Geschäftsschließungen, unterbrochene Lieferketten, massive Förderprogramme und parallel dazu der digitale Wandel – wie fällt die Corona-Zwischenbilanz für die Unternehmen aus? Im Interview gibt Prof. Gunther Friedl einen Einblick in seine Covid-19 Lecture zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie, die er am Mittwoch, 16. Juni, 18.15 Uhr online hält.

Haben die Unternehmen das Schlimmste überstanden?

Wir werden erst in den nächsten Monaten feststellen, wie viele Betriebe überleben. Zunächst ist die Zahl der Insolvenzen im vergangenen Jahr sogar zurückgegangen, weil der Gesetzgeber die Pflicht, unter bestimmten Voraussetzungen Insolvenz anzumelden, ausgesetzt hat. Es gibt in der Wirtschaftswissenschaft unterschiedliche Prognosen, ob die Zahl nach der Pandemie nach oben schnellen wird oder ob es nicht so schlimm kommen wird. Im Gesamtbild profitiert die Wirtschaft davon, dass die Politik enorm große Förderpakete aufgelegt hat. Im Vergleich zur letzten Finanzkrise haben viele Staaten das Zehnfache an Geld in die Hand genommen. Beispielsweise hat Deutschland 33 Prozent des Bruttoinlandsprodukts investiert, 2008 „nur“ 3,5 Prozent. In Japan waren es 21 Prozent gegenüber 2,2 Prozent, in Indien 10 Prozent gegenüber 1,2 Prozent. Besonders positiv in Deutschland ist, dass viele zukunftsorientierte Programme aufgelegt wurden, zum Beispiel für die Energiewende und die Digitalisierung.

Welche Unterschiede gibt es zwischen den Branchen?

Die Erholung der einzelnen Branchen wird maßgeblich davon abhängen, ob sich die Kunden während der Pandemie an Alternativen gewöhnt haben. Davon gehen wir beispielsweise bei Business-Reisen aus, deren Budgets viele Unternehmen auch schon für die Zukunft gekürzt haben. Im Einzelhandel besteht selbst in den Bestlagen in München die Sorge, dass die Attraktivität nicht in gleichem Maße zurückgewonnen werden kann. An diesem Beispiel sieht man allerdings auch, dass es sich vielfach um Entwicklungen handelt, die es schon vor Corona gab und sich durch die Pandemie nur verstärkt haben. Diese Trends hängen überwiegend mit der Digitalisierung zusammen. Deshalb haben viele Unternehmen ihre entsprechenden Aktivitäten während der Pandemie massiv verstärkt. Probleme sehen wir aber nach wie vor bei kleinen und mittleren Firmen, von denen ein Drittel nicht mal über eine eigene Webseite verfügt.

Was können Unternehmen abgesehen von der Digitalisierung aus der Pandemie-Zeit lernen?

Dass sie ihre Lieferketten stabiler machen. Beispielsweise haben die Automobilhersteller zu Beginn der Pandemie Stornierungen bei den Chipherstellern getätigt, während die Computerindustrie stark nachgefragt hat. Die Chiphersteller haben also umgeschichtet, sodass die Fahrzeugbranche jetzt sehr ernsthafte Engpässe hat. Eine Lehre kann sein, wieder stärker Puffer und Reserven einzubauen, nachdem jahrelang allein die Effizienz und Just-in-time-Produktion im Vordergrund standen. Außerdem könnten die Unternehmen Risiken besser abschätzen, wenn sie Klarheit über ihre gesamten Lieferketten bekämen, also auch über die Zulieferer der Zulieferer der Zulieferer. Das mag selbstverständlich klingen, ist es aber bei den Konzernen angesichts von hunderten beteiligten Firmen nicht. Hier kann übrigens ein anderes aktuelles Thema positiv wirken: die Debatte um Nachhaltigkeit und das Lieferkettengesetz.

Live-Stream „Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie“ am 16.6. ab 18.15 Uhr

Parallel zum Live-Stream auf YouTube besteht die Möglichkeit, am Zoom-Webinar teilzunehmen.


Publikationen:

Gunther Friedl ist Inhaber des Lehrstuhls für Controlling und Dekan der TUM School of Management. Er forscht vor allem zu Corporate Governance und Vorstandsvergütung, Performancemessung und Unternehmensbewertung.

Programm der Covid-19 Lectures

Die Veranstaltung wird moderiert von Prof. Marion Kiechle.