Heute am 8. März ist der Internationale Frauentag.
Eine klassische Frage zur Lage der Frauen ist "Was will die Frau wirklich?

Wer  sich anschickt, die gestellte Frage über Google ausfindig zu machen, könnte – wie ich – erschrecken darüber, dass allein schon die ersten paar Seiten zu dieser Fragestellung danebenliegen. Die Frage wird jeweils auf ein Beziehungsthema umgemünzt - wie etwa "Was wollen Frauen von  Männern …, in der Liebe …, sexuell?", als ob es unstatthaft oder undenkbar ist, die Frage alleinstehend – in Bezug auf Frausein an und für sich – zu beantworten oder eben offenzulassen. Siehe dazu folgendes Talkshow-Beispiel vom Mai 2015:

Hatte Sigmund Freud, der Initiator der Einführung des Studienfachs Psychologie auf Universitätsebene, eine Ahnung davon, was Frauen wirklich wollen? Nicht wirklich. Freud hatte keine Ahnung von dem was Frauen wirklich wollen – zugegebenermaßen.

Die große Frage, die ich trotz meines dreißigjährigen Studiums der weiblichen Seele nicht zu beantworten vermag, lautet: "Was will eine Frau eigentlich?"
⚡ Sigmund Freud (1856-1939), zitiert in: Ernest Alfred Jones (1879-1958) britischer Biograph von Sigmund Freud, "Das Leben und Werk von Sigmund Freud", Band 1, Huber, Bern, 1960

Die dänische Filmemacherin, Feministin, ehemalige sexuelle Masochistin Maria Marcus (*1926) schrieb darüber in ihrem Buch Die furchtbare Wahrheit. Frauen und Masochismus, S. 306, Rowohlt TB-Verlag, Rheinbeck, Erstauflage 1982, Juni 1991:‌‌

‌‌"Freud [...] schrieb einmal: 'Was will die Frau eigentlich?'‌‌ Er hatte nicht die geringste Ahnung. Und woher hätte er es auch wissen sollen, er war umgeben von Frauen, die so unterdrückt waren, dass sie selbst nicht wussten, was sie wollten. Frauen, die sich selbst nur  negativ bestätigen konnten – als zweitklassige Ausgabe des Mannes, als Zwischending zwischen Mann und Kind, als ein hohler Penis oder wie ihre Analytiker sie sonst nannten. Oder dadurch, dass sie immer dem stärksten Jungen nachliefen – nur um geduckt zu werden.‌‌
[…] Heute sind wir umgeben von Frauen, die wissen, was sie wollen. Die Frauenbewegung ist der sichtbare Beweis dafür, dass unsere Natur nicht vorbestimmt ist, sondern dass wir wählen können. Wir sind nicht dazu verurteilt, passiv und masochistisch zu sein, sondern können genausogut aktiv sein, tatkräftig, voller Stärke, Initiative, Solidarität und politischem Willen. […] Wer wagt zu behaupten, die neuen Frauen seien nicht auch Teil der Natur?"

Die Antwort auf die Frage "Was wollen Frauen wirklich?" lautet: Ihre Souveränität!

Die deutsche Erziehungswissenschaftlerin, evangelische Theologin und Autorin patriarchatskritischer Werke Christa Mulack (*1943) schrieb in ihrem Buch Das Mädchen ohne Hände. Wie eine Tochter sich aus der Gewalt des Vaters befreit, Kreuz Verlag, 1995 folgendes dazu (auf S. 110-111):

"Männer, die sich auf die Suche nach dem Weiblichen begeben und zu weiblichen Werten vordringen wollen, müssen sich auch jener Frage stellen, mit der König Artus als einer der Gralssucher konfrontiert wurde. Diese Frage, der sich auch Sigmund Freud noch vor einem Jahrhundert stellte und vor der er kapitulierte, lautet: »Was will die Frau?« König Artus erhielt darauf noch von seinem ritterlichen Freund Gawan die Antwort: »Souveränität, Sire.« Eine wahrhaft tiefsinnige Antwort, wenn wir uns die Bedeutung dieses Wortes genauer anschauen. Es meint politisch eine nicht abgeleitete, allumfassende, nach außen und innen uneingeschränkte Hoheitsgewalt. Das Symbol dieser politischen Souveränität ist die Jungfrau. Sie wurde in der keltischen Mythologie »in der weiblichen Gestalt der Eriu, der Souveränität Irlands, verkörpert.« und erinnert daran, dass diese Länder in vergangenen Zeiten durch Göttinnen bzw. Priesterinnen symbolisiert wurden. ‌‌Genau das scheint der König im Märchen [Das Mädchen ohne Hände] [*] begriffen zu haben, wenn er am Ende seiner siebenjährigen Suche auf patriarchale Vatermacht verzichtet und sich damit nicht nur zu Verhältnissen im jesuanischen »Reich Gottes« bekennt, sondern auch zu jenen Verhältnissen, denen wir in matriarchalen Kulturen begegnen."

[*] Heldenweg-Stationen im Märchen vom Mädchen ohne Hände

Die Frau an sich – will dieselbe Souveränität (Selbstbestimmung, Eigenfrauschaft, Handlungsfähigkeit) wie sie dem gewöhnlichen Mann an sich – im Patriarchat, wenn auch nur vordergründig – gewährt wird.‌

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Wo fand ich erschöpfliche Auskunft über Die Legende von König Artus, Ritter Gawan und der Hässlichen Maid, in der die Antwort auf die Frage "Was wollen Frauen wirklich?" in einer Krisensitution geliefert wurde. ‌‌Was Freud ein Rätsel blieb, erfuhren König Artus und der Ritter Gawan, der im Auftrag des Königs unterwegs war, von einer abgrundhässlichen Frau.
Der homöopathische Arzt und Jungsche Psychoanalytiker Dr. med. Edward C. Whitmont (1912-1998) widmete sich in seinem Buch dem Thema Die Rückkehr der Göttin. Von der Kraft des Weiblichen in Individuum und Gesellschaft (Kösel, München, 1982)


Im Wald von Inglewood gingen König Artus und seine Gefährten auf die Jagd. Ohne seine Ritter in der Nähe zu haben, bemerkte er, dass sein Körper schlagartig gelähmt war. Ein grimmiger Mann in pechschwarzer Rüstung näherte sich ihm und sagte: "Artus, ich bin Gromer Somer Joure. Ihr seid in meiner Gewalt, denn Ihr habt Ritter Gawan mein Land zu Unrecht gegeben. Um Eurer Übertretung willen werdet Ihr sterben, es sei denn, Ihr findet die Antwort auf eine ungelöste Frage." ‌‌Artus fragte, "Welche Frage soll ich Euch beantworten?" ‌‌Gromer teilte ihm mit: "Wenn Ihr Euer Leben und Euer Königreich retten wollt, gewähre ich Euch eine Frist von einem Jahr und einem Tag, um die Antwort auf die Frage 'Was will die Frau wirklich?' zu beschaffen. Dann treffen wir uns hier aufs Neue.‌‌
Flugs verschwand der Riese Gromer, und der König konnte sich wieder normal bewegen.

Zurückgekehrt an den Hof von Camelot fühlte sich Artus entmutigt. Lediglich sein Neffe Ritter Gawan erkundigte sich bei König Artus, was denn im Wald vorgefallen sei. Der Ritter schlug vor, "Lasst uns aufbrechen. Wir werden jeder Frau, die wir in Camelot und anderswo finden können die Frage stellen, "Frau, was willst du wirklich?"

Unterwegs zu Pferd notierten sie alle erhaltenen Antworten in einem riesigen Buch. Als das Jahr sich seinem Ende näherte, hegten sie Zweifel daran, ob auch nur einer der gesammelten Vorschläge zutraf.

Kurz vor dem Treffen mit Gromer Somer Joure streifte König Arthur wieder durch den Wald von Inglewood. Eine abscheulich hässliche Frau trat ihm in den Weg und sagte ihm: "Ich bin Dame Ragnell und kenne die richtige Antwort auf das Rätsel, das du lösen sollst. Diese Antwort könnte dein Leben retten."‌‌Der König erwiderte: "Bitte enthülle mir die Lösung."‌‌"Unter einer Bedingung", sagte sie.‌‌
Artus fragte: "Was verlangst du?" ‌‌Unumwunden antwortete die hässliche Ragnell: "Ich möchte einen Eurer Ritter, Sir Gawan, heiraten."

Der entsetzte König Artus versprach ihr nichts, sondern sicherte ihr zu: "Ich werde Euch Ritter Gawans Entscheidung hinsichtlich Ihrer Forderung mitteilen."

Zurückgekehrt an den Hof, erklärte er seinem Neffen den Stand der Dinge. Unverzüglich antwortete Ritter Gawan, "Lieber Artus, ich werde sie heiraten, wenn dadurch Camelot gerettet werden und dein Leben erhalten bleiben kann, selbst wenn sie sich als der Teufel erweist."

Erleichtert ritt König Artus zurück in den Wald, um der hässlichen Jungfer die Entscheidung seines Ritters mitzuteilen: "Sir Gawan hat zugestimmt, Euch zu heiraten, sofern sich erwiesen hat, dass Eure Antwort die richtige war. Sollte allerdings eine der Antworten, die wir bereits gesammelt haben, das Rätsel lösen, ist unser Handel hinfällig."

Lady Ragnell zeigte sich zufrieden mit dem Angebot von König Artus und teilte ihm die Antwort mit, die er und seine treuen Gefährten ein ganzes Jahr lang gesucht hatten.

Am festgesetzten Termin, ein Jahr und einen Tag später, erschien König Artus wieder im Wald von Inglewood. Sein Gegner Gromer Somer Joure erschien plötzlich vor dem König und forderte die Antwort auf die Frage, die ihn jahrelang um den Schlaf gebracht hatte. Artus überreichte ihm das Buch mit den gesammelten Antworten der Damen von Camelot. Gromer überflog den Text, lachte kurz und wies die Vorschläge allesamt zurück. Er brüllte: "Artus, bereitet Euch vor zu sterben."

Artus erwiderte rasch, "Wartet, ich habe noch eine Antwort."‌‌Gromer sprach, "Sagt an."

Also übermittelte Artus ihm die Antwort der fremden hässlichen Maid. ‌‌Wehmütig stöhnte Gromer: "Niemand außer meiner Schwester hätte Euch das sagen können! Möge sie ob dieses Verrats in der Hölle schmoren! Ihr seid nun frei, König Artus. Ich trete den Rückzug an."

Daraufhin kehrte Artus zu Ragnell zurück, die ihn bereits erwartete. Er brachte sie zu Sir Gawan am Hof von Camelot. Gawan sah sie fassungslos an, überwältigt von ihrer Hässlichkeit. Lady Ragnell fragte ihn: "Da meine Antwort Euren König und Euer Land befreien konnte, seid Ihr bereit, Euer Versprechen einzuhalten, mich zu heiraten?"

Schicksalsergeben und tapfer erwiderte Ritter Gawan: "Ja, Mylady, ich werde Euch morgen heiraten."

Als die Hofdamen erfuhren, dass der stattliche und begehrte Ritter mit einer so furchtbaren, sonderbaren Frau vermählt werden sollte, begannen sie zu weinen. Die übrigen Ritter der Tafelrunde waren ausnahmslos froh, nicht anstelle von Gawan zu dem Eheopfer berufen worden zu sein, und bedauerten ihren Mitbruder.‌‌
Lady Ragnell hatte ein öffentliches Hochzeitsfest verlangt, das für sie auch ausgerichtet wurde. Sie trug die kostbarsten Gewänder. Allerdings fanden alle dort anwesenden Adligen ihre Manieren abstoßend.

Um Mitternacht begab sich das Paar in ihre Schlafkammer. Gawan, der nur mit Widerwillen seine neue Frau berühren wollte, starrte auf das Kaminfeuer, bis ihr zugeraunter Wunsch an ihn bei ihm ankam, "Küss mich bitte."

Mutig willigte der Bräutigam ein, um sogleich zu entdecken, dass er eine strahlende Frau in seinen Armen hielt. Sprachlos tastete er ihr Gesicht ab. Schließlich fragte er sie: "Wie konnte dieses Wunder geschehen?"

Die Dame Ragnell, die nun nicht mehr die hässliche Jungfer war, enthüllte ihm: "Solange ich unter dem Fluch stand, habe ich geduldig gewartet, bis ich einen sanftmütigen Mann wie dich gefunden hatte, der mich heiratet. Das Wunder meines neu gewonnenen Liebreizes ist befristet, da der Bannspruch, der auf mir lastet, nicht vollständig entschärft wurde."

"Was kann ich tun, um Euch zu helfen?", beeilte sich Gawan zu fragen.‌‌
Sie antwortete: "Ihr könnt nichts weiter tun. Alles, was vonnöten war, habt Ihr bereits erfüllt, Gawan."‌‌
Gawan hakte nach: "Und wenn schon, mir ist es ein dringendes Anliegen, Euch von dem Fluch befreit zu sehen."
‌‌Sie prüfte ihn mit den Worten: "Nun denn, ich stelle Euch vor die Wahl: Wollt Ihr lieber, dass ich bei Nacht schön und bei Tag hässlich bin oder wollt Ihr mich als die Hässliche bei Nacht und die Schöne bei Tag? Entscheidet Euch."

Gawan kratzte sich am Kopf. Als er über den Lauf der Geschehnisse nachdachte, dämmerte es ihm, welche Antwort seinerseits nun angemessen war.‌‌ "Diese Entscheidung steht mir nicht zu, sie liegt bei Euch."

Zu Tränen gerührt, rief Lady Ragnell aus:‌‌ "Mylord, Ihr seid weise, edel und wahrhaftig. Ihr habt mir das gegeben,‌‌ was jede Frau wirklich will: ihre Souveränität, die Freiheit, über sich selbst zu bestimmen. Nun ist der Fluch ganz aufgehoben, und ich erscheine nicht mehr als die abscheuliche alte Vettel. ‌‌Ich entscheide mich, ab jetzt meinem Wesen gemäß als die schöne Maid zu leben."

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