Wenn euer Kurzzeitgedächtnis halbwegs funktioniert, dann wisst ihr vom gestrigen ersten Teil ja noch, wie ein Widerlegung eines Arguments ablaufen sollte und wie man Schlagwörter der Narrative identifiziert. Heute gehen wir noch einen Schritt weiter. Mit dem bisherigen Wissen erreichen wir lediglich die Widerspruchsebene in Grahams Hierarchie des Widerspruchs. Nun wollen wir nach Argumenten und Gegenbeweisen suchen.

Damit alle den Anschluss finden, so ziemlich das Schlusswort des letzten Artikels:

„Jetzt lest nochmal ab der Headline „Red Flags“ und ihr findet recht auffällig die Stilblüten  „ansonsten völlig gesund“ und „plötzlich und unerwartet“

Kommt schon, das ist doch schon ein Wink mit dem Zaunpfahl.“

An diesem Punkt war für mich schon klar, dass die Geschichte entweder an den Haaren herbeigezogen ist oder zumindest Kernelemente ausgeblendet wurden, um sie ans Narrativ anzupassen. Und jetzt wisst ihr das auch. Es sind eben manchmal die kleinen Dinge. Die zweite Auffälligkeit befindet sich übrigens an derselben Stelle. Es geht um die HPV-Impfung. Diese wurde bis 2015 fast überall auf der Welt nur Mädchen verabreicht. Auch in Europa. Junge Mädchen. Es wurden Nebenwirkungen erfundengemeldet, deren Symptome zu zwei sehr seltenen Krankheitsbildern passen. Zwei Krankheitsbilder, die ungefähr in dem Alter zuerst auftreten, in denen die HPV-Impfung verabreicht wird.

(Anm.: Eigentlich sollte schon ab dem neunten Lebensjahr geimpft werden, aber dank der Horrorgeschichten sowie der Promiskuitätsbehauptung ließen bzw. lassen viele Eltern ihre Kinder ja erst impfen, wenn sie schon sexuell aktiv sind. Redet euch nichts schön. Als ich zur Schule ging, war die jüngste Schwangere zwölf. In Zahlen: 12. Auf einem Gymnasium. Von wegen klügere Kinder oder höheres Niveau. Wenn es um Sex geht, setzt das logische Denken aus. Kurzum: Die sind da schon aktiv. Eure Kinder höchstwahrscheinlich auch.)

Erfahrungswerte und Recherche

Im Grunde ist das so platt, dass ich beinahe selbst drüber weg gelesen hätte. Aber jetzt haben wir bereits zwei „red flags“, also lohnt es sich, die von Dänemark angeführten Studien näher anzusehen. Tatsächlich hätte sich die EMA ihre Sichtung von sämtlichen zum Thema gehörigen Studien sparen können, wenn sie a) so schlampig arbeiten würde wie Impfgegner behaupten und b) anhand der Begründung in einem Vorentscheid den Verdacht gleich abgelehnt hätte. Denn die dänische Studie6, allen voran durchgeführt von Dr. Jesper Mehlsen, bietet einfach mal überhaupt keine brauchbaren Daten. Normalerweise sind mir Volltext-Links lieber, aber hier ist bereits in der Kurzbeschreibung, dem Abstract, ersichtlich, dass es sich um - wissenschaftlich betrachtet - groben Unfug handelt. Aber seht selbst (Die Übersetzungen findet ihr jeweils im ALT-Text):

„Wir beschreiben die Charakteristiken einer Anzahl an Patienten mit Symptomen wie orthostatischer Dysregulation, Kopfschmerzen, Erschöpfung, kognitiver Dysfunktion und neuropathischen Schmerzen in engem Zusammenhang zur HPV-Impfung“
Der Hintergrund der Studie

Schon im Background wird klar, was wir davon halten können.

Es ist keine Studie. Es ist ein Fallbericht, der sich auf den Aussagen ausschließlich der Personen stützt, die nach der HPV-Impfung Symptome beschrieben haben, die denen von POTS ähnlich sind. Im Grunde sollen hier Anekdoten eine Anekdote stützen. Das ist lächerlich. Länger nicht mehr gesagt, aber es gilt nach wie vor: Danach ist nicht dadurch. Tatsächlich ist das sogar einer dieser berühmten logischen Fehlschlüsse. „Post hoc ergo propter hoc“ (lat. danach, also deswegen). Klingt erstmal logisch, ist es aber nicht, da allein die zeitliche Korrelation betrachtet, aber nicht nach einer Ursache gesucht wird. Diese wird stattdessen alleine aufgrund der zeitlichen Abfolge als gegeben angesehen.

Alles Mögliche passiert nach einer Impfung. Das heißt noch lange nicht, dass es wegen der Impfung passierte. Hinzu kommt, dass die Hypothese bereits fehlerhaft ist.

Muss ich wohl erklären: Es reicht in der Forschung nicht aus, sich einfach irgendeine Hypothese auszudenken und dann drauf los zu testen, ob die denn so stimmt oder nicht. Egal, wie gut die Absichten oder wie sauber die Durchführung wäre, die Ergebnisse sind nichtig, wenn bereits die Hypothese unbegründet ist. Der Anfangsverdacht kann nicht einfach erfunden werden, sondern muss zumindest ansatzweise nachvollziehbar sein. Und das ist hier nicht der Fall. Ein Strick, über den viele „Journalisten“ in der Boulevardpresse stolpern und sich in ihren Artikeln zu Nebenwirkungen, Superfruits und Wunderheilmitteln verfangen. Gleiches gilt auch für den Autoren des verlinkten medscape-Artikels. Medscape ist normalerweise faktenorientiert und eine hervorragende Quelle. Hier aber haben die Regularien versagt und dann haben Journalisten ohne Fachwissen oder Ethik freie Bahn. Was hier zutrifft, will ich nicht beurteilen.

Um als Hypothese die HPV-Impfung mit POTS in Verbindung zu bringen, müsste da letztlich irgendetwas drin sein, was an und für sich mit dem Syndrom in Verbindung gebracht werden könnte. Das ist aber nicht der Fall. Weder lösen die humanen Papillomaviren POTS aus, noch wurde das jemals bei irgendeinem der Adjuvanzien oder Hilfsstoffe beobachtet. Es ist nicht nachvollziehbar, warum speziell HPV-Impfungen in diesem Zusammenhang untersucht werden sollten.

Für mich reichen mittlerweile Erfahrungswerte, um die meisten Arbeiten schnell zu beurteilen. Diese werde ich im Weiteren auch als solche kennzeichnen. Da ihr aber vermutlich nicht so tief in der Materie seid, gehen wir natürlich auch die übliche Recherche durch, um Fakt von Fiktion zu trennen.

Nächster Punkt: Die Methodik. Auch diese ist ein direktes Ausschlusskriterium für alles, was danach kommt. Ich gehe nur das ganze Ding durch, weil wir hier ja eine Übung durchführen. Unter anderen Umständen hätte ich hier aufgehört zu lesen und den Tab geschlossen, denn:

„Patienten wurden nach orthostatischer Intoleranz nach einer HPV-Impfung befragt (Anm.: Unfähigkeit des Körpers, den Kreislauf an eine aufrechte Position anzugleichen). Symptome von autonomer Dysfunktion wurden mittels standardisiertem Fragebogen erfasst. Die Diagnose eines posturalen orthostatischen Tachykardiesyndroms (POTS) wurde gestellt, wenn während einer orthostatischen Belastung ein anhaltender Anstieg der Herzfrequenz von >30 min(-1) (>40 min(-1) bei Jugendlichen) oder auf Werte von >120 min(-1) festgestellt wurde."
Die Methodik

Warum hätte ich ab diesem Absatz sonst nicht weitergelesen? Weil die Methodik mangelhaft ist. Aus drei Gründen gleich:

1.)Ein kurzer Blick auf die typische Diagnose von POTS: Das Verfahren ist beinahe gleich, nur gilt der Anstieg der Herzfrequenz nur dann als ausschlaggebendes Kriterium, wenn gleichzeitig der Blutdruck stabil bleibt. Wenn ich eine Weile liege und dann spontan aufstehe, schießt meine Herzfrequenz auch hoch. Gleichzeitig rutscht mein Blutdruck aber in den Keller. Das ist dann kein POTS, sondern eine ganz normale Reaktion auf plötzliche Belastung. Das reine Erfassen der Herzfrequenz ist ohne einen Blick auf den Blutdruck nicht aussagekräftig. Zusätzlich, wie wir aus der Fachinformation erfahren, müssen für eine qualifizierte Diagnose Blutwerte und Hormonstatus erfasst werden, die Aufnahme von Blutdruck und Herzfrequenz erfolgt unter klinischen Bedingungen an einem standardisierten Kipptisch.

2.) Ein standardisierter Fragebogen? Das ist von vorne bis hinten nicht verwertbar. Das heißt, zur Patientenauswahl wurde keine medizinische Anamnese gestellt, es wurde auch nicht durch Mediziner tatsächliches POTS festgestellt und es wurden auch keine anderen Ursachen ausgeschlossen.

3.) Es wurden ausschließlich Patienten aufgenommen, die nach diesem Fragebogen und der einhergehenden Selbstdiagnose POTS hätten. Es gab keine Kontrollgruppe. Völlig ausreichend wäre gewesen, eine annähernd gleich große Gruppe zu wählen, die die beschriebene Symptomatik nach HPV-Impfung nicht zeigten. Das wurde komplett ignoriert.

Anders ausgedrückt: Stellt euch einfach mal vor, ihr wolltet ermitteln, ob Hausstaub Lungenkrebs verursacht. Dazu befragt ihr auf der Straße wildfremde Menschen, ob sie beim Staubwischen jemals Husten mussten. Ihr blendet alles aus, was sonst Husten zu diesem Zeitpunkt verursachen könnte. Ihr nutzt keinen Lungenfacharzt, um eventuelle andere Ursachen auszuschließen. Ihr verlasst euch einzig auf die Aussagen auf der Straße und nehmt auch nur die Personen auf, die eure Vermutung bestätigen. Auf diese Weise erhaltet ihr dann das Ergebnis, dass über xyz% aller Lungenkrebsfälle von Hausstaub verursacht werden - es fehlt ja an tatsächlichen Diagnosen und Kontrollgruppe, um die Ergebnisse einordnen und validieren zu können. Wissenschaftlich gesprochen wäre eure Studie, egal wie ihr sie auf dieser Grundlage ausarbeitet, nicht einmal das Papier wert, auf das ihr sie druckt. (So gehen übrigens Scharlatane der Homöopathie, Kinesiologie, Osteopathie, Chiropraktik etc. vor. Deshalb kommen sie immer zu tollen positiven Ergebnissen, die unter seriösen Vorgehensweisen nie repliziert werden können.)

Wie gesagt, es würde schon reichen, aber der Vollständigkeit halber nehmen wir die beiden anderen Absätze auch noch mit. Weiter geht es mit den Ergebnissen.

„Es nahmen 35 Frauen im Alter von 23,3 ± 7,1 Jahren teil. Fünfundzwanzig von ihnen waren vor der Impfung körperlich sehr aktiv, und alle Patientinnen, die keine oralen Verhütungsmittel einnahmen, berichteten über unregelmäßige Perioden. Der Serumbilirubinspiegel lag bei 17 Patientinnen unter der unteren Nachweisgrenze. Einundzwanzig der überwiesenen Patienten erfüllten die Kriterien für eine POTS-Diagnose (60 %, 95%CI 43-77 %). Alle Patienten litten unter orthostatischer Intoleranz, 94 % unter Übelkeit, 82 % unter chronischen Kopfschmerzen, 82 % unter Müdigkeit, 77 % unter kognitiver Dysfunktion, 72 % unter segmentaler Dystonie und 68 % unter neuropathischen Schmerzen."
Die Ergebnisse

Das nächste Ausschlusskriterium: Insgesamt wurden nur 35 Frauen überhaupt in Betracht gezogen. Die Studie ist von 2015, die Impfung selbst seit 2008 im Impfkalender. Es gäbe also, rein statistisch betrachtet, jedes Jahr tausende potentielle Teilnehmerinnen, sowie hunderte Patientinnen mit POTS aufgrund anderer Ursachen, aber man hat sich für gerade einmal 35 entschieden. Selbst mit Kontrollgruppe wären die Ergebnisse, egal wie sie ausfielen, bei dieser geringen Stichprobe nicht auf die allgemeine Bevölkerung übertragbar. Bestenfalls könnte hier ein Zusammenhang vermutet werden, der erst erforscht werden müsste, aber den unterstellen die „Forscher“ ja bereits fälschlich in ihrer Hypothese. Immerhin kann man aber dank des erfassten Serumbilirubinspiegels festhalten, dass ja doch irgendwie eine Blutprobe entnommen und analysiert wurde. Das ist aber nur ein kleiner Lichtblick in dieser absoluten Finsternis.

Falls sich noch jemand wundert, was dieses „95%CI 43-77%“ bedeutet: Das definiert den Konfidenzintervall. Das ist ein eingegrenzter Bereich unter allen erfassten Werten, um fehlerhafte Ergebnisse und statistische Ausreißer auszuschließen. Bei Bedarf kann ich noch einen Link hinterherschicken, wo genauer erklärt wird, wie man den aufstellt und richtig anwendet, aber ein Grundkurs Statistik sprengt hier wirklich den Rahmen.

Letzter Punkt, das Fazit.

„In einer Population, die wegen orthostatischer Intoleranz und anderer Symptome, die auf eine autonome Dysfunktion hindeuten, überwiesen wurde und die in engem zeitlichen Zusammenhang mit einer vierwertigen HPV-Impfung auftrat, stellten wir eine 60 %ige Prävalenz von POTS fest. Weitere Arbeiten sind dringend erforderlich, um den möglichen kausalen Zusammenhang zwischen dem Impfstoff und den Kreislaufstörungen zu klären und gezielte Behandlungsmöglichkeiten für die betroffenen Patienten zu schaffen.“
Die Ergebnisse, wenn man die so nennen will

Im Grunde ist zumindest die Schlussbeurteilung nicht falsch. Also, sie ist zwar in dem Punkt falsch, dass aufgrund einer fehlerhaften Hypothese und mangelhaftem Design wie auch Methodik eine falsch vermutete Prävalenz eines seltenen Syndroms herbeigezaubert wird, die in der tatsächlichen Bevölkerung unabhängig vom Impfstatus bei gerade einmal 0,2% liegt, aber bei den vorliegenden Daten ist das eben rechnerisch richtig das, was die „Studie“ ergeben hat, und ebenso, das weitere Forschung nötig wäre, um die Kausalitätsfrage zu klären. In einer Klausur wäre das dann der Folgefehlerpunkt. Der Weg zum Ergebnis ist völlig falsch, aber zumindest ist es das richtige Ergebnis für diesen Weg. Trostpreis.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Michael Simpson vom Skeptical Raptor7. Der hat sogar noch weitere Kritikpunkte, wie die temporale Assoziation (im Schnitt vergingen 11 Tage zwischen Impfung und ersten Symptomen und nicht einmal wurde untersucht, welche Faktoren in diesem Zeitraum die spätere Symptomatik erklären könnten) oder die Vorurteile der Autoren (offenbar sind Mehlsen et al. schon in früheren Arbeiten streng gegen HPV-Impfungen gewesen und dichten immer wieder gerne schwerste Nebenwirkungen hinzu, wo gar keine sind).

Machen wir nach diesem Fazit also ein Zwischenfazit. Die Studie ist nicht brauchbar, weil:
1.) die Anfangshypothese fehlerhaft ist. Eine Impfung kann nichts verursachen, was nicht auch wenigstens einer ihrer Inhaltsstoffe auslöst.

2.) die Methodik mangelhaft war. Es fand keine medizinische Diagnose statt. Die Datenerhebung und Einordnung der Symptome war mangelhaft, da sie auf einer Selbsteinschätzung durch Fragebogen ohne ärztliche Betreuung stattfand.

3.) die Zahl der Versuchsteilnehmer unzureichend war und auf mangelhafte Auswahlkriterien deutet. Von 35 Frauen, die die Symptomatik beschrieben, wurden durch mangelhafte Methodik 21 aufgenommen. Das ist bei 0,2% Prävalenz von POTS in der Bevölkerung nicht ausreichend, um auf die Gesamtbevölkerung oder die Gesamtzahl der HPV-Geimpften zu schließen.

4.) es keine Kontrollgruppe gibt.

5.) die Autoren bereits mehrfach versucht haben, mit unzureichenden Arbeiten die Wirksamkeit, Sicherheit und Effektivität der HPV-Impfungen zu negieren. Ihre Vorurteile schaden ihrer Glaubwürdigkeit.

Soviel dazu. Das reicht tatsächlich aus, um diese „Studie“ in Diskussionen direkt zu verwerfen - mit eben der Begründung, wie ich sie eben zusammengefasst habe. Und im Gegensatz zu bisherigen Artikeln oder den Einschätzungen der Factchecker von Reuters, den ÖR oder anderen seht ihr in unserem Fall auch, worauf die Begründung fußt. Nicht ärgern, wenn Impfgegner darüber nur dumm lachen und euch als dumm bezeichnen - die sind, wie eingangs erwähnt, nicht unsere Zielgruppe. Aber sie ziehen gerne die unabhängigen Beurteilungen ins Lächerliche, weil sie sie nicht verstehen, und andere Leser folgen ihnen dann, weil sie überfordert sind. Ich will mit diesem und folgenden Artikeln ein wenig den Weg ebnen, dass zumindest meine Leser selbst in der Lage sind, einer Behauptung auf den Grund zu gehen. Eine Studie objektiv einzuschätzen. Einen Artikel einzuordnen. Aussagen zu ihrem Ursprung zurückverfolgen und diesen zu analysieren, statt den Ergüssen, die irgendjemand anderes daraus gemacht hat. Eben das, was man klassisch als Quellkritik im Rahmen der Medienkompetenz bezeichnet. Das betrifft auch meine Arbeiten. Ich bin nur ein Teddy. Ich komme nicht aus der Forschung und ich bin auch kein Mediziner. Ich kann mich auch mal irren. Hoffentlich nur höchst selten, aber ich kann es nicht ausschließen.

Weiter geht es, denn wir haben ja noch die Sache mit CPRS zu untersuchen. Das geht aber deutlich schneller, denn ich will mich nicht weiter wiederholen. Ich beende meine Beurteilung auch ganz fix anhand eines einzigen Kriteriums, das sich bereits aus dem Titel der „Studie“ ergibt. Ich zitiere:

„Hypothesis: Human papillomavirus vaccination syndrome--small fiber neuropathy and dysautonomia could be its underlying pathogenesis“

Na, wer kommt selbst drauf? Richtig, bereits das erste Wort reicht aus, um nicht weiterzulesen: Hypothese. Ich mache mir nicht mal die Mühe, den Rest zu übersetzen. Es handelt sich nicht um eine Studie, sondern um eine Behauptung des Autoren - im Grunde ist es nichts weiter als eine Anekdote, die als Faktum verkauft werden soll. Also weg mit dem Müll.

Sicher ist sicher, also erkläre ich nochmal: Die letzte Studie konnten wir verwerfen, weil ihre Hypothese falsch war. Eine Arbeit wurde aufgrund falscher Vermutungen durchgeführt. Jetzt aber verwerfen wir, weil es eine bloße Hypothese ist. Hier fand gar keine Untersuchung statt. Es handelt sich um ein rein theoretisches Konzept. Es liefert keinerlei praktischen Informationsgewinn.

Wir können jetzt also, wie die EMA, schlussfolgern, dass kein Zusammenhang zwischen POTS oder CPRS und den HPV-Impfungen besteht. In der Hierarchie des Widerspruchs haben wir jetzt die vorletzte Stufe erreicht - Wir können mit Zitaten und Quellen eindeutig belegen, dass die Vorwürfe fehlerhaft sind. Was uns noch zum krönenden Abschluss fehlt, ist die konkrete Widerlegung des zentralen Punktes. Aber wenn ihr jetzt so viele Tabs geöffnet habt wie ich, dann ist da immer noch der Artikel vom Skeptical Raptor (Nummer sieben in den Quellverweisen weiter unten). Wenn ihr da mal etwas blättert, findet ihr den Hinweis auf eine größere Kohortenstudie9, die sich dem Thema gewidmet hat.

Das ist eigentlich der größte Witz an der ganzen Angelegenheit; der Existenzwitz der meisten Faktenchecker: Wir recherchieren zu einer Behauptung, die auf einer Meinung eines einzelnen Mannes und einer Pseudostudie basiert, die nur 21 Teilnehmer hatte, während zwei Jahre zuvor eine anständige Studie veröffentlicht wurde, für die fast eine Million (!) Teilnehmerinnen über bis zu vier Jahre beobachtet wurden, und die klipp und klar festgestellt hat, dass es keinen Zusammenhang zwischen HPV-Impfungen und den benannten neurologischen und physiologischen Symptomen gibt.

An dieser Stelle versteht ihr dann wohl auch, warum ich das dänische Gesundheitswesen wegen Verschwendung von Steuergeldern anklage und „Journalisten“ für ihre Pflichtversäumnis. Wenn ich als gelernter Zerspaner ohne medizinischen Hintergrund das herausfinden kann, dann erst recht diese beiden Gruppen.

Falls sich an dieser Stelle auch etwas Enttäuschung breit macht: Das ist normal. Natürlich ist es ärgerlich, wenn man sich durch dutzende Seiten gräbt, um einer Behauptung auf den Grund zu gehen, nur um dann festzustellen, dass die gesamte Argumentation mit einem einzigen Link bereits erledigt ist. Das passiert mir oft. Nehmt es nicht so schwer. Legt euch Lesezeichen an, speichert die Seiten, die ihr aufgerufen habt - irgendwann könnt ihr die sicherlich verwenden. Den Link zur EMA-Auswertung habe ich am 13.09.2016 gespeichert. Sechseinhalb Jahre später ist er nun endlich zu gebrauchen. Und wer weiß schon, was man in den nächsten sechseinhalb Jahren dazu schreiben wird. Egal was es ist - ihr habt jetzt bessere Fähigkeiten, das selbst zu überprüfen.

Eigentlich ist hier auch Schluss. Aber selbst wenn ich fertig bin und meine Arbeit getan ist, nutze ich verwandte Keywords über andere Suchmaschinen, um eventuell Informationen zu finden, die aufgrund des Googlealgorithmus und meiner hinterlassenen Cookies versteckt blieben. Das war in diesem Fall überaus ertragsreich und daher folgt nächsten Sonntag mit dem dritten Teil das mediale Nachspiel dieser Angelegenheit. Und da werde ich nicht ganz so freundlich auftreten können. Haltet euch also bereit ;)

Quellen:

6          https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25882168/

7          https://www.skepticalraptor.com/skepticalraptorblog.php/hpv-vaccine-anecdotes-not-the-basis-of-real-science/

8          https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25990003/

9          https://www.bmj.com/content/347/bmj.f5906