Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal komplett zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Time to treat the climate and nature crisis as one indivisible global health emergency
Über 200 Gesundheitszeitschriften haben einen gemeinsamen Appell veröffentlicht, in dem sie Weltführer und Gesundheitsfachleute dazu auffordern, den Klimawandel und den Verlust der Artenvielfalt als untrennbare Krise anzuerkennen. Sie warnen davor, Klima- und Naturkrisen getrennt zu behandeln und fordern die Weltgesundheitsorganisation auf, dies als globalen Gesundheitsnotfall zu erklären. Die direkten Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, insbesondere in den ärmeren Gemeinschaften, werden betont, von steigenden Temperaturen bis zur Verbreitung von Infektionskrankheiten. Sauberes Wasser, Ernährung, Medikamentenentwicklung und psychische Gesundheit sind ebenfalls betroffen. Die Autoren drängen darauf, die COP-Prozesse zu harmonisieren und fordern eine bessere Integration nationaler Klima- und Biodiversitätspläne. Gesundheitsfachleute sollen sich stark für Biodiversität und Klimaschutz einsetzen, politische Führer sollen die Bedrohungen und Vorteile für die Gesundheit durch die planetare Krise erkennen. Eine Petition für einen globalen Gesundheitsnotstand wird unterstützt.(UK Health Alliance on Climate Change)
Die Klimakrise ist eine umfassende Krise, die sämtliche Bereiche berührt. Das ist immer noch zu wenig anerkannt. Sie wird in der öffentlichen Debatte immer noch gerne als eine Art Lifestyle-Thema behandelt, etwas, das man sich leistet, wenn man die entsprechenden Möglichkeiten und Veranlagung hat. Aber von der Flüchtlingspolitik über Wirtschaft, Finanzen zu Gesundheit, Wohnen zu Mobilität werden praktisch sämtliche Lebensbereiche betroffen. Je früher wir uns das klar machen und beginnen, über Folgen und Mitigierungsstrategien nachzudenken, desto besser für alle Beteiligten. Gleichzeitig besteht natürlich immer die Gefahr des Sandwichproblems, so dass ein Gefühl allgemeiner Überforderung entsteht, das paralysierend wirkt. Sehr vertrackt.
2) Autoworkers Strike a Blow for Equality
Die United Auto Workers (UAW) scheinen einen bedeutenden Sieg errungen zu haben, da sie nach Streiks seit dem 15. September nun vorläufige Vereinbarungen mit Ford, Stellantis und schließlich General Motors haben. Die Vereinbarungen beinhalten eine etwa 25-prozentige Lohnerhöhung in den nächsten viereinhalb Jahren sowie andere bedeutende Zugeständnisse. Dieser mutmaßliche Sieg der Gewerkschaft folgt auf signifikante Erfolge der organisierten Arbeit in anderen Branchen, insbesondere einer großen Einigung mit United Parcel Service. Dies könnte möglicherweise ein Meilenstein auf dem Weg zu einer weniger ungleichen Nation sein. In den 1960ern war die USA wirtschaftlich weniger polarisiert, und die Einkommensunterschiede waren viel geringer als heute. Die Rückkehr zu einer breit geteilten Prosperität könnte nun in Form von gestärkten Gewerkschaften und politischer Unterstützung für Arbeitnehmerrechte erfolgen. (Paul Krugman, New York Times)
Es gehört zu den guten Nachrichten von Bidens Präsidentschaft, dass die krasse Ungleichheit in den USA reduziert wird. Die Lohnabschlüsse, besonders der hier wegweisende durch die UAW, kommen überproportional den unteren Schichten zugute und helfen dadurch, das Lohngefüge von unten zusammenzustauchen. Das ist auch in Deutschland mehr als überfällig. Mehr zum Thema findet sich auch hier. Allerdings muss auch etwas kaltes Wasser über die guten Nachrichten geschüttet werden, denn die Reduzierung ist leider nur relativ: trotz knapp 30% Lohnsteigerung holen die Arbeiter*innen damit nur die Verluste seit Beginn der Coronapandemie auf; eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage geht damit nicht einher. Das allerdings ist deutlich mehr als in Deutschland, wo die Verluste durch Corona und Inflation nicht auch nur annähernd aufgeholt werden und auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden.
Über 87 Millionen Migrantinnen und Migranten leben in Europa, doch viele erleben Ausbeutung und prekäre Arbeitsbedingungen. In Ländern wie Serbien, Italien und Spanien protestieren Arbeiterinnen und Arbeiter gegen schlechte Behandlung. Auch in der Online- und Gig Economy gibt es Ausbeutung. Warum kommen sie trotzdem? Oft aus wirtschaftlicher Not, verursacht durch Klimakatastrophen, politische Unruhen und Arbeitslosigkeit. Der komplexe Visumsprozess macht sie oft zu Opfern illegaler Vermittler. Staatliche Eingriffe und bessere Integration sind notwendig, genauso wie eine Überarbeitung der Visumssysteme. Viele Arbeiterinnen und Arbeiter leben in Angst und können Missstände nur schwer melden. Lösungen erfordern internationale Zusammenarbeit und einen besseren Schutz der Rechte migrantischer Arbeitnehmerinnen und -nehmer. (Ankita Anand, IPG)
Wir haben ja letzthin darüber diskutiert, dass ausbeuterische Arbeitsbedingungen nicht das Gelbe vom Ei sein können, vorsichtig ausgedrückt. Der Einwand, dass das gewählte Beispiel der Arbeiter*innen in Bangladesch oder anderen unterentwickelten Orten nicht sonderlich sinnvoll sei, weil noch kein Land sich ohne miese Arbeitsverhältnisse in der Übergangsphase entwickelt habe und der relative Standortvorteile für diese Entwicklung notwendig sei, ist nicht leicht zu widerlegen. Daher nehme ich in den Artikel hier als Beispiel "closer to home". Die Ausbeutung vulnerabler Bevölkerungsgruppen ist ein Problem, und wie ich ursprünglich dargelegt hatte, basiert unsere Wirtschaft darauf, weil niemand bereit ist, in den entsprechenden Sektoren realistische Preise zu bezahlen (Landwirtschaft etwa).
Der Artikel berichtet über die enttäuschenden Ergebnisse der ersten weltweiten Bestandsaufnahme des Pariser Klimaabkommens vom 8. September, die vom UN-Sekretariat veröffentlicht wurde. Ursprünglich wurde erwartet, dass die Bewertung die Fortschritte der Länder bei der Umsetzung der Klimaziele bewertet, insbesondere die Begrenzung des Temperaturanstiegs auf unter zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau. Stattdessen wurde die Bewertung als "allgemeine Bewertung der Resultate nationaler Klimapolitik" wahrgenommen, die wenig Transparenz bot. Der Artikel kritisiert die Verschleierung konkreter Ergebnisse und betont, dass eine echte globale Zusammenarbeit notwendig ist, um die Herausforderungen des Klimawandels zu bewältigen. Es wird auch auf die Notwendigkeit von Transparenz und Verantwortlichkeit hingewiesen, um das Vertrauen zwischen den Ländern zu stärken und einen effektiven Multilateralismus zu gewährleisten. (Michael Davies-Venn, IPG)
Inzwischen geben wir nach dem 1,5-Grad-Ziel auch das 2-Grad-Ziel auf und verklären das mit Mathezauberei. Dieser Versuch, die konkreten Gradzahlen jetzt für irrelevant zu erklären und stattdessen neue Kriterien zu erfinden, ist auf der einen Seite sicherlich nicht ganz unsinnvoll - schließlich sind fixe Zahlen eine eher starre Größe, die den Realitäten und pragmatischen Anforderungen nicht unbedingt entspricht (was es auf eine düstere Art witzig macht, dass die gleichen Leute, die mit beinahe religiöse Fanatismus die Einhaltung der Schuldenbremse zur höchsten Priorität erklären, unglaublich flexibel bei den Maßgaben des Klimaschutzes sind...). Auf der anderen Seite aber scheint es mir durchaus so, als wären die entsprechenden Argumente vor allem Nebelkerzen, um Untätigkeit zu verdecken.
5) Nur sechs Wochen Gardasee – Marie Nasemanns “Fairknallt”
Der Text kritisiert die Selbstwahrnehmung der deutschen Gesellschaft, insbesondere der Wohlhabenden, bezüglich sozialer Schichten und ökonomischer Realitäten. Die Autorin reflektiert dies anhand des Buchs "Fairknallt" von Marie Nasemann, einer prominenten Persönlichkeit, die sich für nachhaltigen Konsum engagiert. Der Text bemängelt Nasemanns Wohlstandsprivilegien und ihre Neigung, sich als durchschnittliche Bürgerin zu inszenieren. Die Kritik erstreckt sich auf die deutsche Gesellschaft insgesamt, die oft Schwierigkeiten hat, objektive ökonomische Verhältnisse anzuerkennen. Es wird betont, dass die Identifikation mit bestimmten sozialen Klassen unabhängig von realen wirtschaftlichen Umständen stattfindet. Der Text schließt mit der Forderung nach mehr Offenheit bezüglich finanzieller Verhältnisse und einem besseren Verständnis für die tatsächlichen sozialen Unterschiede in der Gesellschaft. (Matthias Warkus, 54Books)
"Einkommen und Vermögen sind aber objektive Verhältnisse und kein Vibe. Es ist ganz gleich, wie »bürgerlich« ich mich fühle – entweder verdiene ich zwischen 1500 und 4000 Euro brutto oder ich tue es nicht." Ein wunderschöner Satz aus diesem Artikel, den ich unbedingt empfehlen möchte. Ich finde es tatsächlich immer wieder auffällig, wie sehr die gefühlte Realität zu den Einkommensverhältnissen in Deutschland von der objektiven Realität abweicht. Die viel zu expansive Definition von "Mittelschicht", zu der sich sowohl klar unten herausfallende Personene zählen als auch solche, die deutlich darüber liegen, ist ein Aspekt davon, der es fast unmöglich macht, rational über entsprechende Politiken zu diskutieren.
Es sorgt aber auch dafür, dass realistische Einschätzungen des Durchschnitts kaum möglich sind. Das Durchschnittseinkommen in Deutschland ist wesentlich niedriger, als dies oftmals angenommen wird (die genannte Spanne von 1,5k bis 4k wird von denjenigen, die hauptberuflich über diese Themen sprechen, gerne überschritten), was aber nicht bedeutet, dass man gleich reich ist. Diese Begriffe gehen aber immer durcheinander. Deswegen fällt es Menschen auch so schwer, zu erkennen, dass sie überhaupt überdurchschnittlich verdienen (wie die ZEIT-Serie ja auch schön aufzeigt); irgendwie reicht das eigene Geld gefühlt nie für die großen Sprünge. Nur dass eben der eigene Lebensstandard für die Mehrheit der Deutschen bereits ein großer Sprung wäre.
Resterampe
a) FAZ-Rezension von Anton Jägers "Hyperpolitik".
b) Gegen die mit ihren Treckern den Verkehr blockierenden Bauern erwarte ich aber mindestens Beugehaft. Schließlich halten sie ja vorsätzlich den Verkehr auf.
c) Dieser Artikel argumentiert, dass Bidens Präsidentschaft starke Parallelen zu der Trumans habe.
d) Die Situation der Wirtschaft der Ukraine ist gar nicht gut.
e) Es ist tatsächlich völlig absurd, dass Pistorius' Satz, dass die Bundeswehr "kriegstüchtig" sein müsse, irgendwie kontrovers ist.
f) Die alternativen Fakten russischer Geschichtsschreibung...
h) He. He. He.
i) Volkswirtschaftlicher Schaden von Leistungskürzungen an Geflüchtete. Aber um Rationalität geht es da ja auch nicht.
j) Neue Studie zu den Wirkungen von Platforming von Rechten.
k) Schwarzenegger als Life-Coach.
l) Macht in Gefahr. Noch was zu den politischen Dynamiken der arabischen Welt.
m) Nachtrag zur Debatte der Ausbeutung von Migrant*innen.
n) Deutschland ist krank. Kann nur zustimmen.
o) Netanyahus Regierung gibt sich echt alle Mühe, möglichst Sympathien weltweit zu verspielen.
p) Haben wir die Geldpolitik auf den Kopf gestellt?
q) Unterschätzter Aspekt islamistischen Terrors: die liberalen Muslime werden auch unterdrückt.
r) Erneuerbare stabiler als konventionelle Stromerzeugung.
s) Habeck bleibt stabil. Guter Mann.
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