Unter dem Vorwand einer “Friedensmission” entsandte der russische Präsident Wladimir Putin nach der Anerkennung der beiden “Volksrepubliken” Donezk und Luhansk in den östlichen Teil der Ukraine. Begründet wird das mit der fehlenden Kooperation der westlichen Welt, besonders des transatlantischen Militärbündnisses NATO sowie eine von russischer Seite betiteltem präfaschistischem Regime, welches eine reine Marionette westlicher Interessen sei. Seit einigen Tagen finden sich hiernach Kundgebungen und Solidaritäten mit dem ukrainischen Staat und seiner Bevölkerung, die einem ähnlichem dichotomen Weltbild verfallen sind, wie der Großteil der politischen Linken, deren Ideologie sich dem Tertium non datur bedient - der Satz des ausgeschlossenen Dritten. Die Russische Föderation unter Putin wird von Altkommunist*innen und vielen Friedensbewegten mit der Sowjetunion parallelisiert, hiernach also eine Solidarität abstrahiert, die die Veränderung objektiver Bedingungen nicht zwingend ignoriert, wohl aber dem eigenen Interesse nach auslegt. Auf der anderen Seite entwickelte sich eine Linke, die sich mehrheitlich in Führungspositionen sozialdemokratischer Parteien wie der SPD und der Linkspartei wiederfinden, die politisch eine antirussische Politik betreiben und im Namen einer liberalen Weltordnung politische Geschehnisse vereinfacht auf austauschbare Bilder reduzieren.
In der aktuellen Lage ist es schwierig, eine Position zu verteidigen, die von einer Gegenposition nicht in eine propagandistische Ecke gestellt wird: entweder man sei Putin-Versteher*in, oder ein*e Freund*in US-imperialistischer Bestrebungen. Dabei war und ist es nie so einfach gewesen. Dass man die Anerkennung der “Volksrepubliken” und den Angriff seitens Russland nicht als monokausale Entwicklung in einem luftleeren Raum betrachten kann, sollten nicht einmal bürgerliche Kräfte leugnen können. Ausschlaggebend ist jedoch die Verteidigung des eigenen Interesse, welches einem Narrativ folgt, das auf allen Seiten der eigenen Intention verhaftet verbreitet wird. Es ist eigentlich die historische und politische Pflicht der Linken, in jedem Konflikt für die Interessen der Schwächsten der Gesellschaft einzutreten, ungeachtet der Herkunft. Bei innerimperialistischen Konfrontationen, die nur vordergründig eine Diskrepanz zwischen Systemen darstellen, erweist sich die Mehrheit der Linken jedoch als treue Vasall*innen des eigenen Staates und der eigenen herrschenden Klasse; die Narration von liberalen und westlichen Werten hat eine materialistische Auffassung schon längst verdrängt.
So ist es nicht überraschend, dass sowohl Politiker*innen der SPD als auch der Linkspartei in Führungspositionen nahezu unisono die aggressive Entwicklung einseitig erklären, und die Reaktion als Ursache schlechterdings brandmarken. Der Eskalation in der Ukraine ist ein jahrelanges Tauziehen diplomatischer und kriegerischer Entwicklungen vorangegangen, die den jeweiligen militärischen Komplex in den Vordergrund stellten. Die von Russland postulierten Sicherheitsinteressen betrafen das Einstellen der Osterweiterung der NATO, welches vom westlichen Kriegsbündnis jedoch schon längst mit Fakten konterkariert wurde, spätestens als 2008 Georgien und der Ukraine in Aussicht gestellt wurde, Teil des Kriegsbündnisses werden zu können. Die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion postulierten Versprechen, die NATO werde nicht nach Osten expandieren, ist daher als Affront zu verstehen. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch nicht, die Interessen der Russischen Föderation zu verteidigen, sondern eine Kritik zu formulieren, die sich vom Joch der bürgerlichen Dichotomie befreien muss.
Ob die Ukraine nun ein Produkt bolschewistischer Politik ist, oder deren Nationalität davor schon in Entwicklung war, ist für den nun entstandenen Staat nicht von Belang und hilft auch nicht für ein konsequent linkes Verständnis, das nun an den Tag gelegt werden muss. Erstaunlicherweise beweist die Linkspartei kein Verständnis für eine materialistische und klassenpolitische Analyse des Krieges: so wurde der Landesverband Berlin der Linksjugend [‘solid] sowohl vom Bundesverband als auch Vertreter*innen der Linkspartei eben dafür getadelt. Wer die Auflösung der NATO fordere, ist in deren Augen ein Freund Putins und dessen Aggression. Dieses radikal reduzierte Verständnis von politischen Komplexitäten führt schlechterdings zu Bündnissen, die an die Zeit von 1914 erinnert, als die damals größte sozialistische Partei, die SPD, zur Verteidigung des Vaterlands aufrief. Wenngleich die BRD nicht direkt im Krieg involviert ist, ist sie als Mitglied der NATO, als Waffenlieferantin und Kriegsmaterialproduzentin Teil des Konfliktes. Wenn nun also selbsternannte Sozialist*innen Hand in Hand mit bürgerlichen und rechten Kräften die Solidarität mit der Ukraine aussprechen und ein Verständnis für das nationale und internationale Militär formulieren, müssen die Alarmglocken schrillen.
Das größte Opfer eines jeden Krieges ist immer die Bevölkerung, besonders die Arbeiter*innenklasse. Im konkreten Fall des Ukraine prallen verschiedene imperialistische Interessen aufeinander. Die drittgrößte ehemalige Sowjetrepublik ist für Russland von geostrategischem Interesse, so auch für die NATO und die westliche Welt. Gleichzeitig darf die Separation der östlichen Gebieten nicht als rein propagandistische Tat verstanden werden, sondern muss im Angesicht des Selbstbestimmungsrechts der Völker genauer betrachtet werden. Besonders, da zu Beginn der Bewegung 2014 die Bevölkerung der Ostukraine basisdemokratische Räte aufbaute, die jedoch von bürgerlichen Kräften instrumentalisiert wurden. Dass die “Volksrepubliken” die Anerkennung durch Russland bejubeln, ist unter diesen Prämissen verständlich, obgleich das Interesse Russlands nicht im Einklang mit der Arbeiter*innenklasse der “Volksrepubliken” steht. Karl Liebknecht formulierte 1915, dass der Hauptfeind immer im eigen Land stehe; das scheint die Linkspartei, die sich auf seine Tradition bezieht, vollends vergessen zu haben. Solidarität mit der Ukraine ist nur eine leere Phrase, wenn nicht ausbuchstabiert wird, was darunter verstanden wird. Denn dass faschistische Kräfte seit dem Putsch 2014 direkt oder indirekt an Auseiandersetzungen und der Regierung beteiligt sind, ist nicht wegzudiskutieren. In den Farben der ukrainischen Flagge gehüllt solidarisch mit der Bevölkerung sein ist dabei mehr als zynisch.
Dringender ist es, den Militärkomplex im eigenen Land zu kritisieren und den entpolitisierten Pazifismus durch einen konsequenten Antimilitarismus zu ersetzen. Die Aufgabe hat die deutsche Bevölkerung in der BRD, die ukrainische und russische in deren Ländern. Die politische Linke mit ihrem internationalistischem Anspruch muss die Appelle und Aktionen darauf richten, gegen die eigene herrschende Klasse aufzubegehren und ein Ende des Krieges einzufordern. Imperialistische Interessen auf allen Seiten sind die ursprüngliche Ursache des Krieges in der Ukraine, und nicht fehlender Dialog oder eine versagte Diplomatie. Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Regenwolke das Wasser. Antimilitaristische Propaganda muss genau darauf abzielen, die Arbeiter*innenklasse zu erziehen und zu ermutigen, die eigene Regierung zu bestreiken, in der Rüstungsindustrie, im Betrieb, im Militär. Bomben, die auf Millionenstädte fallen, treffen nicht die herrschende Klasse, sondern die Arbeiter*innenklasse, die Unterdrückten der Gesellschaft. Nie wieder Krieg muss in einen Kampf gegen die Unterdrücker*innen münden, das heißt den imperialistischen Krieg in jeder Ausführung in einen Klassenkampf übersetzen. Die politische Linke hat die historisch-politische Aufgabe dazu, doch zeigt sich einmal mehr ihr Versagen darin, wenn es darauf ankommt. Weder Putin noch NATO, weder westliche noch russische Interessen!