungen bestraft werden sollten, die im realen Leben ernsthafte Konsequenzen zeigen (ich denke hier insbesondere an Mobbing, falsche Verdächtigungen und üble Nachrede - also bereits bestehende Straftatbestände). Den größtmöglichen Teil der Äußerungen im Netz und auch anderswo sollte man ertragen – auch wenn es wehtut. Den wahren Wert der Meinungsfreiheit erkennt man erst, wenn man ihre Grenzen auslotet .

Gleichzeitig sollten wir uns an die eigene Nase fassen und selbst die Diskussionskultur pflegen, die wir von anderen erwarten und auch Menschen unseres eigenen „Stammes“ auf Verletzungen der gängigen Höflichkeitsregeln hinweisen. Statt stets nach dem Staat zu rufen, sollten wir also selbst handeln: Man kann sich auch für eine faire Diskussionskultur einsetzen, ohne dabei das freie Wort zu opfern.

Dem Garten der Meinungsfreiheit droht von allen Seiten Gefahren. Manche Schnecken warten schon begierig auf die nächsten Kratzer, während einige Früchte bereits vollkommen aufgefressen sind. Aber die Ernte ist noch zu retten, wenn wir die Pflanzen pflegen.

Genau wie ich aufpassen muss, dass Molly bei der Erdbeerernte meine Zucchinis nicht zerkratzt, ist es unsere Aufgabe als Bürger zu verhindern, dass Politiker im Kampf gegen Hass und Hetze die Meinungsfreiheit aushöhlen. Und uns allen fällt die Aufgabe zu, möglichst viele Früchte und möglichst wenig Unkraut zu produzieren sowie denjenigen entschlossen entgegenzutreten, die die schon halb aufgefressene Frucht noch weiter auffressen wollen.

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