Weniger atomare Sprengköpfe, dafür bessere, gefährlichere: Auf diesen Nenner lässt sich der jüngste Jahresbericht des Stockholmer Friedensforschungsinstitutes SIPRI zu den Atomwaffen weltweit bringen. Treiber dieser Entwicklung sind Russland und die USA.

Castle Bravo, die stärkste je von den USA 1954 gezündete Atomwaffe, erreichte mit 15 Megatonnen mehr als das Doppelte der vorhergesagten Sprengkraft (Bild: US-Department of Energy

Die nicht ganz schlechte Nachricht vorweg: Es sind im Jahr 2021 nicht  mehr Atommächte geworden, auch wenn dem Iran wieder zugetraut wird, es  bald zu werden. Die USA, Russland, Grossbritannien, Frankreich, China,  Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea besitzen zusammen nach  SIPRI-Schätzungen 13'080 atomare Sprengköpfe und damit 320 weniger als  im Vorjahr. Von diesen 13'080 Sprengköpfen sind 3'825 einsatzbereit,  also auf einer Rakete montiert, und davon könnten wiederum rund 2000 auf  den berühmten Knopfdruck hin abgeschossen werden  – mehr als genug, um  die Erde damit zu verheeren. Und das ist die schlechte Nachricht: Die  Zahl der einsatzbereiten Sprengköpfe hat sich um 105 erhöht. Das sei  eine Entwicklung, die zu grösster Besorgnis Anlass gebe, schreibt  SIPRI-Mitglied Hans M. Kristensen in einer Stellungnahme. Denn erstmals  seit Ende des Kalten Krieges vor drei Jahrzehnten werden die atomaren  Waffenkammern nicht nur mit mehr einsatzbereiten Sprengköpfen bestückt,  sondern dazu auch modernisiert, namentlich mit interkontinentalen  Raketen, die mit mehreren Atombomben bestückt sind, und Raketen, die von  Schiffen oder U-Booten aus abgeschossen werden. Haupttreiber dieser  Entwicklung sind die Russland und die USA, die auch mit Abstand über die  grössten Atomwaffen-Bestände verfügen. Immerhin halten sich sie an das  letzte noch bestehende Atomabkommen, den «NEW Start» - Vertrag, der im  Februar in letzter Minute vor dessen Ablaufen verlängert worden war.  Dieser regelt zwar nicht die Zahl der Sprengköpfe, begrenzt aber die  offensiv einsetzbaren Waffen. Russland und die USA verfügen über 90  Prozent der Atomwaffen. Und beide investieren gewaltige Summen in deren  Modernisierung. Das darf auch nicht weiter verwundern. Denn keine der  Atommächte denkt auch nur daran, von der im Kalten Krieg entwickelten  Doktrin der nuklearen Abschreckung abzurücken. Stattdessen werden die  Waffensysteme immer noch raffinierter und damit teuflischer:  Drohnenangriffe mit als taktisch deklarierten Atomwaffen mit geringerer,  aber umso zielgerichteter Sprengkraft zur Ausschaltung gegnerischer  Atomwaffenarsenale sind längst nicht mehr undenkbar, ebensowenig  Cyber-Angriffe zur Ausschaltung der zentralen Steuerung der Atomraketen.

Die anderen Atommächte stehen zwar mit deutlich weniger Atomwaffen,  aber teilweise nicht minder ambitionierten Plänen weniger im  Rampenlicht. So hat Grossbritannien eine Aufstockung der atomaren  Waffenkammer angekündigt, China, Indien und Pakistan modernisieren, und  Nordkorea setzt die atomare Expansion praktisch ungehindert fort,  namentlich mit der anhaltenden Anreicherung von Uran, der Vorstufe zur  Produktion von weiteren Atombomben. Rohmaterial dafür ist weltweit in  Hülle und Fülle vorhanden. So beziffert das «International Panel on  Fissile Materials» die Lagerbestände an hochangereichertem Uran auf  1'330 Tonnen, an Plutonium für militärische Zwecke auf 220 Tonnen. Damit  liessen sich weit über 100'000 Atombomben von der Stärke der  Hiroshima-Bombe bauen. Gegen Ende des Kalten Krieges hatten die  Supermächte USA und UdSSR zuammen über rund 55'000 Sprengköpfe verfügt.

Es darf in diesem Zusammenhang auch nicht verwundern, dass die USA  und Russland mit Marktanteilen von 37 bzw. 20 Prozent die mit Abstand  bedeutendsten Waffenexporteure sind. Der Wert der Waffenverkäufe  weltweit erreichte 2019 die astronomische Summe von 361 Milliarden  US-Dollar, was einem Anstieg von 8,5 Prozent entspricht. Atomwaffen  sind, im Eigeninteresse, und unter Einhaltung des  Atomwaffensperrvertrages von 1967, der die weitere Verbreitung von  Atomwaffen verhindern soll, keine darunter. Von einer Durchsetzung des  Atomwaffenverbotsvertrages, der im Januar in Kraft getreten ist, ist man  Lichtjahre weit weg. Die Atommächte und ihre Adlaten haben samt und  sonders nicht unterzeichnet und gedenken es auch nicht zu tun. So ist  vielmehr mit einem weiteren Ausbau zu rechnen. Namentlich China, das  spätesten 2050 auch militärisch den Status einer Supermacht anstrebt,  dürfte, befeuert auch von immer mehr Atomkraftwerken, sein atomares  Portfolio erheblich ausbauen.

Auch ohne Atomwaffen lebt es sich in erschreckend vielen Teilen der  Welt gefährlich. In mindestens 39 Staaten toben bewaffnete Konflikte  unterschiedlicher Intensität, in 18 dieser Staaten sind sie besonders  heftig, in zweien, Afghanistan und Yemen, gab es mehr als 10'000, in 16  zwischen 1'000 und 9'999 Tote. Die meisten dieser Konflikte sind  Bürgerkriege, die immer dann besonders heftig toben, wenn sich  ausländische Mächte einschalten. Insgesamt waren 2020 120'000 Tote zu  beklagen.