Der Uluru, Australiens berühmtes Wahrzeichen, übt auf viele Menschen eine besondere Anziehungskraft aus. Auch Christina Wechsel zieht er magisch an und das, obwohl eine Reise dorthin ihr Leben für immer veränderte.

Einmal den Uluru, den heiligen Berg der australischen Ureinwohner zu sehen, ist Christina Wechsels großer Traum. Dreimal wollte sie die Reise antreten. Doch jedes Mal kam etwas dazwischen: Ein Todesfall, ein Unfall und jetzt eine Pandemie. „Wer weiß, was das nächste Mal passiert, wenn ich es probiere“, scherzt die Münchnerin. „Eine Außerirdischen-Invasion?“ Vor allem der Unfall veränderte das Leben der 39-jährigen Frau für immer. Als sie auf dem Weg zum Uluru verunglückte, verlor sie einen engen Freund und selbst ein Teil ihres Beines. Über ihre Erlebnisse und den harten Weg zurück ins Leben schrieb Wechsel ein Buch: „Wer Flügel hat, braucht keine Beine“. Im Interview berichtet sie, wie sie ihr Leben wieder in den Griff bekam, und warum auch eine Prothese sie nicht davon abhalten wird, den Uluru nochmal zu besuchen.

Australien war Ihr großer Traum, doch eine Reise auf den fünften Kontinent hat Ihr Leben für immer verändert. Was ist genau passiert?

Es fing alles damit an, dass ich mit Anfang 20 einen großen Traum hatte und eine Weltreise machen wollte. Ich hatte schon ein Around-the-World-Ticket gebucht, doch dann ist meine Mutter leider an Krebs erkrankt und gestorben. Ich habe das dann Ticket dann erstmal storniert. Doch meinen Traum wollte ich nicht aufgeben und so bin ich ein halbes Jahr später tatsächlich losgeflogen und war fünf Monate in Australien und bin einen Monat durch Neuseeland gereist, bis dann der nächste Schicksalsschlag passiert ist. Wir waren auf dem Weg zum Uluru, ich wollte unbedingt diese unendliche Weite und die Stille des Outback erleben, als wir einen schweren Autounfall hatten. Einer meiner Reisegefährten, der auch einer meiner besten Freunde war, ist leider noch am Unfallort verstorben und ich selbst wurde sehr schwer verletzt.

Sie waren ja mitten im Nirgendwo quasi – das Outback und die dortigen Entfernungen sind ja groß. Wie wurden Sie überhaupt gerettet?

Ich wurde von den „Flying Doctors“ – den fliegenden Ärzten in Australien – gerettet und mit dem Flieger ins Krankenhaus nach Adelaide gebracht. Dort kämpfte ich dann mit den Ärzten zusammen erstmal um mein Leben, doch als wir dachten, ich wäre über dem Berg, habe ich leider ein multiples Organversagen bekommen und mein linker Unterschenkel musste amputiert werden.

Das war sicher erstmal ein großer Schock?

Das war natürlich ein Schock und ich habe mich auch gefragt, warum alles so geballt bei mir kommen muss, so kurz nach dem Tod meiner Mama. Der Unfall passierte genau ein Jahr, nachdem sie gestorben war. Und dann fragte ich mich natürlich auch, warum genau dann, wenn ich meinen Traum verwirklichen möchte. Aber diese Zeit in Australien, vor allem auf der Intensivstation, wo ich sechs Wochen lang war, war auch besonders. Die Ärzte und Krankenschwestern waren fast wie Freunde. Ich kann mich noch erinnern, dass mir ein Arzt in der Chirurgie im OP-Saal noch seinen Laptop mit den Fotos seiner Familie gezeigt hat. Auch die Krankenschwestern haben sich so liebenswürdig gekümmert und das hat mir diese schwere Zeit mit den ganzen Schmerzen ein bisschen erleichtert.

Sie haben ja nicht nur einen Teil Ihres Beines verloren, sondern eben auch einen Ihrer besten Freunde. Wie haben Sie es geschafft, sich wieder zum Leben zu motivieren?

Mein Bruder und mein Vater sind rübergeflogen, zum Glück, denn das war dann die größte Motivation auch zu kämpfen. Noch am Unfallort habe ich zum Notarzt gesagt, er muss schauen, dass ich lebend in Adelaide ankomme, weil meine Mutter vor einem Jahr an Krebs gestorben ist und ich das meiner Familie jetzt nicht auch noch antun kann.

Inzwischen tragen Sie eine Prothese und stehen damit wieder gut im Leben, aber vermutlich war auch das ein längerer Prozess, oder?

Ja, ich war schon als Kind sehr aktiv, alle sagten immer, ich hab wirklich Hummeln im Hintern und das beste Ventil für diese Hummelschwärme war schon immer der Sport. Ich liebe die Berge über alles und verbringe mittlerweile auch jede freie Minute da und ich wollte unbedingt alles ausprobieren, was mit dieser Prothese möglich ist. Dieser Moment, das erste Mal in eine Prothese einzusteigen und quasi wieder auf beiden Beinen zu stehen und zu gehen, das hat mich so überwältigt, dass ich die Prothese als Sprungbrett für sämtliche Möglichkeiten gesehen habe. Und dann habe ich so nach und nach herausgefunden, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt und dass sich immer Wege finden lassen. Also zum Beispiel beim Skifahren – da habe ich dann extra eine Skiprothese angefertigt bekommen, denn ich wollte mit meinen Freunden mithalten können. Aber das ganze ist natürlich ein Prozess und es ist nicht so, dass man eine Prothese hat und alles läuft sofort wunderbar.

Sie haben ein Buch über Ihr Leben geschrieben: „Wer Flügel hat, braucht keine Beine“. Dabei geht es auch darum, anderen Menschen zu helfen, mit Schicksalsschlägen fertig zu werden...

Ja, genau. Also ich fragte mich natürlich auch schon auf der Intensivstation, was der Sinn hinter all diesen Schicksalsschlägen ist und warum das so geballt bei mir passieren musste. Aber ich habe dann mit der Zeit erfahren dürfen, dass es an mir selbst ist, meinem Leben einen Sinn zu geben. Beispielsweise habe ich nach der Amputation an sehr starken Phantomschmerzen gelitten und habe die dann durch alternative Heilmethoden in den Griff bekommen. Ich habe mich dann beruflich umgestaltet und bin jetzt Heilpraktikerin mit einer eigenen Naturheilpraxis und begleite nun andere Menschen mit Phantomschmerzen. Ich bin auch an dem PiK Projekt beteiligt, das die Unfallklinik Berlin und der Bundesverband für Menschen mit Arm- oder Beinamputation ins Leben gerufen hat, wo ich andere Menschen im Krankenhaus nach einer Amputation begleite. Dort beantworte ich Fragen und schenke Mut und Lebensfreude und eine andere Sichtweise.

Würden Sie trotz Ihrer Erlebnisse wieder nach Australien kommen wollen?

Auf jeden Fall und ohne mit der Wimper zu zucken. Ich hatte bereits letztes Jahr wieder einen Flug gebucht, und hatte auch meine Reise zum Uuru schon geplant, den ich nach wie vor unbedingt sehen möchte. Das ist nach wie vor mein großer Traum! Aber dann ist zum dritten Mal etwas dazwischen gekommen – dieses Mal eine Pandemie – und somit wurde der Flug storniert. Ich sage inzwischen zu meinen Freunden schon, ich bin schon gespannt, was das nächste Mal dazwischen kommt. Ich tippe auf eine Außerirdischen-Invasion oder einen Meteoriteneinschlag oder beides zusammen. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass ich zum richtigen Zeitpunkt an diesem magischen Ort stehen werde.

Christina Wechsel, Wer Flügel hat, braucht keine Beine: Wie ich das schlimmste Jahr meines Lebens überstand und dabei über mich selbst hinauswuchs, erschienen im März 2021 bei HarperCollins.

Copyright Fotos: Christina Wechsel

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