Das Jahr neigt sich dem Ende, lasst uns zurückblicken: Über allem steht noch immer die Pandemie, die wir als Menschheit zum Glück im globalen Dorf erleben, der digitalen Vernetzung sei Dank. Und schon bin ich mitten im Thema:
Die vernetzte Menschheit, (fern)gesteuert durch Algorithmen?
Digitale Vernetzung geschieht über Social Media Anwendungen, die eines gemeinsam haben: Sie sind nach den Prinzipien des “persuasive Designs” konzipiert. Konkret bedeutet das, es wird alles getan, damit wir so lange wie möglich in der Anwendung verbleiben. Wir sind keine Kunden, wir sind das Produkt. Die Ware ist unsere Aufmerksamkeit.
Eine der Prinzipien ist es, dem Anwender “mehr vom Gleichen” zu liefern. Wenn ich auf Youtube nach einem Rezept für “Palak Paneer” suche, werde ich noch mehr Anleitungen für Gerichte der indischen Küche bekommen. Dies gilt nicht nur fürs Kochen, sondern auch für Themen, die uns sehr viel mehr berühren. Die Pandemie hat auch hier wieder das Brennglas auf die Schwachstellen gerichtet: Wenn wir “mehr vom Gleichen” angezeigt bekommen, können wir leicht der Illusion erliegen, dass dies die Wahrheit sein müsse, schließlich denken ja scheinbar alle so. Kein Zufall also, dass Verschwörungsmythen gerade Hochkonjunktur haben und uns emotionalisieren. Einen konstruktiven Dialog wird dies sicher nicht fördern. Es liegt an uns, unsere Filterblase bewusst zu durchbrechen und andere Perspektiven einzunehmen. Das ist anstrengend, das gebe ich zu. Wenn wir den Dingen wirklich auf den Grund gehen wollen, bleibt uns nichts anderes übrig.
Was macht künstliche Intelligenz im Arbeitskontext mit uns?
Und im Kontext der Arbeit? Auch hier nutzen mittlerweile mehr als 50% der Arbeitskräfte irgendeine Form von KI (Studie von Oracle). Zum Beispiel werden relevante Inhalte im Kontext unserer Arbeit vorgeschlagen, künstliche Intelligenz wertet Bewerbungen aus und erstellt Lernpfade für Mitarbeiter im Unternehmen. Diese Services sind unsere Assistenz, sie sind dann erfolgreich, wenn sie Kommunikation verbessern, das Potenzial der Mitarbeiter entfalten oder die besten Kandidaten finden und diesen den Bewerbungsprozess so einfach wie möglich machen. Im Unterschied zu Social Media sind wir als Nutzer der Kunde und nicht das Produkt. Werfen wir einen Blick auf unseren neuen Kollegen, die Maschine:
Digitale Vernetzung im Unternehmen: Wissen wird mehr, wenn es geteilt wird
Beginnen wir mit der Kommunikation: Nie war sie so wichtig wie heute, denn das Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter ist der größte Schatz eines Unternehmens. Noch nie hatten wir solche Möglichkeiten, dieses Wissen sichtbar zu machen - zum Nutzen aller und zum Wettbewerbsvorteil des Unternehmens.
In meiner Karriere hatte ich ein Schlüsselerlebnis dazu: Ich sollte in einem wichtigen Executive Briefing einen Vortrag zu einem speziellen Thema halten. Im ersten Augenblick verfiel ich in eine Art Schockstarre, denn ich war keine ausgewiesene Expertin zu dem Thema. Andererseits war ich noch in der Probezeit und wollte mir keine Blöße geben. Der digital Workplace hatte eine mächtige, intelligente Suche: zu jedem Suchbegriff wurden automatisch neben einer Reihe von Inhalten die zugehörigen Experten angezeigt. Ich fand so sehr schnell einen Kollegen am anderen Ende der Welt, der genau das Wissen hatte, das mit fehlte. Wir wären uns auf “normalem Wege” niemals begegnet. Was könnten wir nicht alles erreichen, wenn wir nur unser Wissen teilen würden. Künstliche Intelligenz kann das Unternehmenswissen für die individuellen Anforderungen der Mitarbeiter noch einmal deutlich zielgerichteter bereitstellen: Welcher Kollege befasst sich gerade mit ähnlichen Themen wie Du? Wo sind spannende Projekte im Unternehmen, von denen Du wissen solltest? KI motiviert mich, selber mein Wissen zu teilen, weil ich mit meiner Expertise bei den passenden Kollegen auch außerhalb meiner Abteilung sichtbar werde.
Warum hört sich das gerade zu schön an, um wahr zu sein? Weil dies eine entsprechende Kultur voraussetzt: Transparenz, Wissen teilen, Fragen stellen setzt Mut voraus. Dieser Mut entsteht nur in einem Klima des Vertrauens. Wenn Herrschaftswissen Arbeitsplätze sichert, wird die oben beschriebene Motivation, die eigene Expertise zu zeigen, im Keim erstickt werden.
Potenzialentfaltung durch individuelle Lern- und Karrierepfade
Das führt uns direkt zum nächsten großen Einsatzgebiet von KI: durch individuelle Schulungsangebote, maßgeschneidert auf den Menschen, auf seine Vorlieben, seine spezifischen Stärken: Vom Video über interaktive online Angebote bis zum zertifizierten Präsenz-Lehrgang ist alles dabei. Künstliche Intelligenz macht es möglich: der Mensch wird mit seinen einzigartigen Talenten gefördert.
Nicht nur bei der Weiterbildung steht plötzlich der individuelle Mensch im Mittelpunkt, sondern auch bei der Karriereplanung. Es ist heute schon möglich, dass im Unternehmen passende Mitarbeiter für offene Stellen automatisch gesucht und gefunden werden. Fehlen noch Skills, können diese mit den passenden Schulungen erworben werden. Allerdings nur dann, wenn der Arbeitgeber erkennt, dass Menschen Entwicklungswesen sind: es nicht als Problem ansehen, wenn nicht sofort 100% der Anforderungen erfüllt sind. Den Kollegen Zeit geben, in eine neue Position zu wachsen.
Auch hier wieder gilt: Künstliche Intelligenz kann uns dabei unterstützen, unsere Stärken auszuspielen, unser Potenzial zu entfalten: Wenn es denn die Unternehmenskultur zulässt. Ohne Weiterentwicklung der Organisation wird dies nicht funktionieren: Ich selber habe in einem Team aus IT-Spezialisten gearbeitet, wir alle hatten Standard-Zertifizierungen, Standard Zielvorgaben und standardisierte Aufgaben. Dies wird der Verschiedenartigkeit des Einzelnen nicht gerecht, Potenzial liegt brach. Irgendwann einmal haben wir alle Tätigkeiten, die wir zur Erreichung unserer gemeinsamen Ziele brauchen, an eine Wand gepinnt. Jeder hat sich die Aufgaben genommen, die zu ihm persönlich am besten passen. Die Extrovertierten haben die großen Kundenbriefings übernommen, die Nerds haben die schwierigen Pilotprojekte mit viel Coding gewählt. Die Qualität unserer Teamarbeit hatte sich danach enorm verbessert. In genau solch einem Umfeld kommen KI-gestützte Lernplattformen zur vollen Wirkung: der Mensch steht im Mittelpunkt und ist kein austauschbares Rädchen im Getriebe mehr. Ihr ahnt, dass dies schwierigerer ist als die eigentliche Adaption der Software, oder?
Wenn Algorithmen die besten Köpfe für’s Unternehmen finden, kommt Vielfalt ins Spiel
Kommen wir zum letzten hier beleuchteten Einsatzgebiet von KI, dem Recruiting. Alle reden über den Wettkampf um die besten Köpfe auf dem Arbeitsmarkt. Wer hier vorne mitspielen will, stellt den Bewerber in den Mittelpunkt: kein umständliches Ausfüllen von langen Formularen, einfach den CV hochladen, die KI erkennt automatisch die Inhalte und findet die beste offene Stelle für den Kandidaten.
Aus Unternehmenssicht geben die Anbieter noch ein anderes Wertversprechen. Oracle beispielsweise verspricht, dass ihre Services Kandidaten objektiver aussuchen als es Menschen können. Das heißt, es rücken Personen in den Vordergrund, die eine Personal- oder Fachabteilung vielleicht nicht ausgewählt hätte, denn wir suchen unbewusst diejenigen aus, die uns ähnlich sind. Für die Unternehmenskultur bedeutet dies: Wie müssen das Neue im Arbeitsleben dann auch wirklich einladen und nicht versuchen, neue Facetten in alte Standards zu pressen.
Anders als bei den Social Media Algorithmen lädt hier KI explizit zur Vielfalt ein, statt immer mehr vom Gleichen anzubieten. Was heißt das? Genau - wir sind wieder bei der Unternehmenskultur. Vielfalt ist anstrengend, aber notwendig. In komplexen Zeiten brauchen wir viele Perspektiven, um im Wettbewerb zu bestehen. Auch hier wieder: Der alleinige Einsatz von Technologie bringt uns nichts, wenn wir uns nicht als Organisation weiterentwickeln. Eine Vertrauenskultur haben, in der andere Sichtweisen Gehör finden und durchdacht werden.
Fazit
Gleichgültig ob im Privaten oder im Beruf: Künstliche Intelligenz kann unsere ureigenen menschlichen Fähigkeiten aufzeigen und zur Entfaltung bringen: Noch nie stand uns soviel Wissen per Fingertipp zur Verfügung, wir können mehr und zielgenauer lernen denn je, uns mit Kollegen weltweit vernetzen und eine für uns passende Karriere machen - in einem Unternehmen, dem wir genau deshalb eng verbunden sind. Der Schlüssel zu all dem: die Unternehmenskultur. Wenn die Industrialisierung die Menschen in Standards gezwängt hat, bringt und die digitale Welt wieder näher zu dem, was uns als Menschen ausmacht. Oder mit anderen Worten: ohne Kulturwandel keine digitale Transformation.
Technologie ist das, was wir daraus machen. Die Herausforderung ist groß - die Chancen sind es auch.
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