In Österreich sind innerhalb der ersten 19 Wochen 12 Frauen von ihrem (Ex-)Partner ermordet worden. Erschossen, erstochen oder erwürgt. Alle 1,5 Wochen eine. Setzt sich der Trend fort, werden es am Ende des Jahres etwa 35 sein, in den letzten Jahren waren es jeweils an die 40. Ein europaweiter Spitzenwert, auf den so gar niemand stolz ist. Die Regierung verspricht Abhilfe, Opferschutzzentren werden finanziell besser ausgestattet (nachdem man die Finanzierung Jahre zuvor drastisch gekürzt hatte), die Zusammenarbeit zwischen Behörden verstärkt, sogenannte Fallkonferenzen wieder eingeführt, eine Fussfessel für Weggewiesene erwägt. Doch wird das reichen?
Die meisten der Täter waren den Behörden vorher nicht bekannt, mit Ausnahme vielleicht jenes Wirtes aus Wien, der eine Politikerin verbal über Facebook frauenfeindlich angegriffen hat/haben soll und sie dann verklagt hatte, weil sie seine verbalen Ergüsse öffentlich gemacht hatte. Nun hat er der Mutter seiner beiden Kinder in den Kopf geschossen.
Auffällig ist auch, dass viele Taten in den frühen Morgenstunden begangen werden. Das muss man sich mal vorstellen: da wartet einer, bis seine vier Kinder in der Früh zur Schule aufgebrochen sind, saß mit ihnen wahrscheinlich sogar noch am Frühstückstisch, gab ihnen einen Abschiedskuss, und sticht dann mehrmals auf seine Frau - die Mutter der Kinder - ein! Von einer Tat im Affekt kann da wahrlich nicht mehr gesprochen werden!
Wie kommt es dazu? Was veranlasst Männer, ihren (Ex-)Frauen ihr Recht auf Leben abzusprechen, weil sie es wagen, eine meist gewalttätige Beziehung zu beenden, eine vermeindliche (oder tatsächliche) Affäre oder einfach nur eine eigene Meinung haben? Ihren Kindern lebenslang mit einem Schlag sowohl Mutter als auch Vater zu nehmen? Den Rest des eigenen Lebens hinter Gitter zu verbringen, nur um etwas auszugleichen? Ja was eigentlich? Höchstwahrscheinlich eine Kränkung!
Reinhard Haller, Österreichs renommiertester Gerichtspsychiater, ist der Meinung, nahezu jedem menschlichen Problem liege eine Kränkung zugrunde. Sie greifen unser Selbstwertgefühl, unsere Selbstachtung an, unser Ehrgefühl, sie machen uns tatsächlich "krank". Nicht umsonst sagt man "krank vor Eifersucht". Sie fressen sich in unser Denken und bestimmen dieses immer mehr - oft noch Jahrzehnte später. Wenn ein Mann alles in Kauf nimmt, nur um eine erlittene Kränkung durch seine (Ex-)Frau auszugleichen, dann hat die Kränkung ihre größte Macht entfaltet! In seinem Bestseller "Die Macht der Kränkung" zeigt Haller allerdings viele Möglichkeiten auf, wie man mit einer erlittenen Kränkung umgehen und sie entschärfen kann.
Dieses Wissen sollte bereits im Kindergarten einfließen und in der Schule zum Pflichtfach werden. Jungen (und selbstverständlich auch Mädchen) sollten lernen, eine Kränkung zu erkennen und ausgleichend damit umzugehen. Das fällt besonders den Jungen schwer, gilt es doch nach wie vor als "unmännlich", eine Kränkung anzusprechen und einen Ausgleich zu suchen. Und an Kränkungen mangelt es den Jungen wahrlich nicht: das kindliche/jugendliche Fass wird laufend mit wahlweise unerwünschten Bemutterungen oder Zurechtweisungen der Mutter, Unnahbarkeit oder Drill des Vaters, Hänselungen der "Freunde" und Abweisungen des weiblichen Geschlechts gefüllt. Da kann es schnell mal ziemlich voll werden, das Fass.
Besonders toxisch wird die Kränkungssuppe, wenn auch noch die Klaviatur der Kollektivkränkung gespielt wird. Aktuell wieder deutlich zu sehen im immer wieder hochkochenden Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis, bei dem sich in den Straßenschlachten ausschließlich junge Männer beider Lager gegenüberstehen. Überall auf der Welt gehen junge Männer auf die Straße oder auf andere los, für Kränkungen, die sie nicht mal selbst erlitten haben, sondern ihre Großväter, Urgroßväter. Im Falle des serbisch/kosovarischen Konflikts sogar ihre Ururururururururururururururgroßväter, in der Schlacht am Amselfeld Ende des 14. Jahrhunderts. Warum tun sie das? Weil es ihnen vorgelebt wurde/wird und sie es als ihre patrioritsche/völkische Pflicht ansehen!
Kein Wunder, dass bei dem einen oder anderen das Fass übergeht. Leider ist die Ehefrau/Exfrau oft das notwendige Ventil, einzig weil sie meist unmittelbar verfügbar ist. Um den Druck zu entlasten, ist ihnen jedes Mittel recht, auch wenn sie einen hohen Preis dafür bezahlen. Eigentlich bemittleidenswert.
Und genau das ist es, was viele in ihren Kränkungen gefangenen Männer auch brauchen würden: Mitgefühl und Hilfe, statt Verteufelungen und Vorverurteilungen. Denn die medial geführte Verhetzung ALLER Männer als potentielle frauenmordende Monster ist nur eine weitere Kränkung, die unbewältigt bleibt. Und den einen oder anderen vielleicht dazu bringt, irgendwann dem Stereotyp tatsächlich gerecht zu werden, um endlich den Druck aus dem Fass zu nehmen.