Wie sieht eine halbwegs aufrichtige, beinahe missglückte Entschuldigung aus, die mit geduldiger Hilfestellung über die Bühne gegangen ist?

Beispiel: Grazer Krimi "Steirerwut", im ARD Fernsehen, Minute 56:47ff, 11. März 2021
Szene: Alter griesgrämiger Mann (AM), der aus Versehen die Kommissarin angeschossen hat, besucht die junge Frau (JF) im ihrem Krankenzimmer – mit der Absicht, sich bei ihr zu entschuldigen.  

AM: (Klopft an, betritt gestützt auf eine Krücke das Zimmer)
JF: Guten Morgn.
AM: I wollt was sagn.
JF: Was denn, Herr Hödlgruber?
AM: Do. (Überreicht ihr in Zellophan eingepackten Kuchen als Geschenk)
JM: Danke.
AM: Ach Gott. Dass es so schwer wird, hätt i ned glaubt.
JF: Na ja, probiern Sie's.
AM: I wollt des ned. I muas dauernd an die Narbe denken, die bleibn wird bei so einer jungen Frau. Und olles wegn dem Bledsinn. Und später, wenn die Kinder fragn werdn wegen der Narbe, dann werd i auf ewig dostehn wia a oider Depp bei der G'schicht.
Deswegn wollt i ...
JF: Wolln's sogn, dass es Ihnen leid tut?
AM: Jo. (Lächelt schwach und nickt.)
(Wendet sich abrupt ab und geht zur Tür)
JF: Dann sogn Sie's.
AM: (Bleibt stehen, schaut zurück) Aber jetzt weißt'd es eh scho.
JF: So geht des ned. Sie miasn's selba aussprechn, dass da Zauber wirkt.
AM: Was fiar a Zauber? I brauch koa Hilfe – und kan Zauber!
(Beim Hinausgehen, abgewandt von der verletzten Frau, kurz vor der Türe)
Kruzitürkn! Ja, es tut mir leid! (Mit laut Stimme, fast wütend gesprochen)
(Öffnet die Tür und geht grußlos hinaus.)
JF: (Schaut ihm lächelnd nach und seufzt)    


Wer sich entschuldigt, anerkennt mit Bedauern ein Vergehen oder Versagen. Aufrichtige Entschuldigungen richten sich auf das eigene Handeln und nicht auf die Reaktion und die Gefühle des gedemütigten Menschen. Sich zu entschuldigen, ist einer der verletzlichsten und mutigsten Akte, wobei man sich für die Beziehung entscheidet, statt auf seinem Recht zu beharren.
In der Entschuldigung liegt die Kraft,
• Erniedrigungen zu heilen,
• das eigene Bewusstsein von einer schweren Schuld zu befreien,
• den Wunsch nach Vergeltung außer Kraft zu setzen
• und zuguterletzt verkrachte Beziehungen wiederzubeleben.

  • "Eine aufrichtige Entschuldigung erfordert,
    dass ein Mensch den Übergriff  (Beleidigung, Angriff, Vergehen) angemessen anerkennt,
    ihn aus tiefem Herzen bereut,
    ☛ eine angemessene Wiedergutmachung anbietet und
    ☛ sich verpflichtet, künftig sein Verhalten zu ändern."
    Aaron Lazare (1936-2015) US-amerikanischer Professor für Psychiatrie, Autor, On Apology [Über das Entschuldigen], S. 9, Oxford University Press, New York, 1. Januar 2004

Forscher an der Ohio State University befragten über 700 Studienteilnehmer. Aus  ihrer Studie geht hervor, dass die effektivste Entschuldigung insgesamt sechs Schritte umfasst. Die wichtigsten Elemente einer aufrichtigen Entschuldigung sind, einen Fehler einzugestehen, eine Lösung anzubieten und eine Erklärung abzugeben.

Die sechs Elemente einer effektiven Entschuldigung

  1. Sein Bedauern ausdrücken (Reue zeigen)
    "Es tut mir leid." "Ich entschuldige mich."
  2. Erklärung, was schief gelaufen ist
    "Deshalb habe ich es versäumt ..."
    Wesentliches Element einer Entschuldigung
  3. Die Verantwortung übernehmen
    "Es ist meine Schuld." "Es war mein Fehlverhalten."
    Wesentliches Element einer Entschuldigung
  4. Tätige Reue und Umkehr
    "Es wird nicht noch einmal vorkommen."
  5. Regresszahlung
    "Ich mache es wieder gut. Ich übernehme die Kosten."
    Wesentliches Element einer Entschuldigung
  6. Bitte um Vergebung
    "Bitte vergib mir."
    Das am wenigsten wichtige Element einer Entschuldigung
This one is on my way to work. I see it everyday. Most of the time as I’m driving to work I’m not in photography mode so I ignore nice stuff like this. Until a day I decided photography will be omnipresent in my life. This girl showed up (again) by magic. I woke up early morning on a Sunday to avoid the crowds and took the shot. Here it is :-)
Foto von Karim MANJRA / Unsplash

Wer sich ernsthaft und nachhaltig entschuldigt …
⚑ tut es aufrichtig und direkt. (Er/sie nennt die Dinge beim Namen.)
⚑ verzichtet auf das Wort "aber".
⚑ anerkennt die dem anderen zugefügte Schädigung.
⚑ KANN Erklärungen abgeben.
⚑ KANN Angebote unterbreiten.
⚑ bittet nicht um Vergebung.
⚑ verzichtet auf (weiteres) verletzendes Verhalten.


2017 veröffentlichte die klinische Psychologin und Beziehungsexpertin Dr. Harriet Lerner (*1944) das Buch Why Won't You Apologize? Healing Big Betrayals and Every Day Hurts [Weshalb entschuldigst du dich nicht. Groben Verrat und alltägliche Verletzungen heilen]. Entscheidende Erkenntnisse von Lerner sind:

  • Entschuldigungen sind nichtig, wenn der "Täter" nicht den Zorn und den Schmerz der verletzten Partei vernommen hat.
  • Das Herzstück einer aufrichtigen Entschuldigung ist, dem Betroffenen zuzuhören, ohne sich zu verteidigen.
  • Wichtig ist sich einzugestehen, dass gewisse Menschen sich niemals entschuldigen werden – unabhängig davon, wie genial, entgegenkommend und elegant man ihnen entgegenkommt.
  • Um  sich entschuldigen zu können, braucht man die stabile Grundlage eines  gesunden Selbstwertgefühls, auf der man stehen kann. Manche Menschen können sich nicht erlauben, den Schmerz, den sie verursacht haben, wirklich ins Auge zu fassen, weil dies ihnen einen Schlag versetzen würde oder sie Gefahr liefen, das Gefühl der Wertlosigkeit Scham auf ihr Selbstbild zu übertragen. Ein Mensch, der nicht bereit ist zu verzeihen, wandelt auf einem dünnen Seil der defensiven Haltung, das über eine riesige Schlucht aus mangelndem  Selbstwertgefühl gespannt ist.
A sign saying sorry on a pink background.
Foto von Nick Fewings / Unsplash

Die bekannte US-amerikanische Scham-, Verletzlichkeits- und Empathieforscherin, Professorin für Sozialarbeit an der Universität von Houston Dr. Brené Brown (*1965) trug folgende Erkenntnisse zum Thema bei:

  • Sich zu entschuldigen ist eine Funktion der Selbstachtung und des Selbstwertgefühls.
  • In manchen Fällen genügt eine Entschuldigung, um eine Grobheit zu bereinigen, doch in anders gelagerten Fällen ist eine Wiedergutmachung angesagt. Manchmal muss man den Bockmist wegschaufeln.
    Einen Misthaufen aus der Welt zu schaffen, heißt mit Verletzlichkeit, Mut und Empathie ans Werk zu gehen.
  • Verletzlichkeit klingt wahrhaftig und fühlt sich mutig an.
  • Wahrheit und Mut sind nicht immer bequem, doch keinesfalls sind sie Schwäche.

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