Politische Großereignisse, oder Klimaproteste einer Handvoll Leute auf Straßen haben viel gemeinsam: Sie holen “die Gesellschaft” nicht (mehr)  ab. Standortbestimmungen an sich selbst wären vielleicht ein Anfang, um für sich persönlich aus Veränderungen Vorteile ziehen zu können.

Der 2022 abgehaltene G7-Gipfel im bayerischen Ellmau zeigt durchaus exemplarisch einer der drängendsten Probleme unserer Zeit. Dort trafen sich Politgrößen, um die Weltprobleme zu besprechen. Wichtig ist dabei die große Außenwirkung. Was sind die Signale? Welches Bild gab der Gipfel ab? Macron, Scholz und Co trafen sich für Gruppenfotos für ein dreitägiges Event, das aus der Zeit gefallen schien. Dafür wurden 20.000 Polizisten zusammengezogen,  16 Kilometer Zäune wurden gezogen, Hubschrauber Einsätze rund um die Uhr, die Region stand unter Ausnahmezustand, und es wurden dafür fast 200 Millionen Steuergelder ausgegeben. Atemberaubende Überheblichkeit ist das Resümee. Das ist ein Paradebeispiel für die für Demokratie tödliche Distanz der politischen Klasse zum Gemeinwesen. Die eigene Gesellschaft(en) der “Großen” aus Frankreich, Großbritannien oder Deutschland brechen auch immer öfter auseinander. Diskurse finden teilweise kaum mehr statt. Parteihooligans unterschiedlichster Meinungen geraten online wie offline aneinander. Und gerade jene Staatschefs sollen sich dann um die drängenden Probleme der Welt kümmern, wenn zu Hause genug Probleme warten? Das ist eine massive Überheblichkeit.

Heruntergebrochen auf uns Einzelindividuen könnte man es so zusammenfassen: Wenn man sich nackt vor den Spiegel stellt sollte man sich mal fragen, ob dieser Mensch, den man soeben sieht - mit all seinen Problemen die man hat (psychisch, physisch, optisch, gedanklich, etc.pp.) - ob der in der Lage ist Menschen auf Dauer zu missionieren oder Planeten "retten" zu können, wenn man sich selbst nicht ganz im Griff hat. Das soll auf keinen Fall bedeuten, dass man sich nicht für das Gemeinwohl einsetzen soll. Ganz im Gegenteil. Demokratie lebt von Beteiligung, aber nicht von Niedermachen und nicht zuhören. Die Standortbestimmung für uns alle ist eigentlich klar. Wir haben lange darauf hingearbeitet, um da zu sein, wo wir sind.

Einschränkungen werden definitiv auf alle zukommen. Umso eher man im Verzicht einen Gewinn sieht, umso besser wird man die nächste Zeit gut überstehen. Das bedeutet aber, man soll Standortbestimmungen erst an sich selbst stellen, ehe man "die Welt" retten möchte. "Welt" ist nicht genau definiert. Für manche ist die Welt die biologische und soziale Familie, das Dorf, die Stadt. Andere tun sich da schon schwerer mit der Grenzziehung und glauben sie müssen den ganzen Planeten "irgendwie" retten - dafür wird wohl die eigene Energie nicht ausreichen ohne Erschöpfung.

Dass zwischenmenschliche Beziehungen vor allem auch in der Politik wichtig sind, ist unbestritten. Aber wenn Treffen nur mehr zum Event verkommen, und bei Privatpersonen nur noch eine Generation “Man müsste mal…” Reden schwingt aber zu feig ist, um tatsächlich Änderungen auszuprobieren, dann wird der Cut von außen kommen und wir werden zum Handeln gezwungen werden. Egal wer nun am lautesten schreit - Klimakleber oder “Status-Quo”-Bewahrer. Graubereiche scheint es nicht mehr zu geben. Sie eint die Überheblichkeit, genau zu wissen, was richtig und was falsch ist. Insgesamt sollten wir uns fragen, welchen Ballast jeder von uns  eigentlich ganz gerne loswerden möchten, statt billiges Besserwissen à la zu Fuß gehen versus Autofahren. Und wie bei jeder Änderung im Leben kommt zuerst der Schmerz und dann vielleicht doch ein schönes Gefühl - wie beim Ausprobieren neuer Sportarten. Ohne Muskelkater gäbe es keine Veränderung. Aber mit ein bisschen Gespür für sich selbst und seine Mitwelt lässt sich bestimmt der eine oder andere Ballast abwerfen und dadurch erreichen wir wohl alle mehr als nur mit emotionalisierten Stehsätzen.

Mag. Dr. Wolfgang Glass ist Politologe und Sanitäter in Wien.