Die Rettungsarbeiten bei der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind nicht abgeschlossen, viele Menschen werden noch vermisst. Doch in der medialen und politischen Debatte, geht es aktuell nicht mehr um die vielen toten und vermissten Menschen. Vielmehr beschäftigt man sich mit einer Schuld-Debatte. Wer hat Schuld an dieser Flutkatastrophe?
Schuldfrage ist schnell geklärt
Für Medien und verschiedene Parteien ist die Schuldfrage schon geklärt: Der Katastrophenschutz trägt die Verantwortung für diese Flutkatastrophe. Dass die Parteien diese Katastrophe ausschlachten, mag, wenngleich es pietätlos ist, nicht verwundern. Da wir uns nur noch wenige Wochen vor der Bundestagswahl befinden, versucht natürlich jede Partei, gerade die im Bundestag vertretenen Parteien, einen billigen Stich gegen den politischen Gegner zu machen. Die Bandbreite reicht hier von der Forderung nach einem Rücktritt vom Bundesinnenminister, bis hin zu einer grundlegenden Reform vom Katastrophenschutz. Doch die Politik und die Medien machen es sich hier zu leicht und treiben damit einen Spaltkeil in die Bevölkerung. Doch gerade in der Katastrophe braucht es keinen Spaltkeil, sondern ein gesellschaftliches Zusammenhalten zur Bewältigung.
Absurde Forderungen
Wie absurd die politische Forderung vom Rücktritt des Bundesinnenminister ist, dokumentiert sich schon darin, dass scheinbar nur wenig bekannt ist, wie der Katastrophenschutz in Deutschland organisiert ist. Der Katastrophenschutz in Deutschland obliegt weitgehend nicht dem Bund und befindet sich damit auch nicht in der Zuständigkeit des Bundesinnenministerium. Vielmehr ist es eine Länderaufgabe, in dessen Zuständigkeit die Kommunen, Kreise und die Landesministerien den Auftrag zum Katastrophenschutz haben. Sicherlich gibt es auf Bundesebene das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (kurz BBK) und dementsprechend könnte man hier auch die Zuständigkeit vom Katastrophenschutz vermuten. Doch der Bund ist wesentlich für den Zivilschutz im Verteidigungsfall verantwortlich. Unter dem Verteidigungsfall versteht man hier den militärischen Angriff auf die Bundesrepublik Deutschland. Der Bund kann aber im Rahmen einer Katastrophe Kräfte der Bundeswehr, der Bundespolizei oder auch vom Technischen Hilfswerk (THW) auf Wunsch entsenden. Zudem gibt es bestimmte Zuständigkeiten beim Bund, sollten mehrere Bundesländer von einer Katastrophe betroffen sein. Grundsätzlich liegt die Zuständigkeit aber bei den Ländern.
Leichte Lösungen gibt es nicht
Wenn es jetzt um die Schuldfrage geht, so greift deren Abladung beim Katastrophenschutz zu kurz. Dass der Katastrophenschutz in Deutschland Schwachstellen hat, sei es bei der Warnung oder aber auch bei der Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung, ist schon seit langer Zeit (2003) bekannt. Wenn es um die Warnung der Bevölkerung geht, kann man aktuell überall lesen, wie wichtig die Sirene ist. Hierbei darf man aber nicht vergessen, Deutschland hat bereits über ein flächendeckendes Sirenennetz mal verfügt. Doch aus Kostengründen hat man dieses weitgehend abgeschafft. Das war eine politische Entscheidung, bei der auch gewisse Parteien Mitverantwortung tragen, die jetzt den Katastrophenschutz als Sündenbock ausmachen. Heute gibt es nur noch vereinzelt in Kommunen und Landkreisen Sirenen. Wenn man jetzt sagt und schreibt, man müsste nur das Sirenennetz wieder aufbauen und die Welt wäre in Ordnung, greift das zu kurz. Damit nämlich die Sirenenwarnung in der Praxis auch funktioniert, muss die Bevölkerung auch wissen, was die Signale bedeuten und wie dann gehandelt werden muss. Und hierbei sind wir schnell auch bei Fragen der Selbsthilfefähigkeit. Doch bleiben wir noch einen Moment bei der Sirene: Hätte diese bei dieser Flutkatastrophe tatsächlich geholfen? Was man im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe dieser Tage immer wieder hört, ist die schnelle Ausbreitung vom Wasser binnen wenigen Augenblicken. Da stellt sich die berechtigte Frage, ob hier die Sirene tatsächlich geholfen hätte? Vielmehr müsste man wohl die Frage in den Raum werfen, wäre eine frühzeitige Evakuierung der Gebiete notwendig gewesen? An Warnungen vor diesem Ereignis hat es nicht gemangelt. Sicherlich konnte man nicht genau die Ortschaften ausmachen und es nur auf Regionen eingrenzen, doch die Warnungen waren da. Alleine das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat rund 150 Warnmeldungen laut eigener Angabe, vor und während dieser Flutkatastrophe versendet. Doch die Wahrnehmung war nicht vorhanden. Und gerade da diese Warnungen immer mit einer Ungenauigkeit verbunden sind, zeigt sich auch schon die Schwierigkeit hinsichtlich einer Evakuierung. Weil am Ende des Tages stellt sich zwangsläufig die Frage: Wer möchte die Verantwortung bei einer Evakuierung übernehmen, wenn die Warnung nicht zutrifft? Ärger mit den Bürgern und den Medien wäre sicherlich garantiert. Und gerade das zeigt auch gut das Spannungsfeld auf, in dem man sich bewegt. Dass es eben nicht einfache Antworten und Lösungen zu einer Katastrophe gibt, wie es von manchen politischen Vertretern und Medien suggeriert wird. Ja, der Vorwurf von Populismus wäre hier gegenüber der Politik und einigen Medien berechtigt.
Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung
Kommen wir zurück zu der bereits kurz erwähnten Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung: Von Seiten vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gibt es umfangreiche Informationen als Broschüren, wie man sich Lebensmittel als Notvorrat anlegt, wie man sich in bestimmten Notlagen verhalten soll oder aber auch was man als Notgepäck immer bereithalten sollte. Doch diese Empfehlungen finden in der Bevölkerung kaum eine Resonanz. Oder haben Sie liebe Leserinnen und Leser, zum Beispiel diese Broschüre in Ihrem Rathaus gesehen oder bei einem Tag der offenen Tür bei der örtlichen Feuerwehr? Und auch die Medien reagieren bisweilen mit Vorwürfen auf diese Empfehlungen vom Bundesamt. Als vor wenigen Jahren die Empfehlungen kurzzeitig medial von Zeitungen und im Fernsehen aufgegriffen wurden, war schnell die Rede von Panikmache, die das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe verbreiten würde. Und da zeigt sich schon die nächste Konfliktlinie auf: Man möchte einen allumfassenden Katastrophenschutz, der aber bitte nicht die gesellschaftliche Ruhe stört. Denn sonst wird schnell von Panikmache gesprochen. Deutschland wird sich bei dieser Frage schon entscheiden müssen. Wollen wir einen aktiven Katastrophenschutz? Wenn ja, müssen mögliche Katastrophen und deren Folgen, aber auch Schutzmaßnahmen und die damit verbundenen Kosten, Gegenstand der öffentlichen Debatte in der Gesellschaft sein.
In Ruhe analysieren
Was Deutschland aktuell braucht, ist keine Schuldfrage oder ein poltisches Ausschlachten vom Thema aufgrund der Bundestagswahl. Deutschland braucht aktuell Zeit, Zeit um die Rettungs- und Suchmaßnahmen zu beenden. Zeit die notwendigen Schritte für den Wiederaufbau einleiten zu können, Zeit aber auch für Trauer um die Toten. Hier wäre aufgrund der hohen Opferzahlen ein Staatsakt zu begrüßen. Was es aber auch braucht ohne Hysterie, ist eine Analyse der Flutkatastrophe, um daraus Erkenntnisse für die Zukunft ableiten zu können. Hierbei muss aber auch klar sein, sollte man dann zu einem Verbesserungsbedarf beim Katastrophenschutz kommen, müssen diese Verbesserungen dauerhaft umgesetzt werden. Dazu gehört auch beispielsweise eine aktive Aufklärung von Gefahren und Verhalten in Notfällen innerhalb der Bevölkerung. Hierbei muss aber ebenso klar sein, dass der Staat keinen hundertprozentigen Schutz vor Katastrophen bieten kann. Das Leben ist immer mit Risiken behaftet und Katastrophen kann man nicht gänzlich ausschließen. Ganz wichtig ist aber auch: Katastrophen geraten in Deutschland schnell wieder in Vergessenheit. Das bringt dann immer die Gefahr mit, dass mit der Zeit Gelder und Personal beim Katastrophenschutz wieder abgebaut werden. In Deutschland ist das in den letzten Jahrzehnten mehr als einmal passiert. Und dies darf gerade nicht passieren, denn eines ist nämlich sicher: Die nächste Katastrophe kommt bestimmt. Wann sie kommt, ist ungewiss. Doch wenn sie eintritt, darf man nicht wieder die Frage nach der Schuld stellen.
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