„Sie machen das!“
Die Worte hallten noch nach, als ich schon wieder an meinem Schreibtisch saß.
„Ja Chef! Selbstverständlich. Ich danke für das Vertrauen, dass sie in mich setzen.“
Mit diesen wenigen unbedachten Sätzen hatte ich mich selbst in diese unangenehme Lage gebracht.
„Warum ich?“, sagte ich mir immer wieder.
Jetzt, da ich ihm die Zusage gab, konnte ich ja schlecht wieder einen Rückzieher machen. Langsam stieg in mir die Wut hoch.
Zum einen über meinen Chef, der mir das eingebrockt hat und zum anderen über mich selbst, weil ich mich nicht dagegen gewehrt habe. Aber wenn einem eine Aufgabe von so großer Tragweite, vor der versammelten Belegschaft angetragen wird, wie soll man da NEIN sagen.
Außerdem hatte er sein Ansinnen nicht als Bitte formuliert oder als eine Frage, die man verneinen konnte. Es war ein klarer Auftrag, ein Befehl! Widerspruch zwecklos. Es kam so unverhofft, dass es nicht möglich war, mir eine Ausrede einfallen zu lassen. Ich war eindeutig in eine Falle getappt.
Die einzige Chance, die ich jetzt noch hatte, wäre eine Kündigung. Ich spielte mit dem Gedanken, doch ein Anruf bei meiner Bank ließ mich die Idee schnell wieder verwerfen.
„Ihr Dispo ist bereits ausgereizt und ich rate dringend von einer Kündigung ab.“, sagte mir der Bankbeamte eindringlich.
Ich dankte ihm für die offenen Worte und legte den Gedanken ad acta.
„Wie bin ich nur in diesen Schlamassel geraten?“, fragte ich mich selbst, in Ermangelung einer sonstigen vertrauenswürdigen Person.
Alleine mit so einem eminenten Problem, in seinem Büro zu sitzen, dass wünsche ich niemandem. Selbst Kollegen, die sonst wegen jeder Kleinigkeit in mein Büro kommen, um nach Heftklammern, Filtertüten oder einer Tageszeitung nachzufragen, halten sich heute pietätvoll zurück. Denn alle wissen, welche schwere Bürde mir der Chef aufgeladen hat und nun zeigen sie mir, durch ihr Nichteintreten, wie froh sie sind, dass es nicht sie getroffen hat. Auch der Chef lässt sich nicht blicken. Wahrscheinlich hatte er dafür gute Gründe.
Er befürchtet womöglich, ich könnte mich ihm zu Füßen werfen und flehentlich bitten, mich von der übermenschlichen Aufgabe zu entbinden.
Und an allem ist Jörg Hinrich Frohwein schuld!
Schon am ersten Tag, als ich in die Firma kam und ihm im Flur begegnete, da hatte ich bereits dieses komische Gefühl. Am zweiten Arbeitstag wurde aus dem Gefühl Gewissheit, ich mochte den Kerl nicht. Damals konnte ich noch nicht sagen, wieso und warum. Es war eben nur ein Gefühl.
Doch als ich am zweiten Tag in die Kaffeeküche kam und sah, wie er den letzten Kaffee in seine Tasse schenkte, da wusste ich es genau: „Ich mag den Kerl nicht! Diesen Egomanen, diesen Narzissten, dieses ichbezogene Arschloch!“
Und wenn ich mir erst einmal meine Meinung über jemanden gebildet habe, dann bringt mich nichts mehr davon ab. Da bin ich sehr charakterstark!
Im Gegensatz zu ihm bin ich kein Egozentriker und behalte meine Meinung für mich. Noch vor der Mittagspause wussten meine neuen Kollegen, wie ich Frohwein einschätzte und nach kurzer intensiven Meinungsaustauschs, teilten sie meine Auffassung vollumfänglich.
Und Frohwein wurde zu dem, was er selbst heraufbeschworen hatte, zu einem Außenseiter, der nur noch mit Argwohn beäugt wurde.
Ich hingegen genoss meinen neuen Firmenstatus als beliebtester Kollege. Zuletzt nicht auch deswegen, weil ich den Mut besaß, als Erster eine eigene Kaffeemaschine in seinem Büro aufzustellen und stets frischgebrühten Kaffee für meine Kollegen bereithielt. Eine freizugängliche Keksdose bot zudem einen Anreiz, etwas länger in meinem Büro zu verweilen, um Neuigkeiten auszutauschen.
Das man mit mir über alles reden kann und ich stets meinungsstark bin, hat sich schnell herumgesprochen und so entwickelte sich mein Büro als das Frequentierteste in der ganzen Firma.
Selbst der Chef kommt manchmal vorbei, um sich an den Keksen zu laben. Die kaufe ich bei mir um die Ecke, gebe sie aber als selbstgebacken aus. Vielleicht war das aber auch mein Verhängnis nun. Womöglich hat der Chef mir die Aufgabe zugedacht, weil ich mich so aufopfernd für das Firmenklima einsetze. Man weiß es nicht. Über seine Beweggründe hat er sich nicht näher geäußert. Er hat nur vor versammelter Mannschaft gesagt: „Mayer, das ist jetzt ihr Job. Sie vertreten die Firma und ich erwarte einiges von Ihnen!“
Wäre mir Frohwein nicht schon vorher verhasst gewesen, spätestens nach dieser Ankündigung war er es.
Für mich war ab da Frohwein gestorben!
Und genau da liegt der Hund begraben. Frohwein ging in der Mittagspause zum Bäcker und hat sich mit einer Tüte Zimtsterne überfahren lassen. Leider war das Zimtgebäck für den Verzehr hinterher nicht mehr geeignet.
Dem Reisebus voller kleiner japanischer Touristen war kein Vorwurf zu machen, denn sie bekamen von dem kleinen Vorfall nichts mit, da sie seitwärts aus den Busfenstern fotografierten, was ihnen so vor die Linse kam.
Aus einem zwanghaften Gruppengefühl heraus, tat es ihnen der Busfahrer jedoch nach, was zu dieser unschönen Überfahrung von Frohwein führte. Die polizeilichen Ermittlungen ergaben, dass ein Fremdschulden ausgeschlossen werden könnte, da einzig und alleine Frohwein fahrlässig gehandelt hatte.
Dies lag vordergründig an einer Unachtsamkeit seinerseits, die bereits in der Firma ihren Anfang nahm. In einer Rekonstruktion der Ereignisse wurde nämlich festgestellt, dass er fahrlässig war, als er sein Büro verließ, mit dem drängenden Wunsch, sich eine Tüte Zimtgebäck käuflich zu erwerben. Doch wie die Obduktion ergab, litt Frohwein seit Jahren an Diabetes, was er jedoch sträflicherweise ignorierte. Hätte er sich, wie es ihm seine Ärztin eindrücklich ans Herz legte, sich ausschließlich von Gemüse ernährt, würde er noch leben. Denn der Weg zum Gemüsehändler, der sich auf derselben Straßenseite befindet wie das Büro, bietet weit weniger Gefahrenpotenzial als der Bäcker, den man nur erreicht, indem man den Zebrastreifen überquert, der die Straße ziert. Nun ist in der Firma allgemein bekannt, dass Frohwein während der Arbeit private Pantoffel trägt, für die er eine Ausnahmegenehmigung hatte. Jedoch für den Weg zum Bäcker wechselte er diese gegen seine normalen Straßenschuhe. Diese waren jedoch an diesem unglückseligen Tag nicht seine Slipper, in die man nur reinschlüpfen muss, sondern ein paar Schnürschuhe.
Diese müssen selbstverständlich geschnürt werden und am besten auch noch zusätzlich geknotet, um sie unfallfrei tragen zu können.
Doch wie die Spurensicherung ermittelte, konnten sie keine Fingerabdrücke an den Schnürsenkeln feststellen, was darauf hinweist, dass sie noch niemals gebunden wurden.
Offensichtlich hatte er es versäumt, die Bedienungsanleitung für die Schnürschuhe aufmerksam zu lesen und eine dringend notwendige Probeschnürung durchzuführen.
Dieser leichtsinnige Umgang mit Präzisionswerkzeug wurde nun sein Verhängnis. Mit offensichtlich offenen Schuhen verließ er das Büro. Wie nun einige Zeugen übereinstimmend aussagten, blieb Frohwein mitten auf dem Zebrastreifen stehen und beugte sich hinunter, offensichtlich zu der Erkenntnis erlangt, die Schuhe doch besser zu schnüren.
Durch die Absenkung seiner körperlichen Gestalt gelangte er außerhalb des Sichtbereichs, des ohnehin abgelenkten Busfahrers, japanischer Herkunft. Nun trafen ausgerechnet zwei Dinge zusammen, die besser Abstand zueinandergehalten hätten.
Frohwein zog gegen den Bus den Kürzeren. Es hätte auch umgekehrt sein können, dann müsste ich nun mich nicht mit seiner Grabrede beschäftigen, die mir mein Chef aufs Auge gedrückt hat.
Zwei geschlagene Stunden sitze ich nun an meinem Schreibtisch und brüte über der Festrede und mehr als ein „Hallo!“, habe ich noch nicht. Mir fehlt es da einfach an Übung. Gewöhnlich ignoriere ich den Tod anderer Leute ja und belästige sie schon gar nicht mit einer Rede, die sie sowieso nicht mehr hören können, da sie ja tot sind. Für mich ist der Tod Privatsache. Leider teilt mein Chef diesbezüglich meine klare Haltung nicht und besteht darauf, dass ein Vertreter der Firma auf der Abschlusskundgebung von Frohwein auftritt und die Leute dort unterhält. Sicherlich hat seine Entscheidung auch etwas mit meinen Keksen zu tun. Vermutlich hat er sich gedacht, wer so gut backen kann, der kann auch gut Reden halten. Natürlich hätte ich auch vor versammelter Kollegen und der Geschäftsleitung mich als Nichtbäcker outen können, doch fürchtete ich einen Shitstorm unglaublichen Ausmaßes. Und da ich weiterhin gut gelitten sein möchte, schwieg ich. Dieses Schweigen hat mich nun dahin gebracht, wo ich nun bin. An meinen Schreibtisch vor ein leeres Blatt, wo nur ein trauriges „Hallo“ steht. Ich stelle es mir jedenfalls traurig vor. Es soll als ein „Betroffenheitshallo“ in die Trauergeschichte eingehen. Wegweisend für alle späteren Grabreden, die irgendwo ein armes Schwein gegen seinen Willen halten muss. Das jemand Spaß an einer solchen Aufgabe hat, kann ich mir nicht vorstellen.
„Na wie läuft es?“
„Super Chef! Wird der Hammer!“
Das war eben gerade mein Chef. Nett das er einmal reinschaut und nachfragt. Das zeigt sein Interesse an mir. Aber setzt mich natürlich auch unter Druck. Ich schaue mir gleich noch einmal mein „Hallo“ an und überlege, wie ich es wohl sagen werde. Immerhin ist es der Beginn der Rede und gerade der Beginn ist entscheidend. Wenn der Anfang nicht gleich richtig zündet, dann wird es schwer. So ein „Hallo“ ist unverbindlich, nicht religiös überladen und hat doch einen persönlichen Touch. Ich hatte schon überlegt mit „Hallo Freunde“ zu beginnen, doch erschien mir das zu anbiedernd, als ob ich nur auf Applaus aus wäre. Den sollen sie sich bis zum Ende aufsparen, wenn ich alle meine Pointen verschossen habe. Unter dem Applaus können sie dann meinetwegen den Sarg herunterlassen. An der Stelle stört es am wenigsten. Das ist für die Witwe auch angenehmer, auf die ja sonst alle starren, ob sie, denn auch am Sarg weinend zusammenbricht. So etwas ist für alle Beteiligten immer etwas unangenehm, wenn sie sich da so in den Mittelpunkt stellt. Schließlich geht es dabei ja nicht um sie. Damit stiehlt sie nur dem Toten die Show. Wobei ich überhaupt nicht weiß, ob Frohwein eine Frau hat. Na ja, wenn er eine Frau hat, dann hatte er sie ja vielmehr, denn jetzt hat er sie ja nicht mehr. Ich darf nicht vergessen, dass ich alles was ich sage, in der Vergangenheitsform sage. Sonst denkt sie womöglich, er lebt noch. Dann wäre die ganze Veranstaltung ja sinnlos. Aber so wie ich ihn einschätze, hat er überhaupt keine Frau gehabt. Wer heiratet schon einen Mann, der sich nicht einmal anständig die Schuhe zubinden kann.
Ich rufe in der Personalabteilung an und erfahre, so wie ich es mir dachte, er hatte Steuerklasse Eins. Also unverheiratet!
Allerdings, so wurde mir diskret gesagt, er solle wohl eine Lebensgefährtin gehabt haben.
Das trifft sich gut, denn dann muss ich sie rechtlich ja nicht erwähnen. Da gehört die ja nicht einmal zum engeren Familienkreis. Lebensgefährtinnen sind ja eher etwas Unverbindliches. Die ist ja mehr für das Bett da, als für den Haushalt. Und über seine erotischen Eskapaden möchte ich nun wirklich nicht erzählen.
Alleine die Vorstellung er könnte Sex gehabt haben, erscheint mir doch sehr unglaubwürdig. Dafür war er irgendwie nicht der Typ. Er schaute immer so verkniffen. Ein Mann, der guten Sex hat, der schaut entspannt. Wahrscheinlicher ist da schon, dass er schlechten Sex hatte. Und so wie ich ihn einschätze, sogar sehr schlechten Sex.
Ja so langsam bekommen die Puzzleteile ein Gesicht. Zwar kein Schönes, aber immerhin!
Zufrieden sehe ich mir die Stichwortliste an, die ich mir erstellt habe. Daraus lässt sich was machen! Bleibt nur noch die Frage, Prosa oder Reimvortrag?
Doch zunächst konzentriere ich mich auf das Wesentlichste. Denn ein Blick auf die Uhr sagt mir, ich mache bereits Überstunden. Feierabend für heute. Ein letzter Blick auf mein fast fertiges Manuskript, ehe ich es in der Schreibtischschublade verschwinden lasse. Begeistert mit dem bisher Geleisteten nicke ich mir zufrieden zu.
Das „Hallo“ steht und der Rest wird sich morgen finden. Eine gute Rede muss eben reifen!
*
Heute Morgen habe ich extra einen Bus früher genommen, denn ich möchte etwas an meiner Rede feilen. In der Nacht habe ich noch entschieden, mich für einen Prosavortrag auszusprechen. Auf Frohwein lässt sich nur schwer reimen. Alles was ich an Reimwörtern fand, war:
KEIN - BEIN - MEIN - SCHWEIN!
Ich nehme mir mein Redemanuskript aus der Schublade und lese den Text durch und versuche den richtigen Tonfall zu finden, der für die entsprechende Stimmung sorgen soll. Getragen oder pathetisch, erotisch angehaucht oder staatstragend? Es gibt da ja tausend Möglichkeiten, wie man eine Rede halten kann, die ja auch nachwirken und Denkanstöße liefern soll. Es ist nicht so wichtig, was man sagt, sondern wie man es sagt. Nur wenn man Gefühle in seine Worte legt, bekommt man die Zuhörer zu Weinen oder zum Lachen. Ich will sie ja nicht langweilen, sondern aufwühlen. Sie sollen noch lange Zähren davon, was ich an Weisheiten ihnen mit auf den Weg gebe. Diese Beerdigungsrede soll ein Meilenstein werden an literarischer Erbauung und Ermunterung. Ein Manifest! Nicht zu politisch und doch klar Stellung beziehen. Kein Allerweltsgeschwafel, sondern Faktenreich durchdacht. Hintersinnig und doch auch vordergründig. Zurückgenommen und doch leidenschaftlich im Vortrag. Eben ein Feuerwerk sprachlicher Fabulierkunst!
Mitreißend und nachdenklich. Bescheiden im Auftritt und dennoch explosiv in der Intonation. Raffiniert in der Satzgliederung. Den Text nach vorne peitschend, hin zum furiosen Finale. In der Tonhöhe variierend, von gedämpfter Trauer, hin zum triumphalen Rezitativ. Ich will sie packen, mit allem, was die Modulation meiner Stimme vermag. Sie wird zart sein wie eine Harfe, treibend wie eine Violine, anklagend wie die große Kesselpauke und erlösend wie der Schlag eines zusammenschlagenden Beckens.
Jede Nuance meiner Worte werde ich durchleben, jedes Adjektiv wird funkeln. Substantive und Präpositionen werden durch meine wohlklingende Stimme geadelt. Ich werde mich einreihen in die Ahnengalerie der berühmtesten Redner.
Ich werde von zukünftigen Generationen in einem Atemzug genannt werden, mit Gandhi, Lincoln, Luther-King, Churchill und Julius Cäsar.
Mit dieser Rede erwerbe ich mir weltweite Geltung. Man wird zu meinen Rhetorikseminaren pilgern und diese, meine Rede, wird eines Tages in Goldlettern am Brandenburger Tor angebracht werden, als ewige Mahnung an die gesamte Menschheit!
Doch noch ist es nicht so weit. Noch hadere, noch kämpfe ich um jedes Wort.
Ein falsches Verb, ein hingehudeltes Substantiv, ein fälschlich gesetztes Komma und die ganze Rede wäre sinnentstellt.
Nicht auszudenken, welch ein fatales Signal damit in die Welt gesendet werden könnte. Aber ich bin mir meiner großen Verantwortung bewusst, der schweren Last, die auf meinen Schultern liegt.
Doch ausgerechnet jetzt, inmitten höchster kreativer Konzentration, reißt mich das Schrillen des Telefons raus.
„Ja!“, rufe ich, im Subtext unwirsch, in den Hörer.
Am anderen Ende der Leitung meldet sich mein Chef und will wissen, ob ich mit der Rede fertig sei.
„Chef, ich bin mitten in der Endfassung. Mir fehlt nur noch der entscheidende Schluss, damit ein kollektives Weinen erfolgen kann.“
Mein Chef zeigt sich erstaunt und erfreut zugleich, denn so wie er mir soeben mitteilt, glaubte er, ich sei unglücklich über die Dienstanweisung, die er mir gegeben habe.
Ich weise diese Annahme sofort empört zurück und höre mich noch sagen, ehe ich auflege:
„Ich werde mich ihres Vertrauens, welches sie in mich gesetzt haben als würdig erweisen!“
Dann sehe ich auf die Uhr und wundere mich, wie schnell doch ein Arbeitstag zu ende geht.
In der Gewissheit, das richtige Gefühl als Subtext für mein „Hallo“ gefunden zu haben, vertage ich die weitere Ausformulierung meiner Rede auf den morgigen Tag und begebe mich erschöpft, aber glücklich, nach Hause. Dort angekommen lege ich mich in ein Entspannungsbad und übe immer und immer wieder an meiner bisherigen Rede.
„Hallo – Hallo – Hallo – Hallo – Hallo!“
*
In dieser Nacht wache ich schweißgebadet auf. In einem für mich äußerst unangenehmen Traum stand ich nackt vor dem Sarg Frohweins, weil ich mich so intensiv um die Ausgestaltung meiner Rede gekümmert habe, jedoch es versäumte mich um eine, dem Anlass entsprechende Kleidung zu kümmern.
Ich springe aus dem Bett auf und öffne meinen Kleiderschrank. Auf den ersten Blick entdecke ich nichts, was mir zusagt. Und die Zeit läuft mir davon. Heute Nachmittag ist meine große Stunde und ich habe weder eine fertige Rede noch ein Farbkonzept für mein Bühnenoutfit. Ratlos blicke ich in meinen Kleiderschrank, der wiederum seinerseits mich hilflos ansieht. Er hat nichts im Repertoire, was auch nur annähernd infrage kommt. Mir schwebt es verhalten optimistisches vor, weg von dem klassischen Einheitsschwarz, was einen immer so auf Beisetzungen deprimiert. Das ist sowas von überhaupt nicht lebensbejahend. Und ich möchte den Trauernden ja mit Zuversicht begegnen. Ich möchte sie mit einem Lächeln auf den Lippen aus meiner Veranstaltung entlassen. Meine Aufgabe ist es die Tristesse des düster melancholischen Ortes zu durchbrechen.
Der Friedhof muss wieder zu einem Treffpunkt des geselligen Miteinanders werden. Zu einem Hotspot, wo man einmal alle Sorgen vergessen kann. Wenn ich dazu einen Beitrag leisten kann, so will ich mich gerne dafür an die Spitze einer neuen Bewegung stellen. Dabei geht es mir weniger um mich, als um das, was ich zu sagen habe. Wenn auch die Worte, die ich dafür benötige, noch nicht gefunden sind, so weiß ich doch, dass sie tief in mir verborgen sind und nur noch das Licht der Sonne erblicken müssen.
Ich muss nur in mich hineinhorchen und ihnen dann den Raum geben sich zu entfalten. Dann werden sie ihre Wirkung auch nicht verfehlen. Eigentlich schade, dass Frohwein nur passiv dabei sein kann, denn es würde mich interessieren, wie er meine Rede findet. Immerhin halte ich sie ja nur für ihn. Da wäre ein Feedback schon schön. Außerdem weiß ich auch noch gar nicht, an welcher Stelle der Feier mein Beitrag geplant ist. Vielleicht sollte ich dem Pfarrer einen Ankündigungstext schreiben, damit die Zuschauer wissen, jetzt komme ich und mich mit freundlichem Applaus begrüßen können. Am Ende meiner Rede wird die Begeisterung schon von selbst kommen. Falls es Vorort die Möglichkeit einer Einspielung geben sollte, könnte ich mir gut eine Fanfare vorstellen, die mich musikalisch ankündigt. Leider findet das Event ja im Freien statt und da wird es mit professioneller Beleuchtung sicher schwierig sein.
Sonst könnte ich mir gut vorstellen in einem Spot zu stehen. Schade das die Beisetzung auf fünfzehn Uhr terminiert wurde, wo es noch hell ist. Ich könnte mir das Ganze auch gut als Mitternachtsmatinee vorstellen. Das wäre auch atmosphärisch viel wirkungsvoller. Im Hellen sind diese ganzen Grablichter ja praktisch ohne Effekt. Die Bestattungsunternehmen sind einfach nicht innovativ. Sie könnten Särge mit Innenbeleuchtung, Kränze mit eingewobenen Lichterketten und kleine Feuerwerke in ihr Programm aufnehmen. All das könnte für eine romantische Stimmung mit beitragen. Heutzutage wollen die Menschen unterhalten werden. Man könnte ja auch das Lieblingsgetränk des Verblichenen zur Begrüßung anbieten. Das wäre was Persönliches und lockert auch die Stimmung auf. Da ist die Vorfreude auf das Happening doch ungleich größer. Das erzeugt auch sofort eine gewisse Spannung. Doch leider ist das alles noch Zukunftsmusik. Und wird es auch bleiben, wenn nicht ein mutiger Visionär es wagt neue Wege zu beschreiten. Diese rituellen Einheitsbeisetzungen sind doch längst out. Der ganzen Branche fehlt es doch an kreativen Köpfen, die mit der Zeit gehen. Denn gerade in der Bestatterszene geht es doch letztlich nur darum mit der Zeit zu gehen. Wenn ihre Kundschaft nicht mit der Zeit gehen würden, dann könnte die gesamte Branche Konkurs anmelden. Sollte ich, wovon ich ganz stark ausgehe, heute Mittag eine gefeierte Premiere hinlegen, dann überlege ich mir ernsthaft, in das Bestatterwesen einzusteigen. Dazu braucht es ja nicht viel.
Ein Businessplan ist schnell erstellt und Mitarbeiter, die Löcher buddeln können, müsste das Arbeitsamt auch liefern können.
Doch vorerst muss ich die Idee eines neuen florierenden Wirtschaftsimperiums hinten anstellen, denn wie mir mein aufgeregter Wecker gerade eindrücklich erklärt, wird meine Arbeitskraft im Büro verlangt. Und an der Rede sind auch noch einige wenige Details zu klären.
Die Mittagspause muss ich zudem dafür nutzen, mich kleidungstechnisch neu zu bestücken.
Ich gehe stark davon aus, dass mich mein Chef dabei finanziell großzügig unterstützen wird, denn schließlich bin ich ja als Werbebotschafter unserer Firma unterwegs. Farblich habe ich mich inzwischen entschieden.
Es soll ein würdevoller Dreiteiler in Altrosa werden. Als Applikation denke ich da an dezente goldschimmernde Paillettenstreifen. Über die Kopfbedeckung bin ich noch mit mir im Disput. Ich schwanke noch zwischen klassischem Zylinder und frech progressivem Pork Pie Hut. Hoffentlich gibt es den auch in meiner Anzugfarbe! Wenn mein Chef sich nicht bereit erklären sollte, die gesamten Kosten des Traueroutfits zu übernehmen, biete ich ihm an, unser Firmenlogo am Anzug anzubringen. Dies könnte ich natürlich auch unseren Firmenkunden anbieten. Vielleicht springt ja sogar noch ein kleiner Gewinn für mich dabei heraus. Und wenn ich dann noch meine Rede als Selfpublisher herausbringe, wird es mir ein kleines Vermögen einbringen. Es gibt ja heutzutage eine inflationäre Anzahl von Literaturpreisen, von denen ich sicher den ein oder anderen abgreifen werde.
Als zukünftig begehrter Festredner werde ich meine Popularität nutzen und den Verkauf meines ersten Bestsellers ankurbeln. Weitere werden folgen! Das bin ich meiner treuen Leserschaft schuldig. Die wird sich, durch die Buchverfilmung, die ich anstrebe, nochmals explosionsartig vermehren. Aber eines werde ich mir, jetzt hier und heute, fest in die Hand versprechen! Trotz der zu erwartenden Berühmtheit werde ich immer auch Mensch bleiben. Ich werde mir immer einen Teppich suchen, von dem ich nicht abhebe. Ich bleibe für alle Zeit der einfache Junge aus dem Volk, dem der Weltruhm nicht zu Kopf steigen wird.
Zunächst einmal wird aber erst gefrühstückt.
Mit leerem Magen macht man keine Karriere!
Ich entscheide mich für eine Scheibe Toast Hawaii. Da sind alle Vitamine vereint, die mir über den Tag die nötige Energie verleihen. Dazu eine halbe Tasse Kaffee, entkoffeiniert, sonst bin ich zu aufgedreht. Kaffee ist bekanntermaßen ja harntreibend und es wäre ein Fiasko, wenn sich inmitten meiner „Rede an die Nation“ die Blase meldet und meiner noch frischen Karriere einen Strich durch die Rechnung machen würde. Das wäre der Beginn einer kaum noch zu bremsenden Talfahrt, die mich wieder dahinbringen könnte, wo ich heute schon bin. An meinen alten Arbeitsplatz, wo ich unzweifelhaft dem Gespött der ganzen Firma ausgesetzt wäre. Dies alles könnte geschehen, nur weil ich zuviel Kaffee getrunken habe. Kurzerhand entscheide ich mich um und trinke zwei Tassen Ingwertee. Gestärkt und hoch motiviert enteile ich, einer hoffnungsfrohen neuen Zukunft entgegen. Eine großartige Rede muss Gehalte werden und ich bin bereit, diesen Beweis vor der Welt zu erbringen. Denn ich bin der Auserwählte! Voller Zuversicht betrete ich C&A und desillusioniert verlasse ich den Modetempel, im vollen Bewusstsein, mich für alle Zeiten als treuen Kunden verloren zu haben. Ein angebliches Fachgeschäft, wo es keinen Anzug in altrosa gibt, ist es nicht Wert, je wieder von mir besucht zu werden. Ich solle es einmal in einem Fastnachtskostümverleih versuchen, erklärt mir eine angebliche Fachverkäuferin. Ich spreche ihr jegliche Kompetenz ab und entziehe ihr augenblicklich das Recht, mich weiterhin zu bedienen. Nichteinmal meine Alternative, einem grasgrünen Anzug, konnte sie mir zeigen. Als ich zu dem einzigen Fastnachtsladen kam, da hatten die gerade umdekoriert für Halloween. Wenn einem das Glück nicht hold ist, kommt auch noch Pech dazu. Ja soll den mein beruflicher Aufstieg an einer ungünstigen Jahreszeit scheitern? Doch so leicht gebe ich nicht auf. Ein erfolgreicher Mann muss spontan sein Können und sich jederzeit plötzlichen Veränderungen anpassen. Ich entscheide mich für einen schwarzen Umhang aus nachhaltigem Polyester. Leider ist es ein Kombiangebot. Man gewährt mir keinen Nachlass, denn die Draculazähne würden nun einmal dazugehören. Es ist zwar nicht ganz das, was ich mir vorgestellt habe, doch bin ich stolz auf meine Flexibilität. Doch sollte es nicht der einzige Rückschlag für mich sein an diesem Tag.
Pünktlich zur Mittagspause komme ich im Betrieb an. Was ich dort dann sehe, rührt mein Herz und ich verdrücke verschämt eine Träne. Unsere Firmenflagge ist auf halbmast gehisst. Wenn man für einen so unwichtigen Mann wie Frohwein schon die Fahne halb herunterzieht, dann wird sie eines Tages, wenn ich mich von dieser Welt verabschiede, wohl ganz abgenommen. Alles andere würde eine herbe Enttäuschung für mich bedeuten.
Auf dem Flur zum Büro kommt mir ein Kollege entgegen. Sein Händchen, modetechnisch stets stilsicher danebenzuliegen, treibt heute besonders grausame Blüten. Braune Cordhose, gelbes Satinhemd mit übergroßem Kragen, dazu Birkenstock, kontrastiert mit rot weißen Ringelsocken. Offensichtlich ist er in Feierlaune, denn er strahlt mich an. Nach dem unfreiwilligen Rückzug von Frohwein ist er in meiner persönlichen Unbeliebtheitskollegenliste an die erste Stelle gerückt. Normalerweise lasse ich ihn unbeachtet an mir vorbeilaufen, doch gerade heute da kann ich ihm sein, dem Anlass entsprechend würdelosen Outfit, nicht so einfach durchgehen lassen.
„Moment mal!“, halte ich ihn auf.
Abrupt bleibt er stehen und sieht mich überrascht an. Mein harscher Ton hat seine Wirkung also nicht verfehlt.
„Sprechen Sie mit mir?“, stottert er Wort für Wort heraus.
Mit Abscheu sehe ich ihm ins Gesicht. Zumindest so weit mir dies möglich ist, denn ein Großteil ist von einem wild wuchernden Gestrüpp aus Barthaaren, die fettig glänzen, verdeckt.
Die gesamte Erscheinung erscheint mir untragbar. Besonders heute, wo die gesamte Firma geschlossen zu meiner großen Rede vollzählig auf dem Friedhof zu erscheinen hat.
Da erwarte ich natürlich auch ein gepflegtes Äußeres sowie dem festlichen Anlass entsprechend, würdige Kleidung. Was der ungeliebte Kollege hier aufträgt, reicht vielleicht für die Einweihung einer Müllverbrennungsanlage, jedoch keinesfalls den Maßstäben, die ich bei meinen Zuhörern anlege. Dies zwingt mich nun dazu, ihn schonend und doch unmissverständlich klar zu machen.
„Na, wollen wir unseren Kleidungsstil nicht noch einmal überdenken?“, beginne ich zunächst noch konziliant.
„Wieso?“, wagt das modische Desaster, auf eine von mir zurechtgestellte Frage, mit einer unverschämten Gegenfrage zu antworten.
Diese Respektlosigkeit verlangt nach einer klaren Ansage, nein sie schreit geradezu danach! Für mich ist das Auftrag und Mission zugleich. Diese Flurbereinigung muss deutlich benannt und augenblicklich durchgeführt werden.
„Kollege, Kollege!“, schüttle ich den Kopf.
Mit dieser überdeutlichen, klar formulierten Kritik, hoffe ich inständig, dass er sein optisches Fehlverhalten erkennt und sofort nach Hause strebt und sich augenblicklich in Festtagskleidung wirft. Doch widererwartend steht er immer noch vor mir, glotzt wie eine Kuh beim Kalben und macht keinerlei Anstalten, sich meinem Modediktat zu unterwerfen.
„Mitkommen!“, sage ich wortkarg, denn jedes weitere Wort wäre vergeudete Zeit und verlorene Liebesmüh. Ich sehe nur eine Chance, ihn direkt mit seinem massiven Problem zu konfrontieren.
Ich gehe voran und er folgt gehörig wie ein wohldressierter Hund, der auf ein Leckerchen hofft. Zielstrebig steuere ich die Damentoilette an, die gewöhnlich nicht frequentiert wird, da wir eine reine Männerbelegschaft haben. Sie wurde nur deshalb installiert, damit, falls einmal die Frau des Chefs zu Besuch kommt und ein dringendes Bedürfnis verspürt, einen passenden Ort für sich findet. Da seine Frau jedoch niemals die Firma betritt, besonders jetzt nach der schmutzigen Scheidung, wartet die Damentoilette noch immer auf ihre Premierenbenutzung. Aber als gutunterrichteter Mitarbeiter weiß ich natürlich, dass sich ebendort ein funktionstüchtiger Ganzkörperspiegel befindet. Und der wird dem unbelehrbaren Kollegen die Augen öffnen, denn er ist unbestechlich. Vorsichtig öffne ich die Tür und lausche, ob sich nicht versehentlich ein Kollege dorthin verlaufen hat. Firmeninternen Gerüchten zufolge sollen wir ja derzeit einen nicht näher definierten Mitarbeiter haben, der sich in divers umoperieren lassen will. Doch wir haben Glück. In der Damentoilette ist es stockdunkel. Und einen blinden Mitarbeiter haben wir bislang nicht. Folglich können wir ungestört eintreten. Zielsicher finde ich den Lichtschalter und betätige ihn. Gleißendes Licht erscheint wie auf Kommando und erhellt den ganzen Raum. Etwas unsicher betrete ich das mir fremde Terrain, gefolgt von dem geschmacklosen Kollegen.
Und tatsächlich, da ist er, der Gesamtkörperspiegel, über dessen Existenz man bisher nur hinter vorgehaltener Hand sich weitererzählt hat. Es gibt ihn also wirklich! Überhaupt sieht hier alles sehr gepflegt aus. Weitaus ansprechender als die Herrentoilette. Lediglich Stehurinale sucht man hier vergebens. Wahrscheinlich ein Fehler des Architekten oder aber es war eine bewusste Entscheidung der Firmenleitung, um das Alleinstellungsmerkmal als Damentoilette damit zu demonstrieren.
Sonst würde es womöglich auch von den männlichen Kollegen benutzt werden und somit entweiht.
Ich stelle den notorisch schwerfälligen Kollegen vor den Spiegel und lasse ihn mit seiner Schande einen Moment alleine mit und warte auf die entsprechende Reaktion. Sicher kein leichter Moment für ihn, so mit seinem Spiegelbild gegenübergestellt zu sein. Manch einer würde daran zerbrechen. Etwas, was ich von meinem Kollegen auch erwarte, wenn er auch nur noch einen Funken Selbstachtung vor sich selbst hat. Er schaut, wie von mir befohlen in den Spiegel, dann wieder zu mir, dann wieder in den Spiegel. Das Ganze würde vermutlich noch stundenlang so weitergehen, ohne das ihm etwas auffällt. Leider fehlt mir nur die zeit und die notwendige Geduld dazu.
Deshalb entschließe ich mich, ihm mit einem kleinen dezenten Hinweis auf die richtige Spur zu bringen.
„Sie sehen scheiße aus, Kollege!“
Was ich jedoch vorher nicht wusste, wie hypersensibel der Mann ist. Genau dieser Wesenszug beweist geradezu exemplarisch, wie ungeeignet er als Mitarbeiter unserer Firma ist. Ganz typisch für diese Art von Mensch, läuft er einfach aus der Damentoilette und rempelt dabei im Flur unseren Chef fast um, der gerade von der Firmenleitungstoilette kommt, um die sich viele Sagen ranken. Angeblich sei es ein sanitäres Paradies, ein wahrer Männertraum. Ein Keramik Wonderland!
„Rüpel!“, ruft der Chef ihm nach.
„Kündigung!“, schreie ich durch den Flur und stelle mich demonstrativ an die Seite meines geliebten Chefs.
Zum ersten Mal, seit ich in dieser Firma arbeite, stehe ich kurz davor meinem Chef das Du anzubieten, so nahe fühle ich mich ihm. Doch da er noch unter Schock steht, möchte ich die Situation nicht ausnutzen und hebe es mir für einen passenderen Moment auf.
„Aber gut das ich sie hier treffe!“, eröffnet der Chef eine kleine Flurplauderei.
„Ich bin auch immer dem Herrgott dankbar, sie zu sehen Chef!“
„Ist das so?“, fragt er nach.
„Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist!“
Jetzt strahlt mein Chef über das ganze Gesicht und ich tue es ihm gleich.
Ich sehe schon förmlich die Leiter vor mir, auf der ich demnächst wohl eine Sprosse höher klettern werde. Wie es sich wohl anfühlen wird mit „Herr Abteilungsleiter“ angesprochen zu werden? Aber da mache ich mir jetzt keine Sorgen.
Daran werde ich mich sicher schnell gewöhnen.
„Sie sollten doch bei der Beisetzung von ... na wie heißt er jetzt gleich ... na diesem Mitarbeiter von uns ... Herr ... na ja auch egal ... ein paar Worte sagen!“
„Und es ist mir eine große Ehre, Chef. Das ausgerechnet ihre Wahl auf mich gefallen ist. Ich habe auch schon eine tolle Rede ... fast fertig ... die alle von den Stühlen reißen wird.“
„Wird sie nicht!“, sagt mein Chef plötzlich, hinein in das von mir begonnene Loblied auf mich und meine Laudatio!
„Die Rede fällt aus. Man hat ein Testament gefunden, wonach der Verblichene vollkommen anonym beigesetzt werden möchte, ohne Zeugen, die dann wissen wo er liegt.“
Für mich bricht in diesem Moment eine ganze Welt zusammen. Wenn mich jetzt mein Chef wenigstens in den Arm nehmen würde, doch er ist bereits weitergegangen.
Ohne mir seinen Dank auszusprechen, ohne mir eine Beförderung in Aussicht zu stellen, stehe ich nun da mit einer Quittung über einen schwarzen Polyesterumhang mit Draculazähnen, die mir keiner erstatten wird. Ich bin vollkommen am Boden zerstört.
Meine ganze Mühe umsonst. Emotional unfähig, in dieser schweren Stunde, an meine Arbeit zu gehen, entschließe ich mich kurzerhand, von einem zufällig herumfliegenden Grippevirus erfasst worden zu sein, und schleppe mich aus der Firma, die mir so viel Undankbarkeit entgegengebracht hat.
Vor der Tür schlägt mir ein eisiger Wind zusätzlich zu meiner niedergeschlagenen Stimmung entgegen. Ich schwanke zwischen Wut und Verzweiflung. Sturzbachmäßige Tränen überfluten mein Gesicht.
„Die Welt ist so ungerecht!“, rufe ich anklagend hinaus.
In diesem Augenblick, als würde ich erhört werden, höre ich einen lauten Schrei. Ich blicke nach oben und Etwas saust ungebremst auf mich zu. Nur durch einen Sprung zur Seite kann ich Gerade noch verhindern erschlagen zu werden. Aber das Glück ist mir hold und ich werde nur leicht von einer Birkenstocksandale getroffen.
Es sieht ganz so aus, als würde meine Rede doch noch seine Zuhörer finden.
Den ganzen Heimweg über übe ich schonmal an der Begrüßung.
„Hallo – Hallo – Hallo!“
Dir gefällt, was Rolf Bidinger schreibt?
Dann unterstütze Rolf Bidinger jetzt direkt: