Ein Artikel in Kooperation mit Prof. Edzard Ernst
Am 9.9.2019 beschloss die Bremer Landesärztekammer unter dem Vorsitz von Heidrun Gitter eine neue Weiterbildungsordnung (WBO). Mit keinem Wort wurde in dieser neuen Weiterbildungsordnung das Wort "Homöopathie" erwähnt. Es gibt also keinen "singulären Beschluss", der "Homöopathie" im Bereich ärztlicher Fortbildungen in Bremen ausklammert. Der Vorstand hatte die neue WBO der Delegiertenversammlung zum Beschluss vorgelegt. Darin war - in Abweichung zur noch 2019 geltenden Muster-Weiterbildungsordnung (MWBO) - die Homöopathie einfach nicht mehr enthalten. Dem Gremium wurde vorab sowohl schriftlich als auch nochmals in der Versammlung die Absicht erklärt, so dass jedem Delegierten klar war, was er am 9.9.2019 beschließt: nämlich die neue, eine von "Homöopathie" endlich befreite WBO. Der Beschluss fiel übrigens einstimmig aus.
Welche Folgen dieser Beschluss bundesweit nach sich ziehen sollte, ahnte 2019 wohl noch niemand in Bremen. In Kreisen von Journalisten war dagegen schnell von einem "Dammbruch" die Rede. Selbstbewusst titelte der Bremer Weser-Kurier: "Homöopathie-Weiterbildungen werden künftig nicht mehr anerkannt"
Ein Jahr zuvor wurde das "Münsteraner Memorandum Homöopathie" veröffentlicht - ein von der Öffentlichkeit viel beachtetes Statement des Münsteraner Kreises unter der Leitung der renommierten Münsteraner Medizin-Ethikerin Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert.
Dem bahnbrechenden Bremer Beschluss waren einige wichtige nationale und internationale Entwicklungen vorausgegangen, z.B.:
- Im August 2019 hatte das ‚Informationsnetzwerk Homöopathie‘ deutsche Politiker um eine Überarbeitung der Arzneimittelrichtlinie gebeten, die die Begünstigung der Homöopathie beenden sollte.1
- Im Mai hatte die Französische Gesundheitsministerin angekündigt, dass In Frankreich die Homöopathie aus der Erstattung gestrichen würde.2
- 2018 war das "Münsteraner Memorandum Homöopathie" veröffentlicht worden. Dies war ein von der Öffentlichkeit viel beachtetes Statement des Münsteraner Kreises.
- 2018 hatte die ‘Royal Pharmaceutical Society’ verlautbart: the PPS does not endorse homeopathy as a form of treatment because there is no scientific basis for homeopathy nor any evidence to support the clinical efficacy of homeopathic products beyond a placebo effect.3
- 2018 hatte die Universität von Lille, Frankreich die Homöopathie als Unterrichtsfach verbannt.4
- 2017 hatte die European Academies’ Science festgestellt: “there are no known diseases for which there is robust, reproducible evidence that homeopathy is effective beyond the placebo effect”.5
- 2017 hatte das Englische NHS die Übernahme von Homöopathika eingestellt.6
1 HOMEOPATHY: A letter to all MEPs (edzardernst.com)
2 The days of homeopathy in France are counted (edzardernst.com)
3 The Royal Pharmaceutical Society’s verdict on homeopathy (edzardernst.com)
4 Lille Medical School suspends homeopathy degree (edzardernst.com)
5 The European Academies’ Science Advisory Council’s verdict on homeopathy (edzardernst.com)
6 A triumph for ‘GOOD THINKING’, and the end of homeopathy on the NHS in England (edzardernst.com)
Der Bremer Beschluss, die Homöopathie aus der WBO zu nehmen war sodann der Zündfunke für Beschluesse weiterer deutscher Landesärztekammern.
Die Justitiarin der Bremer Ärztekammer, PD Dr. jur. Heike Delbanco, erreichte als Antwort auf den Beschluss am 12.9.2019 meine folgende Mail:
" Verehrte Frau Delbanco, im Namen des gesamten Münsteraner Kreises möchte ich Ihnen hiermit ausdrücklich unseren Dank aussprechen für Ihr Engagement. Die Tatsache, dass jetzt das winzig kleine Bremen die Homöopathie aus der Weiterbildung ausklammert, wird viele Patienten zukünftig vor Scharlatanerie und falschen Therapien schützen.
Mehr noch: Diese mutige Entscheidung kann dazu beitragen, Leben zu retten!
"Wir Bremer" haben damit Maßstäbe gesetzt, die - so hoffen wir vom Münsteraner Kreis - für andere Bundesländer umgehend zur Richtschnur werden.
Danke für Ihren Mut, das Thema anzupacken, Ihre Phantasie bei der Gestaltung der WBO und Ihre Beharrlichkeit!
Mit den besten Grüßen:
Dr. Hans-Werner Bertelsen, Bremen
Prof. Dr. Manfred Anlauf, Mitglied der Arzneimittelkommission der BÄK, Bremerhaven
Dr.-Ing. Norbert Aust, Informationsnetzwerk Homöopathie, Schopfheim
Juliane Boscheinen, Rechtsanwältin, Institut für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik, Universität Mannheim
Prof. Dr. Dr. Edzard Ernst, University of Exeter
Dr. Daniel R. Friedrich, Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Universität Münster
Dr. Natalie Grams, Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften, Roßdorf
Prof. Dr. Hans-Georg Hofer, Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Universität Münster
Prof. Dr. Paul Hoyningen‐Huene, Zentrale Einrichtung für Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsethik, Universität Hannover
Prof. Dr. Jutta Hübner, Stiftungsprofessorin für Integrative Onkologie der Deutschen Krebshilfe am Universitätsklinikum Jena
Prof. Dr. Dr. Peter Hucklenbroich, Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Universität Münster
Dr. Eva-Maria Jung, Philosophisches Seminar, Universität Münster
Prof. Dr. Marie I. Kaiser, Abteilung Philosophie, Universität Bielefeld
Prof. Dr. Ulrich Krohs, Philosophisches Seminar und Zentrum für Wissenschaftstheorie, Universität Münster
Dr. Benedikt Matenaer, Facharzt für Anästhesie und Schmerztherapie, Bocholt
Dr. Claudia Nowack, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Diplom-Psychologin, Münster
Prof. Dr. Dr. Heiner Raspe, Institut für Sozialmedizin, Universität Lübeck; Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Universität Münster
Dr. Jan‐Ole Reichardt, Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Universität Münster
Prof. Dr. Norbert Schmacke, Versorgungsforschung, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Universität Bremen
Dr. Eugen Schmid, Gynäkologe, Zürich
Prof. Dr. Bettina Schöne‐Seifert, Lehrstuhl für Ethik der Medizin, Universität Münster
Prof. Dr. Oliver R. Scholz, Philosophisches Seminar, Theoretische Philosophie, Universität Münster
Dr. Markus Seidel, Zentrum für Wissenschaftstheorie, Universität Münster
Prof. Dr. Jochen Taupitz, Institut für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik, Universität Mannheim
Dr. Christian Weymayr, freier Wissenschafts‐ und Medizinjournalist, Herne"
Der in der Mail vom 12.9.2019 geäußerte Wunsch, der Bremer Beschluss möge zur Richtschnur für andere Landesärztekammern werden, erfüllte sich auf ungeahnt schnelle Art und Weise. Bereits am 20.9. erreichte mich folgende Mail des stellvertr. Vorstandsvorsitzender der KV Hessen, Dr.Eckhard Starke:
"Guten Morgen, ich danke Ihnen und werde mich bemühen, dass unsere Landesärztekammer Ihrem Beispiel folgt."
Es folgten nicht nur Hessen, sondern eine Landesärztekammer nach der anderen, sodass es heute nur noch zwei Landesärztekammern (von 17) gibt, die sich dieser notwendigen Änderung widersetzen und somit dieser gefährlichen Scheintherapie weiterhin ein Forum im Rahmen ärztlicher Fortbildung geben:
Sachsen und Thüringen.
Aus meiner Sicht ist dies nicht ungefährlich, stellt eine einzige Landesärztekammer, die "Homöopathie" im Fortbildungsangebot hat, fatalerweise die Sicherstellung für den bundesweiten Fortbestand dieser oftmals lebensgefährlichen Scheintherapie dar.
Der Fortbildungstourismus wird dazu führen, dass Selbsttäuscher und Geschäftemacher weiterhin diese, in vielen Ländern zurecht verbotene "Homöopathie" propagieren und PatientInnen um ihre zeitnahe, indikationsgerechte Therapie und somit um ihre Genesungschance bringen.
Die Leitungen der Ärztekammern in Sachsen und in Thüringen sollten sich darüber im klaren sein, dass sich ihr Angebot mittlerweile außerhalb der gültigen Muster-Weiterbildungsordnung bewegt!
Auf dem Ärztetag in Bremen (wo sonst?) wurde im Mai eine neue MWBO beschlossen. Darin kommt "Homöopathie" nicht vor.
Aber das ist erst ein gutes Jahr her...