Das automobile Zeitalter neigt sich langsam aber sicher dem Ende entgegen, und das ist gut so. Auch wenn wir uns hier noch so sehr dagegen stemmen, Gegenden der Welt, wo man uns technisch längst voraus ist und man auch begriffen hat, dass der motorisierte Individualverkehr eine Sackgasse ist, werden das durchziehen. Und sie werden - Frechheit! - nicht fragen, ob der wandelscheue deutsche Gewohnheitsmichel innerlich schon bereit ist dafür. Schon jetzt ziehen immer mehr junge Menschen in die Städte, wo es öffentliche Verkehrsmittel gibt. Fahren Rad, nutzen vielleicht noch Carsharing, lassen sich die Getränkekisten liefern. Ein eigenes Auto zu besitzen spielt in der Lebensplanung von immer mehr jungen Menschen keine Rolle mehr. Erfreulich.
Immer mehr und immer fettere Autos kaufen, das wird in Städten immer mehr zum Nischenvergnügen für Alte, für welche, die den Knall nicht gehört haben sowie für jene, die vor Testosteron nicht gehen können und es auch sonst gewaltig nötig haben. mit dem Autofahren könnte es gehen wie mit dem Rauchen damals. Wandelte sich binnen zwei Jahrzehnten von einer allseits akzeptierten Sache zur stigmatisierten Unsitte einer Minderheit.
Finde ich gut. Weil Auto fahren fast immer scheiße ist. Nervt. Stau, Parkplatzmangel und -wucher, immer mehr des Autofahrens untüchtige Mitmenschen, die aber trotzdem meinen, unbedingt Auto fahren zu müssen (die neuesten Trends aus U.S.A.: Bremsing, Nicht aus dem Quark coming, An der grünen Ampel den ersten Gang nicht finding - Yeah!) etc. Dazu Kosten für Anschaffung, Sprit, Inspektionen, Wartung und Reparaturen. Und der Flächenverbrauch. Man fahre zur morgendlichen Rush Hour auf eine Autobahn, zähle nach, in wie vielen der absurd gequollenen Blechfetischen mehr als eine Person sitzt und vergleiche das mit der Kapazität und dem Platzverbrauch eines Eisenbahnzuges. Um es vorweg zu nehmen: Das Ergebnis ist niederschmetternd. Für das Auto.
Disclaimer: Ich habe auch noch so eine Kiste vor der Tür stehen. Aus Bequemlichkeit und Gewohnheit. Kompletter Wahnsinn bei meinen lachhaft wenigen Kilometern im Jahr. Trotzdem, eine Ausrede findet sich immer. Sie werden mich nudgen, da mache ich mir nichts vor. Mir nach und nach mit sanfter Gewalt die Karre vermiesen. Sollen sie, vielleicht brauche ich das ja und kriege das anders nicht hin. Brontosaurus, der kurz vor dem Asteroideneinschlag noch genüsslich auf einer halben Tonne Blattwerk rumkaut.
Gibt eh wenig armseligeres als Alte Peinsäcke, die mit dem Fuß aufstampfen und "Die wollen mir das verbieten, deswegen mache ich das jetzt erst recht! Zur Strafe. Bätschi!" machen. Merke, Alter Peinsack: Du bestrafst niemanden außer dich selbst. Weil du dich gerade ganz gewaltig zum Gemüse machst. Ach, sooo, die Freiiiiheit! Noch so einen auf Lager? Wer seinen Freiheitsbegriff darauf eingedampft hat, die Nachbarschaft am Sonntag mit dem Gebruddel seiner Harley vollzubollern oder mit dem Firmenwagen auf der A 31 Richtung Emden den Bleifuß zu machen, dem ist eh kaum mehr zu helfen. Ein Ulf Poschardt reicht. Wenn es doch noch Reste automobiler Freiheit geben mag, etwa die, sich spontan in die Karre zu setzen und einen Ausflug unternehmen zu können, wohin es beliebt, dann deswegen, weil in diesem Land über Jahrzehnte einseitig der Autoverkehr zu Lasten anderer, umweltfreundlicherer Verkehrsmittel gepampert wurde wie nichts gutes.
Sagte ich "wurde"? Hier in der Gegend sollen in den nächsten Jahren tatsächlich zwei neue S-Bahn-Linien in Betrieb gehen. Die Nachbarstadt, nebenbei die größte Stadt Deutschlands ohne einen Bahnhof, soll demnächst wieder einen Bahnhof bekommen. Verzögert sich. Anstatt einfach die alte Anlage wieder herzurichten, baut man lieber einen neuen. Der wird in einem Einschnitt unterhalb einer Straßenbrücke liegen und nur per Treppe und Aufzug zugänglich sein. Hier gab es Überlegungen, die alte Hamm-Osterfelder Strecke zu reaktivieren, die momentan als reine Güterstrecke genutzt wird. Es gäbe dann nicht nur eine Nord-Süd-, sondern auch eine West-Ost-Verbindung. Abgelehnt. Auf Eis. Zu teuer. Zu aufwändig. Die A 43 wird übrigens seit Jahren für Abermillionen auf drei Spuren erweitert.
Der Ruf des Autos war schon besser. Etwa als Mannbarkeitssymbol. Wer sich zu meinen jüngeren Jahren zum Beispiel im Arbeiter- oder Handwerkermilieu bewegte und als Lehrling an seinem 18. Geburtstag keinen Führerschein hatte und von da an nicht mit dem eigenen Auto zur Arbeit kam (auch wenn man nur 500 Meter entfernt wohnte), hatte mitunter eine Karriere als Mobbingopfer vor sich. Weil: Kein echter Kerl. Uga uga. Bestimmt schwul. Hallo Dätläääf! Hallo Määädels! Eine Generation vorher war man kein echter Kerl, sondern ein Mädchen, wenn man Filterzigaretten qualmte, anstatt sich die Bronchien mit Schwarzem Krausen und Roth Händle zu asphaltieren wie sich’s gehörte. Ich kannte Leute, deren Leben drehte sich von Kind auf nur um Auto, Auto und nochmals Auto. Gab keine anderen Themen für sie. Sterben langsam aus. Brontosaurus. Gut so.
Ja, auch auf dem Land ist das noch anders. Weil im Dorf kein Laden mehr ist, der nächste Supermarkt 15 und die nächste Bushaltestelle fünf Kilometer weit weg ist, dort höchstens drei mal am Tag ein Bus fährt und man zur Arbeit jeden Tag 50 Kilometer fahren muss, weil man damals die Eigenheimzulagen mitgenommen hat und ins Grüne gezogen ist. Dort kennt man aber auch keine Staus und keine Parkplatzprobleme. Die sich’s leisten können, ziehen längst aus den Einfamilienhausghettos im Grünen wieder zurück in die Städte. Wo sie dann alteingesessene Mieter weggentrifizieren.
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Kein Wunder also, dass das gute alte Fahrrad einen nie gekannten Boom erlebt. Im innerstädtischen Bereich ist so ein Esel das Verkehrsmittel der Wahl. Außer, es regnet in Strömen oder bei Schnee und/oder Glatteis. Was dank Klimawandel aber eh seltener werden wird. Man ist fast immer schneller unterwegs als mit Auto oder Bus, hat keine Probleme mit dem Parken und gesünder ist es obendrein noch. Wenn halt Genosse Mitmensch nicht wäre.
Will man einen Blick in die Zukunft riskieren, empfiehlt sich ein Besuch im westfälischen Münster. Dort verliert man auf der Stelle sämtliche Illusionen darüber, dass eine fahrradfreundliche Welt eine bessere ist. Weil die Uni mit ihren gut 40.000 Eingeschriebenen plus Angestellten dezentral über die ganze Stadt verteilt ist, ist das Fahrrad dort im Innenstadtbereich seit Jahrzehnten das unangefochtene Verkehrsmittel Nummer eins.
Es gibt dieses unausrottbare Missverständnis, dass die Welt ein freundlicherer Ort wird, wenn erst einmal Minderheiten und/oder vermeintliche Underdogs das Sagen haben. Wird sie nicht. Weil die Arschlochquote immer ungefähr konstant ist. Und so passiert in Münster das, was immer passiert, wenn nicht reguliert wird: Die Arschgeigen und Halbirren erobern die Lufthoheit und übernehmen das Kommando. (Was mich im Übrigen hochgradig skeptisch sein lässt gegenüber jedweden politischen Utopien, die irgendwie auf der Prämisse beruhen, der Mensch sei im Kern gut und daher werde sich alles schon finden. Bedaure, vielleicht bin ich versaut für so was, aber jeder, der schon mal in einer WG gelebt hat, weiß, wo Barthel den Most holt.)
Wo Radler in der Überzahl sind, ist es wie überall, wo man den Dingen ihren Lauf lässt: Statt von wildgewordenen Autofahrern wird man von Kampfradlern angebimmelt, angepöbelt und abgedrängt und soll sich mal nicht so anstellen hier. Und zwar auch auf Fußwegen. Und alle haben sie permanent ihren Heiligenschein angeknipst. Sieh her, Welt, ich bewege mich ökologisch korrekt fort, daher habe ich alles Recht auf meiner Seite und alle Straßen, Wege und Plätze sind mein, mein und nochmals mein. Als vor Jahren die Münsteraner Polizei dazu überging, die übelsten Radler mit Ordnungs- und Bußgeldern zu belegen, gab es wütende Proteste, mit denen man sich diesen inakzeptablen Eingriff in grundgesetzlich verbriefte Freiheiten aufs Energischte verbat. Woran erinnert mich das gleich? Egal.
Hier in der Stadt ist das nicht anders. Immer mehr steigen aufs Fahrrad um, was an sich ja löblich ist. Auch ich schwinge mich immer öfter auf mein selbiges. Wodurch mein Auto noch öfter doof rumsteht. Mein Arbeitsweg führt zur Hälfte über eine Straße, an der es luxuriöserweise einen separaten, zwei Meter breiten Radweg gibt. Nicht weil die Stadt in Fahrradfreundlichkeit investiert hat, sondern weil hier früher die Straßenbahn auf einer eigenen Trasse entlangbimmelte.
Tja, und da begegnen sie einem. In Massen. Welche, die ihre Velos mithilfe leistungsstarker Lichtanlagen in rollende Flakscheinwerfer verwandelt haben und sichtlich Spaß daran haben, einen beim Entgegenkommen zu blenden. "Scheinwerfer runter!" - "Stell dich nich so an oder willze auffe Fresse, ey?" Und E-Bikes. E-Bikes, E-Bikes und nochmals E-Bikes. Will ich nicht grundsätzlich was gegen sagen. Halten auch die mobil, die es sonst nicht mehr wären. Wären da nicht die, die ihr Dickehosemachen von aufgemotzen Autos aufs Fahrrad verlegt haben. Fetteste motorisierte Mountainbikes fahren, die locker 70 Sachen schaffen und 1,20 Meter breite Lenker haben. Protzköppe, die früher mit Hubraum angegeben haben und das jetzt mit ihren absurd teuren Stromrädern tun. Ängstliche, die ihr Rad nicht beherrschen, aus 20 Meter Entfernung Panik bekommen, wenn sie einen erblicken, der ihnen entgegenkommt und fast vom Rad fallen. Quasselstrippen, die nebeneinander hergondeln und die gesamte Breite des Weges einnehmen und und und.
An sonnigen Tagen sind die ehemaligen Zechenbahntrassen hier für Fußgänger quasi nicht mehr zu benutzen. Lebensgefahr. Hei, was wird das erst für ein Spaß werden, wenn die Grünen ernst machen und jeder Volksgenosse sein Lastenrad bekommt! Mit den Dingern kann man fast schon wieder so viel asoziale Scheiße anstellen wie mit dem Auto.
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Epilog und Ausblick: Grenzerfahrungen in der Konsumgesellschaft (28)
Letztens brachte ich mein Fahrrad zur jährlichen Inspektion. Ja, ich bringe mein Fahrrad zur Inspektion. Sicher könnte ich die Schaltung selbst einstellen, Bremsbeläge wechseln, Schaltung, Kette und Ritzel gründlich reinigen etc. Aber die Speichenspannung nachzustellen ist ohne entsprechendes Gerät schwierig. Außerdem habe ich ein besseres Gefühl, wenn das ein Profi gemacht hat. Dann sollte vorn noch eine neue Bereifung drauf. Auch da kaufe ich mir inzwischen Stressfreiheit. Lieber etwas mehr bezahlen für einen Unplattbar-Reifen als alle zwei Wochen das Flickzeug rauskramen müssen. Abgeholt das Teil. Kostenpunkt für Inspektion, Bremsbeläge und Reifen: Jenseits der 200 Euro. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass das Fahrrad das neue Auto ist, dann hatte ich ihn jetzt.
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