Wir sind verwundbar. Die Pandemie hat uns nur einen Vorgeschmack dafür gegeben, wie sensibel unsere Wirtschaft für einzelne Probleme sind. Die Halbleiterbranche gilt zwar als Rückgrad der Gesellschaft, steht aber auf tönernen Füßen - im Zweifel auf wenigen einzelnen Produktionsstandorten.
Die Welt hat sich in weniger als einer Generation fundamental verändert. Der Alltag jedes einzelnen ist geprägt von smarten Geräten, Kommunikation rund um den Globus ist alltäglich, das Wissen der Welt nur eine Suchmaschinen-Suche entfernt. So selbstverständlich das alles geworden ist, exponentielle Leistungssteigerungen nach dem Moorschen Gesetz uns immer kleinere, schnellere und effizientere Geräte kaufen lassen, so abhängig sind wir davon geworden. Sicherlich wäre vieles in unserer Gesellschaft ohne diese Technologie nicht möglich, sie hat einiges an Wohlstand geschaffen, auf den wir nicht ohne weiteres verzichten können.
Während der Corona-Pandemie kam es infolge einer großen Nachfrage nach Elektronik zu einem Lieferengpass von Halbleiterprodukten. Gerade in den komplexen und langen Lieferketten ist vieles bis ins letzte optimiert, und dadurch anfällig für Störungen. An der Wurzel von Sensoren, Prozessoren, Bildschirmen, Speichermedien und so vielem mehr sind die Halbleitersubstrate: häufig monokristallines Silizium oder Galliumarsenid. Silizium ist an sich kein seltener Rohstoff. Es wird aus Quarzsand gewonnen, und ist beispielsweise auch ein wichtiger Bestandteil von Glas. Um das Element in Chips verwenden zu können, muss es zum einen hoch rein sein: von 10 Millionen Atomen darf weniger als eines ein Fremdstoff sein. Das allein ist eine technologische Herausforderung die viel Know-How erfordert, und sehr spezielle Verfahren und Werkzeuge erfordert. Doch die Reinheit des Rohstoffs ist nur der erste Schritt.
Für die meisten Anwendungen wird monokristallines Silizium verwendet, doch was heißt das? Man verwendet Siliziumkristalle, das heißt, die Siliziumatome sind regelmäßig angeordnet. Sie haben eine perfekte Struktur, also immer den gleichen Abstand zum Nachbarn. Wenn man sich vorstellt, das ein Siliziumatom ein Legostein ist, dann wäre ein Siliziumkristall von wenigen Gramm so groß wie ein gigantischer zusammengsetzter Legowürfel aus 1 cm großen Steinchen mit einer Kantenlänge von über 1000 Kilometern. Und hier kommt die technische Herausforderung: Dieser gigantische Legowürfel darf fast keine Fehler aufweisen: Jeder Bruch, jedes vergessene oder falsch gesetzte Steinchen verändert die Eigenschaft des gesamten Kristalls. Hier ist also schon die zweite techologische Herausforderung: Die Wafer, also die Bauteile die aus diesem monokristallinem und hochreinen Silizium bestehen, dürfen fast keine Fehler aufweisen. Auch dafür gibt es aufwändige und sehr spezielle Verfahren, die nur sehr wenige Unternehmen auf der Welt beherrschen.
Technisch werden meterlange Kristalle mit durchmessern von ca 20-30 cm gezogen, sozusagen gezüchtet. Das bemerkenswerte daran ist, dass dieses große Objekt im wesentlichen aus einer quasi perfekten Struktur besteht. Jedes einzelne der zahlreichen Siliziumatome sitzt genau auf seinem Platz. Die Zahl der Atome eines solchen Siliziumkristalls ist hierbei eine 1 mit ca 25 Nullen!
Hat man einmal diesen Kristall geschaffen, muss man die Wafer herstellen. Wafer sind sozusagen das Papier, auf dem der Schriftsteller seine Werke schafft. Sie sind die Basis für alle Schaltkreise. Auf den Wafern werden die Schaltkreise geschrieben. In der Regel sind es runde Scheiben mit einem Durchmesser von 20-30 cm und sind etwa einen Milimeter dick. Aus der genannten Meterlangen Siliziumkristall-Wurst, die man gezüchtet hat, muss man jetzt also Milimeterdicke Scheiben schneiden. Das Problem daran: Man stelle sich unseren gigantischen Legobau aus Steinen vor: Wenn man nun mit einer Säge den Klotz zerteilt, ist es einleuchtend, dass die Steine am Rand ihre Ordnung verlieren: Die Säge reist Steine aus, Druck und Zug belasten das Material, und man muss darauf achten, keine Risse oder Brüche zu erzeugen. Der Wafer, also die Siliziumscheibe darf am Ende kaum einen Fehler aufweisen, und muss fast perfekt glatt sein. Auch dieser Prozess ist sehr aufwändig, erfordert viel Know-How und sehr spezielle Werkzeuge.
Nun haben wir also den Rohstoff der Halbleiterindustrie geschaffen. Diese Wafer kann man grundsätzlich für sehr vielfältige Anwendungen gebrauchen: Von Sensoren wie Kameras bis hin zu Prozessoren entsteht fast alles, was mit Elektronik zu tun hat, aus diesen Wafern. Die Kunst ist dann, sie zu beschreiben. Um zurück zum Beispiel Lego zu kommen: Unser gigantischer Legoklotz ist nur die Grundplatte, auf dem man alles aufbaut. Man kann auf der Platte eine Lego-Feuerwache bauen, ein Lego-Fußballstadion, ein Lego-Eifelturm... Das Chipdesign fängt im wesentlichen erst hier an. Hier zeigt sich aber auch schon ein Problem: Gibt es ein Problem mit der Wafer-Herstellung, beeinflusst das alle Anwendungen. Fehlen die Wafer, kann man weder Handy-Kamera-Sensoren bauen, noch Bordcomputer für Autos oder Flashspeicher für USB-Sticks. Bisher war auch nur die Rede von Silizium. Natürlich gibt es auch andere Substrat-Materialien, die alle so leicht verfügbar sind wie Silizium.
Nun aber zum nächsten Schritt. Wie schon gesagt, sind die Wafer das für die Mikroelektronik, was Papier für Schriftsteller (über Jahrhunderte war). Tatsächlich spricht man auch von Lithographie, wenn man die Schaltkreis-Struktur auf den Wafer aufbringt. Ein Laser bringt dabei winzige Strukturen auf den Wafer auf. Dabei ist auch etwas Chemie nötig, aber die genauen Abläufe führten hier zu weit. Die Lithographie allein ist eine weitere Wissenschaft für sich. Beispielsweise ist die neuste Generation der Chipherstellungsverfahren mit extrem kurzwelligem UV-Licht (EUV) dank zweier deutscher Laser- und Optikspezialisten und einem niederländischen Anlagenbauer möglich geworden. Dieses Konsortium ist faktisch konkurrenzlos in seiner Technologie. Die Technologie ist so komplex, dass kein anderes Unternehmen der Welt in der Lage ist, die Maschinen zu bauen, die notwendig sind, um die Lithogroaphie zu bewerkstelligen. Letzlich können damit Stukturen geschaffen werden, die kleiner als 10 nm groß sind - das sind gerademal einige dutzend Atomlagen! Das macht die Analgen aber auch entsprechend teuer. Auch wirtschaftlich müssen die Anlagen voll ausgelastet sein, damit sie sich rechnen. So gibt es auf der Welt nur eine Handvoll Firmen die in ihren Fabriken solche Anlagen betreiben.
Bisher haben wir gesehen, dass aufgrund der Komplexität der Herstellungsprozesse nur wenige Firmen in der Lage sind, die Grundstoffe der Halbleiterbauelemente zu produzieren, und letztlich die Schaltkreise herzustellen. Dabei haben wir bisher noch gar nicht betrachtet, wer die Chips designt - wir haben bisher über Papier (Wafer), Tinte und Füller (Lithographie) geredet, aber noch gar nicht über die Schriftsteller. Wenn man Prozessoren mit dutzenden Milliarden Transistoren designt, oder Sensoren mit Millionen hoch-sensiblen Pixeln im Handy haben will, dann braucht auch das viel Know-How. Geopolitisch ist das Chipdesign zwar nicht ganz so anfällig wie die Fertigung, dennoch wesentlicher Teil der Wertschöpfung.
Schließlich haben wir den geopolitischen Aspekt kaum diskutiert. Die globale Produktion von Chips fußt im wesentlichen auf wenigen Firmen. Was aber die modernsten besonders kleinen Schaltkreise angeht, bleibt im wesentlichen ein Unternehmen, dass überwiegend in Taiwan produziert. Die Abhängigkeit der Welt von dieser Firma wird noch pikanter, wenn man sich daran erinnert, wie die Volksrepublik unverholen Ansprüche an die Insel Taiwan vertritt und droht durchzusetzten. Eine weiterer Abhängikeit entsteht durch die Rohstoffe. Selbst wenn wir es in Europa schafften, eine Chipfertigung aufzubauen, sind wir noch immer nicht frei von der Beschaffung der Ausgangsstoffe. Für viele Chipdesigns sind seltene Rohstoffe notwendig. Die Weltweite Produktion von Germanium und Gallium werden zu 80% von der Volksrepublik gefördert. Auch in anderen Anwendungen als Chips sind seltene Mineralien entscheidend. Gerade hier hat China aber nicht nur große Vorkommen, sondern in Unternehmen, die im Abbau solcher Rohstoffe spezialisiert sind, eine Monopolstellung. Einige kritische Mineralien werden fast ausschließlich von chinesischen Firmen abgebaut. Selbst wenn also Vorkommen nicht in der Volksrepublik liegen, hat die kommunistische Partei einen entscheidenden Einfluss über deren Verfügbarkeit.
Selbst wenn Europa es sich leistet, eine eigene Chipproduktion aufzubauen, ist unser Nachschub nicht garantiert, und wir weiterhin nicht unabhängig von der Volksrepublik. Es stellt sich also die Frage, ob dieser große Schritt - der nicht unerhebliche Anstrengungen erforderte - uns absichert. Vielmehr stellt sich die Frage, mit welchen Mitteln wir dafür sorgen können, dass unsere Abhängigkeit uns nicht zum Nachteil wird: Auch Europa ist Quelle von Rohstoffen und Technologien, von denen andere abhängig sind. Dieses Potential und den Einfluss kann man nutzen, und wir sollten uns Gedanken machen, welche Strategie wir verfolgen wollen. Denn eines ist sicher: wir können nicht alles selbst machen, Rohstoffe werden wir teilweise immer importieren müssen.
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