Präambel aus dem Buch "Epistemologie der Postmoderne"

„Die Wissenschaften steuern alle in unterschiedliche Richtungen und haben uns bislang nur wenig Schaden zugefügt, doch eines Tages wird uns das Aneinanderfügen einzelner Erkenntnisse so erschreckende Perspektiven der Wirklichkeit und unserer furchtbaren Aufgabe darin eröffnen, dass diese Offenbarung uns entweder in den Wahnsinn treibt oder uns aus der tödlichen Erkenntnis in den Frieden und den Schutz eines neuen dunklen Zeitalters flüchten lässt.“
– H. P. Lovecraft

Der Mensch war im Ursprung, wie jedes andere Geschöpf, kein rationales Lebewesen, sondern, wie das Tier, ein Wesen geleitet von Trieben, Instinkten und Verlangen, welche ihm das Überleben und schliesslich seine weitere Entfaltung überhaupt erst ermöglichten. Erst die Entwicklung des abstrakten Denkens konnte die Grundlage für das rationale Denken darbieten, wenngleich nicht jedes abstrakte Denken bereits rational ist. Seither lebt der Mensch in einem Zwiespalt zwischen seinen Ur-Sein, dem Irrationalen; und dem abstrakten Rationalen. Die soziale Natur des Menschen erlaubte in Zusammenhang mit dem rationalen Denken komplexe Zivilisationen aufzubauen, während die irrationalen Triebe und Instinkte ein entgegengesetzter Ausschlaggeber für die emotionale Entwicklung wurden; eine Evolution die keineswegs linear ist, sondern zirkular: Auf Epochen in welche Rationalität im Zeitgeist vorherrschend ist, folgen Epochen in welchen die irrationalen, emotionalen, instinktiven Urtriebe die Überhand erlangen.

Das Konzept der Erkenntniswissenschaft oder Epistemologie entstand im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts, als erstmals erkannt wurde, dass das, was wir als Realität empfinden, nicht eine vollkommene Realität ist, sondern eine Wahrnehmung der Realität, welche, infolge der Kapazität unserer Sinne und der Verarbeitung von deren Signale durch unseren Verstand, zusammengesetzt wird. Diese einstmals revolutionäre, jedoch heute schon fast alltägliche Feststellung, ebnete den Weg für die Ideen darüber, wie wir, obgleich unserer unvollkommenen Wahrnehmung, Erkenntnisse festhalten können; allen voran die Dialektik, die einfache Juxtaposition einer These mit seiner Antithese, um in der daraus folgenden Synthese eine Erkenntnis zu erlangen. Illustrativ für diese Entwicklung ist die kopernikanische Wende: in dem Augenblick in welchem man den Geozentrismus überwand, und somit fundamental erkannte, dass das, was eine scheinbar unanfechtbare Tatsache der Sonne in ihrer Bewegung am Himmel sei, tatsächlich die Erde ist, welche die Sonne umkreist, so waren unsere Sinne, die diese Erkenntnis nicht hätten erreichen können, in ihrem Makel ein für alle mal entlarvt.

Viele dieser Ideen waren nicht grundlegend neu, sondern entstammten philosophischen Ideen, die mindestens schon von den alten Griechen formuliert worden waren, und dann die philosophische Bewegung der Aufklärung entsprechend wieder aufgriff und weiterentwickelte. Jedoch richtete sich dieses Denken gegen die zu dem Moment geltenden Grundsätze (z.B. Kants „Kritik der reinen Vernunft“ wurde von der katholischen Kirche auf die Liste der verbotenen Bücher gesetzt), was die Zirkularität zwischen Rationalität und Irrationalität veranschaulicht.

Ebenso wie, gemäss dem Sender-Empfänger-Modell, für das gegenseitige Verständnis von Sprache eine gegenseitig geteilte Kodierung des Signals bzw. der Botschaft notwendig ist, so bildet sich schlussendlich, der Sprache gleich, eine gesellschaftlich weitgehend geteilte Prädominanz in der Erkenntnistheoretischen Auffassung oder Epistem: der sog. Zeitgeist, welcher Prägend für jedwede Epoche ist. So wurden die Ideen der Aufklärung eventuell von der Gesellschaft assimiliert, und etablierten sich von dem Moment an als der vorherrschende Zeitgeist. Infolgedessen kam das auf, was von hier an als die Epoche der Moderne bezeichnet werden soll. Eine Epoche die nicht gleichzusetzen ist mit der Aufklärung als wegweisende Bewegung, sondern als eine folgende gesellschaftliche Implementation von deren, einst bahnbrechenden, Ideen. Die Konsequenz hiervon sollte, vor allem in Wissenschaft und Technik, eine aussergewöhnliche Entwicklung der Zivilisation sein: die Gesellschaft wandelte sich in kaum zweihundert Jahren von Kerzenlicht, Pferdekutsche, Aderlass und Druckerpresse zu Atomenergie, Düsenflugzeug, Antibiotika und Internet.

Das Prädikat „postmodern“, welches an sich nicht neu ist, und deren teils sehr beliebige oder subjektive Verwendung, weisen gemäss einer strukturalistischen Anschauung eine Anerkennung dessen auf, was als modern zu verstehen ist. Die Postmoderne als eine klar definierte Epoche bzw. als Epistem war bisher noch nicht als solche erkannt oder beschrieben worden. Es ist Absicht dieser Schrift, den definitivem Übergang der Epoche der Moderne in die der Postmoderne aufzuzeigen, und letztere epistemologisch zu definieren.

Als Epoche ist die Moderne durch den geltenden epistemologischen Zeitgeist einzugrenzen: Sie resultiert aus der Wende von der Prämoderne, dessen Epistem auf dem Dogma basiert, hin zum Epistem des Rationalismus, welches aus der Aufklärung hervorgeht. Die Postmoderne ist folglich eine erneute Wende, welche auf Grundlage vor allem des Poststrukturalismus in einen epistemologischen Zeitgeist der Emotionalität führt. Der Wandel der fundamentalen epistemologischen Werte, welche in einer Epoche vorherrschend sind, definiert in diesem Sinne jedwede Epoche, wie auch die nun anbrechende bzw. angebrochene Postmoderne.

Seit Anbeginn der Zivilisation entsteht eine Alternanz zwischen Rationalität und Irrationalität, wobei zu keinem Zeitpunkt eine dieser Tendenzen vollkommen Dominierte: Eine rein irrationale Gesellschaft würde den animalistischen Urtrieben verfallen, jegliches Konzept von Zivilisation verwerfen, und, den Tieren gleich, sich nur noch von Instinkten führen lassen; eine rein rationale Gesellschaft wäre ein kaltherziges Konstrukt, welches die Gesellschaft skrupellos an theoretische Modelle anzupassen suchen würde, oder gar den Menschen aufgrund seiner innewohnenden Irrationalität auslöschen könnte.

Die Übergänge zwischen Epochen sind zumal fliessend, so kann man die ersten Anfänge der Postmoderne vor allem im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts platzieren, angetrieben von den Traumata der industrialisierten Kriegsführung und dem Einfluss der Massenpropaganda, welche die bis dahin geltenden Moral- und Wertvorstellungen in Frage stellten. Der Wandel erreichte eine exponentielle Beschleunigung nach Einbruch des 21. Jahrhunderts: Die Präsidentschaft von Donald Trump, die Intensivierung der Identitätspolitik, oder auch die Pandemie von 2020-2022 können als wesentliche zeitgeistliche Katalysatoren verstanden werden, soziokulturelle Steckenpferde die in fast allen Facetten des Alltags präsent wurden, jegliche kulturelle Grundlage verdrängten, und schliesslich diesen Übergang vollendeten, wodurch Phänomene der Moderne nach und nach nur noch residual vorkommen sollten.

Im Jahre 2022 sind es genau drei Jahrzehnte seit Fukuyama das sog. „Ende der Geschichte“ zu ersehen meinte. Seine Erkenntnis war insofern relevant, dass er unwissentlich einen fundamentalen Umbruch des modernen bzw. aufgeklärten Zeitgeistes ausdrückte und somit ein unfreiwilliger Vorreiter der Postmoderne wurde. Die Ansicht, dass die liberale Demokratie der politische Endzustand der Menschheit sei, ist ein Gedanke der, bei rationaler Betrachtung und mit den Erfahrungen nach der Jahrtausendwende, von Arroganz und Emotionalität strotzt, aber vom postmodernen Denker als reelle Tatsache wahrgenommen werden kann: von einer emotionalen Präferenz wird ein, vermeintlich rationaler, Idealzustand abgeleitet, welcher aber tatsächlich nur auf emotionaler Grundlage zu rechtfertigen ist, obgleich er mit selektiv ausgewählten Fakten, entnommen aus einer immer grösseren Flut an Daten, beschmückt werden kann. Der fast religiöse Kult der sich um die liberale Demokratie gebildet hat, welcher in ihrer Abwesenheit unweigerlich das Böse sieht, und der hingegen fast jede Handlung unter dessen Deckmantel zulässt, ist ein treffendes Beispiel für eine postmoderne Fassade eines Ideals, ein Bild eines Idealzustandes welches die Fehler und Unvollkommenheiten bedeckt, und damit auch freilich zulässt.

Baudrillard hat einst das Konzept des Simulacrum geprägt, und dieses Konzept muss hier aufgegriffen werden, doch das Simulacrum, indem es lediglich als Bild postuliert war, erkennt lediglich einen Bestandteil der Postmoderne, welche sich schlussendlich durch eine veränderte Grundlage in der Erkenntnis der Realität entfaltet, nämlich das, was hierin als emotionale Realität bezeichnet werden soll. Während ein Simulacrum ein Bild ist, das vorgibt eine Realität zu repräsentieren, welche gar nicht existiert, so führt sich dieses Phänomen in der Postmoderne auf Ebene der Wahrnehmung fort. Die emotionale Realität ist ein Simulacrum in der Wahrnehmung, nicht ein Bild einer Realität die nicht existiert, sondern die Erkenntnis über eine Realität, die nicht existiert; welche konstruiert wird auf Grundlage von Simulacra, Bildern, die eine Realität darstellen, welche ebenfalls nicht existiert. Hierin liegt der bedeutende Schritt der Postmoderne, der diese von der Moderne ein für alle mal abtrennt: Nicht mehr die Bilder der Realität unterscheiden sich, sondern die Realität selbst, insofern sie durch das Individuum erkannt wird, erlangt unterschiedliche Zustände, als handle es sich um Paralleluniversen.

Es ist das logische Resultat daraus, dass die bildliche Wahrnehmung, d.h. die Wahrnehmung der Realität über den Zwischenschritt des Bildes, zu einem grösseren Teil der Wahrnehmung wird, als dass es die sinnliche Wahrnehmung der Realität selber wäre, wodurch in der Praxis eine zusätzliche Ebene der Wahrnehmung hinzukommt: Die Realität wird vom Bild wiedergegeben, und das Bild wird von unseren Sinnen wahrgenommen. War das Bild in der Moderne noch der Wahrnehmung der Realität untergeordnet, so hat die immer grössere Komplexität unserer Welt das Bild zu einem unumgänglichen Mittler zwischen Realität und Wahrnehmung erhoben. Diese Situation trifft auf das Simulacrum, jedoch ohne das Bewusstsein dessen, wodurch der Dialektische Prozess umgangen werden kann, indem bereits These und/oder Antithese selbst nicht mehr der Realität entsprechen; deren bildlicher Ursprung hingegen, indem er als Teil der Wahrnehmung selbst gesehen wird, nicht einem dialektischen Prozess unterzogen wird. Der Grundsatz der Aufklärung, die eigene Wahrnehmung als unvollkommen zu betrachten, und sich somit tiefgreifenderer Mechanismen zu bedienen, welche die rationale Erkenntnis jenseits der Wahrnehmung zu ersehen erlauben, ist somit in der Praxis aufgehoben, indem die Entstehung des Bildes selbst ein Teil unserer Wahrnehmung wird, aber die Unkenntnis über diesen Faktor des Bildes ein der Dialektik fremdes Simulacrum zulässt, welches dann als Erkenntnis betrachtet wird.

Diese Situation lässt zu, dass nicht mehr das Bild die Realität abzubilden sucht, sondern die Realität selber dem Bild folgen soll. Dies wird ersichtlich indem z.B. die Sprache als Ursache verstanden wird, und über die Sprache die Realität geformt werden soll, anstatt dass die Sprache der Realität hauptsächlich deskriptiv gegenübersteht. Im repräsentativen Sinne sucht man ebenso, dass die Realität zuerst im Abbild ideal ist; nicht in der sinnlichen, sondern in der zuerst ins Abbild übersetzten Wahrnehmung. Die Realität ist dann ideal, wenn das Bild der Realität ideal ist. Ob die Realität, die abgebildet wird, tatsächlich ideal ist, ist nicht mehr von Relevanz, da, indem alle Erkenntnis nun über das Bild geschehen muss, auch erst die abgebildete Realität wirklich real ist. Dies weist ebenfalls nach, wie die Erzeugung des Bildes die Dialektik umgehen kann.

Der Ursprung dieser postmodernen Denkensrichtung ist mannigfaltig: Die zunehmende Komplexität unserer Welt macht diese immer weniger über unsere eigene Wahrnehmung greifbar, stattdessen muss sich die Wahrnehmung unweigerlich des Bildes bedienen; wobei allerdings die Erkenntnis über die Begrenzungen in der Abbildung von Realität, analog zu den Begrenzungen unserer eigenen Sinne, noch nicht ausgeprägt ist. Somit entsteht die paradoxe Situation, dass das Erlangen einer neuen Ebene der Wahrnehmung, welche erlauben sollte, eine viel weitreichendere und komplexere Realität wahrzunehmen, erst einmal zu einer erneuten Situation der Unkenntnis führt, wie es vor den Erkenntnissen der Aufklärung bezüglich unserer sinnlichen Wahrnehmung bereits der Fall war. Indem nun aber das Simulacrum nicht als solches erkannt wird und somit die Verfälschung der Wahrnehmung ebenso wenig erkannt wird, folgt die logische Interpretation einer Unzulänglichkeit des rationalen Denkens welches der Aufklärung entstammte, und welches in sich selbst stets im Konflikt mit den emotionalen Neigungen stehen kann, die dem menschlichen Wesen zu Grunde liegen. Diese Emotionalität wird alsdann zur Ausflucht aus dieser Unkenntnis, und somit zum Wegbereiter für die emotionale Realität als letztendliche Antwort auf die fehlende Kohärenz der Erkenntnisse.

In diesem Sinne wird nun ebendieses aufgeklärte Denken zu seinem eigenen Feind. Ein immer wieder erscheinendes Phänomen ist das der Perversion aufgeklärter Werte und Ideale, welche nur noch als Fassade gehandhabt werden und schlussendlich ihren ursprünglichen Absichten entsagen. Die Postmoderne wirkt der Moderne gezielt entgegen, indem die Ideale der Aufklärung untergraben werden, während zugleich aber deren Erscheinung, sinnentleert, aufrechterhalten wird. Andererseits wird die Moderne selber in ihrem Wert der Rationalität dadurch untergraben, dass die technische Entwicklung ein solches Übermass an Information, in derart rasantem Rhythmus herbeigeführt hat, dass eine rationale Dialektik nur schwer mithalten kann.

Die Tragik der Aufklärung ist, dass sie, wenn man die ideellen Postulate betrachtet, selber den Grundstein legt für ihren Niedergang, indem humanistische Ideale definiert wurden, welche, in Abwesenheit rationaler Gegenüberstellungen, nach und nach der Emotionalität folgend ad absurdum ausgeweitet werden, bis sie schliesslich, infolge einer unermesslichen gesellschaftlichen Komplexität, in der Postmoderne zu ihrem eigenen Gegenteil entstellt werden, in Form sentimentalistischer Stereotypen, die dann zur quasi-dogmatischen Vorgabe instrumentalisiert werden. Die postmoderne Wahrnehmung bestätigt sich damit selber: Die Vorgabe ist wahr, weil jeder der sie anzweifelt auch jegliche Grundlage der akzeptierten Wertvorstellung anzweifelt, und seine Kritik folglich ungültig ist, da ihr Ursprung ausserhalb des Spektrums der tolerablen Wertvorstellung liegt.

Diese fortschreitende Verringerung des zumutbaren Meinungs- und Ansichtsspektrums führt mit sich, dass sich Ansichten zu Realitätsauffassungen entwickeln, wodurch diese nicht mehr als ein möglicher Weg unter vielen innerhalb der Realität verstanden werden, was sie auch einer dialektischen Prüfung unterliegen liesse, sondern als Realität selbst; während alle anderen Ansichten eine unsinnige oder gar pathologische Entfernung von der Realität darstellen. Dies wird im öffentlichen (v.a. medialen) Diskurs ersichtlich, worin nicht nur das Meinungsspektrum extrem beschränkt wird, was faktisch einer diskursiven Gleichschaltung entspricht, sondern auch jegliche Abweichung die erscheinen könnte als realitätsfremd, pathologisch oder subversiv angeprangert wird und sofort mit aller kraft zu unterdrücken versucht wird, ohne auch nur die Chance eines dialektischen Austausches zuzugestehen. Dies wird folglich nicht als Unterdrückung des Diskurses und damit als Angriff der aufgeklärten Wertvorstellung verstanden, sondern lediglich als die Pflicht eine Gefährdung der gesellschaftlichen Wertegrundlagen im Keim zu ersticken, als handle es sich um eine Gangräne die abgegrenzt und entfernt gehört, bevor sich die Fäulnis ausbreitet.

Von wesentlicher Relevanz bezüglich der Entwicklung der Moralvorstellung ist hierbei auch der allmähliche Rückgang in der Prävalenz der christlichen Moralität. Das Konzept der christlichen Moralität ist dabei nicht buchstäblich als eine „biblische“ Moralität zu verstehen, zumal die moderne christliche Moralität eine Abwandlung dieser ist: Die biblischen Konzepte von Moralität bildeten eine Grundlage, auf welcher sich schliesslich die spätere christliche Moralität entwickelte. Während der Aufklärung kristallisierte ein modernes Verständnis der christlichen Moralität als moralische Grundlage der westlichen Zivilisation, welche zumeist implizit war, da in einer grösstenteils homogenen Kultursphäre keine Notwendigkeit darin bestand, die moralische Grundlage, wie auch nicht andere kulturelle Grundlagen, explizit festzuhalten. Dies entwickelt sich in der Postmoderne nach und nach zur Auffassung einer Abwesenheit kultureller wie moralischer Grundlagen, und entsprechend zu einer Grundlage für den moralischen Relativismus, der das endgültige Entfallen der christlichen Moralität als gesellschaftlich geteilte Moralvorstellung erlaubte.

Diese Abwesenheit einer kohärenten Moralvorstellung führt zu einer Form von moralischem Vakuum, welches durch das was man eine „ad hoc Moralität“ der emotionalen Hysterie nennen kann, gefüllt wird, und somit einen Nährboden für die emotionale Realität schafft. Die Abwesenheit einer gesellschaftlich geteilten und akzeptierten Moralität entzieht dem Prozess für die rationale Wahrnehmung die Grundlage einer objektiven Moralvorstellung, wodurch zwingend eine neue Moralität definiert werden muss, welche sich alsdann an den emotionalen Urtrieb heftet.

Somit ist die immer weiter verringerte kulturelle Homogenität ebenfalls ein Treiber dieses Wandels, indem das kulturelle Verständnis und der gesellschaftliche Zusammenhalt untergraben werden, stattdessen Ersetzt durch das Simulacrum der digitalen und virtuellen Massenkommunikation, welche die Möglichkeit besitzt, einen Eindruck von weitreichend geteilter Ansicht zu vermitteln, und welche erst über diesen Anschein überzeugend wird, eine sog. selbsterfüllende Prophezeiung.

Von besonderer Bedeutung ist ebenfalls der bereits erwähnte Faktor eines Informationsüberflusses. Das Smartphone ist als neues Sinnesorgan mit uns verschmolzen, und das Internet ist die bildliche Dimension die es wahrnimmt. Klare Folgerungen oder Rückschlüsse sind ohne eine pragmatische Distanz von den einzelnen Daten erschwert oder gar verunmöglicht, und stattdessen wird es möglich, mit einer selektiven Betrachtung die jeweiligen Erwartungen zu erfüllen, welche nun auch schon im Vornherein definiert werden können. Indem jedmögliche Realität wahrgenommen werden kann, wird nicht Offenheit und kritisches Denken geschürt, sondern die eifrige Selektion und nachfolgende Anheftung an eine Realität, die dieser emotional ergründeten Wertvorstellung entspricht.

Indem die Emotion zum entscheidenden Faktor bei der Akzeptanz einer Erkenntnis Wird, entsteht die perverse Möglichkeit, gegensätzliche Konzepte zu harmonisieren, indem die ursprüngliche Bedeutung abstrakter Konzepte durch andere Bedeutungen getauscht werden; so wenn man zum Beispiel durch Diskriminierung Gleichheit, durch Zwangsvorgaben Freiheit oder durch Gewalt Frieden schaffen will. Die berühmte Phrase aus Orwells Dystopie „1984“: „Krieg ist Frieden; Freiheit ist Sklaverei; Unwissenheit ist Stärke“ erlangt die Position einer fast schon realistischen Aussage, eine Realsatire welche nicht mehr zwischen Realität und Parodie zu unterscheiden ist. Als lapidares Beispiel gelte die in den letzten Jahren gar zu oft gesprochene Phrase: „Meinungsfreiheit bedeutet nicht Freiheit von Konsequenzen“, ganz im Stil von Idi Amin: „Es gibt Redefreiheit, aber ich kann keine Freiheit nach dem Reden garantieren.“

Wissenschaft wird statt des empirischen Vorganges zumal von einem Modell-basierten Konzept ersetzt, welches nicht unbedingt an und für sich unzulässig oder unwirksam ist, aber je nach Situation nur eine grobe Annäherung darstellt, welche allerdings, der damit zusammentreffenden Fassade einer allwissenden Wissenschaft nachlaufend, als absolute, gar dogmatische, Wahrheit wahrgenommen wird; oder sogar Modellierungen unternommen werden, welche schon im Vornherein mit der Absicht erstellt werden, die Schlüsse zu erlangen, welche dem Vorurteil der emotionalen Realität entsprechen. Während die Wissenschaft gemäss dem aufgeklärten Denken die Art war, wie man Annahmen oder falsche Auffassungen in Frage stellen und allenfalls entlarven konnte, so umgeht die Postmoderne diesen Mechanismus mit einem Vorgang, der sich selber als Wissenschaftlich ausgeben kann, aber trotzdem der emotionalen Realität untergeordnet ist, und zugleich dieser die Legitimierung gibt, die der aufgeklärte Geist erwarten würde. Es entsteht ein Paradox, worin der vermeintlich wissenschaftliche Vorgang angezweifelt werden müsste (ebenso wie es mit dem Bild als Simulacrum geschieht), was zwar dem Wert der kritischen Hinterfragung entspricht, aber gegen den Wert des Empirismus geht. So kann die Postmoderne eine dermassen absurde Aussage prägen wie „an die Wissenschaft glauben“. Eine wissenschaftliche Erkenntnis welche, wie schon die kopernikanische Wende, einer weitreichend eingebürgerten aber falschen Erkenntnis widersprechen sollte, würde sich erneut vor derselben Art von emotionaler oder hysterischer Opposition finden, welche in diesem Falle aber durch vermeintlich wissenschaftliche Erkenntnisse beschwichtigt würde, und diese Widerlegung durch die emotionale Empfangsbereitschaft sowie die scheinbar wissenschaftliche Erläuterung weitestgehend akzeptiert würde. Der Moment, in dem eine neue kopernikanische Wende vorkommen sollte, wäre ebenfalls das Ende der Postmoderne.

Phänomene, welche aus der Kritik und Opposition des Dogmatismus der Prämoderne entsprangen, werden somit selber zu neuen Dogmen instrumentalisiert. Hierdurch können die seit Jahrhunderten verwurzelten Ideale der Aufklärung nicht nur umgangen, sondern unterwandert und als Fundament für die emotionale Realität der Postmoderne zweckentfremdet werden.

Es ist keineswegs zufällig, dass sich in fast allen tiefgreifenden gesellschaftlichen und politischen Konflikten der jüngsten Vergangenheit durchgehend zwei Lager bilden, welche sich mit bemerkenswerter Kohärenz durch unterschiedlichste Angelegenheiten ziehen. Diese zwei ideologischen und ideellen Gräben treffen auf keine der traditionellen soziopolitischen Dichotomien zu (links-rechts, progressiv-konservativ, liberal-autoritär, usw.), stattdessen handelt es sich um die konkrete Auswirkung dieses zeitgeistlichen Wandels, d.h. die Dichotomie modern-postmodern. Es treffen zwei verschiedene Auffassungen bezüglich der Realität selber aufeinander, einerseits die einer objektiven Realität welche durch die Dialektik als Erkenntnis verstanden werden kann, und innerhalb welches sich eine politische Idee oder Ideologie befindet; und die der emotionalen Realität, welche erstere Auffassung nicht als ein anderes politisches Ideal versteht, sondern als eine fehlgeleitete Auffassung der Realität selbst infolge von Pathologie, Gehirnwäsche, o.ä., und welche folglich nicht als ebenbürtige Position zu werten ist, sondern nur noch als abstruse Wahnvorstellung einer inexistenten Realität.

Auch hier werden aufgeklärte Ideale pervertiert und dogmatisiert, allen voran das Ideal der Demokratie, welches ebenso zu einer sinnfreien Fassade verkommt: Sinnlose Wahlen zwischen Mitgliedern einer geschlossenen politischen Elite werden zu einem schicksalhaften Ritual stilisiert, wobei der Ausgang schlussendlich keine nennenswerten Einwirkungen hat, da die meisten tiefgreifenden politischen Entscheidungen von einem bürokratischen Koloss, zusammengestellt von Bürokraten die keinerlei demokratischen Wahl unterliegen, getroffen werden, und ebenso enormen globalistischen Druckmechanismen ausgesetzt sind. Hinter der Fassade der Demokratie kann der Staat ohne jegliche Grenzen in die Privatsphäre der Bürger regieren, mögliche Gegner des Systems ausschalten und vertraulichen, geopolitischen Machtgeflechten Folge leisten; d.h. alle nur denkbaren totalitären Handlungen begehen, und sich trotzdem als Garant von Freiheit inszenieren.

Es hat sich somit eine ganze Konstellation von Phänomenen gebildet, deren Leitfaden es ist, die Ideale der Aufklärung zu pervertieren und stattdessen zu Vehikeln für die emotionale Realität zu machen. Der dem aufgeklärten Geist angeborene Sinn für das Aufgeklärte wird durch die vielen Fassaden von Simulacra betäubt und neutralisiert, um so dem schlummernden Instinkt der Emotionalität freien Lauf zu lassen.

Für den emotionalen Geist ist das Oberflächliche zumal Ausreichend, um daraus ein Ganzes zu konstruieren, somit reicht das Abbild bzw. die Fassade einer Realität aus, um die Erwartungen des emotionalen Geistes zu befriedigen: Eine Struktur die stabil erscheint, wird als stabil wahrgenommen; oder ein Gericht das schmackhaft aussieht, muss auch genüsslich sein. Die kognitive Dissonanz die aus einem möglichen Aufprall einer scheinbar unausweichlichen faktischen Realität und einer solchen emotionalen Realität entsteht, weicht in die emotionale Realität selber aus, indem z.B. andere Faktoren aus der Informationsflut heraufbeschworen werden, um diese Diskrepanz innerhalb der Erwartungen der emotionalen Realität zu rationalisieren.

In einem kulturellen Umfeld welches eine extrem verkürzte Halbwertszeit für die Wahrnehmung und Deutung der Realität bietet, und zugleich eine extreme Vernetzung von Informationen, ist dieser Prozess der emotionalen Realität schliesslich eine praktikable Ausflucht um der scheinbaren Anforderung gerecht zu werden, sowohl dem globalen Informationsfluss gerecht zu werden, wie auch weitreichender Kenntnisse verschiedenster Themen. Denn es bildet sich eine Erwartungshaltung in der dem Narrativ folgenden Masse eines Bekenntnisses zum jeweiligen Dogma, welche das Individuum unter Druck setzt sich dieser Erwartung zu unterwerfen.

Zu jeder Zeit agiert die Postmoderne in der Durchsetzung des eigenen Denkens entsprechend dem Dogma, indem das Individuum geistig und ideell bedrängt wird, aber zugleich den Ausweg durch das Narrativ der emotionalen Realität findet. Hierbei geht allerdings der Wert des Individuums verloren, das Individuum existiert nur noch als Störfaktor gegen die vermeintliche Harmonie des Narratives (erneut eine Fassade, in diesem Falle von sozialer Harmonie) und wird entsprechend vor die Wahl gestellt, neutralisiert oder gesellschaftlich geächtet zu werden. Hierin liegt die letzte Konsequenz der Postmoderne in Form eines despotischen Massenphänomens das sich durch alle Facetten des Lebens zieht, jedoch immer hinter der verleugnenden Fassade des Ideals.

Es ist aufschlussreich, dass die Postmoderne aus den Wohlstandsgesellschaften herausgeht, wo das einstige alltägliche Mühsal stattdessen durch komplexe, abstrakte und vielschichtige Erschwernisse verdrängt wurde; was schlussendlich auch zu einer Wahrnehmung führt, welche weniger auf faktische, rationale Phänomene und deren Konsequenzen abgestimmt ist, sondern mehr auf tieferliegende und wenig ersichtliche Einwirkungen abgestimmt ist, welche nicht direkt sondern nur noch abgebildet wahrgenommen werden können, während zugleich das Rationale als unzulänglich ausgeblendet wird.

Vor allem eine Heimtücke liegt der Erkenntnis bezüglich der Epistemologie der Postmoderne zu Grunde, in Form der eigenen Verleugnung der emotionalen Wahrnehmung durch welche sie fundamental konstituiert ist. Der postmoderne Zeitgeist gibt sich jederzeit als Rational aus, obgleich diese Rationalität lediglich auf einem Simulacrum baut, welches als Produkt einer Flut an Information ermöglicht wird. Die Postmoderne ist ohne die Moderne gar nicht erst möglich, denn sie anerkennt selber die Moderne, d.h. die Werte und Ideen der Aufklärung, als Ideal, und wandelt dieses Ideal über das Bild, nun ein Wahrnehmungsmechanismus, in eine Fassade um, die jederzeit Erfüllt sein wird, wodurch sich die emotionale Realität entfaltet. Die Essenz der Postmoderne ist eine Fassade des Ideals.

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