„Die Nachfrage bestimmt das Angebot“ – das ist einer der Grundsätze, die wir für unsere Wirtschaft annehmen und die uns auch immer wieder gepredigt werden. Doch ist das tatsächlich so? Meines Erachtens sähe unsere Wirtschaft ziemlich anders aus, wenn tatsächlich nur die Sachen gekauft würden, für die auch eine Nachfrage besteht. Ein paar Beispiele sollen zeigen, wie sehr wir eigentlich angebotsorientiert in unserem Konsumverhalten sind.
1. Mode
Mode bedeutet im Grunde nichts anderes, als dass uns erzählt wird, dass wir Sachen kaufen sollen, die über unseren eigentlichen Bedarf hinausgehen. Jedes Jahr kommen neue Trends auf, werden neue Kollektionen an Kleidungsstücken entworfen, die dann natürlich auch an den Abnehmer gebracht werden sollen. Dabei haben die allermeisten von uns mehr Klamotten im Kleiderschrank, als sie überhaupt anziehen können. Gute und intakte Sachen werden weggeschmissen, vergammeln in Schubladen oder auf hinteren Schrankplätzen, weil sie nicht mehr hip sind, und dann werden eben die neuen Sachen gekauft, die gerade in sind – nur damit diese in ein, zwei Jahren das gleiche Schicksal erleiden. Braucht man also jedes Jahr eine neue Garderobe? Nein, aber irgendwelche Modedesigner müssen natürlich ihre Existenz damit rechtfertigen, indem sie uns genau das einreden und das entsprechende Angebot bereitstellen. Dass diese Trends dabei mitunter recht groteske Ausmaße annehmen, kann man immer wieder beobachten, zum Beispiel an den Flipflops. Bevor diese Modeerscheinung aufkam, dürfte es kaum jemanden gegeben haben, der das Bedürfnis hatte, mal schön außerhalb von Dusche und Schwimmbad in Badelatschen rumzulaufen. Grotesk wird es dann, wenn man tatsächlich mal Sachen haben möchte, die nicht in oder auch nur gerade nicht der Saison entsprechen. Eine kurze Hose im September zu kaufen erwies sich für mich einmal als nahezu unmöglich, als ich im Urlaub überraschenderweise mit sehr warmem Wetter konfrontiert wurde. Wintermäntel hätte es gegeben, aber ein kurze Hose hätte ich erst wieder so ab Februar bekommen, wenn die Wintergarderobe dann eingemottet wird und die Frühlings- und Sommerkollektion in die Läden kommt. Meine Nachfrage konnte also in keiner Weise befriedigt werden …
Und Mode bezieht sich dabei ja nicht nur auf Dinge zum Anziehen, sondern auch auf alles mögliche andere. Gerade aktuell: Es wurden in diesem Jahr über eine Million SUVs in Deutschland neu zugelassen. Ich kann mich zumindest nicht daran erinnern, dass so vor 15 Jahren mal jemand meinte: "Mensch, so ein Pseudo-Geländewagen für die Stadt, das wär's ja mal ..." Die Dinger wurden hergestellt, massiv beworben und mit dem entsprechenden Image versehen, und nun fahren immer mehr davon auf den Straßen rum, verbrauchen in der Herstellung viele Ressourcen sowie im Betrieb viel Platz und sind zudem für alle, die nicht darinsitzen, ein ziemliches Sicherheitsrisiko. SUVs entsprechen somit eigentlich überhaupt nicht dem Bemühen nach Nachhaltigkeit, das ja auch viel propagiert und auch immer mehr gelebt wird - und sind dennoch ein Verkaufsschlager.
Nicht umsonst werden jedes Jahr Hunderte von Milliarden Euro weltweit (allein in Deutschland waren es 2017 26,79 Milliarden Euro) für Werbung, PR und Marketing ausgegeben. Mit diesem Geld schafft sich das Angebot seine Nachfrage.
2. Shopping
Ein sehr beliebtes Hobby vieler Menschen ist das sogenannte Shopping. Man geht also los und kauft sich etwas – nicht weil man unbedingt etwas braucht, sondern weil es Spaß macht, Geld auszugeben. Da wird dann geschaut, was einem angeboten wird, und damit beschäftigen sich manche Menschen dann ganze Tage lang. Der eigentliche Kaufprozess wird dabei komplett auf den Kopf gestellt: Ich gehe nicht los, weil ich eine bestimmte Sache benötige, sondern ich mache die eigentliche Hilfshandlung des Kaufens zum Ziel und Zweck meines Agierens. Gekauft wird dabei aus unterschiedlichsten Gründen, aber eben meistens beim Shopping nicht zielgerichtet und nicht bedarfsorientiert, sondern in Abhängigkeit vom Angebot. Wenn dieses gefällt, wird zugegriffen.
3. Schnäppchen
In eine ähnliche Richtung geht es mit den Schnäppchen, die einem ständig und überall offeriert werden. Kennt doch jeder: Man sieht irgendwas, was gerade irre günstig ist, kauft sich das – und zu Hause stellt man dann fest, dass man da eigentlich gar nicht so richtig was mit anfangen kann. Hier wird dem Käufer also ein Bedürfnis nach einem Artikel über den Parameter Preis überhaupt erst einmal suggeriert. Ein tatsächlich auf Nachfrage basierter Kaufvorgang sähe allerdings komplett anders aus: Ein Produkt wird benötigt, der Käufer informiert sich, wo er dieses in entsprechend gewünschter Qualität und zu ihm genehmen Bedingungen (guter Preis, bequeme Erreichbarkeit des Händlers, aber auch durchaus individuellere Dinge wie Sympathien für ein bestimmtes Geschäft usw.) bekommt und tätigt dann den Kauf. Der Schnäppchenjäger zäumt dieses Pferd von hinten auf: Er bekommt ein Produkt vorgesetzt, dass ihm aufgrund des Attributs „billig, billig, billig!“ schmackhaft gemacht wird, und schafft sich dann (im besten Fall) ein eigenes Bedürfnis, was zu diesem Produkt passt – oder aber der erworbene Artikel wird nie richtig genutzt und landet als Staubfänger in der Ecke.
4. Werbung vs. Produktinformation
Die Werbung preist ja mittlerweile auch sehr häufig Schnäppchen an, der Preis ist das, was für viele zählt („Geiz ist geil“ usw.). Ein nachfrageorientierter Konsument bräuchte keine Werbung, er würde sich dann, wenn er etwas erwerben möchte, über ein Produkt informieren. Eine solche reine Produktinformation hat allerdings mit dem Großteil der uns ständig umgebenden Werbung wenig zu tun, diese dient dazu, Bedürfnisse zu schaffen, die zu einem Angebot passen. Der Konsument wird mit diversen Versprechen zu ködern versucht, es wird zum Beispiel häufig suggeriert, man würde nicht dazugehören und out sein, wenn man ein bestimmtes Produkt nicht erwirbt, und das ist besonders für jungen Menschen ein wichtiger Aspekt. Es wird in so einem Fall also nicht deswegen konsumiert, weil tatsächlich ein Bedürfnis nach einem Produkt besteht, sondern es werden Bedürfnisse künstlich erzeugt, die noch nicht einmal unbedingt immer etwas mit der eigentlichen Funktion des zu konsumierenden Guts zu tun haben (die Tabakindustrie wirbt beispielsweise ausschließlich auf dieser Ebene, sodass ein Raucher vermeintlich Dinge wie Freiheit und Coolness in Form von Röllchen mit getrocknetem Tabak erwirbt). Und es ist auch schwer, sich in der Konfrontation mit Werbung davon freizumachen. Jeder kennt es, wenn einem appetitliche Leckerbissen oder ein perlendes Glas Bier in der Glotze präsentiert werden, dass man dann auf einmal Verlangen nach genau solchem Zeug bekommt.
5. Zappen/Formatradio
Auch die Art und Weise, wie wir kulturell konsumieren, wird immer deutlicher von der Angebotsseite aus dominiert. Ein gutes Beispiel dafür ist das sogenannte Formatradio, dass sich seit gut 20 Jahren zunehmend in Deutschland durchgesetzt hat: Es gibt keine spezifischen Musiksendungen mehr oder Radio-DJs, die ein für sie charakteristisches Programm spielen, sondern es werden den ganzen Tag „die größten Hits“ der letzten 20 oder 30 Jahre, gepaart mit dem Mainstream von heute gespielt -mit freundlicher Empfehlung Ihrer Plattenindustrie, die eben genau diesen Kram verkaufen möchte. Wie oft habe ich selbst schon erlebt, dass mir Freunde mit Bedauern mitteilen: „Heutzutage gibt es ja gar keine gute Musik mehr, so wie noch in den 70er- oder 80er-Jahren!“ Ich erkläre denen dann immer, dass das so nicht stimmt, sondern dass es vielmehr heute so viel gute Musik gibt wie noch nie zuvor – nur muss man eben gezielt danach suchen, denn das Formatradio, was den ganzen Tag im Hintergrund dudelt, hilft einem da nicht weiter. Dann mache ich ein paar Musiktitel an und bekomme die erstaunte Aussage zu hören: „Boah, das ist ja richtig klasse – warum hab ich denn davon bisher noch nichts gehört?“ Tja, ganz einfach: weil man davon auch nichts hören soll, denn schließlich soll der Musikhörer das kaufen, was ihm die großen Majorlabels vorsetzen und was einfach zu produzieren ist. Am besten irgendwelchen Castingshow-Rotz, an dem der Interpret auch nicht viel mitverdient, sondern wo die ganze Kohle beim Label und beim Produzenten hängen bleibt. Wo wir gerade dabei sind: Castingshows sind dann auf die Spitze getriebene Angebotsdominanz: Man nehme ein paar mehr oder weniger talentierte Nobodys, etikettiere sie mit dem Signet Superstar – und fertig ist die Gelddruckmaschine. Auch hier besteht nicht die Nachfrage nach der Musik, sondern es wird dem Konsumenten eine Art Aschenbrödel-Märchen vorgesetzt, an dem dieser dann teilzuhaben glaubt, wenn er sich die Musik kauft.
Ein weiteres Phänomen ist das Zappen, was mittlerweile auch weit verbreitet ist. Als ich Kind/Jugendlicher war, wurde sich gezielt in einer Programmzeitschrift eine Sendung ausgesucht, die man sich dann angeschaut hat, und danach war dann Schluss. Heutzutage hangelt sich der Fernsehzuschauer meistens von Kanal zu Kanal in der Hoffnung, irgendwo was Interessantes zu finden, und hat dann am Ende des Fernsehabends oft das Gefühl, nicht wirklich das gesehen zu haben, was er eigentlich sehen wollte. Bleibt man dann mal irgendwo etwas länger hängen, werden am Ende der Werbepause schon gleich Trailer für nachfolgende Sendungen gezeigt, um somit den Zuschauer zum Verweilen bei dem Sender zu animieren. Die Folge ist, dass viele Menschen wesentlich mehr Zeit vor der Glotze verbringen, als sie eigentlich wollten, weil ihnen die ganze Zeit das Gefühl vermittelt wird, etwas zu verpassen, wenn sie das Angebotene bzw. Vorangekündigte nicht auch noch konsumieren würden. Erfreulicherweise wirken Mediatheken diesem Trend entgegen, da hier die Zuschauer wirklich gezielt eine Sendung auswählen, die sie sich anschauen. Ob das ein Grund dafür ist, dass die Mediatheken meistens nur recht temporär eingeschränkt Sendungen zur Verfügung stellen dürfen?
Wie man an diesen Beispielen sehen kann, sind wir in unserem Konsum wesentlich weniger selbstbestimmt und autonom, als es uns immer wieder suggeriert wird. Natürlich kann nicht für alle Dinge erst mal eine Nachfrage bestehen, beispielsweise bei technischen Entwicklungen, die so nicht für den Laien vorhersehbar sind. In den 80er-Jahren wäre beispielsweise so gut wie niemand auf die Idee gekommen, ein globales Netzwerk zur Verfügung haben zu wollen, auf das er mit seinem Computer zugreifen kann – und heute nutzt fast jeder alltäglich das Internet. Dieses Unwissen besteht bei den meisten Konsumgütern jedoch nicht, und trotzdem wird hier vor allem das gekauft, was uns gesagt wird, dass wir es kaufen sollen (und haben wollen). Der mündige Konsument ist wohl in der Tat eher die Ausnahme als die Regel.
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