Worum geht's?
Am 07.01.2021 twitterte Martin Sonneborn, Bundesvorsitzender der Satirepartei Die PARTEI und fraktionsloses Mitglied des Europaparlaments, ein Bild von sich in einem T-Shirt mit einem schlecht gephotoshopten Aufdruck.
Möglicherweise, weil es so schlecht gemacht war oder um sicher zu gehen, dass es auch wirklich alle mitbekommen, kommentierte er das Bild folgendermaßen:
Ich weiß schon, was ich heute ins (sic) EU-Parlament anziehe: mein neues “AU WIDELSEHERN, AMLERIKA! Habem Sie Guter FrLug runtel! Plinted in China fü Die PALTEI”-TShirt… Smiley!
Nach einem heftigen Shitstorm und externer wie auch interner Kritik, retweetete Sonneborn am nächsten Tag ein Cover des Satiremagazins „Titanic“ aus dem Jahr 2002. Dieses ist fast ausschließlich schwarz gestaltet. Ein mandelförmiger Ausschnitt gibt den Blick auf ein Fußballspiel frei, auf dem aber nur die Unterkörper der Spieler zu sehen sind, die um einen Ball kämpfen. Unter dem Ausschnitt steht: „So sehen Asiaten die WM!“ In seinem Tweet selbst forderte er zu Diskussion auf:
So, und jetzt bitte schön diskutieren, was Satire darf & soll, die Grenzen bitte nicht vergessen. Merke: der erste Zugriff ("Wah! Rassismus!") ist oft nicht der beste. Beleidigungen werden geblockt, ich gehe jetzt Schlitten fahren... Smiley
Am gleichen Tag folgte meine erste Antwort:
Es geht nicht darum, was Satire darf sondern eben was sie soll. Sie soll was erreichen. Was erreicht so ein Cover außer das Verbreiten und Reproduzieren von rassistischen Stereotypen? Und nur weil Satire angeblich alles darf, können noch lange nicht alle Satire.
Nachdem ich mich gleich danach daran machte, dieser Aufforderung ausführlicher nachzukommen, habe ich es jetzt auch endlich mal geschafft, abschließend darauf einzugehen.
Was Satire darf
„Satire darf alles!“ wird vor allem in den sozialen Medien oft mantraartig nach dem Posten von misslungenen Witzen der Die PARTEI herunter gebetet. Höchstwahrscheinlich ohne auch nur eine Sekunde über Inhalt und Ziel des Witzes nachzudenken.
„Also was darf die Satire?“ fragt Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), um gleich selbst die Antwort zu liefern: „Alles!“ Jedoch nicht ohne festzustellen, dass dabei auch für Künstler:innen und Journalist:innen Recht und Gesetz gilt. Denn „Satire ist in Deutschland durch die Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Freiheit der Kunst (Artikel 5 Grundgesetz (GG)) geschützt. Dabei dürfen die Persönlichkeitsrechte anderer Personen (Artikel 2 GG) jedoch nicht verletzt werden. Die Kunstfreiheit ist dann gegeben, wenn der satirische oder künstlerische Charakter zweifelsfrei erkennbar ist (bpb - Merkmale und Erscheinungsformen von Satire).“
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sagt dazu: „Lässt sich freilich eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts zweifelsfrei feststellen, so kann sie auch nicht durch die Kunstfreiheit gerechtfertigt werden (BVerfG, BvR 2112/15).“
Kurz: Satire darf also alles, solange geltendes Recht, vor allem das Persönlichkeitsrecht, nicht gebrochen bzw. verletzt wird. Nun ist es leider, vor allem für Lai:innen, nicht immer leicht festzustellen, ob Recht gebrochen und, wie in diesem Fall, das Persönlichkeitsrecht verletzt wurde. Interessant ist hier die grundsätzliche Einstellung von Toan Quoc Nguyen (Diplom-Pädagoge und politischer Bildungsreferent im Kontext von Antidiskriminierung, Migration und Empowerment) von der Mobilen Opferberatung, dem ich auf dem Gebiet eine gewisse Erfahrung und Expertise zutraue:
Jede Form von Diskriminierung verletzt die Menschenwürde
Meine Schlussfolgerung bis hierhin: Wenn die Tweets rassistisch diskriminieren und/oder das Persönlichkeitsrecht bzw. die Menschenwürde verletzen, sind sie demnach auch keine Satire mehr.
Was Satire soll
Was Satire soll und muss, fasst die bpb ebenfalls recht präzise zusammen (bpb - Was darf Satire):
Die Satire muss ihr Ziel mit Bedacht wählen. Doch erlaubt ist (auch), was nicht gefällt, denn Satire ist nicht einfach nur Komik und Parodie, sondern immer auch Angriff und Mittel der Kritik. Sie lebt von Verzerrung und Übertreibung.
Und weiter:
Satire soll und muss treffen, wenn sie gut sein soll. Sie braucht die Provokation, die Ungerechtigkeit, das Überspitzen und Übertreiben bis hin zum Tabubruch. Satire ohne Biss ist keine!
Nachdem sie Kurt Tucholsky zitiert, demzufolge der Satiriker nicht wägen kann, weil er schlagen muss.
Meine nächste Schlussfolgerung: Satire darf also (fast) alles und soll dabei auch provozieren und angreifen, so lange sie das richtige Ziel mit Bedacht wählt. Hier beginnt die eigentliche Problematik.
Ziel und Inhalt von Satire und Witzen
People confuse the subject of the joke with the target of the joke, and they're very rarely the same.
Ricky Gervais sagte einmal, es würde immer Leute geben, die einen Witz persönlich nehmen und sich über diesen empören, da sie den Inhalt mit dem Ziel des Witzes verwechseln.
Es dürfte in der Tat kaum möglich sein, einen satirischen Witz so zu formulieren, ohne dass sich Menschen empören, weil sie sich angegriffen fühlen oder angegriffen werden. Das selbst ist alles andere als tragisch. Satire soll ja angreifen, nur eben die richtigen.
Daher eignet sich Satire auch wunderbar, um Rassismus anzuprangern. Wenn sie ihn thematisiert und uns so unseren eigenen Alltagsrassismus vor Augen führt. Gerade bei solchen Themen bedarf es aber, vor allem als Weißer, der Rassismus noch nie am eigenen Leib gespürt hat, einer gewissen Feinfühligkeit. Denn nur weil Satire (fast) alles darf, können noch lange nicht alle Satire.
Was war nun also Inhalt und was Ziel des Witzes und wurde das einfach nur verwechselt?
Auch wenn die Exegese von Witzen eigentlich nicht zu seiner Berufsbeschreibung gehört, wie Sonneborn selbst sagt, war er trotzdem so gnädig, uns alles zu erklären. In einer am 13. Januar 2021 auf Facebook veröffentlichen Stellungnahme schreibt er, die Zielrichtung war es, „die zunehmend gegenstandslose werdende weltpolitische Überheblichkeit der USA zu karikieren, ihre Forcierung einer wirtschaftlichen Konfrontation mit China, ihre an Widersinnigkeit schwer zu übertreffenden Ideologien & Feindbildkonstruktionen, und vor allem: die wiederholten sinophoben Ausfälle und Polemiken ihres Präsidenten („China-Virus!“)“ zu karikieren und setzt dazu in Klammern: „Der gleichzeitig noch einen Großteil der Merchandise-Artikel für seinen Wahlkampf in China produzieren ließ. ZwinkerSmiley“.
Das Ziel waren also die USA und Trump, Inhalt „die zunehmend gegenstandslose werdende weltpolitische Überheblichkeit der USA [...] und vor allem die wiederholten sinophoben Ausfälle und Polemiken ihres Präsidenten“ sowie seine in China produzierten Merchandise-Artikel. Ziel waren demnach nicht marginalisierte Gruppen und die rassistische Beleidigung und Diskriminierung dieser.
Warum haben es dann aber so viele nicht verstanden?
Weil, wie bereits erwähnt, Satire eben auch gekonnt werden muss. Den meisten dürfte das eigentliche Ziel des Witzes schätzungsweise klar gewesen sein. Trotzdem hat der Tweet rassistische Stereotype reproduziert. Genau hier ist aus meiner Sicht der Knackpunkt.
Wären das Ziel deutsche Alltagsrassist:innen gewesen, die sich über die vermeintlich falsche Aussprache ihrer Mitmenschen lustig machen, nur weil sie für sie irgendwie asiatisch aussehen, dann könnte ein ähnlicher Witz unter Umständen funktionieren. Dies war aber nicht der Fall. Im Gegenteil. Durch die unnötige Verwendung rassistischer Stereotype wurde die Zielgruppe des Witzes automatisch um von Alltagsrassismus Betroffene erweitert. Der Witz ist damit per se rassistisch und diskriminierend. Dies lässt sich mit einer Anpassung des Aufdrucks leicht veranschaulichen:
AUF WIEDERSEHEN, AMERIKA! Haben Sie einen guten Flug! Printed in China für Die PARTEI
Die inhaltliche Aussage bleibt identisch. Der Seitenhieb „Printed in China“ auf Trumps in China gefertigte Merchandise Artikel verliert nicht an Wucht. Im Gegenteil wird so der Fokus eher genau darauf gerichtet.
Interessanter hätte ich auch Sonneborns Exegese des Titanic-Covers gefunden. Davon abgesehen, dass es per se schon rassistisch ist, alle vermeintlichen Asiat:innen in einen Topf zu werfen und ihnen die gleiche Augenform anzudichten. Was bitte ist hier das Ziel des Witzes? Trump, die USA oder Fußball karikiert er jedenfalls nicht. Auch hier werden lediglich, rassistische Stereotype reproduziert und verbreitet. Gleichzeitig werden diese als harmlos dargestellt. Nach dem Motto: „Über so ein bisschen Alltagsrassismus wird man wohl noch lachen dürfen, das tut doch niemandem weh.“ Außer natürlich du bist davon betroffen. Dann hast du Satire nicht verstanden.
Die Stellungnahme
Wer sich die Zeit genommen hat, die Kommentare zu dem Ursprungstweet durchzulesen, kann nur zu einem Ergebnis kommen. Ja, der Tweet ist rassistisch! Ein überdurchschnittlich großer Anteil stammte nämlich von BiPOC (Black, Indigenous and People of Color), die ihn als „eindeutig rassistisch“ bezeichneten. Sich als weißer Europäer daraufhin zu erlauben, den täglich von Rassismus Betroffenen zu erklären, dass der Tweet nicht rassistisch sei („Merke: der erste Zugriff ("Wah! Rassismus!") ist oft nicht der beste.“) und ihnen im Umkehrschluss einfach nur das nötige Verständnis fehlt, Satire zu verstehen, ist für mich hier der eigentlich praktizierte Rassismus, den viele scheinbar gar nicht sehen. Damit reiht sich Sonneborn mustergültig in die Riege der weißen Rassismusexpert:innen ein, die „nichts verstehen und nichts verstehen wollen“.
Die Wirkung dieses Shirts habe ich unterschätzt. Ich war so überzeugt davon, dass die Stoßrichtung des Aufdrucks klar ist, dass mir nicht bewusst war, dass sich jemand davon rassistisch diskriminiert fühlen könnte.
Dass die Stellungnahme u. a. von Betroffenen von anti-asiatischem Rassismus als Nonpology gewertet wurde, wundert wenig:
Martin Sonneborn hat einen langen Roman geschrieben und hat es dabei nicht einmal geschafft, sich aufrichtig und ordentlich für seinen Rassismus zu entschuldigen?! Wow, das ist mal eine Leistung! Ich frage mich, woher die Unternehmen, öffentliche Personen, Medienredaktionen etc. solche Nonpology-Vorlagen haben. Es werden immer wieder die gleichen Phrasen wie „sich rassistisch diskriminiert fühlen“, „war mir nicht bewusst“ und „verletzt wurden“ benutzt, obwohl es nicht einmal stimmt. Wir haben uns nicht rassistisch diskriminiert gefühlt, sondern wir wurden rassistisch diskriminiert.
Oder wie es in einer Antwort heißt: „Lmao he literally said “sorry you feel that way” what a clown“
Ginge es um ein Ei, wäre ich vielleicht geneigt zu sagen, dann stimmt halt mit Eurem Gefühl was nicht. Es geht aber nicht um Gefühle. Es geht um rassistische Beleidigungen und Diskriminierung. Den Betroffenen abzusprechen, wann sie von uns Weißen rassistisch behandelt und diskriminiert werden, ist die pure Ignoranz, die sich durch die gesamte Geschichte Europas und der restlichen Welt zieht.
Warum arbeitet ein Satiriker, der seine Witze eigentlich nicht erklären will, so was stattdessen nicht satirisch-selbstkritisch auf?
Weißer alter Mann völlig irritiert, dass von Alltagsrassismus Betroffene nicht über rassistischen Chinesen-Witz aus den 80ern lachen können.
Besser als die Nonpology wäre es allemal gewesen.
Er wusste nicht, was er tat?
Mensch muss kein überzeugter Vollblutrassist sein, um rassistische Stereotype zu verbreiten. Auch ich habe früher nicht immer den Unterschied zwischen einem Witz und plattem Alltagsrassismus erkannt oder gekannt und es passiert mir leider immer noch. In Bayern aufzuwachsen, wo das N-Wort so allgegenwärtig ist, dass es sich sogar erschreckend häufig auf Getränkekarten finden lässt, ist auch in dieser Hinsicht kein Vorteil. Damals hätte ich Sonneborn womöglich verteidigt, vor allem wenn es sich offensichtlich um einen einmaligen Fehlgriff handelte. Nur, es war keiner.
Dass Sonneborn die Wirkung dieses Shirts unterschätzt hat, wie er in seiner Stellungnahme schreibt, scheint nämlich mehr als unglaubwürdig. Bereits Anfang November 2020 postete er dieses Shirt auf Facebook. Nach sofortiger externer, vor allem aber interner Kritik, löschte er das Posting so schnell, dass die Außenwelt davon kaum etwas mitbekam. Er kannte die Wirkung also bereits sehr gut. Außerdem unterstelle ich einer Person mit der Lebenserfahrung und Intelligenz eines Martin Sonneborn, dass er die Wirkung seiner Witze durchaus abschätzen kann. Sollte er sich nicht sicher sein, müssten sie immer noch reichen, um vorab sein Umfeld um Rat zu fragen.
Aus großer Kraft folgt große Verantwortung
Dank der Spiderman-Verfilmung dürfte vielen dieses Zitat bekannt sein. Jetzt ist ein Mitglied des Europäischen Parlaments nicht unbedingt ein Superheld, Sonneborn bestimmt kein Spiderman. Ob du jetzt aber als Satiriker oder sonst was in ein Parlament gewählt wirst, du übernimmst damit automatisch eine gesellschaftliche Verantwortung und dieser hast du nachzukommen. Besonders in Zeiten, in denen Anti-asiatischer Rassismus Hochkonjunktur hat. Ansonsten unterscheidest du dich kaum von anderen deutschen Politiker:innen, die auch gerne nirgends Rassismus erkennen wollen. Eine kurze Recherche oder Beratung mit dem Team sollte nicht zu viel verlangt sein. Die einzige Anerkennung, die er hier von mir bekommt: Immerhin hat er es nicht auf den Praktikanten geschoben.
Das Internet, das nicht vergisst
Anti-asiatischer Rassismus wurde von ihm übrigens auch schon vor der Pandemie praktiziert, wie in einem Video auf seinem YouTube-Kanal zu sehen ist. Die englischen Antworten einer Chinesin auf seine Fragen werden deutsch untertitelt. Dabei wir jedes „r“ mit einem „l“ ersetzt. Wer soll hier das Ziel sein, außer eben jener Chinesin aufgrund der Tatsache, dass sie Chinesin ist? Unser praktizierter Alltagsrassismus? Ich glaube eher nicht.
Wenn er also wusste was er tut, warum tat er es dann? War es reine Provokation? Was raushauen, löschen und sich dann entschuldigen um möglichst viel Medienecho zu produzieren? Wollte er damit ein besonderes Klientel bedienen? Oder ist er einfach nur ein Alltagsrassist? So, und jetzt bitte schön diskutieren!