oder: So kommen Schulkinder durch die Pandemie
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Zwischen März und Juli 2020 und seit Mitte Dezember 2020 fand und findet Schule aufgrund der Corona-Pandemie in unterschiedlichen Anteilen bzw. gänzlich als Distanzlernen statt. Zudem sind immer wieder Kinder, Jugendliche und ihre Familien von Quarantänen betroffen, so dass sie auf das Distanzlernen zurückgreifen – manche während der Zeit des Präsenzunterrichtes auch mehrfach und kurz hintereinander.
Damit sind Familien in besonderem Maße gefordert. Es gilt das Lernen zu Hause, ggf. Homeoffice oder außerhäusiges Arbeiten, einen engeren Familienalltag und die emotionalen Unsicherheiten und Fragen bezüglich des weltweiten Pandemiegeschehens so zu organisieren, dass jedes Familienmitglied seinen Arbeits- wie Freizeit-Zeitraum hat und seinen Aufgaben erfolgreich nachkommen kann. Ein solcher Alltag birgt viele kleinere und größere Tücken, eine solche Situation war mit Beginn der Pandemie für alle Familien neu und niemand konnte auf frühere Erfahrungen zurückgreifen. Jede Familie musste mit ihren je eigenen Personen, Bedingungen, Bedürfnissen und Schwierigkeiten ihren eigenen Weg finden. Dabei erweisen sich Eltern und Kinder oft als ausgesprochen kreativ und trickreich.
Distanzlern-Zeiten werden uns noch länger begleiten, je nach Pandemiedynamik müssen von einem auf den anderen Tag Klassen/Stufen/ganze Schulen in Quarantäne (wobei hier auch die Begriffe Isolierung und Abklingzeit als miterfasst zu verstehen sind), die Entscheidungen der Politik bewirken mal mehr Distanzunterricht, mal weniger – mit anderen Worten: auf Distanzlernen müssen wir uns noch länger permanent einstellen.
Seit Januar 2021 haben sich viele Familien für ihre Kinder mit aufwachsenden Online-Tools der Schulen eine ausbalancierte Situation geschaffen. Strukturen und Abläufe sind langsam etabliert, manche Familien haben eine „sichere bubble“ gegründet, in der sie – nach außen weitgehend abgeschlossen – sichere Sozialkontakte pflegen können. Mit einer Teil- oder Vollöffnung des Präsenzunterrichtes – ob in Wechselunterricht oder Vollpräsenz, verändern sich die Rahmenbedingungen wieder und Familie müssen sich neu organisieren.
Das alles führt zu einer großen, sich ständig wandelnden Herausforderung, die viele Familien mit hoher Energie, Kreativität und Kompetenz meistern müssen.
An vielen Schulen haben sich Eltern in den ersten Monaten der Pandemie ausgetauscht, unterstützt, Ideen entwickelt, erprobt, verworfen und verändert. So manche Schulpflegschaft hat „ihre“ Eltern befragt, wie sich die Herausforderungen bewältigen lassen und wie das Distanzlernen für die Kinder am besten funktioniert, was die Schule verbessern kann, was in der eigenen Familie für Lösungen gefunden wurden.
Jede Familie hat eigene Ideen, keine Situation ist gleich einer anderen, für manches Problem haben Familien schnell eine Lösung gefunden, für andere erst später. Nicht alles können Familien allein lösen – sei es, weil es nicht in ihrem Wirkungsbereich ist, sei es, weil ihnen die Mittel oder Fähigkeiten fehlen, sei es, weil sie Barrieren haben, die ihnen den Zugang zu Lösungsmöglichkeiten erschweren. Bei allen Herausforderungen muss – immer berücksichtigend, wie die familiäre Situation ist – differenziert werden; was die eine Familie leisten kann, kann die andere noch lange nicht leisten.
Umso wichtiger war und ist es, sich immer wieder auszutauschen und zu unterstützen – das ist schon im vorpandemischen Alltag hilfreich und wichtig gewesen, erhält jetzt aber einen noch höheren Stellenwert.
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den Herausforderungen, für die Familien eine eigene Lösung gefunden haben, die in einige der o.g. Elternabfragen eingeflossen sind und damit einen wichtigen Input in der Unterstützungsdiskussion leisten. Befragt wurden Eltern der Klassenstufen 5 (erste Klasse weiterführende Schule) bis 12 (Abiturjahrgang) einer großen weiterführenden Innenstadtschule (Gymnasium). Weiterhin eingeflossen sind Erfahrungen der 4. Klasse (letzte Grundschulklasse) und Aussagen von Eltern anderer weiterführender Schulformen.
In den Abfragen unter der Elternschaft kristallisierten sich fünf Handlungsfelder heraus, die die Distanzlernen-Situation mit sich bringt und für die eine Lösung in der Familie gefunden werden muss.
Die Handlungsfelder sind:
1. Übersicht behalten
2. Struktur
3. Mediennutzung
4. leichtes Lernen
5. allgemeine Themen „rundherum“
Die Elternabfragen richteten sich auf die Problemlösungen, die Familien für ihre Situation gefunden haben. Ziel aller Handlungen war und ist es, Distanzlernen für die Kinder/Jugendlichen erfolgreich zu machen.
1. Handlungsfeld: Übersicht behalten
Als eine vorrangige Herausforderung – je nachdem, wie strukturiert die Schule das Distanzlernen angeht – beschreiben Eltern das Behalten des Überblicks über Aufgaben, Videostunden, Abgabetermine, Unterlagen und Projekte. Um Übersicht zu behalten, können verschiedene „Werkzeuge“ hilfreich sein:
- Ein kleines Whiteboard kann neben dem Arbeitsplatz angebracht werden: am Anfang der Woche alle Fächer und Daten darauf schreiben – abhaken/auswischen, wenn etwas erledigt ist.
- Alternativ können pro Fach/Aufgabe Klebezettel beschrieben werden und an einer gut sichtbaren Stelle am Arbeitsplatz angeklebt werden. Erledigte Zettel werden weggeworfen.
- Es kann eine Sammelmappe oder ein Ordner mit Register oder bunten Klebe-Fähnchen für die Fächer angelegt werden:
Variante1: Es gibt eine Mappe für Neues zu Beginn der Woche, eine Mappe zum Umheften für Erledigtes. Am Ende der Woche ist im Grunde alles im zweiten Ordner.
Variante 2: Es gibt einen Ordner für alles (Neues und Bearbeitetes), Überblick behält man über eine voran geheftete Liste zum Ausfüllen mit Fach und Abgabedatum sowie einer Möglichkeit zum Abhaken.
- Es kann ein Wochenplan auf Tagesbasis erstellt werden – alles wird eingetragen: Fächer und Abgabetermine, er wird gut sichtbar am Arbeitsplatz aufgehängt.
- Pro Fach wird ein Stehordner eingerichtet, den Überblick behält man über ein kleines Whiteboard oder eine Liste.
- Für alle Fächer wird die digitale Ablage aller Dokumente in lokalen Ordern auf dem PC genutzt – je nach Lernplattform ist das auch dort möglich. Es empfiehlt sich zusätzlich eine lokale oder ausgelagerte Sicherung (Stick), um Verluste zu vermeiden.
2. Handlungsfeld: Struktur
Eine übereinstimmende Rückmeldung aller befragten Eltern war, dass es wichtig ist, eine feste, an den Schultag angelehnte Tagesstrukturist zu etablieren. Jeder Wochentag ist ein Schultag, Wochenenden sind „schulfrei“.
Dafür sind verschiedene Werkzeuge hilfreich:
- Der Morgen beginnt mit Aufstehen, Frühstück und „Schul“-Beginn zu fest vereinbarten Zeiten.
- Grundsätzlich kann die Grundstruktur so aussehen: vormittags Schule, nachmittags frei – eine Variante ist: vormittags „Schule“, Mittagspause, nachmittags „Hausaufgaben“ - hier kann eine ausgesuchte Aufgabe bearbeitet oder es können Nachträge vom Vormittag aufgenommen werden.
- Man kann einen Schulgong auf dem Handy installieren, der in 45min-Abständen gongt, es werden 5min-Pausen und 30min-Pausen analog zum Schulvormittag eingelegt; alternativ kann ein Wecker gestellt werden.
- Wichtig sind feste Abend-/Zu-Bettgehzeiten, um am nächsten Morgen „schulfit“ zu sein.
- Jeder Schultag hat ein definiertes Ende, auch wenn noch nicht alles geschafft ist.
Die Strukturierung der Fächer ist abhängig von der Art des Distanzunterrichtes.
A. Findet der Distanzunterricht über Videostunden statt, orientiert sich der Schultag an den zeitlichen und sachlichen Vorgaben der Schule. Manche Schule geht entlang des Präsenzstundenplanes, manche Schule findet andere Strukturen. Allen ist gemein, dass die Schule weitgehend die Struktur vorgibt und Eltern weniger eigene Strukturideen entwickeln müssen.
B. Findet der Distanzunterricht über Wochenpläne statt, sind in den meisten Fällen die Aufgaben montags da, so dass eine Wochenstruktur mit verschiedenen Möglichkeiten gestaltet werden kann:
- Pro Fach wird eine Schulstunde gearbeitet, es werden die Fächer für den Tag festgelegt, nachmittags werden Probleme geklärt.
- Alternativ kann sich die Arbeit genau am Präsenzstundenplan orientieren.
- Alternativ kann pro Tag ein Hauptfach und ein Nebenfach bearbeitet werden.
- Alternativ können alle Aktivitäten der Woche (Arbeitszeiten, Fächer, Abgabezeiten, auch die Freizeitaktivitäten) in Tagesübersichten in einen Kalender eingetragen werden. Dies ist die Tagesleitschnur.
- Alternativ können Lernzeiten wochenweise flexibel vormittags/nachmittags verhandelt werden. Sind sie festgelegt, ist sich daran zu halten.
- Alternativ kann tageweise flexibel vereinbart werden, was gearbeitet wird, das Tauschen von Aufgaben/Fächern ist möglich – die Grenze ist: am Wochenende muss alles fertig sein.
- Alternativ kann der Montag (oder der Tag, an dem die Aufgaben kommen) zur Sortierung und Sichtung plus Ausdrucken aller Arbeitsunterlagen der Woche und der Fertigung eines gut sichtbar aufgehängten Wochenplanes genutzt werden; ab dem nächsten Tag wird dann gearbeitet.
- Alternativ vereinbart man kleine Lerneinheiten, dazwischen werden Zeitfenster für eigenes Recherchieren zum Thema (Videos, Wissensseiten aufsuchen etc.) eingerichtet.
- Für Kinder, deren Strukturbedürfnis nicht darunter leidet, kann noch flexibler gehandelt werden: der Freitag bleibt schulfrei, wenn alle Aufgaben bis Donnerstag gemacht sind.
- In familiengeeigneten Abständen gibt es Vor- und Nachbesprechungen pro Tag/pro Woche. Alle Vereinbarungen können jederzeit verändert/verbessert werden.
Diese Situation ist ein „Lernen auf allen Ebenen“ - auch auf der Ebene des Distanzlernens zu Hause. Es ist ein „Lernen für alle“ - auch für Eltern und die Familie als Ganzes.
C. Und dann gibt es noch die berühmten Mischformen des Distanzunterrichtes aus Videostunden und (freiem) Aufgabenlernen – für die jeweilige Situation können Eltern sich beispielsweise aus diesem Beitrag hier verschiedene Tipps aussuchen und erproben, was am besten zusammen passt.
3. Handlungsfeld: Mediennutzung, im Besonderen das Handy
Die Mediennutzung regeln Familien unterschiedlich, sie reicht von begrenzten Zeitfenstern und Kinderschutzprogrammen bis zu vollkommen freiem und eigenständigem Gebrauch. Neben den allgemeinen Ratschlägen, die grundsätzlich auch ohne Pandemie zu einer geschützten und sinnvollen Mediennutzung raten, bilden die Schulen mit ihren „Handyregeln“ einen wichtigen Rahmen. Diesen müssen Eltern im Distanzlernen selbst beachten. Zudem werden Medien gerade für das Distanzlernen gebraucht, so dass die Gesamtbetrachtung „Medien“ neue Facetten bekommt und anderer als der bisherigen Lösungen bedarf.
In den erfolgten Abfragen war den befragten Eltern Eines gemeinsam: das Handy/die Medien darf/dürfen während des Arbeitens nicht für ablenkende Dinge genutzt werden.
Folgende Regelungen können sich als hilfreich und stressmindernd erweisen:
- Handy, PC, tablet, Fernseher, Konsolen etc. werden vom Arbeitsplatz „verbannt“ und erst nach „Schul“-Schluss wieder freigeben.
- Alternativ können Ausnahmen für notwendige Recherchen oder Aufnahmen (tablet/PC) gewährt werden.
- Alternativ kann bspw. das Handy über eine Familienapp bis auf lernrelevante Apps gesperrt werden, auch messenger sind gesperrt.
- Plattformen wie Teams bringen eine PC-Spezialität mit: aufploppende neue Chatnachrichten aus den verschiedenen Chatgruppen der Fächer/Klassen lenken ab (nicht nur auditiv, sondern auch visuell). Eine Lösung kann sein, PC-Platz und Arbeitsplatz zu trennen, so dass der PC vom Arbeitsplatz nicht eingesehen werden kann. Nur wenn mit Teams gearbeitet wird (Chat, abgeben, herunterladen etc.) wird der PC-Platz genutzt.
- Mit zunehmenden Videostunden erhöht sich natürlich die Zeit am PC/tablet etc. Hier bietet sich an, Programme und Apps zu sperren, die nicht für die Schule gebraucht werden.
- Um den Druck ein bisschen aus dem Kessel zu nehmen, können zeitlich begrenzte freie Handynutzungszeiten als Erholung in den Lernpausen gewährt werden.
Grundsätzlich muss das Thema „Bildschirmzeit“ neu gedacht werden. Bildschirmzeit ist jetzt für die Schüler:innen mehr als Zockerei am Nachmittag (also überwiegend Freizeit), sondern wird zum wichtigen Instrument der Bildung (vgl. zur Bildschirmzeit im Beruf). Das erfordert einen Perspektivwechsel.
4. Handlungsfeld: leichtes Lernen
Lernen fällt nicht vom Himmel. Lernen „zu Hause“ auch nicht. Für manche Familien ist das eine ganz neue Situation. Viele Kinder gingen vor der Pandemie nach der Schule regelmäßig in Betreuungsgruppen, meistens mit der Möglichkeit, Hausaufgaben anzufertigen oder sie gehen in Schulen mit Ganztagsbetrieb. Zu Hause lernen kommt seltener vor, zeitlich weniger und es ist für viele auch schwieriger, wenn Kinder (wie Eltern) am späten Nachmittag müde nach Hause kommen. Für Kinder, die nach der Schule nach Hause gehen (egal in welcher Klassenstufe) ist „lernen zu Hause“ weniger ungewohnt.
Dennoch ist Distanzlernen in der aktuellen Form für alle neu gewesen. Vieles muss allein gemacht werden, der direkte bilaterale Austausch mit Mitschüler:innen verlagert sich auf Telefon und Video. Eltern sollen (und viele können) keine Ersatzlehrer sein – so ist Distanzlernen auch nicht gedacht. Aber Eltern sind für die Rahmenbedingungen zuständig, die sonst auch die Schule gewährleistet.
Diese Differenzierung kann hilfreich sein, sich nicht mit dem Distanzlernen der Kinder überfordert zu fühlen, sondern an den Stellen tätig zu werden, die notwendig sind und dort gelassen zu bleiben, wo es sinnvoll ist.
Den Kindern bei einer Frage zu helfen, ist davon unbenommen – das entspricht dem „ich hab eine Frage zu den Hausaufgaben“ und führt selten zum „Ersatzlehrersein“.
Hier sind erprobte Tipps versammelt, die leichteres motivierteres Lernen ermöglichen können:
- Das Kind kann täglich mit einem festen Partner präsent lernen – man spricht sich über Betreuung/Lernort mit einer/zwei anderen Familie(n) ab, natürlich abhängig von möglichen Kontaktbeschränkungen.
- Es kann eine „Standleitung“/Videoanruf zu Freunden geschaltet werden – Aufgaben werden gemeinsam angefertigt (FaceTime, Teams, Zoom, houseparty o.ä.) - auch Nicht-Klassenkameraden können dafür hilfreich sein, aus höherer Klassenstufe oder anderer Schule. Das kann auch eine Freundesgruppe/Clique sein, die sich zum Hausaufgaben machen digital „trifft“. Eine gute Portion Vertrauen lohnt sich.
- Größere Arbeitsprojekte (Referate, Lesetagebuch, mehrwöchige Aufgaben) sollten in Phasen geteilt werden:
1. Recherchephase (Thema und Aufgabenstellung verstehen, Material sammeln und sichten)
2. Definieren und Abarbeiten von Inhaltspaketen (z.B. Texte lesen und dazu Stichpunkte machen)
3. Formulierungsphase (Schreiben von Texten für die Präsentation bzw. den Vortrag)
4. Gestaltungsphase (Plakat oder Präsentationsgestaltung, finale Auswahl der zu präsentierenden Inhalte)
5. Übungsphase (Vortrag üben)
Diese Grobstruktur kann auf alle wochenübergreifenden/fächerübergreifenden Projekte individuell angepasst werden. Die Phasen verteilt man auf die Tages-/Wochenverteilung. Manchmal fällt es einem Kind auch leichter, bspw. an einem Samstag längere Zeit daran zu arbeiten und mehrere Phasen im Zusammenhang zu erarbeiten.
- Sofern die Familie/das Kind digitale Affinität mitbringt, kann diese genutzt werden, weitere Tools einzusetzen. Das kann, muss aber nicht hilfreich sein. Im Sinne des Erwerbs digitaler Kompetenzen, für die das Distanzlernen viel mehr Möglichkeiten als der Präsenzunterricht bietet, macht das Kindern unter Umständen auch viel Spaß. Nebenbei lernen sie Tools kennen, die in Ausbildung oder Studium und in vielen Berufszweigen eine Rolle spielen.
- Den Grundsätzen „Wechsel von Anspannung und Entspannung“ sowie „Wechsel von körperlicher Tätigkeit und geistiger Tätigkeit“ folgend, ist es hilfreich, auch zwischen anstrengenden und weniger anstrengenden Tätigkeiten abzuwechseln, z.B. Inhalte lernen – administrative Sachen erledigen – eine Runde um den Block laufen - ein selbstgewähltes Lehrvideo schauen.
5. Handlungsfeld: allgemeine Themen rundherum
Distanzlernen ist anstrengend. Die übliche Bewegung des Schulweges und des Sports fehlen, Hobbies können in Zeiten von Kontaktbeschränkungen oder Quarantänen ebenfalls kaum oder nur digital ausgeübt werden. Umso wichtiger ist der bewusste Ausgleich, um Stress und Enge abzubauen und „den Kopf frei zu bekommen“. Zudem muss die engere Familiensituation bewältigt werden, auch das hat Auswirkungen auf das Lernen der Kinder.
Hilfreich für einen stressreduzierten Distanzlernenalltag kann sich auswirken:
- Es sollten (gesunde und leckere) Pausensnacks angeboten werden, jederzeit genug zu trinken zur Verfügung stehen. Es können bestimmte Lebensmittel zur freien Verfügung bereit stehen, so dass Kinder sich von dort selbstständig etwas nehmen können, wenn ihnen danach ist.
- Immer, wenn sich Änderungen im Ablauf/den Bedingungen des Distanzlernens ergeben, lohnt sich die (zeitliche) Investition, das Kind zur Selbstorganisation anzuleiten (bspw. Ordner mit dem Kind einrichten, weiteres Abheften und Ordnen allein machen lassen und nur noch kontrollieren, später nur noch nachfragen). Es lohnt sich, dem Kind etwas zutrauen, nachdem man ihm organisatorische Methoden gezeigt hat. Absprachen mit den Lehrer:innen können die Erwartungen der Schule mit den Ideen der Eltern/des Kindes in Einklang bringen. Im Lauf der Pandemie hat sich in vielen Familien gezeigt, dass Kinder und Jugendliche in hohem Maße Selbstorganisation entwickelt haben und ein Verständnis für selbstverantwortetes Lernen zeigen. Auch hier gibt es Möglichkeiten, die dem Distanzlernen über den Lehrplaninhalt abgewonnen werden können, und die zu außer- und überschulischem Kompetenzerwerb führen können.
- Eine der wichtigsten Verhaltensweisen von Eltern im Distanzlernen (und in der Pandemie mit all ihren Auswirkungen auch jenseits der Schule) besteht in viel Lob/Anerkennung/Stolz für die Kinder. Man bedenke immer, dass sie in einer Phase der Entwicklung, die zunehmend aus dem Elternhaus hinausführt, von der Pandemie betroffen werden und der Drang nach außen gebremst wird/werden muss. Das verlangt ihnen viel ab und jede Einsicht darf und sollte ausgiebig wertgeschätzt werden.
Die junge Generation hat viele Fragen und Gedanken zur Pandemie. Sie erleben, wie wir Erwachsenen, wie Politik und Wissenschaft, Medien und ihre Freunde mit all dem umgehen. Sie sorgen sich um ihre Gesundheit – manchen ist das mehr, manchen weniger bewusst. Sie sorgen sich um die Gesundheit ihrer Familie und Freunde. Sie hören von Erkrankungen, schweren Verläufen, Todesfällen. Mit Stand März 2021 haben in Deutschland über 70.000 Menschen ihr Leben an Covid-19 verloren, viele andere sind langzeiterkrankt. All diese Menschen haben Familien, Kinder, Enkel. Über die Sorgen, Probleme und Gedanken zu sprechen und den Kindern zuzuhören, stellt einen wichtigen Bewältigungsfaktor dar. Die Situation ist für Kinder eine besondere äußere und innere Belastung. Neben dem veränderten Alltag stehen sie vor einer ungewissen Zeit, im Lockdown gibt es keine kalkulierbaren Daten/Meilensteine. Ihre verlässliche Vorausplanung – Auslandsjahr, Praktikum, Hobby, mit dem Alter aufwachsende Freiheiten – ist einer permanenten Vorläufigkeit gewichen. Dem „ich möchte nächsten Monat“ kann nur ein „sofern die Pandemie es zulässt“ folgen. Ganz unabhängig davon, in welchen Bereichen Kinder und Familien besondere Einschnitte und Belastungen erfahren – auf alle Kinder hat die Pandemie umfassende Auswirkungen. Es ist wichtig – sehr wichtig – Kinder zu loben und ihnen Anerkennung zu zollen, wenn sie diese Zeit mit Geduld und Einsicht bewältigen, wenn sie sich auf das Distanzlernen einstellen und die Herausforderungen tragen. Unser Wertschätzungsempfinden bedarf auch des Neu-Denkens. Damit unterstützen Eltern die Ausbildung von Resilienz für Krisen (nicht nur die aktuelle). Die zerbrochene Verlässlichkeit der Welt können Eltern durch die Verlässlichkeit der Beziehung in der Familie auffangen und die verunsichernde Wirkung der Pandemie deutlich mindern.
- Um eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten auszugleichen, gehört in jeden Tagesplan eine Zeit, in der Kinder rausgehen und sich bewegen – wetterunabhängig. Besteht die Möglichkeit, können sich Kinder entsprechend der Kontakterlaubnisse treffen, zusammen laufen, Fahrrad fahren. Eine Möglichkeit ist auch, jeden Abend eine halbe Stunde mit der Familie spazieren zu gehen – ganz egal ob in der Stadt oder in der Natur.
- Am Wochenende bietet eine feste Familienaktivität draußen eine gute Möglichkeit, der Woche eine Werktags-/Wochenendstruktur zu geben – nicht nur hilfreich fürs Distanzlernen, sondern auch fürs Homeoffice. Für viele Familien verschwimmen Werktage/Wochenenden/freie Tage, weil sich alles zu Hause abspielen muss. Diesem unter Umständen gleichförmigen Fluss eine Struktur zu geben, die an einen vorpandemischen Alltag angelehnt ist und dennoch den Beschränkungen der Pandemie Genüge tut, schafft eine tragfähige Basis für die Familie.
- Sind alle immer zu Hause, müssen Homeoffice, Distanzlernen, Betreuung und Freizeit unter einem Dach organisiert werden, gerät ein Haushalt schnell durcheinander. Bringt man ihn gemeinsam in Unordnung, kann er auch gemeinsam bewältigt werden. Kleine Haushaltsaufgaben können verteilt werden, gemeinsame Arbeiten oder auch eigenständiges Verantworten bspw. der Ordnung des eigenen Zimmers strukturieren und bieten Kindern die Chance, für den Familienalltag sinnvoll beitragen zu können. Intensität und Art werden ausgehandelt.
- In Zeiten massiver Kontaktbeschränkungen erweisen sich die digitalen Medien als Segen. Nicht nur der reine Kontakt zu Großeltern, anderen Verwandten und Freunden kann gehalten werden, sie können auch für Fragen oder das Anschauen von Schulsachen und für den Austausch „wie kommst du durch die Pandemie – wir machen das so...“ hilfreich sein.
- Kinder und Jugendliche nutzen Medien in der Pandemie mehr. Die Chancen, die darin liegen, sind in den Ideen in dieser Sammlung hinreichend angesprochen. Aber Eltern sollten sich umso mehr selbst mit den Medien der Kinder vertraut machen und Interesse zeigen – nicht nur an den Schulsachen, sondern an der Entwicklung, die in dieser Zeit stattfindet, an den Gefühlen, Gedanken und Sorgen bezüglich der Pandemie.
Die Pandemie ist die dramatischste Veränderung des Alltags, die Kinder bislang erlebt haben. Jede Veränderung geht mit knirschenden Rädern einher und bedarf großer Achtsamkeit und jede Veränderung bedarf der Evaluation. In (un-)regelmäßigen Abständen lohnt sich eine sogenannte „Teppichkonferenz“ - alle sitzen auf Augenhöhe (auf dem Teppich) und sprechen über die Situation. Fragen können sein: Wie funktioniert unsere Organisation in der Familie? Kommen die Kinder/das Kind zurecht? Was klappt besonders gut? Fehlt etwas? Muss etwas anders organisiert werden? Den Abschluss sollte immer ein dickes Lob für die Kinder bilden.
Alle hier gesammelten Punkten sind niemals für alle in gleicher Weise geeignet und die Sammlung kann niemals vollständig sein. Viele Familien haben eigene und ganz andere Weg gefunden. Dieser Beitrag soll die Überlegungen eines Teils der Eltern in Deutschland darstellen und zu einem Austausch anregen.
Wenn nichts mehr geht! Trotz aller Bemühungen, trotz Ideen und Geduld – die Pandemie kann alle an ihre Belastungsgrenze bringen, manche früher, manche später. Und manchmal geht nichts mehr. Dann brauchen Familien Hilfe. Die gibt es auch in der Pandemie. Die Schule, Beratungsstellen, das Jugendamt, die Kirchengemeinde, das Quartiersbüro, Notrufnummern und die Telefonseelsorge – auch in der Pandemie kann hier Hilfe eingeholt, Rat gesucht oder einfach ein Gespräch geführt werden. Manchmal trauen sich Eltern nicht – sind wir doch geneigt, stark zu sein, kompetent, Probleme alleine zu lösen und keine Schwäche zu zeigen.
Es ist keine Schwäche, in einer Pandemie an die Belastungsgrenze zu kommen. Und es ist stark, sich dann Hilfe zu holen.
Denken wir immer daran, wer der (gemeinsame) Gegner ist – das ist nicht die Schule, die Politik, der Lockdown, die Demonstranten oder gar die eigenen (belasteten) Kinder. Es ist das Virus und seine Gefahr. Stellen wir uns an die Seite unserer Kinder, blicken wir in die gleiche Richtung und begleiten wir sie durch eine Zeit, die wir nur gemeinsam in der Familie aber auch nur gemeinsam in der Gesellschaft bestehen können.
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