Dass die CDU wenig politischen Anstand zeigt, habe ich ja vor einiger Zeit schon mal in einem Artikel thematisiert, nun stellt sich aber gerade heraus, dass das in jedem Fall kein „Ausrutscher“ war, sondern zum Leitprinzip dieser Partei geworden ist. Die Reaktionen auf das Verhalten von Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) zeigen nämlich genau das in aller Deutlichkeit auf.
Spiegel ist ja gerade von ihrem Amt zurückgetreten (s. hier), und das hatte nichts mit einer aktuellen Verfehlung zu tun, sondern damit, dass sie im letzten Jahr zehn Tage nach der Flutkatastrophe im Ahrtal für vier Wochen in den Urlaub gefahren ist. Das wäre ja auch nicht weiter verwerflich, allerdings war Spiegel zu dem Zeitpunkt Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität sowie auch noch stellvertretende Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Das zeugt nicht nur von wenig Fingerspitzengefühl, dann in einer solchen Ausnahmesituation in den Urlaub zu fahren, sondern eben auch von einer ziemlichen „Mir doch wurscht“-Haltung den Menschen im Katastrophengebiet gegenüber.
Dass Spiegel dann auch noch der BILD am Sonntag gegenüber falsche Angaben zu ihrer angeblichen Teilnahme an Kabinettssitzungen gemacht hat, macht das Ganze nicht besser. Genauso wenig, dass sie offenbar, wie kürzlich im Rahmen des Untersuchungsausschusses zur Flutkatastrophe bekannt wurde (s. hier), in erster Linie um ihr eigenes Image besorgt war, da ihr Ministerium die Situation komplett falsch eingeschätzt hatte.
Also mal kurz zusammengefasst: Versagen als Ministerin mit katastrophalen Konsequenzen, dann vor allem Angst ums eigene Ansehen und sich daraufhin erst mal wochenlang in den Urlaub verziehen – das ist leider die Art von Karrieristenverhalten, das in der deutschen Politik mittlerweile typisch und alltäglich geworden ist.
Daran ändern auch nichts, dass sie nun in einer Erklärung auf ihren kranken Mann und ihre unter den Corona-Maßnahmen leidenden Kinder abstellte, um den Urlaub zu rechtfertigen. Menschlich ist das vielleicht sogar verständlich, aber eben zum einen nicht mit ihrem Amt vereinbar in so einer Situation und zum anderen auch nur bedingt glaubwürdig, wenn man sich ihren laxen Umgang mit der Wahrheit und ihre Sorge vor allem um ihr eigenes Image bei diesem Vorfall insgesamt anschaut.
Insofern finde ich den Rücktritt von Anne Spiegel als Bundesfamilienministerin nun auch durchaus sinnvoll, wenngleich das natürlich ein komplett anderes Amt ist als das, was sie in Rheinland-Pfalz innehatte. Allerdings hat sie ja m. E. auch gezeigt, dass sie mit großer Verantwortung nicht so richtig umgehen kann.
Und: Immerhin zieht Spiegel nun auch die angebrachten Konsequenzen und tritt zurück. Damit hat sie dann vielen anderen Politikern aus der letzten Zeit schon mal einiges voraus – und zwar vor allem Politikern von der CDU/CSU.
Denn vonseiten der Union wurde natürlich vor allem gleich losgekeift und dieser Rücktritt eingefordert:
Schon vor der Erklärung der Ministerin forderte CDU-Chef Friedrich Merz die Entlassung Spiegels. Auch mehrere andere Unions-Politiker und der familienpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Martin Reichardt, verlangten Spiegels Rücktritt.
CSU-Generalsekretär Stephan Mayer blieb ebenfalls dabei: Spiegel müsse zurücktreten. „Ich glaube, auch wenn man Frau Spiegel gestern erlebt hat, ich glaube, sie tut sich selbst auch keinen Gefallen, wenn sie weiterhin darauf beharrt, im Amt zu bleiben“, sagte Mayer im Deutschlandfunk. (Quelle)
Und da kann ich dann echt nicht anders, als zu denken: Haltet ihr doch mal bitte schön die Fresse, was Rücktritte angeht!
Es ist ja nun nicht so, dass es bei der CDU/CSU in den letzten Jahren nicht mehr als genug Gründe gegeben hätte, dass dort Politiker von ihren Ämtern zurücktreten – und genau das dann nämlich nicht gemacht haben.
Da wäre beispielsweise Philipp Amthor, der sich mit Bunga-Bunga-Luxusreisen, Aktienoptionen und einem Direktorenposten von dem Unternehmen August Intelligence hat kaufen lassen, um für dieses bei Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier zu lobbyieren (s. hier). Ist er deswegen zurückgetreten? Nö – ein beklopptes Entschuldigungsvideo ins Netz gestellt, und das war’s (s. hier). Dafür hat sich er sich dann später auch noch mal mit offensichtlich Rechtsextremen ablichten lassen (s. hier) – auch wieder ohne jede Konsequenz für seine Karriere.
Apropos Peter Altmaier: Der hat als Bundeswirtschaftsminister doch glatt ein Gutachten unter Verschluss gehalten, das für die Öffentlichkeit sehr interessant gewesen wäre, da es aussagte, dass eine Umsiedlung von fünf Ortschaften im rheinischen Braunkohlerevier nicht sinnvoll wäre (s. hier). Die Menschen, deren Heimat zerstört wurde, werden das bedauern, RWE, als deren Dienstleister Altmaier hier fungiert hat, freut sich hingegen. Bewusste Desinformation der Öffentlichkeit nennt man so was – und auch hier gab es keine Konsequenzen für Altmaier.
Der König des Keine-Konsequenzen-Ziehens dürfte mit Sicherheit der ehemalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer sein, der etliche Debakel zu verantworten hat, welche die Öffentlichkeit teuer zu stehen kommen: Die fehlgeschlagene Pkw-Maut (s. hier) und die nicht funktionale, aber dafür übermäßig kostspielige Autobahn-GmbH (s. hier) sind hier wohl die spektakulärsten. Und auch wenn Scheuer dabei, genau wie sein Amtsvorgänger und CSU-Parteigenosse Alexander Dobrindt (der auch beim Dieselskandal keine gute Figur gemacht hat), die Öffentlichkeit dreist angelogen hat, durften beide doch bis zum Ende der Legislaturperiode weiter in ihrem Amt herumpfuschen. Ganz im Gegenteil, es wird noch selbst bei Kritik vom Bundesrechnungshof die schützende Hand der Bundesregierung über solche Politversager gehalten (s. hier).
Zur Peinlichkeit, dass mit Julia Klöckner eine Bundeslandwirtschaftsministerin das Werbemaskottchen für einen fiesen Konzern wie Nestlé gegeben hat (s. hier), muss man da eigentlich kaum noch was sagen, das wirkt fast schon harmlos, wenngleich so ein Verhalten eben auch für eine klare politische Ausrichtung spricht: pro Konzerne und gegen die Bürger. Und immerhin hat sie ja nicht wie ihr Vorgänger Christian Schmidt einfach so gegen alle Absprachen auf EU-Ebene dann für eine weitere Zulassung des umstrittenen Ackergifts Glyphosat gestimmt (s. hier). Dieser eigentlich so wichtige Posten scheint also prädestiniert dafür zu sein, die Bürgerinteressen hemmungslos zu verkaufen und dafür dann keine Konsequenzen ziehen zu müssen.
Selbst ein übler Karrierist wie Jens Spahn, der während der Corona-Pandemie hemmungslos ermöglicht hat, dass sich seine Parteifreunde und einige Unternehmen auf Kosten der Steuerzahler an Schutzmasken bereichern konnten (s. hier und hier) musste seinen Ministersessel nicht räumen. Die ebenfalls in diesen Skandal verstrickten Georg Nüßlein und Alfred Sauter sind zwar zurückgetreten, wurden aber letztlich auch nicht wegen Korruption verurteilt, weil die Gesetzeslage eben entsprechend lasch ist (s. hier).
Und dann sind da noch die Aserbaidschan-Connection, eine Bundeskanzlerin Angela Merkel, die mit dem Lügenbaron Karl Theodor zu Guttenberg mauschelt und dann das Parlament in Bezug auf das Skandalunternehmen Wirecard anlügt (s. hier), und eine Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die Abermillionen für Berater raushaut, dann bei unangenehmen Nachfragen die dazugehörige Kommunikation einfach löscht und dafür dann auch nicht gefeuert, sondern zur EU-Kommissionspräsidentin ernannt wird, obwohl sie dafür gar nicht zur Wahl stand (s. hier).
Nun könnte ich noch etliche weitere solche Verfehlungen von Politikern der Union aufzählen, zumal wenn ich noch ein bisschen weiter in Vergangenheit zurückgehen würde. Rücktritte oder andere Sanktionen gab es da in der Regel nicht, sodass sich bei der CDU, wie Christian Stöcker in seiner Kolumne auf Spiegel Online beschreibt, ein Selbstverständnis breitgemacht hat, dass es schon komplett o. k. ist, die Bevölkerung zu hintergehen, zu betrügen und zu übervorteilen. So lange man nicht erwischt wird, ist eh alles gut, und wenn das dann mal rauskommt, dann wird kurz ein wenig Reue geheuchelt, und weiter geht’s.
Die Anstalt im ZDF hat zu den Affären und Skandalen der CDU immerhin schon mal eine eigene Sendung gemacht und dort nicht alles unterbekommen, was erwähnenswert ist. Und auch YouTuber Rezo hat sich in einem Video mit den Machenschaften der CDU befasst – und in einem anderen Video von ihm zum Thema Korruption geht es dann auch, wenig überraschend, vor allem um die CDU.
Das ist jetzt übrigens kein Whataboutism, mit dem ich versuchen würde, das Verhalten von Anne Spiegel zu rechtfertigen, denn das käme mir, wie eingangs erläutert, auch gar nicht in den Sinn, und ihren Rücktritt halte ich für sehr angemessen.
Allerdings geht das Gekeife in dieser Sache vonseiten der CDU/CSU dann doch sehr stark in Richtung: „Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen schmeißen.“ Kritik ist eben dann nicht sonderlich glaubwürdig, wenn man Dinge kritisiert, die man selbst in noch viel größerem Maße und mit großer Selbstverständlichkeit immer wieder verbockt. Aber um sachliche Kritik wird es der CDU/CSU hierbei auch mal wieder nicht gehen, sondern nur um dumpf-populistische Stimmungsmache – das kennt man von dieser unsäglichen Partei ja seit Jahren zur Genüge.
Und so hat Anne Spiegel diesen ganzen Gestalten von der CDU/CSU schon mal eines voraus: Immerhin hat sie die Courage, dann auch die Konsequenzen aus ihrem Fehlverhalten zu ziehen. So viel Anstand, Haltung und Rückgrat wird man bei der Union eben nicht finden.
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