Wir alle lieben eine gute Geschichte. Und die unterhaltsamsten Geschichten sind die, die wahr sein könnten. Nicht umsonst ziehen unter anderem True-Crime Formate jeden Tag viele Menschen an. Auch ich selbst hatte viele Jahre Spaß an Verschwörungserzählungen und Dokus und Berichten über sie. Doch in den vergangenen Monaten ist mir die Lust darauf vergangen. Der Grund: Querdenker und andere Wahnsinnige.
Sicherlich haben meine Teenagerjahre eine große Mitschuld an meinem Hang zu Verschwörungstheorien. Immerhin lief während langen Abenden am Computer nebenbei oft der Fernseher. Mit der Zeit brauchte ich das Hintergrundrauschen und fand es vor allem auf Kanälen wie Ntv oder N24. Vermeintlichen Dauernachrichtenkanälen, die jedoch ab einer gewissen Uhrzeit ziemlich abdrifteten. Spätestens nach Mitternacht wurde man regelmäßig bombardiert mit Dokus und Shows, die sich mit dem Übernatürlichen, Aliens, Hitler oder allem zusammen beschäftigten. Immer mit dem Unterton: "Uns wird nicht alles erzählt..."
Das hatte irgendwie auch einen Hauch von Spannung. Immerhin: Was wäre wenn? Was wäre, wenn in Roswell wirklich ein Raumschiff abstürzte? Was wäre, wenn Außerirdische wirklich schon die Erde besuchten und frühe Zivilisationen inspirierten? Und was wäre, wenn Nazis wirklich in der Lage waren Raumschiffe zu bauen?
Haha. Komische Leute...
Ja, verrückt. Ich weiß. Aber irgendwie auch lustig. Von da an lachte ich viele Jahre über Menschen wie Axel Stoll, der als überzeugter Nationalsozialist in einem asiatischen Restaurant saß und dort erzählte, dass die Sonne kalt sei, Dinge wie Skalarstrahlen existieren und und und... Ich konsumierte sogar psychologische Studien über Menschen, die wirklich an diese verrückten Geschichten glaubten und dachte mir stets: "Es gibt schon komische Leute". Sie waren weit weg. Ja, Exoten, die man nur über das Brennglas Internet zu Gesicht bekommen konnte. Bis sie es nicht mehr waren.
Mit der Corona-Pandemie wurden alle Menschen in Deutschland mit einer neuen Realität konfrontiert. Und einem maroden Stausee gleich brachen nach kurzer Zeit alle Dämme. Und für einige Menschen begann schon im Sommer 2020 eine Reise in den Wahnsinn, befeuert von wilden Videos, Podcasts und Beiträgen in den sozialen Medien. Aus einem "Ich finde die Maske blöd"-Post bei Facebook resultierte die Mitgliedschaft in privaten Gruppen und daraus der Wechsel zu Telegramm und dem Glauben die Pandemie sei geplant oder gar nicht echt.
Der Wurm, den ich mir ausdachte...
Den bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung stellen die Morgellons dar. Diese sollen in Masken und Corona-Tests leben und Menschen ins Gehirn kriechen um dann dort ihre Gedanken und ihr Handeln zu übernehmen und zu steuern. Im Internet gibt es dazu viele Videos von Menschen, die mit Spielzeug-Mikroskopen Masken durchleuchten und dort Flusen und Fussel zu bösen Würmern erheben. Am Anfang habe ich auch über sie gelacht. Und ich bin der Meinung, man muss sich auch weiterhin darüber lustig machen. Doch es tut inzwischen auch weh.
Warum? Weil auch in meiner Heimat inzwischen Menschen wirklich Angst haben vor den Morgellons. Sie verweigern PCR-Tests, verbrennen Masken und versuchen auch andere Menschen mit ihrer Furcht zu infizieren. An Veranstaltungen von Querdenkern sind heute Morgellons genauso ein Teil einer verqueren Realität wie der Glaube an MK Ultra oder aber an die große Weltverschwörung, welche von jüdischen Eliten vorangetrieben wird. Befeuert wird dieser irrsinnige Aberglaube von Rechtsextremen und Rechtsnationalen auf allen Kanälen. Von Attila Hildmann bis zu Abgeordneten in deutschen Parlamenten.
Alles andere als harmlos
Was früher ein weit entferntes Phänomen im Internet war, ist heute leider bittere Realität in vielen Haushalten dieses Landes. Und das ist bedenklich, vielleicht sogar gruselig. Denn: Wenn Verschwörungstheorien zur Lebensrealität von Menschen werden, sind sie kein harmloser Spaß mehr, sondern gefährlich. Egal ob es Anhänger von QAnon sind, die bewaffnet Pizzerien stürmen oder aber Menschen, die andere gefährden, weil sie Corona-Maßnahmen ablehnen. Aus Angst vor imaginären Würmern.
Verschwörungsideologen sind keine harmlosen Gestalten, sondern Menschen, die mit ihren Erzählungen ein Ziel verfolgen. Sie wollen Aufmerksamkeit, sie wollen neue Menschen von ihren Ideen überzeugen und vor allem wollen sie damit langfristig die Welt ein bisschen in ihrem Sinne umformen. Und eine aufgeklärte und moderne Gesellschaft dürfte kein Interesse an dieser Transformation haben. Schon aus reinem Eigennutz.
Verlorene Unschuld
Ich werde mich immer gerne an die langen Nächte mit N24 und Ntv erinnern. Auch wegen der tollen Menschen, die ich während dieser Zeit im Internet kennengelernt habe. Und ein bisschen haben mich die Sendungen von früher sicher auch abgehärtet gegenüber dem, was unsere Gesellschaft heute mit voller Breitseite trifft. Man könnte es Medienkompetenz nennen - oder einfach Abgebrühtheit. Ob das gut ist? Vielleicht.
Schlecht ist auf jeden Fall, dass ich nie wieder so unschuldig über Verschwörungstheorien lachen werden kann wie früher.