In einer schicken Loftwohnung in Berlin sitzen Jan Josef Liefers und andere Schauspieler. In verschiedenen Posen blicken sie in die Kamera und lesen dabei Texte vor, die so auch aus der Feder eines jeden Querdenkers stammen könnten. Sie möchten damit aufregen und Kritik üben an der Corona-Politik der Bundesregierung. Es wird eine sehr peinliche Darbietung, die im Shitstorm endet. Und doch zeigt sie eine Sache extrem gut: unser größtes Problem in der Pandemie.

#nofilter

Robert E. Khan soll einmal sehr wohlwollend über seine wohl größte Erfindung gesprochen haben. Sie sollte die Menschen auf der Welt zusammenbringen und uns alle schlauer machen und besser informieren. Khans Vision des Internets war, wie wir heute wissen, zu großen Teilen eine Utopie, auch, wenn wir wirklich viel näher zusammenleben als noch vor den Zeiten der Digitalisierung. Klassische Medien und vor allem Prinzipen der Medienkommunikation sind heute längst überholt. Wo früher ein Sender viele Empfänger fand, sind wir heute alle zusammen Sender und Empfänger. Das ist ein großer Segen und zugleich der größte Fluch des Internets. Denn: Es gibt keinen Filter mehr, welcher Anhand von professionellen Prinzipien Wahrheit von Lüge, Propaganda von Nachricht trennt.

Zeitgleich haben aber gerade diese Filter viele Generationen ihr ganzes Leben lang begleitet. Das Resultat ist eine fehlende Medienkompetenz, welche sich vor allem durch das Nutzerverhalten der Generationen jenseits der sogenannten digital Natives zieht. Gerade in den sozialen Netzwerken trifft so eine absolute Medienhörigkeit auf den Irrsinn, der im Internet schon immer zu lesen und hören war. Was früher aber Grund für Spott und Gelächter war, findet heute auf einmal eine Leserschaft an Usern, die durch die zunehmende Digitalisierung der Gesamtgesellschaft neu in die Plattformen strömen. Und gerade da, wo sich Vorurteile, die Suche nach einfachen Antworten und gesellschaftliche Reizthemen treffen, entstehen Probleme.

Schauspieler*innen - ein leeres Gefäß?

Und das führt uns in die Berliner Loftwohnung, welche im Mittelpunkt vieler Videos steht, welche nun als gemeinsame Aktion das Internet bereichern. Unter dem Motto "AllesDichtMachen" haben sich Schauspieler*innen zusammengeschlossen, um zusammen gegen die die Corona-Maßnahmen zu stänkern. Die einen überziehen die Medien indirekt mit Lügenpresse-Vorwürfen, andere sprechen vom Polizeistaat und wiederum andere Menschen verhöhnen die, die sich für das Umsetzen von Schutzmaßnahmen einsetzen. Daran entzündet sich eine Reaktions-Bombe, auf die wiederum die Schauspieler*innen teilweise trotzig, großteils jedoch vor allem überrascht reagieren. Vor allem stört sie, dass sie als Menschen angegriffen werden. Nur, weil sie sich mit ihrem Namen und ihrer Person vor den Karren der Kampagne haben spannen lassen?

Ja, vor allem Schauspieler*innen leben davon, dass sie besonders geschickt das aufsagen, was andere für sie aufschreiben. Dafür bekommen einige wenige sehr viel Geld, sehr viele jedoch gerade mal genug, um mit Einschränkungen gerade so davon zu leben. Egal ob sie jedoch reich werden oder gerade so nicht verhungern: sie haben allein durch ihre Arbeit eine Außenwirkung. Und oft assoziieren Menschen mit ihnen auch ihre Rollen. Spielen sie beliebte Charaktere, dann sind sie auch beliebt. Spielen sie mit viel Geschick Bösewichte, dann bekommen sie auch im echten Leben leider Morddrohungen.

Diese Wirkung nutzen Schauspieler oft zu ihrem Vorteil. Egal ob es darum geht Reichweite für ihre Projekte zu erzeugen, um Werbedeals einzusammeln oder auch um auf Dinge aufmerksam zu machen, die ihnen wichtig sind. Gerade in der Pandemie, welche auch die berufliche Lage dieser Schauspieler*innen beeinflusst, ist es daher kein Wunder, dass sie über Corona-Maßnahmen sprechen wollen. Wie wir es eben alle tun. Immerhin lesen wir jeden Tag über das Thema und es ist omnipräsent in unserem Leben. Wann haben Sie schon einmal einen ganzen Tag verbracht, ohne das Coronavirus direkt oder indirekt zu erwähnen?

Wir sind alle Virologen!

Dadurch entsteht eine Situation, in der wir alle uns mehr oder weniger als Expert*innen fühlen. Ähnlich ist es auch im Sport, wenn zur EM oder WM 83 Millionen Bundestrainer*innen über Taktiken und oder über Schiedsrichterentscheidungen streiten. Und wie nervig ist es doch beim Public Viewing, wenn wir der in unseren Augen falschen Analyse unseres Nebenmannes lauschen. Und der größte Idiot im Land ist doch eh der Bundestrainer selbst. Immerhin: wir wissen es doch eh besser!

Wir spielen uns zu Expert*innen auf, während wir die wirklichen Profis ignorieren. Wir denken, mit unserer erhabenen Meinung haben wir den richtigen Weg aus der Krise. Und dafür gehen wir auf die Straßen dieses Landes, verhängen Maßnahmen ohne auf die Virolog*innen dieses Landes zu hören und drehen Videos für das Internet in hellen Berliner Loftwohnungen. Während die Expert*innen in Talkshows nicht einmal ausreden dürfen.

In den USA gibt es einen sehr schlauen und extrem beliebten Spruch, den aber niemand wirklich befolgt: "Stop Making Stupid People Famous".

Vielleicht in der nächsten Pandemie.