Weniger atomare Sprengköpfe, dafür bessere, gefährlichere: Auf diesen Nenner lässt sich der jüngste Jahresbericht des Stockholmer Friedensforschungsinstitutes SIPRI zu den Atomwaffen weltweit bringen. Treiber dieser Entwicklung sind Russland und die USA.
Die nicht ganz schlechte Nachricht vorweg: Es sind im Jahr 2021 nicht mehr Atommächte geworden, auch wenn dem Iran wieder zugetraut wird, es bald zu werden. Die USA, Russland, Grossbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea besitzen zusammen nach SIPRI-Schätzungen 13'080 atomare Sprengköpfe und damit 320 weniger als im Vorjahr. Von diesen 13'080 Sprengköpfen sind 3'825 einsatzbereit, also auf einer Rakete montiert, und davon könnten wiederum rund 2000 auf den berühmten Knopfdruck hin abgeschossen werden – mehr als genug, um die Erde damit zu verheeren. Und das ist die schlechte Nachricht: Die Zahl der einsatzbereiten Sprengköpfe hat sich um 105 erhöht. Das sei eine Entwicklung, die zu grösster Besorgnis Anlass gebe, schreibt SIPRI-Mitglied Hans M. Kristensen in einer Stellungnahme. Denn erstmals seit Ende des Kalten Krieges vor drei Jahrzehnten werden die atomaren Waffenkammern nicht nur mit mehr einsatzbereiten Sprengköpfen bestückt, sondern dazu auch modernisiert, namentlich mit interkontinentalen Raketen, die mit mehreren Atombomben bestückt sind, und Raketen, die von Schiffen oder U-Booten aus abgeschossen werden. Haupttreiber dieser Entwicklung sind die Russland und die USA, die auch mit Abstand über die grössten Atomwaffen-Bestände verfügen. Immerhin halten sich sie an das letzte noch bestehende Atomabkommen, den «NEW Start» - Vertrag, der im Februar in letzter Minute vor dessen Ablaufen verlängert worden war. Dieser regelt zwar nicht die Zahl der Sprengköpfe, begrenzt aber die offensiv einsetzbaren Waffen. Russland und die USA verfügen über 90 Prozent der Atomwaffen. Und beide investieren gewaltige Summen in deren Modernisierung. Das darf auch nicht weiter verwundern. Denn keine der Atommächte denkt auch nur daran, von der im Kalten Krieg entwickelten Doktrin der nuklearen Abschreckung abzurücken. Stattdessen werden die Waffensysteme immer noch raffinierter und damit teuflischer: Drohnenangriffe mit als taktisch deklarierten Atomwaffen mit geringerer, aber umso zielgerichteter Sprengkraft zur Ausschaltung gegnerischer Atomwaffenarsenale sind längst nicht mehr undenkbar, ebensowenig Cyber-Angriffe zur Ausschaltung der zentralen Steuerung der Atomraketen.
Die anderen Atommächte stehen zwar mit deutlich weniger Atomwaffen, aber teilweise nicht minder ambitionierten Plänen weniger im Rampenlicht. So hat Grossbritannien eine Aufstockung der atomaren Waffenkammer angekündigt, China, Indien und Pakistan modernisieren, und Nordkorea setzt die atomare Expansion praktisch ungehindert fort, namentlich mit der anhaltenden Anreicherung von Uran, der Vorstufe zur Produktion von weiteren Atombomben. Rohmaterial dafür ist weltweit in Hülle und Fülle vorhanden. So beziffert das «International Panel on Fissile Materials» die Lagerbestände an hochangereichertem Uran auf 1'330 Tonnen, an Plutonium für militärische Zwecke auf 220 Tonnen. Damit liessen sich weit über 100'000 Atombomben von der Stärke der Hiroshima-Bombe bauen. Gegen Ende des Kalten Krieges hatten die Supermächte USA und UdSSR zuammen über rund 55'000 Sprengköpfe verfügt.
Es darf in diesem Zusammenhang auch nicht verwundern, dass die USA und Russland mit Marktanteilen von 37 bzw. 20 Prozent die mit Abstand bedeutendsten Waffenexporteure sind. Der Wert der Waffenverkäufe weltweit erreichte 2019 die astronomische Summe von 361 Milliarden US-Dollar, was einem Anstieg von 8,5 Prozent entspricht. Atomwaffen sind, im Eigeninteresse, und unter Einhaltung des Atomwaffensperrvertrages von 1967, der die weitere Verbreitung von Atomwaffen verhindern soll, keine darunter. Von einer Durchsetzung des Atomwaffenverbotsvertrages, der im Januar in Kraft getreten ist, ist man Lichtjahre weit weg. Die Atommächte und ihre Adlaten haben samt und sonders nicht unterzeichnet und gedenken es auch nicht zu tun. So ist vielmehr mit einem weiteren Ausbau zu rechnen. Namentlich China, das spätesten 2050 auch militärisch den Status einer Supermacht anstrebt, dürfte, befeuert auch von immer mehr Atomkraftwerken, sein atomares Portfolio erheblich ausbauen.
Auch ohne Atomwaffen lebt es sich in erschreckend vielen Teilen der Welt gefährlich. In mindestens 39 Staaten toben bewaffnete Konflikte unterschiedlicher Intensität, in 18 dieser Staaten sind sie besonders heftig, in zweien, Afghanistan und Yemen, gab es mehr als 10'000, in 16 zwischen 1'000 und 9'999 Tote. Die meisten dieser Konflikte sind Bürgerkriege, die immer dann besonders heftig toben, wenn sich ausländische Mächte einschalten. Insgesamt waren 2020 120'000 Tote zu beklagen.