Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Massive Aufrüstung? Besser wäre ziviler Widerstand
Der Gastbeitrag von Olaf L. Müller plädiert für einen „relativen Pazifismus“ als Alternative zur militärischen Aufrüstung gegenüber Russland. Während absoluter Pazifismus laut Müller blind für reale Bedrohungen sei, sei eine aggressive militärische Reaktion ebenso riskant – insbesondere neue Mittelstreckenraketen oder atomare Aufrüstung. Stattdessen solle Europa verstärkt auf defensive Fähigkeiten setzen: satellitengestützte Aufklärung, Logistik und Flugabwehr. Diese Maßnahmen seien moralisch weniger bedenklich und ausreichend zur Abschreckung. Der Autor verweist auf historische Beinahe-Katastrophen wie die Kubakrise oder 1983, um vor einer Rückkehr zur atomaren Eskalationslogik des Kalten Kriegs zu warnen. Als weiteres Element schlägt er den gezielten Aufbau einer „sozialen Verteidigung“ vor: Junge Menschen sollten im Rahmen einer neuen Wehrpflicht zwischen militärischem und zivilem Widerstand wählen dürfen. Letzterer solle aktiv eingeübt werden – etwa durch Flashmobs, gewaltfreie Blockaden oder symbolische Handlungen. Empirische Studien würden belegen, dass ziviler Widerstand oft erfolgreicher sei als bewaffneter. Müller fordert, diese Option ernsthaft auszubauen, um eine glaubwürdige, gewaltfreie Verteidigungskultur zu etablieren. (Olaf Müller, Spiegel)
Ich hab Nackenschmerzen vom Kopfschütteln über diesen Unsinn. Nichts gegen Logistik und Flugabwehr, aber Himmel, erstens haben wie die Kapazitäten nicht (satellitengestützte Aufklärung, my ass, ich sehe schon den Bundessatelliten, kostet nur 47959 Fantastilliarden und wird 2065 im Deutschlandtakt einsatzbereit sein) und zum anderen...Logistik wozu? Was glaubt denn Müller, was Logistik bewegt? Wattebäuschchen? Logistik bewegt Soldat*innen und Material. Es ist so typisch Deutsch zu denken, dass man einerseits quasi als Logistikdrehscheibe den Exportweltmeister für die NATO-Bedürfnisse machen kann und andererseits, dass man sich damit moralisch einwandfrei positionieren würde. Krieg ist böse, aber hier habt ihr die Lastwagen, um ihn zu führen? So einfach kann man es sich auch machen. Und diese Idee, Flashmobs gegen die Russen zu trainieren - hat der Mann irgendwann mal Nachrichten aus der Ukraine geschaut?
2) Schuldengeld für fossile Investitionen ist ein historischer Fehler
Die Bundesregierung hat mit dem Rekordschuldenprogramm die Chance vertan, zukunftsweisende Investitionen zu tätigen. Stattdessen fließen laut dem Kommentar von Ann-Kathrin Büüsker Milliarden in fossile Projekte – ein „historischer Fehler“. Zwar diene der Klima- und Transformationsfonds eigentlich der Energiewende, doch sollen daraus künftig Gaspreis-Subventionen finanziert und LNG-Terminals unterstützt werden. Dies widerspreche der eigenen Klimapolitik, denn gleichzeitig wird Erdgas durch den CO₂-Preis künstlich verteuert, um einen Anreiz für klimafreundliche Technologien zu schaffen. Kritisiert wird besonders, dass ausgerechnet fossile Energieträger steuerlich begünstigt und Wärmepumpen vernachlässigt würden. Dies stelle nicht nur eine finanzielle Belastung für kommende Generationen dar, sondern auch eine klimapolitische Hypothek. Die schwarz-rote Koalition betreibe somit eine rückwärtsgewandte Politik, die den Klimaschutz untergrabe und zentrale Ziele der Energiewende verfehle. Die Botschaft: Schulden allein reichen nicht – entscheidend ist, wofür sie gemacht werden. (Ann-Kathrin Büüsker, Deutschlandfunk)
Das ist der Preis einer CDU-SPD-Regierung. Die Fossil-Ideologie und die handfesten Interessen mit der Lobby müssen bedient werden. Da kann man kaum eine kohärente Klimaschutzpolitik erwarten. Die kriegt man ja nicht mal mit den Grünen, die an der Stelle auch viel zu kleinteilig wären, fürchte ich. Was die Wärmepumpen angeht: das halte ich vor allem für ein Kulturkampfding. Durch den Wahlkampfschlager gegen Habecks Heizungsgesetz ist das Wort "Wärmepumpe" in der CDU quasi nicht mehr benutzbar. Ich stimme Büüsker inhaltlich völlig zu, aber es hilft nichts. Der politische Moment war Merzens, und Merz bläst jetzt die Kohle raus. Der Moment kommt auch so schnell nicht wieder. Wenn die Grünen das nächste Mal an der Regierung sind, wird kein Geld mehr für den Klimaschutz da sein. Das braucht erst eine Katastrophe, bis alle da wieder aufwachen.
3) Deutlich mehr Badetote – Retter sprechen von doppelter Gefahr
Die Zahl der tödlichen Badeunfälle in Deutschland hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Laut der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) starben im Jahr 2024 insgesamt 411 Menschen durch Ertrinken, während es 2021 noch 299 waren. Als Ursachen nennt die Organisation vor allem Selbstüberschätzung und mangelndes Gefahrenbewusstsein. „Viele unterschätzen Strömungen und Temperaturunterschiede – und überschätzen zugleich ihre Schwimmfähigkeiten“, heißt es. Besonders riskant sei das Baden in Baggerseen, wo kaltes Tiefenwasser Kreislaufprobleme auslösen könne. Zudem warnt die DLRG vor Alkoholgenuss und dem Sprung ins kalte Wasser nach dem Sonnenbaden – beides könne zu Kreislaufversagen führen. Auch gute Schwimmer seien nicht vor Risiken wie Strömungen oder Sogwirkungen sicher. Der Trend zur Nutzung unbewachter Naturgewässer nehme zu, nicht zuletzt durch die Schließung zahlreicher Schwimmbäder und längere Hitzeperioden infolge des Klimawandels. Besonders gefährdet seien Männer und Menschen über 55, oft wegen gesundheitlicher Risiken in Kombination mit Hitze und Kälte. (RND)
Es wundert mich keine Sekunde, dass hier ein so klares Männer-Frauen-Gefälle bei den Toten herrscht. Natürlich überschätzen sich Männer und missachten die Gefahr. Ich kann zu dem ganzen Thema auch eine persönliche Anekdote teilen, weswegen ich es in das Vermischte aufgenommen habe. Ich wäre im Sommer 2023 beinahe selbst ertrunken. Es war ein Strand im Mittelmeer, und ich fand es ziemlich cool, wie die Wellen einen umgeworfen und an den Strand geworfen haben. Dass Wellen, die mich von den Füßen reißen und hinwerfen auch gefährlich sein könnten, kam mir irgendwie nicht in den Sinn. Plötzlich wusste ich nicht mehr, wo oben und unten ist und war unter Wasser. Irgendwie brach ich wieder durch die Oberfläche, das war schon eine knappe Kiste. Aber das schlimmste kam erst noch: mit jedem Schwimmzug ging es weiter aufs Meer raus, die Strömung hatte mich im Griff. Immer wieder Wellen, die über den Kopf schlagen. Kraft ließ nach. Um Hilfe geschrien, keine bekommen. Zum Glück bin ich irgendwie aus der Strömung raus und wieder in Richtung Strand zurückgekommen. Allein das aufzuschreiben gibt mir eine halbe Panikattacke, und ich gehe sicher nicht mehr ins Meer.
4) Ist diese SPD regierungsfähig? // Die zerrüttete Partei
Auf dem SPD-Parteitag in Berlin ist die Partei nach ihrer historischen Wahlniederlage in eine schwere Krise geraten. Parteichef Lars Klingbeil erhielt mit 64,9 Prozent Zustimmung eines der schlechtesten Ergebnisse der SPD-Geschichte. Diese Abstrafung wurde nicht offen diskutiert, sondern in einer geheimen Abstimmung vollzogen, was als Zeichen innerparteilicher Zerstrittenheit gewertet wird. Zusätzlich wurde das zentrale Projekt von Verteidigungsminister Boris Pistorius, ein zweistufiges Wehrdienstmodell, massiv in Frage gestellt. Besonders die Jusos lehnten verpflichtende Elemente kategorisch ab. Dabei setze Pistorius laut eigener Aussage zunächst auf Freiwilligkeit und wolle Pflichtdienste nur bei Mangel einführen. Nach zähen Verhandlungen wurde ein Kompromiss gefunden: Eine gesetzliche Pflicht zur Einziehung soll erst möglich sein, wenn alle freiwilligen Mittel ausgeschöpft sind. Auch die NATO-Ziele zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben wurden kontrovers debattiert, wobei Pistorius Aufrüstungskritikern entgegentreten musste. Insgesamt habe die SPD auf dem Parteitag Zweifel an ihrer Regierungsfähigkeit gesät, was Kanzler Merz unter Druck setze. (Paul-Anton Krüger, Spiegel)
Der Kommentar von Hannah Bethke kritisiert den Verlauf des SPD-Parteitags scharf. Anstelle eines angekündigten Neuanfangs sei die Partei in alte Verhaltensmuster zurückgefallen und habe sich intern zerstritten. Trotz des Mottos „Veränderung beginnt mit uns“ sei nicht deutlich geworden, welche konkreten Inhalte künftig im Mittelpunkt stehen sollen. Statt einer offenen Auseinandersetzung mit der eigenen Krise sei Parteichef Lars Klingbeil symbolisch abgestraft worden, während seine neue Co-Vorsitzende Bärbel Bas wegen ihres linken Profils bejubelt wurde. Einzige Einigkeit herrschte bei der antifaschistischen Symbolpolitik – insbesondere bei der Debatte um ein mögliches AfD-Verbotsverfahren. Die Kommentatorin stellt jedoch infrage, ob ein solches Vorhaben aus der Position der Schwäche heraus überhaupt glaubwürdig sei. In Brandenburg etwa liege die SPD derzeit deutlich hinter der AfD. Der Versuch, eine stärkere Partei juristisch zu bekämpfen, könne laut Bethke als Ausdruck politischer Hilflosigkeit wirken. Die Autorin schließt, dass der Parteitag den Eindruck einer zerrütteten und führungslosen SPD hinterlassen habe. (Hannah Bethke, Welt)
Ah, es ist diese Zeit des Jahres, in der nach einer Wahlniederlage der SPD anlässlich ihres Bundesparteitags die 80 Millionen SPD-Parteivorsitzenden auftauchen. Hab ich ja auch schon mal gemacht. Und was für eine Shitshow das wieder war; niemand macht Selbstdemontage so gut wie Linke. Von dem miesen Ergebnis für Klingbeil bis hin zu den Idioten, die mit Papppickelhauben und ihrer Version eines Stechschritts gegen Militarismus und Aufrüstung demonstrierten ließ man kaum ein Klischee aus. Genauso wenig lassen die Artikel zum Parteitag Klischees aus; von "warum sind Linke links" über "die SPD braucht wieder den Kontakt zu den Menschen" bis zu "die SPD muss machen was ich fordere um gewählt zu werden" ist alles dabei. Die Zweifel an der Regierungsfähigkeit, die im Kommentar oben geäußert werden, sind aber heillos übertrieben. Es ist die SPD, Leute. Die wird aus staatsbürgerlicher Verantwortung immer mit Bauchschmerzen die Koalition tragen. Es ist ja nicht die FDP. - Ein weiterer Fußballtrainer-Zuruf findet sich im Deutschlandfunk.
5) Endlich wieder Außenpolitik
Der Kommentar analysiert den außenpolitischen Start von Bundeskanzler Friedrich Merz und konstatiert, dass dieser „gelungen“ sei. Merz habe in seiner Anfangszeit den Fokus auf außen- und sicherheitspolitische Themen gelegt, unter anderem wegen der internationalen Gipfeltreffen und des Ukrainekriegs. In zentralen Feldern wie dem Verhältnis zu den USA, der NATO, der EU und der Nahostpolitik habe er sichtbare Akzente gesetzt. So unterstütze er Israels Vorgehen gegen den Iran und bemühe sich, deutsche Interessen in Europa neu zu konturieren – etwa im Rahmen des Weimarer Dreiecks mit Polen und Frankreich. Bei der NATO habe Merz einen pragmatischen Umgang mit Donald Trump gefunden und zugleich europäische Verantwortung betont. Gleichzeitig kritisiert der Kommentar, dass Merz ein zentrales Wahlversprechen – die Einhaltung der Schuldenbremse – gebrochen habe, um Verteidigungsausgaben zu finanzieren. Dies sei strategisch vorhersehbar gewesen, was bedeute, dass Merz im Wahlkampf bewusst nicht die volle Wahrheit gesagt habe. Innenpolitisch stünden nun erhebliche Herausforderungen an, insbesondere im Bereich Haushaltsdisziplin, Sozialpolitik und Regierungshandeln. Auch müsse Merz das Verteidigungsministerium eng begleiten, da es unter Boris Pistorius organisatorische Defizite gebe. Der Kanzler habe betont: „Geld allein löst das Problem nicht“ – an dieser Aussage werde er zu messen sein. (Thorsten Jungholt, Welt)
Ich bin grundsätzlich völlig mit dem einverstanden, was Jungholt hier schreibt. Deutschland fehlt strategische Kultur, es ist gut, dass da mehr passiert, etc. Gleichzeitig geht ihm seine Merz-Begeisterung etwas durch. Der Kanzler tut wesentlich mehr, was zu begrüßen ist, aber man hat jetzt nicht unbedingt das Gefühl, dass bereits eine neue strategische Kultur Einzug gehalten hätte. Am auffälligsten aber finde ich den Teil mit dem Geld: natürlich kann Merz nur agieren wie er agiert, weil die Schuldenbremse ausgesetzt wurde. Dieser Elefant im Raum wird in den Begeisterungsstürmen für Merz, sei es beim Wirtschaftswachstum oder bei der Bundeswehr, von bürgerlicher Seite gerne so peinlich berührt beiseite geschoben. Dazu gehört auch der Wahlkampf, den Jungholt hier mit einem "ja aber" beiseite wischt. Wir müssen das schon klar halten: Merz hat einen der verlogensten Wahlkämpfe seit langem geführt. Er hat gelogen, bis sich die Balken bogen. Und die Bürgerlichen wollten belogen werden. Auch das ist eine Lektion, die an zukünftigen Wahlkämpfenden sicherlich nicht vorübergehen wird.
Resterampe
a) Ganz interessante Gedanken zur Smartphonenutzung. (Altpapier)
b) »Compact«: Der Fall ist eine Mahnung für alle, die sich ein AfD-Verbot wünschen (Spiegel). Jepp, deswegen bleibe ich da auch sehr skeptisch.
d) Lesenswertes Interview mit Andreas Rödder. (ZEIT)
e) Amy Coney Barrett and the Supreme Court Give Birth to a Disaster (Washington Monthly)
f) Erdogans doppeltes Spiel (Welt).
g) Handy-Verbot: Wenn Schüler schon aufgewühlt zur ersten Unterrichtsstunde erscheinen (News4Teachers).
h) Julia Klöckner: Wie neutral ist die neue Bundestagspräsidentin? (Spiegel) Hängt maßgeblich davon ab, ob man Normalitarist ist.
i) Drecksarbeit (beimwort)
j) Das seltsame Demokratieverständnis der Heidi Reichinnek (Welt). Ich stimme ja zu, aber ich find's witzig, dass dieselbe Argumentation bei der AfD 180 Grad umgedreht benutzt wird.
k) Very, very true. (Twitter)
l) Huge, if true. (Twitter)
m) Cancel culture (Twitter).
n) Weiß nicht, ob ich das nicht etwas übertrieben finde. (MSNBC)
o) Interessante Perspektive auf die Democrats. (TPM)
Fertiggestellt am 02.07.2025
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