Das Jahr 2020 ist belastend, besonders im Kontext der Arbeit: Einsamkeit und Depression sind auf einem Allzeithoch wegen fehlender Sozialkontakte bei gleichzeitigem Stress und fehlender Work-Life Balance. Dies sind die Ergebnisse der Studie “AI@Work”, die Oracle Anfang Oktober veröffentlicht hat, für die mehr als 12.000 Menschen aus elf Ländern befragt wurden. Soweit so erwartbar. Die Überraschung liegt an anderer Stelle:
Wenn es um Hilfestellung zu genau diesen Problemen am Arbeitsplatz geht, reden Menschen WELTWEIT (!) mit überwältigender Mehrheit (im Schnitt 68%) lieber mit einer Maschine als mit ihrer Führungskraft. Und das - man möge es sich auf der Zunge zergehen lassen - obwohl Einsamkeit und mangelnde Sozialkontakte die Ursachen für die Probleme sind.
Maschinen bewerten uns nicht
Was macht eine Maschine besser als eine Führungskraft? Wenn ich hätte raten müssen, wäre es genau die Antwort gewesen, die die Umfrage ergeben hat: Die Angst vor (Ab)Wertung schlummert immer in uns - erst recht bei einem Gespräch mit der Führungskraft in einer Hierarchie. Schon bei Themen, die bei weit weniger sensibel sind als eine psychische Erkrankung. Wer wirklich depressiv ist oder an einem Burnout leidet, wird sich kaum rechtzeitig an die Führungskraft wenden. Ist der Bot - die künstliche Intelligenz, die mit uns sprechen kann - also eine bessere Option?
Künstliche Intelligenz zur Stressbewältigung ist wie Nasenspray bei Schnupfen
Ein klares Jein. Einige andere Studien haben ebenfalls ergeben, dass eine KI als erste Anlaufstelle für Depressionen ein niedrigschwelliges Angebot ist, um Menschen zu erreichen, die sich sonst nicht in Behandlung begeben hätten. Die Erfolge sind vielversprechend. Warum also nicht auch im Kontext der Arbeit? Allerdings sollte allen Beteiligten klar sein, dass damit nur Symptome bekämpft werden: so wie Nasenspray eben auch keine Erkältung heilt, aber erstmal Erleichterung bringt. Häufige Ursachen für Stress und Burnout liegen tiefer: unsere Arbeitswelt verharrt noch in einer Zeit der Industrialisierung. Heißt konkret: Organisationsentwicklung kann keine KI, das müssen wir Menschen schon selber hinkriegen: indem wir unsere Arbeitsweisen und die Art der Führung überdenken. Ein Beispiel aus eigenem Erleben in einer klassischen Hierarchie:
“It’s all in place for your success”
Ein großer Konzern hat jährlich mit genau diesem Satz die Mitarbeiter zu motivieren versucht. Er steht beispielhaft für die Organisation der meisten Unternehmen. Hinter diesem auf den ersten Blick verheißungsvollen Spruch verbirgt sich genau die Haltung, die zu Burnout führt: Das Management hat in seiner vermeintlichen Weitsicht bereits alle Randbedingungen geschaffen, damit die Menschen im Unternehmen die vorgegeben Ziele erreichen können. Der Mitarbeiter als Rädchen im Getriebe muss eigentlich nur noch den Weg gehen. Die Aufgabe des Managements ist die Kontrolle, dass keiner vom Weg abweicht. Wenn ich als Mitarbeiter das nicht schaffe, liegt die “Schuld” bei mir. Dabei sind die Gründe, warum Ziele nicht eingehalten werden können, vielfältig. Zum Beispiel immer dann, wenn unvorhersehbare Ereignisse eintreten.
Wenn Unvorhersehbares nicht vorgesehen ist
Denn leider hält sich die Welt nicht immer an den Plan, den ein Unternehmen vorgesehen hat. Dafür ist COVID19 nur ein Beispiel. Es könnte auch ein Wettbewerber sein, der mein Geschäftsmodell in Frage stellt. Wenn dann krampfhaft am einmal eingeschlagenen Weg festgehalten wird, ist Stress vorprogrammiert. Weil die eigene Vorgehensweise nicht mehr zur Realität passt. Steven Covey nennt das ein “eingefrorenes Unternehmen” .
Ein Beispiel? Nehmen wir den konkreten Fall der Pandemie. Weitergehen auf dem einmal festgelegten Pfad heißt: Trotz Homeoffice keine Änderung der Arbeitsweisen. Team-Meetings, Arbeitsweisen alles bleibt wie bisher, nur eben online. Es fehlt nun aber die Kaffeeküche zum Plauschen zwischendurch. Was ist, wenn ich mit den digitalen Tools nicht zurecht komme? Wen frage ich? Und dann ist da ja noch das veränderte Geschäftsumfeld, das meine Zielerreichung umso schwieriger macht. Vom Homeschooling ganz zu schweigen…..
Weiterentwicklung zur fluiden Organisation
Ich muss das Szenario nicht weiter ausmalen, die meisten werden aus eigener Erfahrung wissen, dass nur die Unternehmen am erfolgreichsten sind, die sich wie Wasser in einem Gefäß jeder Form anpassen können:
- Menschliche Begegnung funktioniert durchaus auch virtuell. Sich ein paar Minuten Zeit geben, um dem anderen offen zu spiegeln, wie es einem gerade geht. Das Zwischenmenschliche ganz bewusst in die Online-Meetings bringen.
- Transparenz: Wissen wird mehr, wenn es geteilt wird. Wenn die Welt sich ändert, haben alle Ideen, wie das eigene Unternehmen sich anpassen kann. Genau für solche Fälle ist ein Social Intranet wie geschaffen
- Vernetztes Unternehmen statt Hierarchie: Wenn Transparenz gelebt wird, heben sich Silos leichter auf und es bildet sich ein resilientes Netzwerk, das Veränderungen abfedern kann.
- Vertrauen statt Kontrolle: Wenn die Kontrolle statischer Vorgaben nicht weiterführt, wie kann Führung dann aussehen?
Was hat das jetzt alles mit der künstlichen Intelligenz zu tun, die mir bei psychischen Problemen hilft? Zwei Aspekte:
Die zunehmend komplexere Welt mit dem immer schnelleren und tiefgreifenden Wandel erzwingt eine Abkehr von der klassischen Hierarchie. Das bedeutet zugleich, wir beginnen ein neues Menschenbild in der Arbeitswelt zu entwickeln. Wer also unter psychischen Problemen leidet, dem wird ein offener Umgang damit eher ermöglicht - die Chancen, dass die Symptome behandelt werden steigen. Eine künstliche Intelligenz ist dann ein sinnvolle erste Anlaufstelle. Die gerade genannte Transparenz ist gerade hier sehr wichtig: Was wird mit meinen Daten gemacht? Ist der Dialog mit der KI anonym? Behalte ich die Kontrolle, was mit den Gesprächsinhalten geschieht?
Die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine verändert das Menschenbild fundamental
Die Studie von Oracle zeigt, wohin die Reise geht. Maschinen werden dem Menschen immer ähnlicher. Der Bot als psychologische Anlaufstelle ist nur ein Aspekt von vielen. Sie gibt uns eine Ahnung davon, wie neu das Zusammenspiel von Mensch und Maschine aussehen wird und sie zeigt uns, was die große Frage der Arbeitswelt von morgen ist:
Was macht uns als Mensch aus?
Eine Frage, die uns in den nächsten Jahren sehr viel mehr beschäftigen wird und die wir innerhalb und außerhalb der Betriebe führen müssen.
Über mich:
Ich mache Digitalisierung greifbar durch konkrete Geschichten: Zu Technologien, Menschen und Organisationen. Immer mit Fokus auf den Chancen. Die Herausforderungen kommen noch früh genug. Sprechen Sie mich einfach an: Für Keynotes und Workshops.
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