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Die Wirtschaftsordnung in den Industrieländern ist im Wandel. Bestimmten bis in die 1980er Jahre die Gütermärkte die wirtschaftliche Entwicklung, trieben seit den 1990er Jahren die Finanzmärkte überschwängliche Boom-Phasen, die in dramatische Krisen mündeten. Die japanische Finanzmarktkrise (1998), das Platzen der Dotcom-Blase (2000), die US-Hypothekenmarkt-Krise (ab 2007) und die europäische Finanz- und Schuldenkrise (ab 2008) waren wichtige Zäsuren. Seit der Corona-Krise und der Diskussion um den Klimawandel gibt es einem neuen Krisen-Typ: Der Staat identifiziert zukünftige Krisen und reißt vorsorglich das Ruder herum. Die wirtschaftspolitische Wende zieht eine Wirtschafts- und Finanzkrise nach sich, die weitere wirtschaftspolitische Therapien notwendig macht.

Gemeinsam ist allen Krisentypen, dass das Eingreifen des Staates gefordert und weithin gebilligt wird, weil die Eingriffe als alternativlos angesehen werden. Das Instrumentarium ist vielfältig: Konjunkturprogramme, Zinssenkungen, Staatskredite, Kapitalspritzen, Kurzarbeitergeld, Anleihekäufe der Zentralbanken, Subventionen für strategische Industrien oder die staatliche gelenkte Allokation der Ersparnisse. Dem Gestaltungswillen und der Gestaltungsmacht der Staaten scheinen keine Grenzen gesetzt. Folgt daraus ein grundsätzlicher Wandel in unserer Wirtschaftsordnung?

Friedrich August von Hayek (1967, 1980) liefert mit seiner Ordnungstheorie einen Rahmen für eine Antwort: In einer gewachsenen oder spontanen Ordnung („Kosmos“) verfolgen Individuen im Rahmen abstrakter Regeln ihre eigenen Pläne. Abstrakte Regeln werden in Form von Verboten formuliert, die allgemeingültig sind und keine Privilegien zulassen. Welches Ergebnis daraus entsteht, ist nur schwer oder gar nicht vorhersehbar, denn es hängt von Handeln der Individuen und vielen spezifischen Umständen ab. Die spontane Ordnung ist eine Anpassung an eine große Zahl an Einzeltatsachen, die in ihrer Gesamtheit keiner Einzelperson bekannt sind. Sie kann komplex sein, weil sie nicht auf die intellektuellen und ordnenden Fähigkeiten einer Einzelperson oder Institution beschränkt ist. In einer Marktwirtschaft sorgen freie Preise für die Anpassung der unterschiedlichen individuellen Pläne (Hayek 1945).

Die erzeugte oder geplante Ordnung entsteht hingegen, wenn die Teile nach einem vorgefassten Plan in Beziehung zueinander gebracht werden. Sie beruht auf einer Anordnung (mittels Befehl) und ist Ergebnis einer ordnenden Instanz. (In den sozialistischen Planwirtschaften wurden von der Partei langfristige Ziele gesetzt, auf die die Allokation der Ressourcen ausgerichtet wurde.) Es existieren konkrete Regeln in Form von Geboten. Die Möglichkeit individuelle Ziele mit eigenen Mitteln innerhalb bestimmter Regeln zu verfolgen wird zugunsten einer angestrebten Ergebnisgerechtigkeit eingeschränkt. „Solche Ordnungen sind relativ einfach oder müssen zumindest auf ein so bescheidenes Maß an Komplexität beschränkt sein, damit der Ordnende sie noch überblicken kann.“ (Hayek 1980, 40). Sie dienen nach Hayek einem Zweck des Ordnenden, denn sie wurden ja vorsätzlich erzeugt.

Wenn es im Verlauf einer Krise zu staatlichen Eingriffen kommt, können Regelwerk und Ordnung verändert werden. Beispielweise wurde in der globalen Finanzkrise das marktwirtschaftliche Grundprinzip der Haftung außer Kraft gesetzt, weil Finanzinstitute gerettet wurden, die vorher spekuliert hatten und nicht für ihre Fehlentscheidungen gehaftet haben (Freytag und Schnabl 2017). Die Leitzinsen werden seither von vielen Zentralbanken nahe, bei oder unter null gehalten, so dass die Signal- und Allokationsfunktion von Zinsen – die gute von schlechten Investitionsprojekten trennt – nicht mehr wirken kann.

Geschäftserwartungen: Hotel- und Restaurantgewerbe sowie Produzierendes Gewerbe

In der Corona-Krise hat der Staat die Reinigungsfunktion der Krise außer Kraft gesetzt. Denn eine Krise war ohnehin zu erwarten. Auf einen starken Abschwung in der Industrie hatte bereits seit 2019 der ifo-Geschäftsklimaindex klar hingewiesen (siehe Abbildung). Man befand sich am Ende einer der längsten Aufschwung-Phasen der Nachkriegszeit. Die per Verordnung erzwungene Schließung einzelner Geschäftsbereiche (Lockdowns), hat nicht nur die Krise ausgelöst und verstärkt, sondern auch die beispiellosen Rettungsmaßnahmen des Staates gerechtfertigt. In einer Marktwirtschaft hätte die Krise Restrukturierungen und einen Auslegeprozess erzwungen, der nun aufgrund der umfangreichen Rettungsaktionen von Staaten und Zentralbanken weitgehend ausgeblieben ist. Auch die von manchen Beobachtern erwartete globale Finanzkrise wurde von den Corona-Notprogrammen der Zentralbanken im Eiltempo abgewendet.

Gleichzeitig scheint die Corona-Krise beim Staat den Wunsch nach Gestaltung befördert zu haben. Mit den selektiven Lockdowns wurden Zahlungsströme von den zwangsgeschlossenen Branchen (Hotels, Gaststätten, Touristik, Kultur, Einzelhandel) zu den nicht geschlossenen Branchen (Produzierendes Gewerbe, Bauwirtschaft, Onlinehandel, Finanzwirtschaft) umgelenkt. Die durch das Schließen von Dienstleistungsbetrieben erzwungenen Ersparnisse wurden teils für den Kauf langlebiger Konsumgüter und für Anlagen auf den Finanzmärkten eingesetzt. Das könnte maßgeblich sowohl die schnelle Verbesserung des Geschäftsklimas beim produzierenden Gewerbe (Abbildung) als auch neue Höchststände auf den Aktienmärkten erklären.

Im Zuge der angestrebten Klimarettung fördern Staaten nicht nur bestimmte Industrien oder Technologien (z.B. Windräder und Elektroautos), sondern es sollen mit Hilfe der EZB die gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse in grüne Investitionen gelenkt werden. Was „grün“ ist, will beispielsweise die Europäische Kommission durch eine Taxonomie entscheiden. Einzelne Akteure, die darüber entscheiden, wie grün eine Anlage ist, erhalten große wirtschaftliche Macht. Wiederauferstanden ist auch die strategische Industriepolitik. So will EU Binnenmarktkommissar Breton große Unternehmen fördern, um die Produktion in der EU zu stärken. Bundeswirtschaftsminister Altmaier und die (begünstigte?) Industrie applaudieren.

Die Aufhebung des Haftungsprinzips, das Aussetzen der dezentralen Allokationsfunktion von Zinsen sowie direkte Eingriffe in den Wettbewerb im Zuge von Krisen verändern die Ordnung. Walter Euckens (1952) konstituierende Prinzipien der Marktwirtschaft wie Haftung, freier Wettbewerb, Vertragsfreiheit und Privateigentum werden immer mehr außer Kraft gesetzt. Der Staat schafft für die Begünstigten der Rettungsmaßnahmen und Rettungsregulierungen unerwartete Gewinnmöglichkeiten, was Spekulation und Lobbyismus begünstigt. Der zunehmende Taktschlag von neuen – oft mit heißer Nadel gestrickten – Gesetzen und Verordnungen steht im Widerspruch zu Euckens (1952) Konstanz der Wirtschaftspolitik, mit der stabile Erwartungen für Investitionsentscheidungen geschaffen werden sollten. Die stabilisierende Wirkung von freien Märkten und Preisen geht verloren. Im Kreuzfeuer der staatlichen Interventionen schwächelt das Wachstum. Die Unzufriedenheit vieler Nichtbegünstigter wächst.

Hayek (1989) hätte wohl viele der politischen Entscheidungen „zum Wohle aller“ als Anmaßung von Wissen gesehen. Hinsichtlich des Strebens von Politikern nach Verteilungsgerechtigkeit hatte Hayek argumentiert: „die ganze Vorstellung, daß wir die konkreten Ergebnisse einer spontanen Ordnung so korrigieren können, dass sie einer Verteilungsgerechtigkeit entsprechen, steht in einem unauflösbaren Widerspruch zu dem, was diese spontane Ordnung für die Gesamtheit vorteilhaft macht, nämlich, daß sie Wissen nutzt, das den Anordnern nicht zur Verfügung steht.“  (Hayek 1967). Der schottische Sozialphilosoph Adam Smith (1776) hatte einst argumentiert, dass der Einzelne das Interesse der Gesellschaft wirksamer fördere, wenn er sein eigenes Interesse verfolgt. Er habe nie gehört, dass die diejenigen viel Gutes bewirkt hätten, die vorgaben, im Interesse des allgemeinen Besten zu handeln.

Denn nach (Hayek 1968) es ist eine der Hauptaufgaben des Wettbewerbs, zu zeigen, welche Pläne falsch sind. Durch die Markteingriffe des Staates wird der Wettbewerb außer Kraft gesetzt. Es werden Verzerrungen geschaffen und zementiert. Die Wirtschafts- und Innovationskraft, die notwendig ist, um die negativen Effekte menschlichen Handelns z.B. auf die Umwelt zu vermeiden, wird durch das immer weiter fortschreitende Aushebeln der spontanen Ordnung – wohl zugunsten einer Art grünen Planwirtschaft – ausgebremst. Die anhaltend niedrigen Zinsen fördern den Konsum und damit den ungezügelten Verbrauch von knappen Ressourcen. Erweisen sich am Ende die Pläne des Staates als falsch und müssen die vom Staat bewirkten Investitionsprojekte abgebrochen werden, dann könnte eine immense Verschwendung von Ressourcen sichtbar werden, die allem anderen, nur nicht dem Schutze der Umwelt dient.

Literatur

Eucken, Walter (1952) Grundzüge der Wirtschaftspolitik. Tübingen and Zürich: Mohr und Polygraphischer Verlag.

Freytag, Andreas / Schnabl, Gunther (2017): Monetary Policy Crisis Management as a Threat to Economic Order. Credit and Capital Markets 50, 2, 151-169.

Hayek, Friedrich August von (1945): The Use of Knowledge in Society. American Economic Review, 25, 4, 519-530.

Hayek, Friedrich August von (1967). Rechtsordnung und Handelsordnung. In: Aufsätze zur Ordnungsökonomik, Bd. A4 d. Reihe Friedrich A. von Hayek – Gesammelte Schriften in deutscher Sprache. Mohr Siebeck, Tübingen, 35-73.

Hayek, Friedrich August von (1968): Wettbewerb als Entdeckungsverfahren. In: Freiburger Studien, Tübingen 1969, 249-265.

Hayek, Friedrich August von (1980). Recht, Gesetz und Freiheit: In: Bd. 4, Abteilung B d. Reihe Friedrich A. von Hayek – Gesammelte Schriften in deutscher Sprache. Mohr Siebeck, Tübingen.

Hayek, Friedrich August von (1989): The Pretence of Knowledge. Nobel Memorial Lecture, December 11, 1974. American Economic Review 79, 6, 3-6.

Smith, Adam (1776): An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, London.