Facebooks Projekt einer internationalen Währung namens Libra scheint ins Stocken geraten zu sein. Wichtige Unterstützer wie Mastercard, Visa und Paypal sind abgesprungen. Man sollte sich jedoch nicht der Illusion hingeben, das sei der Anfang vom Ende des Projekts. Dazu ist es geostrategisch für die USA viel zu wichtig. In einem Zweiteiler will ich zunächst analysieren, wer die Gründungsmitglieder sind, die der Libra-Association am 15.10. als Gründungsmitglieder beigetreten sind, was die prominenten Absprünge bedeuten und was letztlich das Ziel von Libra ist.

Was ist Libra?

In meinem Buch „Schönes neues Geld“ warne ich im Untertitel vor einer neuen totalitären Weltwährung. Deswegen verfolge ich die Facebook-Pläne für eine neue Währung natürlich besonders aufmerksam. Es ist definitiv ein Projekt in diese Richtung.

Das Libra-Zahlungsverkehrssystem soll von einer Libra Association in Genf verwaltet werden. Dem Weißbuch der Association zufolge darf man sich Libra in etwa so vorstellen, wie ein zentral verwaltetes Bitcoin-System. Transaktionen werden in eine öffentlich einsehbare Blockchain geschrieben. Anders als beim Bitcoin kann nicht jeder Teilnehmer des Systems Transaktionen verifizieren, sondern nur dazu ermächtigte Mitglieder der Libra Association. Es ist also eine zentralisierte Blockchain, keine dezentrale wie die von Bitcoin. Der Clou ist die Bindung an einen Währungskorb. Sie soll problematische Wertschwankungen wie die von Bitcoin auf ein Minimum reduzieren. Wenn jemand eine neue Libra-Münze kauft, legt die Libra Association den Kaufpreis in Bankguthaben oder sicheren Staatsanleihen der Korbwährungen an. So stellt sie sicher, dass genügend Geld vorhanden ist, um allen Libra-Nutzern den festgelegten Gegenwert zurückzuzahlen.

Warum sind Visa, Mastercard und Paypal ausgestiegen?

Als 21 Gründungsmitglieder am 15.10. ihre Mitgliedschaft in der Libra Association besiegelten, waren mit Visa, Mastercard und Paypal drei der prominentesten vorläufigen Gründungsmitglieder nicht mehr mit dabei. Sie hatten sich zurückgezogen, weil starker Druck auf sie ausgeübt worden war. Die drei sind hochprofitable, multinational dominante Zahlungsverkehrsabwickler. Als solche sind sie auf gute Beziehungen zu Regulierern in aller Welt angewiesen. Ihnen wurde die Möglichkeit vor Augen geführt, dass sie als Mitverantwortliche für Libra auch mit ihren eigenen Aktivitäten in Schwierigkeiten mit Regulierern kommen könnten, wenn das Projekt, getreu dem Facebook-Motto „Move fast and break things“ die internationale Reguliererszene gegen sich aufbringen sollte.

Ohnehin muss die US-Regierung derzeit immer häufiger die Brechstange herausholen, um Regierungen von Gesetzesplänen abzubringen, die Visa und Mastercard nötigen würden, die im jeweiligen Land anfallenden Zahlungsverkehrsdaten auch in diesem Land zu speichern, und nicht in den USA. Das würde den Zugriff von Regierungsstellen und Geheimdiensten auf weltweite Zahlungsverkehrsdaten empfindlich stören. Mit der Drohung, Handelsvorteile zu entziehen, wurde Indonesien jüngst genötigt, die Kreditkartenanbieter von einer neuen Regel auszunehmen, die das verlangt. In Indien glückte das nicht. Indien verlor daraufhin Handelsvorteile. Einen Nachweis für einen ursächlichen Zusammenhang gibt es allerdings nicht. Auch mit Vietnam wird um Datenschutzanforderungen für Visa und Mastercard gerungen.

Unter diesen Umständen ist es sehr verständlich, dass Mastercard und Visa, ebenso wie Paypal und vermutlich auch die US-Regierung, nicht wollen, dass die für die US-Dominanz im weltweiten Zahlungsverkehr und die US-Überwachungskapazität so wichtigen Unternehmen auch noch als maßgebliche Treiber des Libra-Projekts in die Schusslinie kommen. Dem steht ja nicht unbedingt entgegen, dass man im Hintergrund vertrauensvoll mit Libra zusammenarbeitet.

Warum gibt es so viel Widerstand gegen Libra?

Eine stabile Währung, die von einem Konsortium von großen multinationalen Unternehmen mit riesiger Kundenbasis betrieben wird, stellt eine ernsthafte Konkurrenz für nationale Währungen dar, vor allem für kleinere Länder. Aber auch die Regierungen und Notenbanken der größeren Länder befürchten, ihrer geldpolitischen Steuerungsmöglichkeiten teilweise beraubt zu werden, wenn ein wesentlicher Teil des Zahlungsverkehrs über eine Währung läuft, die sie nicht kontrollieren. Eine eigene Währung ist ein wesentlicher Bestandteil der nationalen Souveränität. Wie man besonders gut sehen kann, seit US-Präsident Donald Trump das Schwert der Finanzsanktionen unablässig und fast gegen jeden schwingt, ist die Kontrolle fremden Zahlungsverkehrs, wie ihn die USA über den Dollar ausüben können, ein sehr starkes Machtmittel.

Wer kontrolliert Libra?

Die 21 Gründungsmitglieder der Association kommen ganz überwiegend aus den USA. Das ist bemerkenswert, sagt die Association doch, sie wäre an regionaler Diversität sehr interessiert und hätte Interessenbekundungen von über 180 Unternehmen und Institutionen, die die Anforderungen hinsichtlich Größe und multinationalem Engagement erfüllen. 15 der Gründungsmitglieder stammen aus den USA, drei weitere aus den Five-Eyes-Staaten Kanada und Großbritannien, die mit den US-Geheimdiensten bei der Überwachung der Welt zusammenarbeiten. Dazu kommen je ein Unternehmen aus Frankreich, den Niederlanden und Schweden.

Ein sehr starker Schwerpunkt liegt im Silicon Valley, mit verschiedenen Wagniskapitalfirmen, Blockchain-Unternehmen und den Mobilitätsdiensten Uber und Lyft, sowie natürlich Facebook.

Aus dem Telekomsektor sind dabei Vodafone aus Großbritannien, das mit seiner Tochter Safaricom in Kenia und einigen anderen afrikanischen Ländern über den M-Pesa-Dienst den Markt für mobiles Bezahlen dominiert, sowie aus Frankreich Iliad, das dem Wagniskapitalgeber, Milliardär und Mitbesitzer der führenden Zeitung Le Monde, Xavier Niel gehört, einem wichtigen Untersützter von Präsident Emanuel Macron.

Hinzu kommen ein paar gemeinnützige Unternehmen und Universitätsinstitute aus den USA und Kanada.

Larry Summers, der ehemalige US-Finanzminister, Grandseigneur des US-zentrierten Weltfinanzsystems, ist mindestens über zwei Gründungsmitglieder vertreten, die beide ein Mitglied in den Vorstand der Libra Association entsenden dürfen. Er ist Mitglied des dreiköpfigen Advisory Board von Xapo Holdings, einem Anbieter von Krypto-Wallets, und seit 2011 Special Advisor von Andreessen Horowitz, einem der führenden Wagniskapitalgeber der Techbranche. Summers hat die G20-Gruppe der führenden Wirtschaftsnationen gegründet, ursprünglich als Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs. Als die vom US-Subprime-Markt ausgehende Weltfinanzkrise drohte, die Anbindung der Welt an das dollarbasierte Weltfinanzsystem zu schwächen, hob er die G20 auf die Stufe der Regierungschefs und gründete die Globale Partnerschaft für finanzielle Inklusion der G20, die unter anderem eng mit der Better Than Cash Alliance kooperiert. Paypal-Chef Dan Schulman definierte finanzielle Inklusion 2015 als „Modewort, das bedeutet, die Leute ins System zu bringen“.

Visa, der Kreditkartenanbieter, der selbst nicht offiziell mitmachen will, ist ein Investor des Krypto-Start-ups Anchorage, und des gemeinnützigen Mikrokreditvermittlers Kiva, sowie größter Geldgeber von Women’s World Banking, einer Organisation, die die finanzielle Inklusion voranbringen soll. Alle drei sind Mitglieder der Libra Association, Kiva sogar in deren Vorstand. Außerdem ist der Gründer von Visa, Dee Hock, zusammen mit Summers im Advisory Board von Xapo. Visa ist also vierfach indirekt am Libra-Projekt beteiligt, davon zweimal (indirekt) über Vorstandsmitglieder.

Bill Gates, der über seine Stiftung einer der wichtigsten Treiber der Agenda der finanziellen Inklusion ist, gehört zu den wichtigsten Geldgebern von Women’s World Banking. Gates' Stiftung ist unter anderem maßgebliches Mitglied der Better Than Cash Alliance und Gründer der Alliance for Financial Inclusion, sowie Mitglied von CGAP, alles Umsetzungspartner der G20-Allianz für finanzielle Inklusion. Gates erklärte 2015 auf einem Forum für finanzielle Inklusion in Washington, die US-Regierung müsse bestrebt sein, dass alle finanziellen Transaktionen über ein System laufen, in dem sie alle Transaktionen überwachen und bei Bedarf blockieren könne.

Die Citibank, als weiteres führendes Mitglied der Better Than Cash Alliance und verbundener Anti-Bargeld-Gruppen, ist über den früheren CEO John Reed als Advisor von Xapo und als großer Geldgeber von Women’s World Banking indirekt vertreten.

Über die diversen Wagniskapitalgeber ist indirekt das Who-is-who der US-Finanzbranche an dem Libra-Projekt beteiligt.

Leiter der Association ist der ehemalige hochrangige Paypal-Manager Bertrand Perez.

Eine interessante Personalie ist darüber hinaus noch Josh Kushner, Inhaber von Thrive Capital, einem Gründungsmitglied der Libra Association. Er ist der Bruder von Jared Kushner, dem Schwiegersohn und Berater von Donald Trump.

Was heißt das für die politischen Erfolgsaussichten von Libra?

Larry Summers, Bill Gates, Visa, Citi, und einige andere an dem Projekt beteiligte Personen und Institutionen sind in enger Kooperation mit dem US-Außenministerium und der US-dominierten Weltbank wichtige Spieler im Projekt der finanziellen Inklusion, das darauf abzielt, die Welt immer mehr vom US-dominierten und überwachten (digitalen) Finanzsystem abhängig zu machen. Vieles von der öffentlichen Kritik von US-Stellen ist sicherlich Show, anderes mag von Politikern und Regulierern kommen, die in dieses geostrategische Projekt nicht eingebunden sind. Aber es sollte keinen großen Zweifel geben, dass dieses Projekt von einflussreicher Seite vorangetrieben und unterstützt wird.

Das Ziel

Die Ankündigung von Facebook, zusammen mit rund 100 Partnern eine eigene Währung namens Libra herauszubringen, hat bei uns und in anderen Industrieländern zu Recht für große Aufregung gesorgt. Aber die Industrieländer sind wohl nicht das Hauptziel der Initiative. Sie dürfte zunächst vor allem darauf abzielen, die US-amerikanische Dominanz im Zahlungsverkehr gegen die zunehmende Ausbreitung chinesischer Alternativangebote in Afrika und Asien zu verteidigen.

Nicht nur als Investor, Kreditgeber, Rohstoffkäufer und Exporteur macht sich China in Afrika und Asien breit. Auch Anbieter von mobilen Zahlungsdienstleistern, zuvorderst Alibaba und Tencent mit den Diensten WeChat und Alipay, expandieren kräftig. Sie gehen Kooperationen mit afrikanischen Banken und Zahlungsdienstleistern wie dem kenianischen M-Pesa ein. Das ermöglicht es Händlern, Zahlungen in der chinesischen Währung Yuan einfach und preisgünstig vorzunehmen. Wenn Zahlungen von und an chinesische Adressen verbreitet genug sind, kann dieses Angebot die Dominanz des Dollars für internationale Zahlungen in Afrika gefährden. Denn wenn Kunden wissen, dass sie leicht einen Händler finden, der Yuan braucht, um Importe aus China zu bezahlen, dann können sie auch Yuan akzeptieren, wenn sie selbst gar keine China-Kontakte haben.

Andere Entwicklungs- und Schwellenländern, vor allem in Asien, darunter in Indien und Pakistan, sind ähnlich umkämpft zwischen den USA und China und deren Zahlungsdienstleistern.

Dem chinesischen Vordringen wollen die USA etwas entgegensetzen. Das mit Abstand beste Vehikel, das anzugehen ist Facebook. Denn Facebook hat mit WhatsApp und Facebook Messenger in fast allen Ländern die dominierenden Messenger-Dienste, die sich gut für Massen-Zahlungsverkehrsdienste eignen. In Afrika bietet Facebook einen kostenlosen Zugang zu einer Basisversion des Internets über das eigene soziale Medium an. Für Millionen Afrikaner ist Facebook dadurch Synonym für das Internet.

Diesen Hintergrund für das Libra-Projekt sollte man im Hinterkopf haben, wenn man das Getöse um die Zulassung und Regulierung von Libra in den Industrieländern richtig einordnen will.

Allerdings hat die Konkurrenz mit China das Projekt einer amerikanischen Social-Media-Währung wohl nur beschleunigt. Gekommen wäre es auch so, denn es fügt sich ein in die in Teil 1 beschriebene Kampagne der „finanziellen Inklusion“, also der möglichst engen Bindung eines möglichst großen Teils der Weltbevölkerung an ein US-dominiertes Zahlungsverkehrssystem. Diese Dominanz soll von den internationalen Zahlungen auf die innerstaatlichen Zahlungen in möglichst vielen Ländern ausgeweitet werden.

Das Weißbuch der Libra Association, mit dem das Libra-Projekt beschrieben wird, deutet den Fokus auf Entwicklungsländer durchaus an, und das Ziel, deren Bevölkerung im US-dominierten Finanzsystem zu halten. Die Libra Association nutzt den Begriff Finanzielle Inklusion und schreibt weit vorne und prominent:

„Trotz dieses Fortschritts sind große Teile der Weltbevölkerung immer noch benachteiligt: 1,7 Mrd. Erwachsene weltweit sind nach wie vor vom Finanzsystem ausgeschlossen, haben also keinen Zugang zu einer herkömmlichen Bank, obwohl zwei Drittel von ihnen ein Mobiltelefon mit Internetzugang besitzen.“

Marcel Thum und Stefan Eichler von der TU Dresden haben im ifo-Schnelldienst beschrieben, warum Libra für Bürger von Entwicklungsländern attraktiv sein kann:

„In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern wird die Zentralbank als verlängerter Arm der Regierung missbraucht, was zu Inflation, Währungsabwertung und realer Entwertung von Sparvermögen führt. Mit der Libra könnten sich die Bürger dieser Art der finanziellen Repression entziehen."

Bei einer starken Verbreitung der Libra würde die offizielle einheimische Währung immer seltener verwendet, fügen sie hinzu und beschreiben, warum das für die betreffenden Regierungen ein Problem ist. Der Aufsatz heißt: "Libra – Totengräberin für gescheiterte Währungen". Tatsächlich dürfte Libra dort besonders schnell erfolgreich sein, wo es besonders schlechte Währungen gibt. Eine Währung wird allerdings mit jedem Erfolg stärker, weil sie um so attraktiver ist, je mehr Menschen und Unternehmen sie nutzen. Als nächstes könnten die US-Unternehmen mit ihrer neuen Währung daher Länder mit mittelschlechter Währung aufrollen und dann auch Länder, deren Bürger mit ihrer Währung bis dahin ganz zufrieden waren.

Ein zweiter wichtiger Angriffspunkt sind Heimüberweisungen von Migranten. Diese sind sehr teuer, auch weil sich viele Finanzinstitute aufgrund der von den USA angeführten Kampagne gegen Geldwäsche aus diesem Geschäft zurückgezogen haben. Hier kommt die Ankündigung von Facebook ins Spiel, man wolle ein Vorreiter bei der Entwicklung eines „offenen Identitätsstandards“ sein. Das dürfte eine schöne Umschreibung für eine zentrale biometrische Datenbank für Milliarden Menschen sein. Solche entweder zentralen oder vernetzten Datenbanken aufzubauen, um die Bevölkerungskontrolle zu verbessern, ist ein wichtiges Nebenziel der Partnerschaft für Finanzielle Inklusion der G20. Das wird in Entwicklungsländern bereits intensiv betrieben. In den meisten Industrieländern mit halbwegs funktionierendem Rechtswesen sind entsprechende Versuche an den Verfassungsgerichten gescheitert, darunter in Großbritannien und Frankreich. Auch deshalb dürfte man es jetzt mit einem weltweit dominanten Sozialen Medium versuchen, wo sich so etwas auf freiwilliger Basis im Idealfall milliardenfach umsetzen lässt. Irgendwann muss dann jeder mitmachen und die zentrale biometrische Datenbank ist geschafft, ohne dass ein Verfassungsgericht dazwischengehen könnte.

Wenn Libra erfolgreich ist, dann gehen die Zahlungsverkehrsdaten und biometrischen Daten aus immer mehr Ländern in die USA, und mit ihnen die Geschäftsmöglichkeiten, die sich aus der Verfügung über die Daten ergeben, und die politische Macht, die damit verbunden ist, alles zu wissen und alle Zahlungen nach Belieben unterbinden zu können. Wenn man die biometrischen Daten der Bürger hat, funktioniert auch die Internetüberwachung viel besser, denn dann weiß man eindeutig, wer es ist, der auf dieser oder jener Webseite unterwegs ist. In den Industrieländern ist das schon weitgehend gewährleistet. In Entwicklungsländern, wo das Namensrecht oft diffus und die Internetnutzung noch gering ist, würden eindeutige biometrisch unterlegte Identitäten den Überwachern in Fort Meade und Langley sehr helfen, ebenso wie den auf Geschäftsgelegenheiten spekulierenden Unternehmen.

Darauf zielen die Institutionen ab, die direkt und indirekt hinter Libra stehen.


Dieser Beitrag erschien zuerst auf Norbert Häring's Blog www.norberthaering.de