"The times, they are-a changin" nölte binsenweise einst Bob Dylan zur  Klampfe. Und damit willkommen in 2023 und allen ein frohes Neues. Tja, die Zeiten ändern sich in der Tat. Zum Beispiel scheint heutzutage mehr Leuten Silvesterknallerei deutlich mehr auf den Sack zu gehen als früher. Bzw. scheinen immer weniger bereit zu sein, das als lustige Folklore zu tolerieren, die halt irgendwie hinzunehmen ist. Man kann durchaus diskutieren, ob Sprengstoff in Händen besoffener Privatleute als Freizeitbelustigung nun ziemlicher Quatsch ist oder nicht.

Disclaimer: Anders als in meiner Kindheit, in der ich panische Angst vor Knallerei hatte, ist mir das Geböller heute weitgehend egal. Solange das legale Zeug verwendet wird. Weswegen ich mir auch keine Ohrenstöpsel oder so einstecke. Man mag mich gern spießig nennen, aber wenn ausgelassene und offenbar schwerhörige Nachbarn Sprengsätze zünden, deren Detonationen bei gesunden Menschen zu Tinnitus führen, und das auch noch hinterrücks, sodass man keine Chance hat, sich die Ohren zuzuhalten, werden die Funktionen 'Langmut' und 'Toleranz' auch bei mir einem Stresstest unterzogen.

Ich hätte auch gar nichts gegen Geböller mit illegaler Ware. Sollen sie sich halt auf einem abgegrenzten Areal vor den Toren der Stadt gegenseitig in die Taubheit ballern, meinetwegen mit C4-Sprengstoff, und sich dabei verstümmeln oder so. So wie ich auch kein Problem mit Hooliganismus habe. Solange die sich irgendwo außerhalb ihrer atavistischen Urtriebe versichern und sich  gegenseitig die Fressen matschig hauen, bitte sehr. Die Kosten? Na, wir wollen nicht kleinlich sein. Ich trage das via Sozialversicherung gern mit, wenn es dem gesellschaftlichen Frieden dient.

Wildfremden Menschen illegales Import-Schießwerk vor die Füße zu werfen, mit dem sich schlimmstenfalls Extremitäten wegsprengen lassen, ist hingegen nichts, was noch unter meine persönliche Humor-Abteilung fiele. Und mein Verständnis von "Nun lass’ die Leute halt ein Mal im Jahr über die Stränge schlagen!", gerät da ebenfalls an seine Grenzen. Ich weiß auch nicht, welchem System genau man da irre mutig einen Fickfinger zeigt, wenn man ausgerechnet Rettungskräfte per Deppenhandgranate an der Arbeit hindert bzw. was das politische Statement dahinter sein soll. Außer:  Hallo! Ich bin eine kernverrohte Blitzbirne und möchte unbedingt bestraft werden!

Für rechtsbürgerliche Medien und entsprechende Justemilieus war der Fall sofort klar: Der petardomane Pöbel rekrutierte überwiegend sich aus migrantischen Kreisen. Der Nafri wars! It's Silvester 2015 all over again! Nimm dies, Baerbock-Träumerle! Quelle: Youtubevideos und leider nicht einsehbare Polizeiberichte. Aha. Ich kenne auch ganz tolle Youtube-Videos, die ganz toll belegen, dass die Erde eine Scheibe ist. Und wenn ich mir ansehe, wofür diverse Polizeibehörden so ins Gerede gekommen sind in letzter Zeit, dann würde ich für entsprechende Berichte auch nicht unbedingt meine Hand ins Feuer  legen.  

(Das lässt mich im Übrigen auch immer noch zweifeln an der Legende von der angeblich völlig außer Kontrolle geratenen Silvesternacht in Köln 2015. Ich will nicht bestreiten, dass es zu sexuellen Übergriffen gekommen ist und das auch nicht verharmlosen. Aber: Da waren Tausende versammelt, die alle ein Kamerahandy in der Tasche hatten. Trotzdem bekam man immer nur die beiden gleichen verwackelten Aufnahmen zu sehen, auf denen so gar nichts erkennbar war.)

Man muss aber auch irgendwie Verständnis haben. Zum Beispiel hat die AfD im Namen die letzten zwei Jahreswechsel Zeter und Mordio gewettert gegen das coronabedingte Böllerverbot. Von wegen Freiheit und Brauchtum und so. Würden die nun wegen der jüngsten Ereignisse eines fordern, liefen sie ernsthaft Gefahr, mit diesen Wortmeldungen in unangenehmer Weise konfrontiert zu werden. Wie gut, dass da gerade Freund Migrant am Gang herumsteht, dem man die Schuld in die Schule schieben kann. Und gleichzeitig die Ampel angehen wegen naiver Multikulti-Träumerei. Win-win!

Vielleicht sollte auch jemand der Berliner Stadtverwaltung mal erklären, dass es für eine Stadtverwaltung nicht so die allerbeste Idee ist, Wurschtigkeit, Inkompetenz und Unprofessionalität - "Ditt iss tüpisch Ballien, wa?" - für irre locker und cool auszugeben. Zumindest, wenn’s um Menschenleben geht. Oder dass eine antiautoritäre Grundausrichtung sicher ganz reizend ist, man aber trotz allem schon in der Lage sein sollte, verhängte Verbote auch durchzusetzen. Und dabei zu bedenken, dass man es eventuell mit welchen zu tun bekommt, die eher nicht gewillt sind, irgendwas auszudiskutieren.

Tja, und dann war da noch Noch-Verteidigungsministerin Lambrecht, die vor Ballaballa-Kulisse eine skurrile Ansprache gehalten hat. Die aber nach ihren Angaben rein privat war. Weswegen sie sie auch auf Instagram veröffentlicht hat. Ich will da gar nicht auf Inhaltliches eingehen, aber die Sache hat für mich etwas ungeheuer Beruhigendes: Gern wird ja seit Scholzens 'Zeitenwende' gebarmt, der alte deutsche Militarismus erhöbe wieder seine gräßliche Fratze. So er denn je weg war. Pardon, aber in diesem Land wird, wie auch an der kurrenten Amtsinhaberin zu sehen ist, seit Jahrzehnten konsequent die Tradition gepflegt, entweder heillos Überforderte zu Verteidigungsministern zu machen oder politische Gegner mit dem Job kaltzustellen, weil die Hardthöhe bislang noch jeden geschafft hat.

Da muss man sich wegen Militarismus und Kriegsgeilheit wahrhaftig keine Sorgen machen.

Dir gefällt, was Stefan Rose schreibt?

Dann unterstütze Stefan Rose jetzt direkt: