Ich schreibe Texte, die polarisieren. Nicht, weil ich Freude daran hätte, ständig Widerspruch zu ernten, sondern weil ich Themen gerne entdecke, ergründe und von mehreren Seiten beleuchte. Wer nur nach Bestätigung sucht, wird bei mir selten glücklich – aber genau das ist der Punkt. Ich halte es für intellektuell falsch, mir nur die Fakten herauszupicken, die meiner Meinung schmeicheln. Und genau das sorgt regelmäßig für Aufruhr.
Menschen lieben Feindbilder
Sobald ein Streit zwei Lager hervorgebracht hat, erwarten beide Seiten Loyalität. Kritik an der Gegenseite? Applaus! Kritik an der eigenen Seite? Empörung! Kritik an beiden? Schon hat man zwei Feindeslager auf einmal. Das gilt auch bei Zustimmung für beide. Man kann in diesem Fall nicht gut gewinnen. Die, bei denen man damit gewinnt, sind allerdings sehr gute Gesprächspartner.
Das erinnert mich an etwas, das ich einmal über den Umgang mit Streit in der Familie gelesen habe: Wenn Mutter und Kind im Streit sind, sollte das zweite Elternteil der Mutter nicht die Sichtweise des Kindes und dem Kind nicht die Sichtweise der Mutter erklären – denn dann ist es für beide der Feind auf der jeweils anderen Seite.
Die Psychologie nennt dieses Muster Triangulierung: Wer versucht, neutral zwischen Fronten zu stehen, endet paradoxerweise als Feind beider Parteien. Man könnte fast meinen, Neutralität sei gefährlicher als Provokation.
Ein Beispiel: Der Pädophilie-Artikel
Als ich über den wissenschaftlichen Hintergrund zur Pädophilie schrieb, war mir klar, dass das Staub aufwirbeln würde. Ich habe deutlich gemacht: Pädophilie ist nach heutigem Stand der Wissenschaft eine sexuelle Orientierung, für die man nichts kann. Wer pädophil ist, aber niemals ein Kind anrührt, sondern sich Hilfe im Umgang damit sucht, darf dafür nicht verurteilt werden - auch wenn ich eine gewisse Vorsicht sehr gut verstehe.
Gleichzeitig habe ich betont: Viele Kinderschänder sind überhaupt nicht pädophil. Sie handeln aus Machtgelüsten, Gewaltfantasien oder anderen Motiven. Wer Kinder wirklich schützen will, muss diesen Unterschied verstehen und darf nicht alles gleichsetzen. Nur so kann man bestmöglich zum Schutz von Kindern agieren, was das Wichtigste ist. Dazu gehört auch, Pädophile nicht durch Stigma von Hilfsangeboten fernzuhalten.
Die Reaktionen waren vielschichtig: Ein Großteil verstand den Text. Einige interpretierten den Text als Verharmlosung oder gar Verteidigung von Tätern. Einige pädophile Nicht-Täter fühlten sich trotz der klaren Differenzierung immer noch verurteilt. Eine kleine Minderheit pädophiler Nicht-Täter schrieb mir Sympathien auf eine Art für sie zu, die ich so nicht empfand.
Andere Artikel lösten ähnliche Spaltungen aus. Für Veganer bin ich ein böser Omnivor, für die wenigen Fleisch-aus-Trotz-Konsumenten ein Verteidiger von veganen Spinnern. Ich bin Nazi und Antifa, rotgrünversifft und total konservativ, [irgendwas]-feindlich und [irgendwas]-Aktivistin - und so weiter und so fort.
Social Media Bubble Bias
Warum ist die Wahrnehmung meiner Texte und Einstellung so unterschiedlich? Menschen sehen, was sie sehen wollen - und lesen auch in meinen Artikeln, was sie wollen. Jeder Versuch, gleich viel in die Waagschalen zu werfen, jede noch so direkte Abgrenzung, Einordnung, Klarstellung und jeder Disclaimer werden von einigen einfacheren Gemütern, die nur den Angriff gegen ihre Einstellung sehen wollen, ausgeblendet – Psychologen nennen unter anderem auch das „Confirmation Bias“. Social Media verstärkt diesen Bias: Empörung bringt Klicks, Likes und Reichweite. Wer wirklich denkt, wird oft missverstanden. Wer einfach nur mithetzt, wird gefeiert.
Ich finde das faszinierend. Kommentare lese ich oft weniger als Kritik an mir, sondern als Studienmaterial zu menschlichen Denkweisen. Was beleidigen sollte, kann ich mit Schmunzeln als Anschauungsunterricht nutzen. Die Empörung der Masse ist mein kostenloser Beobachtungsposten; die einseitigen Angriffe sehe ich als direkte Darstellung des Confirmation Bias. Das Auftauchen von befreundeten Accounts meiner Kritiker-mit-Tunnelblick und das Getuschel hinter meinem Rücken sind für mich anschauliche Darstellungen der Dynamiken einer Echokammer.
Algorithmen, Echokammern und die Pandemie
Was Viele nicht wissen: Selbst wenn Plattformen User bewusst mit Gegenmeinungen konfrontieren, ändert das die Polarisierung kaum. Studien zeigen: Menschen interpretieren Informationen durch ihre eigene Brille – Widerspruch wird oft als Angriff gesehen. Algorithmen unterstützen die Einseitigkeit der Echokammer zusätzlich.
Besonders während der COVID19-Pandemie wurde das sichtbar: Die Spaltung lief weniger entlang der Fakten, sondern entlang von Identität und Gruppenzugehörigkeit. Man könnte sagen, Fakten haben selten Fans – Emotionen und Zugehörigkeiten schon.
Digitale Sekten
In einem anderen Artikel habe ich das Phänomen digitale Sekten beschrieben – semi-geschlossene Online-Communities, in denen Individuen im eigenen Lager sofort ausgegrenzt werden, wenn sie die Gruppenmeinung kritisieren. Dort herrscht die Angst, sich kritisch zu äußern, selbst wenn man die Meinungen der Gruppe zu 99% teilt. Differenzierung gilt als Verrat. Viele „Bubbles“ sind ein Platz für Konformität, nicht für Denken. Gruppen, die aber schon mit geringen Abweichungen und Bedenken nicht klar kommen, rotten sich bei ernsthafter und ungeschönter Kritik gerne zu wilden Mobs zusammen.
Unbequeme Wahrheiten und notwendige Korrekturen
Ich schreibe nicht, um jemanden zu schonen. Auch nicht, wenn es um problematische Menschen oder unangenehme Realitäten geht. Aber selbst dort bleibe ich bei den Fakten: Ich korrigiere falsche Anschuldigungen, auch wenn es die „Richtigen“ trifft (wie zum Beispiel JK Rowling). Wahrheit ist kein Parteipropagandainstrument. Wenn Fakten für eine vorgefertigte Meinung unbequem werden, ist das kein Bug – es ist das Feature der Realität.
Warum ich trotz Anecken weiter schreibe
Ich liebe die Komplexität der Realität. Ich bewege mich lieber irgendwo zwischen den Stühlen als in einer Echokammer zu liegen, in der alle dasselbe nachplappern. Ich möchte Schwarz-Weiß durch Graustufen ersetzen - und entdecken, welche Lösungen, Probleme und Fragen sich durch die Betrachtung der realen Komplexität ergeben. Zudem ist es mir wichtig, immer wieder klar zu stellen, dass die Realität nicht so gradlinig und simpel ist, wie sich das einfältige Gemüter so vorstellen.
Und wenn mich wieder beide Seiten gleichzeitig an die Wand nageln wollen? Dann nehme ich das nicht als Niederlage, sondern als Bestätigung. Zwischen den Stühlen liegt der Platz, an dem ehrliches Denken beginnt. Wer sich dort unwohl fühlt, möge sich setzen – ich bleibe stehen.
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