Christina Dongowski hat einen Bluesky-Thread voller Meinungen zu Kunst- und Literaturgeschichte geschrieben. Ich fand die spannend und wollte mir ihr darüber reden. Und wir haben da so viel zu reden, dass das hier nur Teil 1 sein kann.

Shownotes:

Der Thread von Tini

Transkript:

00:00:00.97
Stefan Sasse
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von den Bohrleuten.

00:00:04.82
Stefan Sasse
Normalerweise geht es hier ja grundsätzlich immer um Politik oder Gesellschaftsgeschichte oder die richtig schweren Dinge oder wir kommentieren schnippisch das Tagesgeschehen, aber heute wollen wir auf ein lange vernachlässigtes Feld hinüberwandern und uns stattdessen ein bisschen mit Kunst und Literatur beschäftigen.

00:00:20.63
Stefan Sasse
Es wird natürlich auch hier zwangsläufig so ein bisschen politisch und gesellschaftlich angehaucht werden, weil anders lässt sich Kunst und Kultur ja eh nicht rezipieren.

00:00:27.97
Stefan Sasse
Aber ich habe mir zu diesem Zweck einen Gast herangeholt und dieser Gast war früher vor Urzeiten quasi in der jüngsten Entstehungsgeschichte dieses Podcasts auch schon einige Male hier zu Gast und wird sich jetzt kurz vorstellen, um die Erinnerung von allen wieder ein wenig wach zu rufen.

00:00:45.81
Christina Dongowski
Hallo, Christina Norgoski.

00:00:47.61
Christina Dongowski
Ich freue mich, dass ich mal wieder hier bin.

00:00:50.85
Christina Dongowski
Ich habe Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Philosophie studiert.

00:00:57.80
Christina Dongowski
Das qualifiziert mich jetzt auch hier zu sprechen.

00:01:00.74
Christina Dongowski
Das werdet ihr gleich sehen.

00:01:03.100
Christina Dongowski
Habe darin auch promoviert über Johann Joachim Winkelmann.

00:01:07.94
Christina Dongowski
Das wird jetzt sicherlich ganz vielen gar nichts sagen.

00:01:10.52
Christina Dongowski
Das ist nicht schlimm.

00:01:11.56
Christina Dongowski
Auch darüber werden wir sprechen.

00:01:14.93
Christina Dongowski
Und ich arbeite seit sehr langer Zeit nicht mehr in der Uni, sondern in der Wirtschaft, wie das immer genannt wird.

00:01:26.95
Christina Dongowski
Ich arbeite als Texterin, PR-Redakteurin, Ghostwriterin.

00:01:33.36
Christina Dongowski
Das hat keinen richtigen Namen, was ich mache.

00:01:35.60
Christina Dongowski
Mittlerweile heißt es Content Creation in einer...

00:01:41.35
Christina Dongowski
Kommunikationsagentur in Stuttgart und wir sind recht weit aufgestellt von den typischen schwäbischen Maschinenbaum-Mittelständlern bis hin zu italienischen Weingütern und da bin ich für Texten, LinkedIn-Profile, alles Mögliche zuständig.

00:02:05.74
Christina Dongowski
Und in dem anderen Teil meines Lebens bin ich tatsächlich quasi

00:02:10.65
Christina Dongowski
freischwebende Privatgelehrtin, denke ich, ist das richtige Wort dafür.

00:02:16.69
Stefan Sasse
Ich denke, das kommt durchaus hin, denn das sieht sich dann noch in der Genese, diese spezifischen Podcast-Folge, weil du bist ja auf Blue Sky relativ aktiv und ich bin da über eine Thread von dir gestolpert und der lief nach dem Motto, für jeden Feff gibt es eine Meinung zur Literatur und Kunstgeschichte.

00:02:31.68
Stefan Sasse
Und dann hast du da mal losgelegt.

00:02:32.86
Stefan Sasse
Ich weiß gar nicht, welche Nummer da jetzt gerade ist, weil das ist ja so ein bisschen ongoing.

00:02:35.73
Christina Dongowski
115, denke ich, glaube ich.

00:02:36.24
Stefan Sasse
Genau, also...

00:02:38.13
Christina Dongowski
Ich glaube, ich will...

00:02:39.68
Stefan Sasse
Ist eine ganze Menge.

00:02:40.38
Stefan Sasse
Du hast 397 Färbs für das Ding mittlerweile.

00:02:42.70
Stefan Sasse
Von daher ist noch ein bisschen was zu tun.

00:02:46.25
Stefan Sasse
Und wir wollen jetzt heute diesen Thread zum Anlass nehmen, weil ich dachte einfach, bei vielen dieser Thesen, das klingt total spannend, aber ich habe keine Ahnung, was du meinst.

00:02:57.70
Stefan Sasse
Und das liegt eben mangels meiner Expertise im Endeffekt und ich dachte, hey, so eine Diskussion über Kunst und Literatur, das würde sich doch echt mal anbieten und ich würde jetzt quasi einfach mit dir durch diesen Spread durchgehen und unsere HörerInnen willens oder unwillens einfach mitnehmen.

00:03:13.08
Stefan Sasse
Und wir diskutieren dann einfach, über was wir hier stolpern und was die Thesen sind und würde da gerne einfach von dir hören, sozusagen ein bisschen mehr als dann der eine Skit an der Stelle, was du dir da gedacht hast.

00:03:25.24
Stefan Sasse
Und es fängt direkt bei der ersten von diesen Thesen an, wo du sagst, die deutschsprachige Kultur und Wissenschaft hat sich bis heute nicht von der Vertreibung und Ermordung jüdischer, linker und queerer KünstlerInnen, SchriftstellerInnen und Geistesmenschen generell durch die konservative und faschistische Kulturfunktionäre und deren Hegemonie seit 1938 befreit.

00:03:42.24
Stefan Sasse
Also da merkt man schon wieder die Wissenschaftlerin, da ist eine ganze Menge Zeug auf relativ kurzem Platz in einer mörderischen Hypotaxe.

00:03:49.19
Stefan Sasse
Also nochmal, die deutschsprachige intellektuellen Szene hat immer noch nicht mit der Vertreibung und Ermordung derjenigen, die die Nazis halt gerne vertrieben und ermordet haben, aufgeräumt.

00:03:59.49
Stefan Sasse
Wie kommst du zu dieser These und auch für mich jetzt spezifisch, warum 38, warum nicht vorher?

00:04:06.93
Christina Dongowski
Ich habe, als ich das geschrieben habe, also das war tatsächlich, das denke ich schon sehr lange.

00:04:16.53
Christina Dongowski
Und deswegen glaube ich, habe ich auch damit angefangen, weil das, was ich dachte, das werde ich auch so schnell nicht abräumen als Meinung.

00:04:28.86
Christina Dongowski
Jetzt konkret, da ist es mir glaube ich eingefangen, weil ich zusammen mit einem Blue Sky-

00:04:35.64
Christina Dongowski
ein Projekt, privat gelehrten Projekt habe, wo wir, wir nennen das Barocktheorie, da müssen wir nicht drüber sprechen, aber wir haben da vor allem Walter Benjamin gelesen, ganz viel.

00:04:48.34
Christina Dongowski
Und von Walter Benjamin bin ich dann auf Franz Rosenzweig, Adorno natürlich, also überhaupt kritische Theorie gekommen.

00:04:56.58
Christina Dongowski
Und deswegen ist es mir, glaube ich, dann gleich als erstes ins Hirn geflogen, als ich dachte, so, was ist meine erste Meinung?

00:05:06.55
Christina Dongowski
1938, weil mit da der Druck und das tatsächliche Wegschließen, Ermorden, Verdrängen, auch Rausschmeißen aus dem Unibetrieb der Leute tatsächlich massiv durchgezogen wird.

00:05:31.88
Christina Dongowski
Und

00:05:33.71
Christina Dongowski
man sich da auch als quasi nicht betroffener Professor zum Beispiel nicht mehr schönreden kann, was da passiert.

00:05:44.08
Christina Dongowski
Und deswegen habe ich 1938 genommen.

00:05:46.26
Christina Dongowski
Wenn jetzt aber jemand sagen würde, ey, 1933, das ist eigentlich der Schlag.

00:05:50.44
Christina Dongowski
Also ja, das ist kein Punkt, über den ich streiten würde.

00:05:54.92
Christina Dongowski
Was ich damit meine ist, ist,

00:05:58.78
Christina Dongowski
wenn man sich ein bisschen auskennt mit der kulturellen Szene und auch sozusagen so wissenschaftlichen Szene, jetzt gar nicht so stark an der Uni, da natürlich auch, aber die Uni war im Deutschen, auch in der Weimarer Republik noch, sehr stark antisemitisch geprägt schon.

00:06:20.22
Christina Dongowski
Das heißt, es war als jüdischer Mensch sehr, sehr schwer, da überhaupt einen Job zu kriegen.

00:06:27.69
Christina Dongowski
Warte, Benjamin zum Beispiel ist nicht habilitiert worden.

00:06:31.60
Christina Dongowski
Was sicher auch damit zu tun hat, dass seine Habitationsschrift auch ein bisschen anspruchsvoll ist, um es mal vornehm auszudrücken, aber sicher auch, weil er ein Jude ist.

00:06:44.76
Christina Dongowski
Aber es gibt eben so einen Bereich so Publizistik, Feuilletonistik, Essayistik, so dieser Austauschbereich zwischen Literaturwissenschaften, Geisteswissenschaften und so,

00:06:56.97
Christina Dongowski
der allgemeinen Kulturwelt.

00:06:59.51
Christina Dongowski
Und da ist ein Niveau erreicht, auch schreiberisch, also was da diskutiert wird, wie die schreiben, was da in Zeitschriften steht, Zeitung, Tageszeitung, Frankfurter Zeitung, das ist die Vorgängerzeitung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

00:07:17.05
Christina Dongowski
Die hatten halt Siegfried Krakauer zum Beispiel als Fötternchef und das ist einfach, das ist ein Niveau, das wird halt wirklich

00:07:27.21
Christina Dongowski
nie wieder erreicht.

00:07:28.07
Christina Dongowski
Und es ist auch immer noch nicht erreicht.

00:07:29.55
Christina Dongowski
Und jetzt kommt natürlich noch dazu, dass sich die kulturelle Situation ja total grundsätzlich verändert hat.

00:07:35.65
Christina Dongowski
Aber da wird sehr aktiv, wird von den Nazis und ihren Freundinnen und Freunden im Kulturbetrieb, werden da Leute rausgeschmissen, bis umgebracht, auch natürlich, um selber an Stellen zu kommen und so, und den Diskurs zu monopolisieren.

00:07:53.72
Christina Dongowski
Und natürlich auch aus rassistischen Gründen und antisemitischen Gründen, was einfach das Diskussionsniveau und auch das Denkkompetenzniveau so massiv abräumt und senkt, dass auch dadurch nicht wieder repariert werden konnte, dass zum Beispiel natürlich Horkheimer Adorno nach 1945

00:08:20.82
Christina Dongowski
wieder zurückgekommen sind, aber sehr, sehr viele sind halt nicht zurückgekommen und sehr viele waren auch einfach tot.

00:08:26.76
Christina Dongowski
Und dadurch fehlt, geht es auch nicht nur um wegen ihrer jüdischen Herkunft verfolgte Menschen, sondern betrifft natürlich auch eine Menge andere Gruppen, dadurch fehlt einfach

00:08:44.72
Christina Dongowski
Eine kulturelle Tradition, die ist also nicht einfach nur weggebrochen, das passiert, sondern die ist wirklich einfach wirklich weggebrochen worden.

00:08:52.34
Christina Dongowski
Und sich auch damit nicht richtig auseinandergesetzt zu haben, sondern sozusagen, dass erst wirklich so ab so 65, 67, 68, dass das mal richtig thematisiert wird, was da passiert ist.

00:09:06.21
Christina Dongowski
Dadurch, ich bin mir unsicher, ob man sowas hätte überhaupt in irgendeinem Sinne reparieren oder aufholen wieder können.

00:09:14.41
Christina Dongowski
Aber ich bin mir ganz sicher, man hätte das sicher ehrlicher, schlauer und auch produktiver machen können, als es gemacht worden ist.

00:09:24.55
Christina Dongowski
Und dem schlappen wir halt einfach immer noch hinterher.

00:09:27.01
Christina Dongowski
Und das lässt sich auch, glaube ich, einfach nicht einholen mehr wieder.

00:09:30.68
Christina Dongowski
Ich glaube, das hat die deutsche Kultur unglaublich geprägt und hat sich richtig grundsätzlich verändert zu allem vorher.

00:09:40.32
Christina Dongowski
Ich höre dich nicht.

00:09:40.98
Christina Dongowski
Nein.

00:09:43.20
Stefan Sasse
Mir ist es vor allem deswegen so ins Auge gesprungen, weil das mal wieder zeigt, dass diese Entwicklungen nicht so fortkommen.

00:09:50.76
Stefan Sasse
Ich meine, 1933, diese sogenannte Machtergreifung, bis 1938 sind ja trotzdem noch mal fünf Jahre, sozusagen, bis diese, ich nenne es jetzt mal, Säuberungen im Kulturbetrieb dann tatsächlich den Grad erreichen, der da dann wirklich für dieses Wegbrechende sozusagen so relevant ist.

00:10:08.36
Stefan Sasse
Und mir ist es deswegen wichtig,

00:10:10.74
Stefan Sasse
Weil im Umgang mit rechtsradikalen Kräften heute ja gerne immer dann drauf verwiesen wird, ja, schau mal, das ist ja alles noch gar nicht so schlimm und so weiter.

00:10:19.23
Stefan Sasse
Ja, und das war halt auch damals noch nicht am Anfang so schlimm.

00:10:21.49
Stefan Sasse
Das ist ein Prozess, der dauert.

00:10:24.13
Stefan Sasse
Und ja, bei vielen wird es auch gar nie so schlimm.

00:10:27.60
Stefan Sasse
Ja, also wenn ich zum Beispiel nach Ungarn schaue oder sowas, klar, die haben massenhaft Leute aus den Universitäten rausgetränkt, die haben da die Mittel gekürzt und so weiter, aber die sind natürlich nie in diese Ermordungsrichtung gegangen oder sowas.

00:10:38.30
Stefan Sasse
Aber mein Punkt ist, du weißt es halt vorher nicht.

00:10:40.16
Stefan Sasse
Ja, also wenn ich quasi eine Bestandsaufnahme mache, 1935, dann kann ich sagen, joa, die haben jetzt halt einige politisch unliebsame Leute daraus gekegelt.

00:10:48.26
Stefan Sasse
Und ja, so als jüdischer Wissenschaftler ist es noch scheißer als vorher.

00:10:51.32
Stefan Sasse
Aber insgesamt ist es gar nicht so dramatisch, wie die hysterischen Leute da immer gesagt haben.

00:10:56.10
Stefan Sasse
Und das ist selbst bei den Nazis ein gradueller Prozess gewesen.

00:11:00.95
Stefan Sasse
Und das wird in der Diskussion in meinen Augen immer sehr, sehr gerne diskutiert.

00:11:05.17
Stefan Sasse
vergessen oder wurde nie gewusst irgendwie.

00:11:07.49
Stefan Sasse
Also da wird immer so dieser Cut gemacht.

00:11:09.71
Stefan Sasse
Ja 1933, da landen diese braunen Aliens und dann ist alles ganz schrecklich und 1945 gehen sie dann wieder.

00:11:15.43
Stefan Sasse
Und wie du schon sagst, diese Aufarbeitung, das ist heutzutage ein Thema, da kriegst du fast nur noch Augenrollen, wenn du davon redest.

00:11:22.14
Stefan Sasse
Aber du hast schon recht, dass das an ganz vielen Stellen einfach nie wirklich passiert ist.

00:11:27.12
Stefan Sasse
Und da ist die Kunst- und Literaturszene mit Sicherheit keine Ausnahme.

00:11:31.04
Christina Dongowski
Ja, also ich glaube, da fällt es halt viel, viel deutlicher auf, weil es da sozusagen so

00:11:35.100
Christina Dongowski
gerade jetzt auch zum Beispiel im Film oder sowas, so sehr strahlende Leute gibt, die dann plötzlich weg sind.

00:11:41.54
Christina Dongowski
Und also sozusagen sehr bekannte Leute sind, die dann weg sind und auch nie wieder kommen.

00:11:45.76
Christina Dongowski
Also sozusagen, ich glaube, da im Kultur- und Literaturbereich kann man es eigentlich besser ganz gut darstellen.

00:11:50.36
Christina Dongowski
Könnte man es ganz gut darstellen, was da eigentlich passiert ist, was halt auch nach 1945 halt passiert ist oder eben nicht.

00:12:00.08
Christina Dongowski
Wenn man zum Beispiel, ich habe ein bisschen im Briefwechsel gesagt,

00:12:04.46
Christina Dongowski
Adorno Horkheimer, Adorno Hannah Arendt, überhaupt so Adorno-Briefwechsel und was Adorno schreibt, als er dann wieder da ist in Frankfurt, dass man sich das ja nicht klar macht, dass er jeden Tag Leute getroffen hat, die hätten vor quasi vor drei bis vier Jahren, zu dem Zeitpunkt, wo er da was schreibt, hätten die ihn da in Frankfurt getroffen, hätten ihn ins KZ geschickt.

00:12:32.93
Christina Dongowski
Und

00:12:33.88
Christina Dongowski
das ist mir jetzt eher sozusagen so richtig nochmal quasi ins Gesicht gesprungen, weil ich jetzt halt sehr viel in dem Bereich wieder lese, wo ich gedacht habe, ja, eigentlich völliger Wahnwitz.

00:12:47.19
Christina Dongowski
Aber so ist es, ja.

00:12:48.74
Stefan Sasse
Ja, das muss schon echt krass gewesen sein für die Leute.

00:12:51.18
Stefan Sasse
Also gar keine Frage.

00:12:54.90
Stefan Sasse
Und dann würde ich eine weiterspringen, beziehungsweise um genau zu sein zu deiner These Nummer drei.

00:12:59.30
Stefan Sasse
Da sagt es nämlich, die Wahlverwandtschaften sind das Beste, was Goethe geschrieben hat und das Einzige seiner Werke, das den Bruch bis zum Anfang des 21.

00:13:06.18
Stefan Sasse
Jahrhunderts bestehender hegemonischer kultureller Traditionen überleben kann.

00:13:10.09
Stefan Sasse
Und ich muss ehrlich sagen, ich habe die Wahlverwandtschaften nie gelesen.

00:13:12.23
Stefan Sasse
Das heißt, ich kann keine Aussage dazu machen, ob das das beste Werk von Goethe ist.

00:13:16.13
Stefan Sasse
Aber was mein Interesse natürlich sofort gekapert hat, war dieser Bruch der bis Anfang des 21.

00:13:22.55
Stefan Sasse
Jahrhunderts bestehende hegemonische kulturelle Tradition.

00:13:25.48
Stefan Sasse
Weil das ist was, das erlebe ich natürlich in meinem beruflichen Alltag permanent.

00:13:29.38
Stefan Sasse
Dass ein kompletter Korpus von Referenzen,

00:13:34.06
Stefan Sasse
Diese ganze bürgerliche Geisteswelt sozusagen, die ist abgekappt.

00:13:38.02
Stefan Sasse
Das sind Dinge, die kannst du nicht mehr voraussetzen, die vor 20 Jahren noch vorausgesetzt worden sind.

00:13:44.02
Stefan Sasse
Das betrifft beispielsweise, nur um ein ganz primitives Beispiel zu nehmen, auch nur grundlegende Bibelkenntnisse.

00:13:50.24
Stefan Sasse
Also ich kann heute, wenn ich in Deutsch Kurzgeschichten lese, da gibt es zum Beispiel diese Geschichte, vielleicht kennst du die Brudermord im Altwasser.

00:13:57.21
Stefan Sasse
Ist so eine Kurzgeschichte.

00:13:57.98
Stefan Sasse
Anyways, aber der Punkt ist, welcher Brudermord wird damit wohl gemeint sein?

00:14:02.37
Stefan Sasse
Und die Klasse um Klasse, da weiß praktisch niemand, wer Kein und Abel waren.

00:14:07.19
Stefan Sasse
Das sind Referenzen, die waren einfach vor einer relativ kurzen Zeit noch ziemlich geläufig.

00:14:11.07
Stefan Sasse
Und das gilt ja auch für ganz, ganz viele andere Sachen.

00:14:13.53
Stefan Sasse
Und deswegen hat es mein Interesse geweckt und ich frage mich, ob du dich quasi auch darauf beziehst, dass sozusagen diese Relevanz und auch dieses Wissen einfach

00:14:23.64
Stefan Sasse
weg ist.

00:14:24.38
Stefan Sasse
Das ist übrigens, möchte ich auch sagen, das ist nicht durch ein Vakuum ersetzt.

00:14:27.60
Stefan Sasse
Anstelle dessen sind komplett andere Wissensbestände getreten und ich möchte auf gar keinen Fall hier in die Diskussion gehen, ist das besser oder schlechter.

00:14:34.44
Stefan Sasse
Das ist einfach nur Fakt.

00:14:36.08
Stefan Sasse
Aber meine Frage ist jetzt quasi, im Endeffekt geht es auch darum und letzten Endes deine These 4 baut da ja auch direkt rein.

00:14:42.84
Stefan Sasse
Ich packe die mit dazu.

00:14:44.12
Stefan Sasse
Wir leben und arbeiten in den Ruinen der bürgerlichen Kultur und Gesellschaftsform und sehr vielen von uns sind diese Hinterlassenschaften auch schon weitgehend unverständlich geworden und vielen auch egal.

00:14:53.47
Stefan Sasse
Und was das tatsächlich bedeutet, wissen wir aber nicht.

00:14:55.69
Stefan Sasse
Und jetzt wäre ich gespannt zu deinen Ausführungen dazu.

00:14:59.17
Christina Dongowski
Also ich sehe das auch so, dass da ein, was noch vielleicht sogar vor zehn Jahren noch vielleicht nicht mehr bei Schülerinnen und Schülern und vielleicht sogar noch gar nicht mehr bei Studierenden noch irgendwie da war, aber was zum Beispiel im Feuilleton noch total präsent war,

00:15:23.22
Christina Dongowski
Oder das klar war, auch wenn ich jetzt inhaltlich vielleicht gar nicht so genau weiß, um was es geht, aber es ist natürlich klar, wer ist Goethe, warum ist der bekannt, warum ist der berühmt, das ist der größte deutsche Geist des Heros.

00:15:36.05
Christina Dongowski
Und wenn ich mich dazu irgendwie, also kritisch zu Goethe äußern, ist okay, das heißt, ich kenne den ja noch, aber zum Beispiel fröhlich zu sagen, puh, ja, ja.

00:15:46.87
Christina Dongowski
keine Ahnung, das wäre damals nicht gegangen.

00:15:49.24
Christina Dongowski
Ich glaube, das ist heute total okay.

00:15:50.98
Christina Dongowski
Was ich auch nicht schlimm finde.

00:15:52.08
Christina Dongowski
Das finde ich, dass Kulturen ändern sich dauernd und da ist jetzt eben das passiert.

00:15:57.74
Christina Dongowski
Und ich bin unter anderem auch drauf gekommen, in Unterhaltung mit dir, weil du mir das ab und zu einmal schon erzählt hast, auf was man sich alles einfach gar nicht mehr verlassen kann.

00:16:08.92
Christina Dongowski
Und das fällt mir natürlich auch auf.

00:16:12.14
Christina Dongowski
Mittlerweile habe ich KollegInnen, die sind...

00:16:16.97
Christina Dongowski
das könnten alles locker meine Kinder sein.

00:16:20.15
Christina Dongowski
Die sind jetzt so Mitte, Ende 20, die haben alle irgendeine Sorte Studium, das entweder tatsächlich sogar selber so geistes- oder sozialwissenschaftlich ist oder halt ein bisschen da näher dran ist.

00:16:34.04
Christina Dongowski
Die lesen alle, die gucken Film und Fernsehen und ich merke, ich kann mit denen locker Stunden über Game of Thrones,

00:16:49.72
Christina Dongowski
den neuesten Romantasy-Burner, was ja alles auch unfassbar dicke Bücher sind, reden, aber die gucken mich interessiert, aber auch, also die wissen nicht, von was ich rede, ich muss ja ganz grundsätzlich werden, wenn ich zum Beispiel tatsächlich über Goethes Wahlverwaltschaften reden würde.

00:17:12.86
Christina Dongowski
Und ich denke, das ist tatsächlich, jetzt ist es soweit, wo glaube ich klar ist, dass es

00:17:19.13
Christina Dongowski
Das verschwindet.

00:17:20.32
Christina Dongowski
Also dieses, was noch vor, sagen wir mal 20 Jahren, absolut undebattierbarer Kanon war, auch wenn sich vielleicht auch schon kein Mensch mehr dafür interessiert war, das ist jetzt noch nicht mal undebattierbarer Kanon, weil ganz viele denken, ja, so be it, interessiert ja kein Mensch.

00:17:40.62
Christina Dongowski
Und verliert natürlich auch sein kulturelles Kapital,

00:17:44.30
Christina Dongowski
Was ich gleichzeitig als Befreiung empfinde für viele Sachen, weil dann kannst du dir die Sachen jetzt angucken, ohne dass du halt so richtig schlimm in so einem bildungsbürgerlichen Dünkel drin steckst.

00:17:55.72
Christina Dongowski
Bei manchen Sachen wird es noch ein bisschen dauern, aber man merkt das schon.

00:17:59.02
Christina Dongowski
Und hier kommt jetzt die Wahlverwandtschaften ins Spiel.

00:18:03.28
Christina Dongowski
Ich glaube, dass ganz viel von Goethe, zum Beispiel der Faust, was das große deutsche Drama war, ich glaube, das sagt kein Mensch mehr was.

00:18:10.48
Christina Dongowski
Und selbst ich, ihr habt das jetzt zigmal gelesen,

00:18:14.72
Christina Dongowski
Ich habe große, bedeutende Faustinszenierungen auf Video mir angeguckt, mein Studium, ich habe Germanistik studiert, da war das natürlich quasi der Kern des Kanons.

00:18:27.33
Christina Dongowski
Es gibt kaum noch Faust-Aufführungen im Theater, das macht fast niemand mehr.

00:18:30.100
Christina Dongowski
Ähm,

00:18:35.75
Christina Dongowski
Selbst ich, die wirklich sozusagen noch mit alles mitgenommen hat, was das bürgerliche Bildungsleben so bringen hatte, ich lese das und es sind Teile drin, wo ich denke, boah, Alter.

00:18:49.63
Christina Dongowski
Und das gilt für ganz viele Sachen, die Goethe gemacht hat.

00:18:52.81
Christina Dongowski
Dann kommt noch dazu, Goethe ist ein ganz grandioser Lyriker.

00:18:55.80
Christina Dongowski
Also wenn ihr jetzt mal denkt, ich will den alten Mann doch nochmal lesen, könnt ihr auch ruhig Gedichte von ihm lesen, die sind toll.

00:19:02.02
Christina Dongowski
aber Lyrik ist halt auch was, was sowieso ist schwierig zu vermitteln und schwierig auch darüber zu sprechen, das ist einfach so, deswegen ist verschwindet was für Lyrik einfach viel, viel leichter als alles andere und ich denke, die Wahlverwandtschaften haben eine gute Chance, sich über diesen Bruch zu retten, wenn wir ein bisschen dabei helfen und sie tragen, aber ich glaube, man kann die auch tragen, weil A, es ist eine völlig absurde

00:19:32.26
Christina Dongowski
total durchgeknallte Dark Romans mit Kindesmord, Überkreuzbeziehungen, eigentlich eine Art Polykül, das sie da versuchen zu bilden, was dann aber natürlich völlig schief geht und am Schluss sind eine Menge Leute tot.

00:19:51.58
Christina Dongowski
Das ist eine Dark Romans Geschichte.

00:19:53.70
Christina Dongowski
Das könnte man

00:19:56.39
Christina Dongowski
sprachlich natürlich ein bisschen anspruchsvoll, aber wie gesagt, wer sich durch Rebecca Yarrow oder Thamsin Moore schiebt, der kann das auch lesen.

00:20:06.48
Christina Dongowski
Der kann das lesen.

00:20:08.30
Christina Dongowski
Und das müsste man nur tatsächlich vom Verlagsseite her einfach gescheit aufbereiten und vielleicht auch ein bisschen mal

00:20:14.78
Christina Dongowski
sozusagen eine Einführung schreiben, ein paar Anmerkungen, über was man jetzt mal vielleicht meckert und vielleicht sogar den einen oder anderen Eingriff in den Textwagen, um da ein bisschen was sozusagen gerade zu ziehen oder rauszuschmeißen oder ein bisschen anzupassen im Stil.

00:20:27.50
Christina Dongowski
Da hätte ich jetzt auch nichts dagegen.

00:20:28.56
Christina Dongowski
Aber weil es ist eine Geschichte, die funktioniert einfach jetzt noch.

00:20:32.70
Christina Dongowski
Da denkst du nicht, oh Gott, was ist denn das für ein Kram?

00:20:36.56
Christina Dongowski
Ich verstehe ja gar nichts, sondern man versteht es ganz gut.

00:20:38.95
Christina Dongowski
wenn man sich sozusagen, das Worldbuilding ist sehr aufwendig gemacht, weil er offensichtlich Goethe schon gedacht hat, ah, ich muss ein bisschen was erklären, damit die Leute auch wissen, in welchen sozialen Kontexten das passiert.

00:20:52.22
Christina Dongowski
Und gleichzeitig ist es auf eine ganz interessante Art und Weise, dämmert da immer die geschichtliche Situation im Hintergrund rum, aber die ist gleichzeitig nicht so super wichtig.

00:21:03.05
Christina Dongowski
Also sozusagen das, was im Text erzählt wird dazu, das reicht, um zu verstehen, was da passiert.

00:21:07.79
Christina Dongowski
Und deswegen denke ich, dass Goethes Waldverwandtschaften da, dass das das sein könnte, was rüberkommt.

00:21:13.47
Christina Dongowski
Und ich finde auch, das ist einfach, ich finde, es ist eine Schande, dass Goethe so wenig Romane geschrieben hat, weil das kann der total gut.

00:21:26.01
Christina Dongowski
Und der hat echt Sinn für das dunkle Untergrundrauschen unter den harmlos daherkommenden Plot.

00:21:37.79
Christina Dongowski
Erstmal.

00:21:38.25
Christina Dongowski
Und deswegen denke ich, also ist es für mich das Beste, was Goethe gemacht hat.

00:21:42.91
Christina Dongowski
Ich lese das unglaublich gerne.

00:21:43.78
Christina Dongowski
Ich habe das zigmal schon gelesen.

00:21:46.13
Christina Dongowski
Ich bin damit auch nicht allein, die das für ein ganz großartiges Meisterwerk halten.

00:21:53.62
Christina Dongowski
Und wie gesagt, ich glaube, das ist das, was den Gründen nichts gesagt hat, dass man das rüberziehen kann, also mitnehmen kann aus den Ruinen und...

00:22:02.64
Stefan Sasse
Ja.

00:22:03.22
Christina Dongowski
in eine Romance-Bibliothek mit einbauen kann, aber muss schon auch ein bisschen verarbeiten.

00:22:09.01
Christina Dongowski
Und vielleicht ist Goethe noch sozusagen, ist das Denkmal, auf dem er steht, immer noch zu hoch, damit sozusagen jemand das tatsächlich macht und sagt, so, jetzt machen wir da irgendwie eine schicke Ausgabe von mit coolem Cover und schön Illusion.

00:22:25.37
Christina Dongowski
Aber machen wir das auf jeden Fall.

00:22:29.27
Stefan Sasse
Ja, aber das bestätigt mich quasi in dieser These, dass hier auf jeden Fall ein Bruch aktuell stattfindet.

00:22:36.74
Stefan Sasse
Und das ist ja auch das, was du weißt, wenn du davon redest, ich finde diese Formulierung so schön, die Ruinen der bürgerlichen Kultur und Gesellschaftsform.

00:22:43.72
Stefan Sasse
Weil das ist ja, das muss man sich ja klar machen, das ist ja tatsächlich was, das hat jetzt roundabout 250 Jahre Bestand gehabt, also Mitte des 18.

00:22:51.70
Stefan Sasse
Jahrhunderts bis jetzt so, würde ich sagen, Ende des, Ende Anfang, Ende 20.

00:22:55.23
Stefan Sasse
Anfang 21.

00:22:55.47
Stefan Sasse
Jahrhundert.

00:22:57.31
Stefan Sasse
Und jetzt erleben wir gerade definitiv den Abschied davon.

00:23:01.31
Stefan Sasse
Ich denke auch kaum, dass das kaum mehr aufzuhalten ist.

00:23:03.99
Stefan Sasse
Ich finde es auch überraschend, wie wenig darüber überhaupt noch gemeckert wird.

00:23:07.59
Stefan Sasse
Du findest gelegentlich so eine Feuilleton-Kolumne oder diese Diskussion, sollte Goethe's Faust noch im Bildungsplan stehen, aber das passiert sehr, sehr wenig gegenüber vielen anderen so kulturpessimistischen Ansichten.

00:23:20.03
Stefan Sasse
Das scheint irgendwie schon so ein bisschen eingepreist.

00:23:22.41
Stefan Sasse
Und es findet ja auch in den Publikationen, die da die

00:23:26.63
Stefan Sasse
üblichen Verdächtigen wären sozusagen auch kaum statt.

00:23:29.84
Stefan Sasse
Also wenn ich zum Beispiel heute in der Welt oder in der FAZ Kolumnen lese oder sowas, die rekurrieren ja selber nicht groß auf diesen Kanon.

00:23:39.02
Stefan Sasse
Die orientieren sich ja ebenfalls massiv an beispielsweise dem Amerikanischen, teilweise ohne es zu merken.

00:23:46.10
Stefan Sasse
Das ist so eine These, die Alexander Clarkson hier im Podcast auch schon vertreten hat, dass gerade zum Beispiel diese Springerpresse, die merken gar nicht, dass sie amerikanische Kulturen und Traditionen übernehmen.

00:23:57.14
Stefan Sasse
Und ganz massiv.

00:23:58.18
Stefan Sasse
Also das sind ja auch so spannende Elemente, die da ablaufen.

00:24:02.11
Stefan Sasse
Von daher ist auf jeden Fall wichtig, da glaube ich drauf zu achten in Zukunft.

00:24:08.18
Christina Dongowski
Ich glaube, das ist auch eine super spannende Situation, wenn man sich diesen kulturpessimistischen Blick darauf verbietet.

00:24:15.89
Christina Dongowski
Weil Kulturen verändern sich halt dauernd, lebendige Kulturen verändern sich.

00:24:20.71
Christina Dongowski
Wir sind kein Museum.

00:24:22.89
Christina Dongowski
Und

00:24:24.92
Christina Dongowski
Deswegen muss sowas einfach passieren.

00:24:27.99
Christina Dongowski
Spannend und faszinierend finde ich, dass ich halt eben auch den Eindruck gehabt habe und noch habe, dass das erst hat sie sich so angeschlichen und dann ist es einfach gefallen.

00:24:38.68
Christina Dongowski
Und das finde ich halt unglaublich spannend und ich finde, mich interessiert sowieso sozusagen das Faszinierende.

00:24:46.54
Christina Dongowski
verschwinden, also das Verschwinden von kanonischem Wissen und kanonischen Figuren, kanonischer Literatur, also wie sich ein Kanon verändert oder tatsächlich sich gar nicht verändert, sondern auflöst.

00:24:58.58
Christina Dongowski
Was, glaube ich, nämlich jetzt passiert, dass sich das auflöst.

00:25:02.80
Stefan Sasse
Du meinst, dass gar keiner mehr existiert?

00:25:04.74
Christina Dongowski
Ja, also sozusagen, dass eben, ich glaube sozusagen, es bilden sich neue Kanones, aber zum Beispiel glaube ich, dass sich überhaupt kein Literatur

00:25:14.93
Christina Dongowski
Kanon mehr bildet, den es noch bis vor ein paar Jahren gegeben hat.

00:25:18.46
Christina Dongowski
Dass sich das nicht mehr, weil das Leute einfach, ich glaube, lebensweltlich einfach gar nicht mehr tangiert.

00:25:25.88
Christina Dongowski
Und gleichzeitig wir vielleicht noch nicht so weit sind, dass wir jetzt sagen, ein kulturell gebildeter Mensch muss einfach drei Sätze über...

00:25:38.20
Christina Dongowski
Dragon Romantasy Jero sagen können, auch wenn sie oder er nichts darüber, kein einziges Buch davon gelesen hat.

00:25:45.53
Christina Dongowski
Also ich glaube, so weit sind wir noch nicht.

00:25:47.69
Christina Dongowski
Kommt vielleicht noch.

00:25:49.39
Christina Dongowski
Vielleicht wird aber auch sowas kommen, dass diese Art sozusagen so ein Kulturzusammenhang von Verbindlichkeit vielleicht erst mal gar nicht mehr da ist.

00:26:00.78
Christina Dongowski
Also das finde ich halt einfach super krass spannend.

00:26:03.92
Christina Dongowski
Und ich glaube halt auch, dass...

00:26:06.32
Christina Dongowski
Ich frage mich halt auch sozusagen, was passiert da eigentlich, dass das so seltsam unthematisiert ist im Feuilleton, weil es ist eigentlich ein super Feuilleton-Thema, wo man eigentlich echt gut drüber schreiben kann und zwar auch ohne kulturkonservativ, kulturkritisch zu werden, dass die jungen Leute ja alle nichts mehr lesen.

00:26:24.80
Christina Dongowski
Also das muss man ja gar nicht sagen, weil es auch gar nicht stimmt.

00:26:29.12
Christina Dongowski
Vor kurzem sind die Zahlen vom deutschen Buchhandelsprojekt

00:26:34.32
Christina Dongowski
Buchverein rausgekommen, dass die Anzahl der Buchkaufenden, und dann gehe ich auch mal auf, die meisten werden das eine oder andere Buch dann auch lesen, was sie gekauft haben, ja, ich denke schon, unter Menschen unter 34, das ist die Gruppe, die im Moment ansteigt als Buchkäuferinnen und Buchkäufer.

00:26:56.13
Christina Dongowski
Und zwar geben die ordentliches Geld für Bücher aus, weil die sich anscheinend alle diese super schön gemachten Sonderausgaben von diesen ganzen Romantasy- und Fantasy-Kram kaufen.

00:27:04.21
Christina Dongowski
Also ich habe das auch schon gemacht.

00:27:06.93
Christina Dongowski
Die sind auch super.

00:27:07.71
Christina Dongowski
Das ist ja auch so bizarr sozusagen.

00:27:09.09
Christina Dongowski
Einerseits Kanon bricht zusammen, gleichzeitig ist es eine völlige Renaissance der Buchmacherkunst.

00:27:19.15
Christina Dongowski
Superschön geprägte Einbände, Lesebändchen,

00:27:24.58
Stefan Sasse
Farbschnitte.

00:27:24.98
Christina Dongowski
Farbschnitte, Farbschnitte, wo dir nichts mehr zu einfällt, also wie aufwendig die sind.

00:27:31.48
Christina Dongowski
Goldprägungen, Folien, Umschläge, die, wenn du die abziehst, kommt noch ein neues Bild raus und all so Kram.

00:27:39.75
Christina Dongowski
Und die Leute, wenn man ein bisschen auf Booktalk rumspringt, die Leute kennen sich da auch richtig mit aus.

00:27:44.59
Christina Dongowski
Da sitzen dann irgendwelche Anfang 20-jährige, total hübsch zurechtgemachte Mädchen, äh, junge Frauen und erklären dir, was das für eine Art, äh,

00:27:54.54
Christina Dongowski
Technik ist, wie die da diesen Faspen draufgekriegt haben und so.

00:27:57.05
Christina Dongowski
Und ich denke so, ah, das ist aber interessant, was hier passiert.

00:28:00.73
Christina Dongowski
Und die wissen zum Teil da mehr drüber, als ganz viele Leute, denke ich mal, als ganz viele LiteraturredakteurInnen, die sich denken, oh Gott, dieser Moment ist ja scheiße.

00:28:12.35
Christina Dongowski
Kann man auch echt geteilter Meinung zu sein, aber das ist was ganz Interessantes, was da passiert.

00:28:18.31
Christina Dongowski
Da macht es ja auch niemand unter 400 Seiten.

00:28:20.51
Christina Dongowski
Da sind ja alle gelangweilt, wenn das Buch nicht mal mindestens 400 Seiten hat.

00:28:24.82
Christina Dongowski
Also das finde ich eine total interessante Entwicklung, die, meine ich, irgendwie zusammengehört und es ist super spannend, das zu beobachten, ohne sich eben dazu zu zwingen, sich nicht so schnell Meinungen zuzubilden, außer zu sagen, das ist jetzt, glaube ich, wirklich einfach die Ruin der bürgerlichen Kultur und es ist halt, wie es ist.

00:28:43.80
Christina Dongowski
Ja.

00:28:45.68
Stefan Sasse
Ich glaube, dazu passt auch deine These Nummer 11.

00:28:48.62
Stefan Sasse
Da benutzt du den Begriff Midkalt, also der Mittelkult sozusagen oder Mittelkultur.

00:28:55.73
Stefan Sasse
Den müsstest du gleich ein bisschen erklären, aber du sagst, die Begriffsgeschichte von Midkalt ist mysogyn und hat den Begriff so stark geprägt, dass auch die Betitelung von Kehlmann etc.

00:29:04.21
Stefan Sasse
als Midkalt daran nichts ändert.

00:29:06.39
Stefan Sasse
Um was geht es da?

00:29:08.51
Christina Dongowski
Mitgehalt, das ist, wie das Wort schon verrät, ist es kein deutscher, englischer Deologismus, sondern es kommt wirklich tatsächlich ganz, ganz ursprünglich aus dem Englischen und ist da auch ein relativ alter Begriff in der kulturellen, polemischen Debatte auch.

00:29:28.41
Christina Dongowski
Das ist aus den, meine ich, 30ern, 40ern.

00:29:33.11
Christina Dongowski
Das sagt ein sehr berühmter englischer Begriff,

00:29:37.21
Christina Dongowski
britischer, englischer Literaturkritiker, dessen Namen jetzt leider entfallen ist, sagt das in einer Besprechung zu diesem, was wir jetzt mittlerweile sozusagen das Golden Age der Krimis und Detektivromane nennen.

00:29:54.00
Christina Dongowski
Und sagt das da über dieses Frauen-Triumphirat, die dieses Genre in den 30er, 40er und 50ern einfach total dominiert haben.

00:30:03.09
Christina Dongowski
Also eben Algartha Christie, Dorothy L. Sayers,

00:30:05.98
Christina Dongowski
Gaio Marsh, Margaret Cunningham und die, und da geht es vor allem auch um Agatha Christie, aber auch um Dorothy L. Seas und der Vorwurf ist, ähm, bitte?

00:30:19.60
Stefan Sasse
Das ist nicht richtig.

00:30:20.04
Stefan Sasse
Das ist nicht richtig.

00:30:24.01
Christina Dongowski
Also der Vorwurf, nee, der Vorwurf an, ist sozusagen, da tun, eigentlich ist es ja,

00:30:31.21
Christina Dongowski
Unterhaltungsliteratur, die man einfach so weglesen kann, Genre, total durchformatiert, also im Sinne von sozusagen festgelegte Tropen und das muss immer so passieren und der Detektiv hat halt diese Tics oder die Detektivin und dann erkennt man das halt.

00:30:45.45
Christina Dongowski
Von der Beschreibung ja gar nicht schlecht, was der macht.

00:30:48.83
Christina Dongowski
Man merkt auch, dass der die unglaublich viele gelesen hat und auch ganz sicher wegliest und sagt auch, er macht das total Spaß, das zu lesen, die Leute sollen das auch lesen, aber die hätten alle solchen Anspruch,

00:31:00.79
Christina Dongowski
indem sie Sachen psychologisieren und irgendwelche kulturellen Sachen mit reinbringen.

00:31:06.59
Christina Dongowski
Manchmal auch solche Meta-Ebenen.

00:31:08.76
Christina Dongowski
In diesen Krimis wird ja ganz oft darauf reflektiert, dass das, was ein Krimi ist und dass es jetzt so ist, als wäre man in einem Krimi.

00:31:15.68
Christina Dongowski
Man ist ja tatsächlich in einem Krimi.

00:31:18.20
Christina Dongowski
Und dadurch würden so prätentiö... Also wäre das quasi so, die möchten richtige Literatur sein.

00:31:25.32
Christina Dongowski
Also Literatur, Literatur nennen wir das mal.

00:31:27.58
Christina Dongowski
Und das nennt er...

00:31:30.10
Christina Dongowski
Also es ist nicht richtig avantgardistisch, es bekennt sich nicht richtig dazu eigentlich Groschenliteratur zu sein, um es mal sehr hart auszudrücken, sondern das hängt halt sozusagen, das ist so eine Literatur, die so literarisch, kulturell tut, aber eigentlich ist das Gebrauchsliteratur.

00:31:54.98
Christina Dongowski
Er macht das eben an diesen Krimiautorinnen an, aber das lässt sich auch auf ganz viel anderes Zeug übertragen.

00:32:01.14
Christina Dongowski
Und das ist dann passiert.

00:32:04.60
Christina Dongowski
Vor ein paar Jahren hat Moritz Basler dieses Buch geschrieben, das heißt irgendwie mitkalt, wo er sich auch zum Teil sehr berechtigt darüber aufregt und auch darstellt, dass sowas zum Beispiel wie Kehlmann, das wird hochgejubelt, als würden wir hier über ein Niveau von

00:32:25.49
Christina Dongowski
Goethe, James Joyce, also sozusagen wirklich Oberkante-Kanon reden.

00:32:33.49
Christina Dongowski
Tatsächlich ist das aber nur, sei das aber nur aufgehübschte Unterhaltungsliteratur.

00:32:40.29
Christina Dongowski
Mit sozusagen mit bildungsbürgerlichem Dekor angereicherte Unterhaltungsliteratur.

00:32:46.19
Christina Dongowski
Ich finde das als Analyse und als Meinung, da ist auch was dran.

00:32:51.54
Christina Dongowski
Ähm,

00:32:53.68
Christina Dongowski
Was ich schwierig finde, ist, es mit diesem Begriff zu verbinden, weil dieser Begriff kommt, also sozusagen, der ist benutzt worden, um Autorinnen abzuwerten.

00:33:03.78
Christina Dongowski
Da kommt der her und er ist auch dazu benutzt worden, Leserinnen abzuwerten, weil Frauen sind die Säulen der Lesekultur.

00:33:15.17
Christina Dongowski
Nicht nur als Autorin, sondern vor allem als Käuferin und Leserin.

00:33:19.35
Christina Dongowski
Also wenn Frauen aufhören würden, Bücher zu kaufen, da wäre ich aber...

00:33:24.50
Christina Dongowski
das Buchwesen sehr schnell vorbei.

00:33:31.31
Christina Dongowski
Und darauf bezieht sich eben Mitkoll sozusagen auch zu sagen, ja, das sind so Prätentionen auf Kultur, die halt diese ganzen Hausfrauen da haben, aber eigentlich ist das ja gar keine richtige Kultur.

00:33:41.61
Christina Dongowski
Und deswegen denke ich, die Analyse an, was der dran will, der Basler,

00:33:48.47
Christina Dongowski
Das finde ich richtig, da muss man mal drüber reden und auch sich angucken, was da eigentlich auch im Verhütung passiert.

00:33:53.98
Christina Dongowski
Diese seltsamen Bewertungsausschläge oder Sachen, wo man einfach sagt, naja, das ist halt einfach ein historischer Roman.

00:34:03.82
Christina Dongowski
Und es wäre sinnvoller, den mit anderen historischen Romanen zu vergleichen, anstelle jetzt so zu tun, als hätten wir ein literarisches Meisterwerk da am Start.

00:34:11.43
Christina Dongowski
Und wenn es ein literarisches Meisterwerk ist, was ja sein kann, warum soll ein historischer Roman kein literarisches Meisterwerk sein?

00:34:17.43
Christina Dongowski
Da gibt es welche.

00:34:20.43
Christina Dongowski
was macht ihn zu einem literarischen Meisterwerk?

00:34:22.18
Christina Dongowski
Und es kann nichts dazu sein, dass Daniel Kehlmann sich sehr fleißig in Archiven umgetan hat und lustige Anekdoten über Gauss und Alexander Humboldt kennt.

00:34:33.36
Christina Dongowski
Und da finde ich es sehr unglücklich, dass da mit diesem Buch, mit diesem Begriff romantiert worden ist.

00:34:42.73
Christina Dongowski
Während der gleichzeitig

00:34:44.100
Christina Dongowski
auf was guckt und geht, was, glaube ich, stimmt.

00:34:49.12
Christina Dongowski
Also da ist was, da passiert was Interessantes und wahrscheinlich kann man das sogar, wenn ich jetzt so drüber rede, auch in dieses, wo wir eben drüber gesprochen haben, mit reinordnen, dass da

00:35:03.77
Christina Dongowski
bildungsbürgerliche Glitzerfetzen noch rumfliegen und die dann nochmal da dran gepackt werden.

00:35:09.61
Christina Dongowski
Aber eigentlich schon niemand mehr so richtig weiß, was das eigentlich mal bedeutet hat oder da wirklich eine Beziehung zu hat.

00:35:21.07
Stefan Sasse
Ich erinnere mich deswegen dran, weil der Johannes Franzen da ja auch ein komplettes Kapitel in seinem grandiosen Buch Wut und Wertung hatte.

00:35:28.70
Stefan Sasse
Falls das noch nicht gelesen worden ist, sollte man das unbedingt noch nachholen.

00:35:33.76
Stefan Sasse
Und er hat ja auch über den Midkult gesprochen oder Midkalt.

00:35:37.80
Stefan Sasse
wollte ich das hier an der Stelle nochmal aufgreifen.

00:35:39.36
Stefan Sasse
Und ich denke auch, dass gerade diese Herabwürdigungen sozusagen von bestimmten literarischen Formen, ich wollte jetzt vorher schon polemisieren und sagen, ja, das ist halt das Zeug, was zu viel Spaß macht letzten Endes.

00:35:50.34
Christina Dongowski
Ja, da ist auch was dran.

00:35:51.45
Stefan Sasse
Ja, Literatur und Kunst, die darf auf gar keinen Fall unterhaltsam sein.

00:35:55.47
Stefan Sasse
Das merkst du auch immer ganz klar, wenn so die große Lektion, die ich aus dem Deutschstudium mitgenommen habe, ja, also sobald du in irgendeiner Art und Weise Lesegenuss hast, das ist keine Kunst, ja.

00:36:07.11
Stefan Sasse
Das muss wehtun beim Umblättern, sozusagen.

00:36:11.56
Stefan Sasse
Also da muss ein Kampf sein, Arbeit sozusagen.

00:36:16.30
Stefan Sasse
Und es sind natürlich diese Bücher nicht, also diese Dark Romance Novels oder wie auch immer, egal wie gut die geschrieben sind oder was vermutlich dann auch unter Midkalt fällt, eben die Game of Thrones Bücher.

00:36:28.19
Stefan Sasse
Ja, weil die sind ja auch einfach ganz, ganz großartig und ich denke auch wirklich, ich schäme mich schon ein bisschen den Begriff zu verwenden, aber ich halte die schon auch für große Literatur irgendwo, ja, aber sie lesen sich halt auch noch gleichzeitig schön und das macht sie dann natürlich problematisch.

00:36:43.82
Christina Dongowski
Ja, aber man müsste halt natürlich auch, also der Johannes Franzen, der spricht ja da auch sehr ausführlich drüber, diese seltsame Idee, warum eben das Umblässern wehtun muss und man sich halt durch den Bruch kämpft.

00:36:57.25
Christina Dongowski
Und ich hoffe tatsächlich, also ich würde mal gern beobachten, was eben passiert, wenn Leute gar nicht mehr wissen, dass Moby Dick zum Beispiel eine der Ikonen der

00:37:13.25
Christina Dongowski
die Hochliteratur ist.

00:37:15.39
Christina Dongowski
Geschrieben worden ist das ja gar nicht als Ikone der Hochliteratur.

00:37:18.74
Christina Dongowski
Maybe wollte was ganz anderes, als er wollte einen Walfängerschmöker daraus machen.

00:37:23.52
Christina Dongowski
Und es ist es gleichzeitig auch.

00:37:25.54
Christina Dongowski
Und ich frage mich, was passiert, wenn immer mehr Leute nicht wissen, dass sie unglaubliche Hochachtung vor diesem Buch haben müssen, sondern sich einfach denken, ah, Walfänger,

00:37:36.77
Christina Dongowski
Monsette und am Schluss sind alle tot.

00:37:39.15
Christina Dongowski
Interessant, das liest du mal.

00:37:40.79
Christina Dongowski
Bei mir ist das passiert, eine Kollegin von mir, die ist eine unglaubliche, die haut diese Romantiz-Sachen weg.

00:37:50.32
Christina Dongowski
Ich lese auch viel, aber die haut dann pro Woche Seiten weg.

00:37:54.06
Christina Dongowski
Da denke ich mir, wow.

00:37:56.10
Christina Dongowski
Und die hat mich gefragt, ob denn Moby Dick was für sie wäre.

00:38:00.64
Christina Dongowski
Und ich habe dann erst mal so gedacht, ah, das ist jetzt interessant.

00:38:03.74
Christina Dongowski
Was sagst du denn jetzt?

00:38:05.10
Christina Dongowski
Weil ich finde,

00:38:07.38
Christina Dongowski
wer eben Locked Tomb lest, der kann Moby Dick lesen.

00:38:12.12
Christina Dongowski
Und ich sage so, ja, ist natürlich ein alter Roman, merkt man halt an der Sprache.

00:38:16.94
Christina Dongowski
Das kann schwierig werden an manchen Stellen, aber ich finde das super, ich mag das total gern.

00:38:22.90
Christina Dongowski
Mach dir halt klar, es gibt keine Liebesgeschichte, nur Männer auf diesem Schiff.

00:38:26.86
Christina Dongowski
Es gibt eine Art Liebesgeschichte, aber die ist halt eben zwischen zwei Männern, aber sonst nicht.

00:38:31.27
Christina Dongowski
Und eben altertümliche Sprache zum Teil.

00:38:35.00
Christina Dongowski
Aber das ist super.

00:38:36.48
Christina Dongowski
Natürlich kannst du das lesen.

00:38:38.21
Christina Dongowski
Und ich habe ihr versucht, gar nichts dazu zu sagen, dass es, wie gesagt, einfach der große amerikanische Roman ist.

00:38:47.29
Christina Dongowski
Und ja, dann hat sie es gelesen.

00:38:50.61
Christina Dongowski
Und hat auch ein bisschen gekämpft.

00:38:52.21
Christina Dongowski
Hat halt auch gesagt, puh, ja, altertömeische Sprache und so.

00:38:54.53
Christina Dongowski
Und dann habe ich gesagt, ja, aber guck mal im Internet, es gibt super gute Kommentare dazu, wo Sachen erklärt werden.

00:39:02.03
Christina Dongowski
Und das hat sie dann auch gemacht.

00:39:03.37
Christina Dongowski
Und er hat das gefallen.

00:39:05.89
Christina Dongowski
Die mochte das.

00:39:07.99
Christina Dongowski
Und dann dachte ich so, puh, okay, vielleicht sollte man einfach verschweigen, auch dass James Joyce Ulysses eines der großen Ikonen der modernistischen Literatur ist, sondern dass das einfach ein ganz interessanter, spannender, zum Teil unfassbar witziger,

00:39:29.50
Christina Dongowski
aber auch trauriger Roman ist, wie so ein Mann und seine Frau Anfang des 20.

00:39:36.05
Christina Dongowski
Jahrhunderts so einen Tag in Dublin erleben.

00:39:38.31
Christina Dongowski
Und was man da so erlebt, wenn man Anzeigenverkäufer ist und sie ist Opernsängerin und man hat einen schwierigen jungen Freund, den man aus schwierigen Situationen rausholen muss und lauter so Kram.

00:39:49.89
Christina Dongowski
Weil das ist Ulysses.

00:39:51.36
Christina Dongowski
Und ich frage mich halt auch, wenn man sozusagen das Ding...

00:39:54.68
Christina Dongowski
wenn diese Bücher sozusagen ihren Nimbus verlieren, weil den keiner mehr kennt, kriegen die vielleicht sogar eine zweite Chance, dass sie mal von Leuten gelesen werden, also ohne diese Schmerzen, dass man halt klar ist, ja, das kann ich halt lesen und wenn es mir nicht gefällt, breche ich es halt ab, auch egal.

00:40:10.10
Christina Dongowski
Ja,

00:40:11.73
Stefan Sasse
Ich meine, wir reden hier natürlich immer noch von einem sehr, sehr bildungsaffinen Publikum.

00:40:16.29
Stefan Sasse
Also du nimmst ja Moby Dick auch dann nur in die Hand, wenn du über ein gewisses Grundniveau schon verfügst.

00:40:22.15
Stefan Sasse
Aber es wäre zumindest eine etwas größere Lesendenschaft als Null.

00:40:24.90
Christina Dongowski
Ja, es wäre ein großer Leser.

00:40:27.78
Christina Dongowski
Und ich frage mich, ich habe sie dann gefragt, wie sie denn auf Moby Dick gekommen ist, weil von mir hat sie es nicht.

00:40:32.23
Christina Dongowski
Also sozusagen, ich gehe nicht mit T-Shirt auf die Arbeit, wo draufsteht, Moby Dick, the greatest book ever written.

00:40:38.11
Christina Dongowski
Und jetzt gesagt über BookTok.

00:40:43.19
Christina Dongowski
Es gibt eine Menge Videos auf BookTok.

00:40:46.95
Christina Dongowski
Ich habe dann mal danach gesucht.

00:40:48.60
Christina Dongowski
Und es gibt tatsächlich eine Menge Leute, die machen BookTok-Videos dazu, die

00:40:56.58
Christina Dongowski
welche Bücher sie in der Schule gelesen haben und ihnen gefallen haben.

00:41:02.96
Christina Dongowski
Welche Bücher sie dann jetzt nochmal gelesen haben und in der Schule fanden sie es doof und jetzt haben sie es ihnen super gefallen.

00:41:08.90
Christina Dongowski
Und da kommt Moby Dick.

00:41:10.68
Christina Dongowski
Richtig oft vor.

00:41:12.50
Christina Dongowski
Und daher hat die das ganz sicher.

00:41:14.100
Stefan Sasse
Wer liest denn Moby Dick in der Schule?

00:41:16.58
Stefan Sasse
Das ist krass.

00:41:17.74
Christina Dongowski
Das war glaube ich Uni.

00:41:18.58
Christina Dongowski
Die haben es an der Uni gelesen.

00:41:19.98
Christina Dongowski
Oder Auszüge oder so.

00:41:21.04
Christina Dongowski
Die werden damit natürlich auch konfrontiert.

00:41:22.44
Christina Dongowski
Gerade so amerikanische Leute, glaube ich, werden dann schon immer nochmal überkommen.

00:41:25.26
Stefan Sasse
Amerikanistik bestimmt, ja.

00:41:30.95
Christina Dongowski
Und so kommt das auch.

00:41:31.67
Christina Dongowski
Da wird ja auch, da gibt es ja auch sozusagen eine Renaissance von Virginia Woolf, weil das junge Frauen in die Kamera halten und sagen, glücklicherweise, das sind super Bücher, lest die.

00:41:44.19
Christina Dongowski
Und die haben natürlich noch den Vorteil, dass die alle nicht so furchtbar dick sind von Virginia Woolf, was bei anderen Sachen halt eben anders ist.

00:41:50.73
Christina Dongowski
Aber wie gesagt, Seitenumfang schreckt da ja mittlerweile auch niemanden mehr, ja.

00:41:55.58
Christina Dongowski
Und da kommt das her.

00:41:58.94
Christina Dongowski
Und ich finde, das ist auch etwas Interessantes, was auf Booktop passiert, weil du da alles reingespielt kriegst und quasi allein durch die Tatsache, dass du alles auf demselben Miniscreen siehst und dir Leute in ganz ähnlichen Formaten, in ganz ähnlichen Sprechstil, mit einer ganz ähnlichen Hand immer das Ding in die Kamera halten oder so Stapel bilden,

00:42:24.29
Christina Dongowski
solche wilden Ritte durch Genres und auch sozusagen auch Niveaus, nenne ich es jetzt mal, gemacht wird, dass sich da vielleicht sozusagen irgendwann demnächst kanonisiert, dass man halt Moby Dick gelesen haben sollte, aber eben auch die Tribute von Panem und Game of Thrones und natürlich Herr der Ringe und Ursula Le Guin.

00:42:55.01
Christina Dongowski
Also ich denke, da denke ich, kommt das her, ist sie da dran geraten?

00:43:00.72
Christina Dongowski
Und ich dachte so, boah, wenn es dafür gut ist, macht mehr davon.

00:43:03.80
Christina Dongowski
Vielleicht sollte ich einfach auch ständig Videos machen darüber, dass Goethes Wahlverwandtschaften die wildeste Dark Romance der deutschen Untertagsgeschichte ist.

00:43:11.66
Christina Dongowski
Sollte ich vielleicht mal probieren.

00:43:13.20
Stefan Sasse
Tu das, tu das, ja, also hau da gerne rein.

00:43:16.66
Stefan Sasse
Ich würde jetzt gerne einen kleinen Rant dich zwischenschieben lassen, weil du hast in 17 und 18 kackst du dich über die deutsche Sachbuchlandschaft aus.

00:43:26.44
Stefan Sasse
Die deutschsprachige Verlagslandschaft im Bereich Sachbuch ist mit wenigen Ausnahmen ein schlechter Witz und die gestalterische, typografische und buchdrucketische Qualität gedruckte Bücher lässt gerade im Sachbuchbereich massiv nach.

00:43:28.43
Christina Dongowski
Vielen Dank.

00:43:39.55
Stefan Sasse
Da würde ich mich jetzt fragen, wo liegt das Problem mit deutschen Sachbüchern?

00:43:41.91
Stefan Sasse
Nicht, dass ich dir nicht zustimmen würde, ich lese fast nur Englische, aber was ist deine These, was würdest du sagen, warum haben wir ein Problem auf dem deutschen Sachbuchmarkt?

00:43:50.24
Christina Dongowski
Also warum kann ich, also ich kann es nur beschreiben, was für mich das Problem ist.

00:43:54.72
Christina Dongowski
Ich habe tatsächlich nur sehr wenige Ideen dazu, an was das liegt, außer natürlich, da werden die Dinge, die auf den, da wird sicherlich auf Verkaufszahlen geguckt werden.

00:44:08.22
Christina Dongowski
Ich lese total gerne das, was auf Deutsch Sachbuch heißt.

00:44:12.28
Christina Dongowski
Ich finde das englische Non-Fiction eigentlich ein bisschen cooler.

00:44:16.93
Christina Dongowski
Nicht, weil es englisch ist, sondern weil es einfach viel breiter aufmacht.

00:44:20.18
Christina Dongowski
was das sein kann.

00:44:22.56
Christina Dongowski
Und eben halt auch klar macht, dass eben da nicht nur so superpopuläre Knüller wie Darmid Charme dabei sind, sondern eben halt auch eine bedeutende Frühneuzeithistorikerin schreibt ein Buch über den Deutschen Bauernkrieg, das für Laien, gebildete Laien geschrieben ist.

00:44:46.17
Christina Dongowski
Oder eben ein

00:44:49.58
Christina Dongowski
super toller amerikanischer Sachbuchautor, hat ein ganz tolles Buch, das heißt The Wager, das ist ein ganz tolles Buch über Walfang.

00:45:02.61
Christina Dongowski
Und er kommt inspiriert von Moby Dick natürlich, aber da geht es halt eben, es ist ein reales Schiff, also sozusagen der rekonstruiert so eine Schiffskatastrophe, die tatsächlich passiert ist und die auch eine Inspiration für Melville gewesen ist, für Moby Dick.

00:45:17.51
Christina Dongowski
Und es ist halt

00:45:20.26
Christina Dongowski
Einerseits historisches Buch, ein bisschen Reportagestil.

00:45:23.96
Christina Dongowski
Da sitzt super viel Recherche drin.

00:45:28.12
Christina Dongowski
Und sowas findet man super easy im englischsprachigen Raum.

00:45:33.92
Christina Dongowski
Ich lese das total gerne.

00:45:36.40
Christina Dongowski
Und ich bin auch ganz sicher, dass ich das auch auf Deutsch schon alles gelesen habe.

00:45:41.94
Christina Dongowski
Also diese Art Sachbuch.

00:45:44.71
Christina Dongowski
Historisches Thema, Politik, wissenschaftliches, politisches Thema...

00:45:49.33
Christina Dongowski
kulturwissenschaftliche Sachen oder kulturgeschichtliche Sachen.

00:45:54.34
Christina Dongowski
Und ich bin mir, ich schwöre, dass ich das bis ich so 30, also jetzt lassen wir es mal 20 Jahre her sein, dass es sowas auch gar nicht selten auf Deutsch gab, also von deutschen AutorInnen, Barbara Tuchmann zum Beispiel, über die Habsburger, ähm,

00:46:18.48
Christina Dongowski
Das war total super.

00:46:19.66
Christina Dongowski
Ich erinnere leider überhaupt nicht mehr Namen, aber das war ein ganz großartiges Buch über die Kreuzzüge.

00:46:24.14
Christina Dongowski
Das war ein deutscher Autor.

00:46:27.20
Christina Dongowski
Und dass das mittlerweile, zumindest das, was ich in Buchhandlungen sehe, ich gehe viel in Buchhandlungen, und was ich mir so angucke auf, was muss man, also sozusagen,

00:46:42.31
Christina Dongowski
die Sachbuchtipps und die Sachbuchburner dieser Saison und was beim Deutschen Sachbuchpreis ausgezeichnet wird.

00:46:50.25
Christina Dongowski
Die suchen ja nach so Zeug, das merkt man auch.

00:46:52.09
Christina Dongowski
Da sind dann immer mal Sachen dabei, wo ich denke, ah ja, das lese ich jetzt.

00:46:56.29
Christina Dongowski
Aber dass es wirklich wegbröselt oder weggebröselt ist zu so... Also diese ganzen scheiß Debattenbücher, die gehen mir sowas von auf den Zeiger.

00:47:06.09
Christina Dongowski
Ah ja, ähm...

00:47:06.74
Stefan Sasse
Was ist ein Debattenbuch?

00:47:09.60
Christina Dongowski
wir sind alle zu woke, wir sind alle nicht woke genug, der Russe wird uns alle töten, wir müssen freundlich zu den Russen sein.

00:47:20.62
Christina Dongowski
Wo man genau merkt, das war mal vielleicht eine Zeitungskolumne und dann hat irgendein Verlagsmensch gedacht, ah ja, es hat jetzt so viele Klicks geregt, dann machen wir jetzt ein Buch raus und dann hast du da irgendein ganz lommelig läppisches Buch, irgendwie 150 Seiten, wo du denkst, meine Güte, this could have been an E-Mail.

00:47:36.78
Stefan Sasse
Mhm.

00:47:37.40
Christina Dongowski
Und

00:47:39.49
Christina Dongowski
Das ist was, das verstopft tatsächlich einfach auch den Buchhandel und die Produktionskanäle bei den Verlagen.

00:47:46.59
Christina Dongowski
Da wird dann halt auch Marketing draufgeknallt, was dann wieder dazu führt, dass andere Bücher, die eher in meinen Bereich, also in mein Geschmacksprofil fallen, was ich gerne lesen würde, halt einfach gar nicht mehr auftauchen.

00:48:02.02
Christina Dongowski
Zum Beispiel Johannes Franzens Guten Wertung.

00:48:04.20
Christina Dongowski
Das ist so ein Buch, wo ich denke, so sollte es lauter deutsche Sachbücher geben.

00:48:07.60
Christina Dongowski
Das ist super.

00:48:09.41
Christina Dongowski
Es ist schlau, es ist witzig, es geht tatsächlich auch hier um Sachen, wo man schon alles mal was von gehört hat und wo man auch selber Gedanken zu machen kann und auch Meinungen hat.

00:48:21.33
Christina Dongowski
Es ist auf einem sehr guten, auch wissenschaftlichen Niveau und gleichzeitig kannst du das super gut lesen.

00:48:27.57
Christina Dongowski
Und das... Bitte?

00:48:27.84
Stefan Sasse
Was fällt ihm ein?

00:48:28.28
Stefan Sasse
Was fällt ihm ein?

00:48:31.35
Christina Dongowski
Ja, ja.

00:48:33.17
Christina Dongowski
Und solche Bücher wären halt quasi...

00:48:38.36
Christina Dongowski
verdrängt und zugeschüttet in der Wahrnehmung halt auch von diesem ganzen, also was ich jetzt Debattebücher nenne.

00:48:47.21
Christina Dongowski
Und dann halt dieses ganze lebenshilfliche, ins lebenshilflich gedrehte Sachbuch aus der Naturwissenschaft oder so, wo ich denke, ja, das ist auch alles ganz interessant, aber ich würde jetzt eigentlich gern mal was wissen über ein wissenschaftliches, ein populärwissenschaftliches Buch über

00:49:09.75
Christina Dongowski
Wale, das ist ja das große Thema heute, oder über Moore oder irgendwie sowas.

00:49:17.49
Christina Dongowski
Moore haben wir jetzt gerade im Moment, da gibt es jetzt ein paar Bücher, aber das ist was, was ich finde, dass es ist ganz schön unter die Räder gekommen und ist vielleicht auch, gehört das da rein, dass ich vielleicht

00:49:35.03
Christina Dongowski
auch so eine Entmoräne bin für Leute, die sich sowas interessieren.

00:49:37.43
Christina Dongowski
Gleichzeitig denke ich mir aber, naja, englischsprachiger Sachbuchmarkt sieht halt auch anders aus.

00:49:41.83
Christina Dongowski
Also sozusagen, da laufen diese Dinger ja.

00:49:44.96
Christina Dongowski
Das heißt, es ist vielleicht nicht nur, dass die bürgerliche Kultur zusammengebrochen ist, sondern es ist vielleicht noch was anderes, Deutsches.

00:49:53.72
Christina Dongowski
Kann ich aber tatsächlich echt nicht viel zu sagen, was da eigentlich los ist.

00:49:59.22
Christina Dongowski
Und ob da nicht so grundsätzlich vielleicht auch die Verkaufszahlen so schlecht mittlerweile sind, dass die halt gucken müssen, dass sie

00:50:05.18
Christina Dongowski
irgendwas Kohle machen?

00:50:06.23
Christina Dongowski
Keine Ahnung, das weiß ich tatsächlich nicht.

00:50:08.48
Christina Dongowski
Und was man sieht, also jemand, der natürlich einerseits dieses klassische Sachbuch, aber auf einem zum Teil sehr hohen wissenschaftlichen Niveau hochhält, ist natürlich so kaum.

00:50:21.93
Christina Dongowski
Das sind aber gleichzeitig auch Sachen, wo ich denke, hier hätte vielleicht der eine oder andere Lektoratseingriff auch ganz gut getan.

00:50:29.07
Christina Dongowski
Aber da merkt man,

00:50:29.98
Stefan Sasse
Oder auch Cover, die so aussehen, als würde ich dieses Buch nicht als Anti-Wackelhilfe für meinen Tisch verbrauchen wollen.

00:50:39.43
Christina Dongowski
Also ich mag es ja sozusagen, dieses total zurückgenommen, wir sind schwarz, wir haben dann maximal mal gelb oder rot als Farbe im Titel.

00:50:48.51
Christina Dongowski
Ich mag das ja, also dieses sozusagen, wir sind so schlau, wir brauchen gar keine Bilder auf unserem Cover.

00:50:53.67
Christina Dongowski
Das mag ich ja ein bisschen, aber gleichzeitig merkt man jetzt halt bei denen auch, die machen jetzt anscheinend ganz viel zu Book-on-Demand, Print-on-Demand-Sachen.

00:51:01.54
Stefan Sasse
Mhm.

00:51:02.33
Christina Dongowski
Und ich habe jetzt sozusagen einen Vergleich gehabt, ich habe zwei

00:51:08.03
Christina Dongowski
Vor drei, vier Jahren habe ich eine Übersetzung gemacht, wo ich ganz viel mit Adorno gearbeitet habe.

00:51:13.07
Christina Dongowski
Da habe ich sozusagen zwei Adorno-Bände in der alten Machart und jetzt habe ich mir jüngst eins bestellt, was quasi neue Auflage war und da ist sozusagen der Doppel,

00:51:30.61
Christina Dongowski
Die Typografie, das wird alles so seltsam schwammig.

00:51:34.47
Christina Dongowski
Es ist nicht mehr schön auf die Seite gesetzt, sondern der Anschnitt ist viel zu nah am Text dran und so.

00:51:39.37
Christina Dongowski
Und das ist ein typisches Print-on-Demand-Problem.

00:51:42.57
Stefan Sasse
Oh, okay.

00:51:43.57
Christina Dongowski
Und daran kann man das erkennen.

00:51:45.66
Christina Dongowski
Das könnte man tatsächlich besser machen.

00:51:48.45
Christina Dongowski
Müsste man aber halt natürlich nochmal jemanden dran setzen, der quasi die Druckvorlagen sich nochmal anguckt.

00:51:55.32
Christina Dongowski
Oder halt diese Unsitte,

00:51:57.85
Christina Dongowski
dieses Billo-KI produzierte Bilder, die dann irgendwie so naturwissenschaftliche Illustrationen sein sollen, wo ich denke so, boah Leute, wenn ihr schon keinen Bock hattet, einen gescheiten Illustrator dafür zu engagieren, gibt genug sehr gute wissenschaftliche Illustratoren, warum soll ich jetzt bitte 25,80 Euro dafür ausgeben, wo wir auf ihr keinen Bock gehabt haben?

00:52:21.51
Christina Dongowski
Also das ist sowas, wo ich denke so, ah,

00:52:25.63
Christina Dongowski
Ich kann schon den ökonomischen Druck verstehen, dass man was macht, aber wie wäre denn mal die Lösung, viel weniger Bücher zu produzieren?

00:52:33.11
Christina Dongowski
Weil wenn man sich mal anguckt, wie viele Bücher im Jahr auf den deutschen Markt schmissen werden, denke ich mir halt auch, boah, Leute, nein.

00:52:40.39
Christina Dongowski
Wer soll das denn lesen?

00:52:41.35
Christina Dongowski
Ich lese schon extrem viel und kaufe noch mehr.

00:52:45.15
Christina Dongowski
Aber ich bin eine Ausnahme, sinnvollerweise.

00:52:50.14
Stefan Sasse
Okay, dann ich lasse es einfach so stehen, weil ich keinen schlauen Kommentar mehr habe.

00:52:55.36
Stefan Sasse
Denk jetzt nicht, dass ich denke, du erzählst Unsinn oder so.

00:52:58.32
Stefan Sasse
Ich mache es tatsächlich in etwas größeren Sprung und wir hüpfen in deine These Nummer 35.

00:53:06.40
Stefan Sasse
Und zwar sagst du, Lesende haben trotzdem, also trotz dessen, dass es ein Problem ist, dass es These 34, dass Autorinnen ständig im Fokus von Marketing und kritischer Auseinandersetzung stehen, da sagst du, das ist kein Gewinn für Lesende.

00:53:17.62
Stefan Sasse
Aber Lesende haben trotzdem eine moralische Verpflichtung, sich zu dem Scheiß, den öffentlich aktive Autorinnen und KünstlerInnen veranstalten oder veranstaltet haben, als Lesende zu verhalten.

00:53:27.34
Stefan Sasse
Man kann nicht einfach weitermachen, als wüsste man nicht, dass Fontane und Degas schlimme antisemitische Dinge geschrieben und getan haben.

00:53:34.50
Christina Dongowski
Genau, also ich bin keine Freundin des totalen Cancelns irgendeines Textes, weil im Text irgendwas Blödes steht oder was Seltsames steht.

00:53:37.57
Stefan Sasse
Vielen Dank.

00:53:58.88
Christina Dongowski
ich bin stark dafür sozusagen, dass hier auch Kontext eine Rolle spielt und ich verurteile Menschen nicht, die jetzt zum Beispiel weiter Harry Potter-Romane lesen.

00:54:07.74
Christina Dongowski
Ich mache das nicht, weil ich diese wirklich für Demokratie und für tatsächlich de facto das Leben von Menschen, die mir nahestehen, gefährliche Frau nicht noch weiter mit Geld unterstützen will.

00:54:26.04
Christina Dongowski
Aber ich würde jetzt

00:54:29.80
Christina Dongowski
Ich halte es jetzt nicht für das größte moralische Verbrechen, weiter Harry Potter zu lesen.

00:54:33.52
Christina Dongowski
Oder zum Beispiel weiter Fontane, ich lese weiter Fontane.

00:54:36.04
Christina Dongowski
Aber ich finde tatsächlich, man kann das nicht einfach abbügeln mit dem Werk- und Autortrennen.

00:54:44.70
Christina Dongowski
Da ist was dran.

00:54:46.22
Christina Dongowski
Es ist oft so, dass Werke schlauer sind als ihre AutorInnen oder interessanter sind als ihre AutorInnen.

00:54:51.24
Christina Dongowski
Das passiert ganz, ganz oft und das ist auch super, weil sozusagen, wenn man einen Text schreibt,

00:54:56.80
Christina Dongowski
verobjektiviert man quasi was und man muss sich eben mit Sprache auseinandersetzen und in Sprache ist viel mehr drin, als in einem selber drin ist.

00:55:04.09
Christina Dongowski
Deswegen kann das sehr gut sein, dass ein mittelbegabter, also intellektuell mittelbegabter Mensch ein gutes Buch schreibt.

00:55:09.77
Christina Dongowski
Das passiert ständig vermute ich und ist ständig passiert, aber eben man darf sich davor auch nicht versperren.

00:55:19.25
Christina Dongowski
Man muss das zur Kenntnis nehmen und dann sich, also wenn es einem zur Kenntnis kommt,

00:55:25.68
Christina Dongowski
Man darf sich dann, also ich finde es ganz unglücklich, wenn die Leute sich dann so verbarrikadieren, weil das zum Beispiel tolle Jugendinnerungen.

00:55:32.68
Christina Dongowski
Ich bin ein riesiger Karl-May-Fan.

00:55:35.08
Christina Dongowski
Ich habe sozusagen meine, ich denke, viele Grundlagen meines moralischen Weltbildes sind direkt aus Venetou-Romanen.

00:55:44.56
Christina Dongowski
Und ich weiß aber gleichzeitig natürlich auch, da gibt es unglaublich viel schwierige Sachen.

00:55:53.58
Christina Dongowski
Teil für interessante Sachen und Karl May hat sehr schwierige Freunde, vor allem in der Gegenwart.

00:56:00.34
Christina Dongowski
Hat auch schon zu Lebzeiten und kurz nach seinem Tod schwierige Freunde gehabt, aber in der Gegenwart hat er auch schwierige Freunde.

00:56:09.39
Christina Dongowski
Ich finde es aber sozusagen ganz unglücklich, wenn man versucht, sich das vom Leib zu halten, indem man sagt, boah ja, das ist ja alles gar nicht politisch oder ich will das nicht politisch lesen und so, sondern ich finde, man muss sich da schon

00:56:22.93
Christina Dongowski
Gedanken zu machen, sehe ich das zum Beispiel auch in den Texten oder jetzt hat mir das jemand gesagt und jetzt lese ich den Text nochmal und was sehe ich da?

00:56:33.34
Christina Dongowski
Wie stehe ich dazu?

00:56:34.36
Christina Dongowski
Und ich finde, das muss man machen, wenn man wirklich sagt, das ist mein Lieblingsautor oder ich finde das Buch so toll.

00:56:42.44
Christina Dongowski
Buch toll finden kann nicht einfach heißen, ich blende aber alles aus, was mir da dran nicht passt.

00:56:49.19
Christina Dongowski
Und deswegen denke ich,

00:56:53.49
Christina Dongowski
Wenn einem sowas vor die Füße fällt oder es so eine Debatte gibt, man muss sich da nicht gleich reinhängen und da irgendwelche Meinungen haben.

00:57:01.55
Christina Dongowski
Es ist sowieso immer mal ganz gut, Sachen einfach mal vorbeigehen zu lassen.

00:57:07.17
Christina Dongowski
Aber ich finde, als jemand, der sich selbst als lesende Person ernst nimmt und als kulturwahrnehmende Person ernst nimmt,

00:57:17.42
Christina Dongowski
Und quasi muss man dazu sich irgendwie verhalten.

00:57:20.54
Christina Dongowski
Das bedeutet aber zum Beispiel nicht, dass man das jetzt irgendwie sich groß auf sozialen Medien breittreten müsste oder sowas.

00:57:28.06
Christina Dongowski
Aber eben für sich selber mal darüber überlegen, wie finde ich das?

00:57:32.66
Christina Dongowski
Oder was passiert denn, wenn ich das jetzt weiß, dass es sozusagen von Fontane ein paar sehr, sehr schlimme antisemitische Äußerungen gibt.

00:57:43.14
Christina Dongowski
Gleichzeitig gibt es in Fontane Büchern, sind...

00:57:47.03
Christina Dongowski
sind jüdische Figuren, da merkst du, also sozusagen, da denkst du, oh ja, aber eigentlich ist er doch, oder was ich jetzt hatte, Emil Zola ist auf keinen Fall ein Antisemit, das brauchen wir ja gar nicht diskutieren, aber es gibt einen ganz großartigen Roman, das heißt Das Geld und da spielen zwei Figuren eine Rolle, die sind nach jüdischen Bankiers gestaltet.

00:58:13.33
Christina Dongowski
Die sind da auch als jüdische Bankiers markiert.

00:58:15.70
Christina Dongowski
Das ist total interessant, wenn man denn so denkt, das ist jetzt aber schwierig.

00:58:22.54
Christina Dongowski
Und wenn man sich dann eben anfängt, Gedanken zu machen, wer spricht denn da sozusagen?

00:58:25.65
Christina Dongowski
Ist es der Autor?

00:58:26.46
Christina Dongowski
Ist es eine Erzählerfigur?

00:58:27.89
Christina Dongowski
Ist es das, was die anderen sehen?

00:58:30.33
Christina Dongowski
Die Vorurteile, die die anderen an den Rand tragen und so.

00:58:32.69
Christina Dongowski
Und das finde ich, das sollte man nicht wegbügeln, dass man da unangenehme Gefühle hat und schon gar nicht dadurch wegbügeln, dass man sagt, alle anderen sind doof, die jetzt darauf hinweisen, ah, das ist jetzt vielleicht schon auch schwierig.

00:58:46.75
Christina Dongowski
Aber wie gesagt, ich finde auch gleichzeitig dieses, dass man solche jetzt für alle anderen beschließt, dass sie das auch nicht lesen dürfen, weil man es selber nicht ertragen mehr kann oder so.

00:59:03.75
Christina Dongowski
Das finde ich ehrlich gesagt auch schwierig und auch einen schwierigen Umgang mit solchen Konflikten.

00:59:10.62
Stefan Sasse
Ja, da stimme ich dir völlig zu.

00:59:12.24
Stefan Sasse
Also ich denke auch, dass wir das nicht brauchen.

00:59:14.62
Stefan Sasse
Was ich da vielleicht noch ergänzend hinzupacken würde, es gibt auch quasi die spiegelbildliche Bewegung dazu, wo quasi versucht wird, diese alten Autoren, und es sind fast immer Autoren, reinzuwaschen oder weißzuwaschen, indem man progressive Interpretationen überstülpt.

00:59:30.47
Stefan Sasse
Mir ist es zum Beispiel ganz massiv aufgefallen, weil jetzt neu in Baden-Württemberg als Abiturlektüre der zerbrochene Krug ist.

00:59:30.63
Christina Dongowski
Vielen Dank.

00:59:37.21
Stefan Sasse
Und man kann den zerbrochenen Krug sehr progressiv und feministisch lesen.

00:59:42.68
Stefan Sasse
der war aber nicht so gemeint.

00:59:45.58
Stefan Sasse
Und deswegen, ich finde, die beiden Dinge muss man da schon quasi noch auseinanderhalten, dass man da nicht zu sehr in die andere Richtung übertreibt und dann da sozusagen unterscheidet zwischen der Interpretation und der Lesart, die wir jetzt drüberlegen aus unserer heutigen Perspektive, weil wir lesen ja Werke immer aus heutiger Perspektive.

01:00:06.70
Stefan Sasse
Das können wir ja gar nicht vermeiden.

01:00:07.94
Stefan Sasse
Wir können aus uns ja nicht raus.

01:00:11.16
Stefan Sasse
Das sozusagen dann... Richtig, richtig.

01:00:12.11
Christina Dongowski
Wir sind ja auch nicht im Museum.

01:00:14.92
Stefan Sasse
Aber ich sollte halt auf der anderen Seite dann noch nicht in eine völlig ahistorische Schiene kommen, wo man den Leuten dann quasi letzten Endes Haltungen reininterpretiert, die die gar nicht haben oder Absichten.

01:00:28.45
Stefan Sasse
Also erneut, ich kann völlig problemlos aus dem zerbrochenen Krug mir zahlreiche feministische Kritiken rausleiten sozusagen.

01:00:37.39
Stefan Sasse
Aber der Text selber gibt es nicht her.

01:00:40.80
Stefan Sasse
Also der gibt es sozusagen mehr als Interpretation her, weil der ja gar nicht so geschrieben wurde.

01:00:46.50
Stefan Sasse
Also der hat quasi massenhaft blinde Stellen, in die ich das reinlesen kann.

01:00:46.95
Christina Dongowski
Vielen Dank.

01:00:50.42
Stefan Sasse
Und weil der diese blinden Stellen hat, weil man das damals als Thema ja überhaupt nicht diskutiert hat, wird ja quasi auch nicht das Gegenteil gesagt.

01:00:58.26
Stefan Sasse
Also im zerbrochenen Krug laufen ja keine Figuren rum und sagen, ja, Frauen sollten definitiv weniger Rechte haben als Männer, weil das ist damals einfach universally understood.

01:01:06.82
Stefan Sasse
Aber dadurch, dass es nicht exibizit drinsteht, kann ich das dann als Kritik lesen sozusagen.

01:01:12.37
Stefan Sasse
Aber mir ist eben in der Rezeption von Sekundärliteratur ganz massiv so ein merkwürdiger Doppeltrend aufgefallen, dass die Leute zum einen versuchen, da quasi mehr Intention reinzuschreiben, als da drin ist.

01:01:27.38
Stefan Sasse
und auf der anderen Seite aber gleichzeitig eine unglaubliche Verharmlosung da immer betreiben.

01:01:33.43
Stefan Sasse
Also das ist was, das stößt mich ständig auf, das ist bei anderen Feldern sicherlich auch so, aber mit dem habe ich mich jetzt da gerade beschäftigt, dass bei der ganzen wissenschaftlichen Sekundärliteratur diese Formulierungen verwendet werden, die übrigens auch zu diesen Ruinen der bürgerlichen Bildungslandschaft gehören.

01:01:47.84
Christina Dongowski
Ja.

01:01:48.54
Stefan Sasse
Wenn da dann quasi von einem Liebesabenteuer die Rede ist oder von Zoten oder sowas und du liest es halt und denkst so,

01:01:56.14
Stefan Sasse
Das ist eine Vergewaltigung, was hier abläuft und wir könnten das gerne so benennen.

01:02:00.94
Stefan Sasse
Also das war für mich eine ganz, ganz spannende Erfahrung, wenn ich da kurz dieses Anekdotische mit reinklatschen darf, weil ich habe das, das ist jetzt quasi seit diesem Jahr zum ersten Mal, muss ich das lesen mit einer zwölften Klasse, weil es nächstes Jahr zum ersten Mal im Abi drankommt, wenn die dann 13er sind und meine Klasse waren ausschließlich Mädchen.

01:02:15.90
Stefan Sasse
Also es war eine reine Mädelsklasse.

01:02:17.84
Stefan Sasse
Und mit denen diesen zerbrochenen Krug zu lesen und das quasi zu thematisieren, das war schon extrem spannend, weil die sich dann natürlich auch ganz anders getraut haben, darüber zu sprechen.

01:02:26.55
Stefan Sasse
Und wir waren halt ständig auf dieser Schiene von what the fuck is going on, wenn wir dann diese Sekundärliteratur rezipiert haben, die man da ja inzwischen durchs Aufgabenformat rezipieren muss.

01:02:38.67
Christina Dongowski
Okay.

01:02:39.13
Stefan Sasse
Und da dann diese Leute eben dastehen und so sagen, so ja, und der Adam, der ist sozusagen so der tragische Held hier, weil der ja am Schluss dann fällt und du sitzt so da, der ist bitte was?

01:02:50.62
Stefan Sasse
Also das mag ja schon sein, dass das in der bisherigen Rezeption so gelesen wurde, aber da sind wir dann wieder an dieser Stelle, wo diese Brüche, diese radikalen Brüche entstehen und wo dann diese Ruinenlandschaft entsteht.

01:03:02.90
Stefan Sasse
in der wir da gerade sind, auch unglaublich befruchtend sein kann, weil die Leute eben ohne diese ganzen Präkonzepte kommen und weil die dann an so einen Text rangehen und ihre eigenen Lebensrealitäten ranschmeißen und sich so denken, welches Alien schreibt hier eigentlich diese Dinge und das ist auch total spannend letzten Endes.

01:03:18.41
Christina Dongowski
Ja, das ist ja auch.

01:03:22.55
Christina Dongowski
Und da kann man natürlich auch tatsächlich auch, also ich würde vielleicht sogar sozusagen in Frage stellen, inwieweit jemand wie Kleis nicht tatsächlich auch relativ bewusst mit blinden Stellen auch zum Teil arbeitet.

01:03:35.50
Christina Dongowski
Aber ja.

01:03:37.60
Christina Dongowski
Aber ich glaube auch, dass sozusagen zum Beispiel sowas wie der zerbrochene Krug, also eben dieser Abbruch dieser Tradition, wie man das zu interpretieren hat, wahrscheinlich dem Stück nützt, also sozusagen, dass man es tatsächlich anders interessant findet und dann so denkt so, Alter, was war bitte um 1800 los?

01:04:01.66
Christina Dongowski
Das ist ja eigentlich gar nicht so ein schlechter Effekt, wenn das bei Leuten ankommt.

01:04:05.88
Christina Dongowski
Aber ja, also sozusagen dieses, also das ist halt, finde ich, auch immer ein interessanter Grad, inwiefern, sozusagen ist es ja, was ja auch sowas ist, was gerne negativ bewertet wird, dass Leute so Lesende oder auch Leute, die einen Film gucken oder einen alten Film gucken oder die im Museum sind,

01:04:28.29
Christina Dongowski
so sehr stark die eigene Lebenswelt in ihre Interpretation, also an dieses Buch oder was auch immer es herantragen und sozusagen das Buch stark auf sich beziehen.

01:04:38.58
Christina Dongowski
Dass das quasi abgewertet wird als Lesehaltung.

01:04:40.62
Christina Dongowski
Also ich finde, man sollte das gar nicht abwerten, weil Literatur und Kunst und so wird von Menschen für Menschen gemacht und nicht, um irgendwelche Thesen zu belegen.

01:04:52.64
Christina Dongowski
Kunst, die Thesen belegt, ist immer ein bisschen schwierig.

01:04:55.66
Christina Dongowski
Aber

01:04:56.60
Christina Dongowski
Deswegen finde ich es grundsätzlich ja total okay, wenn Leute sozusagen ein Buch lesen, weil sie was über sich oder die Welt erfahren wollen oder sich in der Welt erfahren wollen.

01:05:08.93
Christina Dongowski
Aber sozusagen, ich glaube, dann wäre es eigentlich die Aufgabe von Literaturwissenschaften und wahrscheinlich auch irgendwie Deutschunterricht sozusagen klarzumachen, es gibt da so einen Korridor, da ist das alles total okay und dann muss man halt merken,

01:05:25.48
Christina Dongowski
geht man jetzt über was raus, was man sinnvollerweise auch im Text festmachen kann.

01:05:30.94
Christina Dongowski
Was ich auch immer noch nicht tragisch finde, aber ich finde es sozusagen eine wichtige Aufgabe, dass Leute das lernen, dass das passiert, dass es auch weiter nicht tragisch ist, aber dass es halt eben so Korridore der Interpretation gibt, die von einem Kunstwerk oder einem Text aufgemacht werden, die oft auch viel, viel breiter sind, als man denkt.

01:05:49.84
Christina Dongowski
Aber dass es halt eben auch heißt, es gibt keine

01:05:54.57
Christina Dongowski
Wahrheit über dem Text, sondern nur so Sachen wie, also das geht jetzt sicher gar nicht, also das steht jetzt wirklich nicht drin.

01:06:02.73
Christina Dongowski
Aber der Bereich von plus fünf bis minus fünf ist alles okay.

01:06:07.28
Christina Dongowski
Also das kann man schon herleiten.

01:06:08.60
Christina Dongowski
Und wie man lernt eben das auch da auch herzuleiten.

01:06:11.68
Christina Dongowski
Und deswegen finde ich auch das total faszinierend.

01:06:15.66
Christina Dongowski
Ich weiß nicht, sozusagen

01:06:17.23
Christina Dongowski
ob ihr da im Unterricht drüber gesprochen habt, was auch was ist, was ich auf Booktalk gelernt habe, sich via, indem man aufzählt, es geht um die, die und die Tropen, es ist diese Plotstruktur und dann kannst du dir schon so rumsortieren, also erstens kannst du sortieren, will ich das lesen?

01:06:34.55
Christina Dongowski
Ich weiß mittlerweile, es gibt bestimmte Plotgrundstrukturen, da habe ich null Bock drauf, die lese ich nicht.

01:06:39.33
Christina Dongowski
Die können vom lieben Gott selbst geschrieben sein, die interessieren mich nicht.

01:06:42.39
Christina Dongowski
Ähm,

01:06:44.46
Christina Dongowski
Aber das entwickelt sich auch tatsächlich so, dass die Leute da anfangen, daran zu lernen, das kann man so ausformulieren, das kann man so ausformulieren.

01:06:51.58
Christina Dongowski
Wenn man es damit kombiniert, passiert das und das.

01:06:54.02
Christina Dongowski
Also sozusagen da entwickelt sich ein faszinierend komplexer Diskurs, über Bücher zu reden.

01:07:01.85
Christina Dongowski
von Leuten, denen grundsätzlich eigentlich sozusagen aus der Wissenschaft und aus dem Föhrtog unterstellt wird, sie würden das Zeug ja nur lesen als Eskapismus oder so.

01:07:11.49
Christina Dongowski
Also das finde ich total faszinierend.

01:07:13.76
Christina Dongowski
Und jetzt bin ich mal gespannt, ob das vielleicht zurückwandert in Literaturwissenschaft, Deutschunterricht, dass Leute sozusagen, die das vielleicht sogar auf BookTok oder wenn sie ihre Romente, sie Sachen lesen, sowieso alles schon machen, plötzlich mal sagen, also der Zerb-Wochenes-Krug ist nämlich folgendes.

01:07:31.14
Christina Dongowski
Und dann die Truppen runterrasseln, die man da auch dranhängen kann.

01:07:34.97
Christina Dongowski
Also das wäre, das ist, finde ich, auch was, was in diesen Bereich gehört.

01:07:34.97
Stefan Sasse
Ja, das ist ein guter Punkt, den du da gerade bringst.

01:07:40.19
Christina Dongowski
Was passiert mit den Trümmern der bürgerlichen Kultur?

01:07:46.22
Stefan Sasse
Das fällt mir zum Beispiel bei meinem Sohnemann auf.

01:07:48.60
Stefan Sasse
Der ist jetzt 13.

01:07:50.30
Stefan Sasse
Und wenn wir mit dem einen Film gucken oder Serie oder sowas, der ist unglaublich literate in Tropes.

01:07:59.100
Stefan Sasse
Sorry, mir fällt es gerade nur auf Englisch ein, wie ich das sagen soll, ja.

01:08:02.90
Stefan Sasse
Also der guckt das an und sagt so, ah, jetzt passiert bestimmt gleich das und das.

01:08:05.70
Stefan Sasse
Ah, das ist ja dieses Muster, das kennt man, Standard.

01:08:08.94
Stefan Sasse
Und ich denke mir so, Alter, du bist 13.

01:08:11.46
Stefan Sasse
Also das ist zum Beispiel definitiv was, das können die heute, oder zumindest mein Sohn kann es, und ich habe sie nicht beigebracht.

01:08:18.07
Stefan Sasse
Also das hat er durch YouTube-Videos und all das, was die Jugend heute eben konsumiert, hat er das gelernt.

01:08:26.27
Stefan Sasse
Und das ist jetzt halt bedauerlicherweise etwas, das in der Schule nicht abgefragt wird.

01:08:31.49
Stefan Sasse
weil es nicht im Bildungsplan steht.

01:08:33.46
Stefan Sasse
Also wären da Tropes drin, da würden die, glaube ich, ganz anders die Tests acen, als sie es tun.

01:08:39.90
Stefan Sasse
Ich habe die teilweise auch schon versucht, den Unterricht zu integrieren.

01:08:43.08
Stefan Sasse
Das ist nicht immer ganz leicht, schon alleine, weil das Material da dafür fehlt.

01:08:46.56
Stefan Sasse
Ja, ich meine, tvtropes.com ist natürlich eine ganz großartige Ressource, aber das setzt halt wieder Fremdsprachenkenntnisse voraus, die nicht alle haben in dem fließenden Grad.

01:08:55.38
Stefan Sasse
Das wäre eigentlich schon aufgearbeitet mal super schön.

01:08:57.95
Christina Dongowski
Ja, das ist ja das einzige Tropen, Metaphern, dieses Ganze sozusagen, das ist ja im Prinzip der klassische rhetorische Apparat.

01:08:58.55
Stefan Sasse
Aber ja, definitiv, das spielt eine ganz, ganz große Rolle, diese Tropisierung.

01:09:06.24
Stefan Sasse
Oder zumindest, ich meine, das gab es ja eigentlich schon immer, aber diese Kämpfe.

01:09:19.14
Christina Dongowski
quasi, wenn man sozusagen jetzt eine ganz steile These machen will, dieser klassisch-rhetorische Apparat, der noch in der Aufklärungsliteratur ganz souverän von allen gehandhabt worden sind, die gelesen haben und die über Literatur geschrieben und gesprochen haben und der wird dann abgeräumt, ab so Empfindsamkeit, Stumm und Drang, weil es quasi ja alles nicht widerspricht, das ist ja alles dann formularisch und da spricht ja die Seele nicht und deswegen darf man das alles nicht machen.

01:09:47.13
Christina Dongowski
Tatsächlich läuft es natürlich immer weiter, weil

01:09:49.15
Christina Dongowski
Ich muss ja mit irgendwas arbeiten.

01:09:51.51
Christina Dongowski
Und jetzt kommt das plötzlich wieder, wo wir sagen, diese bürgerliche Kultur, wo du gesagt hast, du hast ja so 250 Jahre gegeben, ich glaube, das kommt so ungefähr hin, die ist jetzt fertig, die ist am Ende, wo die mal diese Rhetorik abgeräumt hat.

01:10:07.78
Christina Dongowski
Und was jetzt wieder auftaucht, um Leseerfahrung zu beschreiben und Bücher zu beschreiben, sind diese rhetorischen Truppen.

01:10:15.30
Christina Dongowski
Wahrscheinlich, wenn du irgendwie so ein Rhetorikbuch von 1730 oder sowas mal entstaunen würdest und sozusagen es in unserem Deutsch nochmal schreiben würde, sozusagen Liebesgeschichten gehen so, so und so.

01:10:29.44
Christina Dongowski
Es gibt die und die Möglichkeiten.

01:10:31.25
Christina Dongowski
Das würden die alles wiedererkennen.

01:10:33.35
Christina Dongowski
Bin ich mir ganz sicher.

01:10:35.07
Christina Dongowski
Dass da ganz viel dabei ist und wenn sie es nicht als Inhalt wiedererkennen, würden die die Logik sofort verstehen, was da passiert.

01:10:42.81
Stefan Sasse
Ja, das ist ja auch noch so ein Ding, dass da noch der Effekt dazukommt, dass das, was sich in diesen bildungsbürgerlichen Kanon übertragen hat, das waren ja häufig auch gar nicht die erfolgreichen Sachen.

01:10:53.63
Stefan Sasse
Ja, also wenn du quasi so einen Theaterspielplan aufmachst aus dem 19.

01:10:57.89
Stefan Sasse
Jahrhundert, nehmen wir mal das frühe 19.

01:10:59.23
Stefan Sasse
Jahrhundert beispielsweise,

01:10:59.82
Christina Dongowski
Ja.

01:10:59.88
Christina Dongowski
Ja.

01:11:00.83
Stefan Sasse
dann sind da Goethe und Schiller nicht die Publikumsreißer, sondern sowas wie August von Kotzebue oder sowas, die halt Liebestramen oder wo möglichst viele Leute auf der Bibel, der gleiche Scheiß, was hat auch auf Netflix im Blutzen Bele gelaufen, das hat halt niemand tradiert, das liest keiner im Deutschunterricht.

01:11:17.92
Stefan Sasse
Aber das ist natürlich, das darf man natürlich auch nicht vergessen, dass die Erinnerung an der Stelle unglaublich selektiv ist.

01:11:23.62
Stefan Sasse
Nicht nur, wie du es in einer anderen These auch rausgehauen hast, nach sowas wie Geschlecht oder religiöse Zugehörigkeit oder solchen Dingen, sondern eben auch nach Qualität ganz schlicht.

01:11:33.82
Stefan Sasse
Und nach diesem Hochkultur und Popkultur, auch wenn die damals den Begriff dafür nicht hatten.

01:11:40.18
Stefan Sasse
Und als letzter Gedanke dazu, es ist ja auch lustig, das ist so eine Erfahrung, die mache ich im Deutschunterricht auch immer wieder, Lyrik und Drama.

01:11:41.65
Christina Dongowski
Das ist interessant.

01:11:42.05
Christina Dongowski
Football.

01:11:42.23
Christina Dongowski
Ja.

01:11:47.47
Stefan Sasse
Je älter diese Texte sind, desto leichter sind die verständlich.

01:11:51.05
Stefan Sasse
Also ganz besonders bei Lyrik.

01:11:53.07
Stefan Sasse
Also ich fange zum Beispiel immer Lyrik an mit Barock-Lyrik.

01:11:57.71
Stefan Sasse
Weil das ist eigentlich die älteste, die noch verständliches Deutsch hat, aber die ist halt so formulistisch, formulaisch, was ist da der Begriff?

01:12:06.73
Stefan Sasse
Also die ist so...

01:12:10.11
Stefan Sasse
so formelhaft aufgebaut, dass das super easy zu verstehen ist, sobald du diese Formel einmal geknackt hast.

01:12:16.69
Stefan Sasse
Wenn du einmal verstanden hast, was ist ein Sonett und jedes dieser fucking Gedichte dreht sich um Vanitas und zwar entweder Carpe Diem oder Memento Mori, kennst du eines, kennst du alle.

01:12:27.03
Stefan Sasse
Und

01:12:27.42
Christina Dongowski
Ja, aber kommst halt mit zurecht.

01:12:28.36
Christina Dongowski
Ja, ja, weiß ich nicht.

01:12:28.98
Christina Dongowski
Kennst du?

01:12:29.04
Stefan Sasse
Genau.

01:12:29.48
Stefan Sasse
Und wenn du da dagegen moderne Lyrik nimmst, alter Schwede, da reimt sich nix und so weiter, die Strukturen sind total wild, da wird aufgebaut, das fängt ja schon Ende des 19.

01:12:38.50
Stefan Sasse
Jahrhunderts an mit so Impressionismus, Expressionismus, wo die im Endeffekt schon diese, wie soll ich sagen, diese Revisionismus drin haben.

01:12:47.15
Stefan Sasse
gegen die Tropen sozusagen, gegen diese Tropes.

01:12:50.33
Stefan Sasse
Aber die kannst du ja quasi überhaupt nur gutieren, wenn du die Tropes kennst.

01:12:54.27
Stefan Sasse
Das ist auch so etwas, was in den Bildungsplänen überhaupt nicht berücksichtigt ist.

01:12:57.55
Stefan Sasse
Ja, dass das ja quasi nur dann überhaupt verständlich ist, wenn ich die zugrunde liegenden Tropes kenne.

01:13:02.43
Stefan Sasse
Also da wird so viel vorausgesetzt und deswegen fliegt es auch über die Köpfe der meisten SchülerInnen und sonstigen KonsumentInnen auch größtenteils weg.

01:13:05.08
Christina Dongowski
Das bedeutet denen, glaube ich, dann auch einfach nichts mehr, weil sozusagen, du kriegst dich emotional halt irgendwie nicht angeschaut.

01:13:11.10
Stefan Sasse
Ja, weil dieses Grundwissen ja gar nicht existiert.

01:13:16.34
Stefan Sasse
Nö,

01:13:20.35
Christina Dongowski
Also wenn das sozusagen passiert bei Lyrik, kann man ja trotzdem noch versuchen, irgendwas hinzukriegen, aber bei ganz vielen Sachen denkst du halt, gerade so sprachspielerisches Zeug und so, was eben sich selber quasi als kritisch versteht,

01:13:34.51
Christina Dongowski
wenn du nicht weißt, mit was sich diese Person da kritisch auseinandersetzt, also dann sagt sie ja gar nichts.

01:13:42.52
Christina Dongowski
Und wie gesagt, ich denke, ich kann das schon vorstellen.

01:13:43.100
Christina Dongowski
Und wenn du halt vor allem mal sozusagen barocke, also wenn du mal dieses Prinzip verstanden hast, sozusagen, dass du halt

01:13:52.92
Christina Dongowski
immer noch einen drauflegst, sozusagen, dass es immer noch bizarrer wird und sozusagen immer noch polarisierter und sowas.

01:14:00.34
Christina Dongowski
Wenn du das mal verstanden hast, dann siehst du ja auch, wie es gemacht wird.

01:14:03.02
Christina Dongowski
Und dann hat das ja, also ich kann mir auch vorstellen, dass das dann auch so ein bisschen so eine Art sportlichen Aspekt kriegt, dass man halt versucht rauszufinden, wie viele Tropen, welcher Natur sind denn hier jetzt eigentlich verbaut worden und finden wir noch irgendwas und sowas.

01:14:17.66
Stefan Sasse
Ja, total, total.

01:14:19.52
Stefan Sasse
Ich würde zum Abschluss für heute bei quasi, damit wir bei These 50 ungefähr Schluss machen und das Ganze dann hoffentlich vielleicht mal fortsetzen.

01:14:27.61
Stefan Sasse
Bin mal gespannt, wie die zuhörenden Reaktionen sind.

01:14:31.11
Stefan Sasse
Ich nehme nicht These 50, sondern 48, aber einfach, weil ich sie mutig finde.

01:14:35.70
Stefan Sasse
Fontanes Ephipriest ist ein ganz großartiger Roman, schreibst du da.

01:14:39.72
Stefan Sasse
Generationen von Abiturientinnen und Abiturienten werden jetzt fragend die Augenbrauen hochziehen.

01:14:47.15
Stefan Sasse
Verteidige bitte Fontane und Effi Priest, ich bin gespannt.

01:14:51.91
Christina Dongowski
Ich war tatsächlich erst mal ein bisschen enttäuscht, dass ich so wenig Pushback für diesen Skit bekommen habe.

01:14:58.42
Christina Dongowski
Es haben welche drunter geschrieben, also bitte, das kam schon auf, aber ich hatte mir ein bisschen mehr erwartet.

01:15:02.74
Christina Dongowski
Erst mal vorränglich.

01:15:05.65
Christina Dongowski
Ich kann total verstehen, wenn Menschen, die 17, 18, 19, 20 sind, Theodor Fontane für einen Langweiler vor dem Herrn halten.

01:15:14.71
Christina Dongowski
Kann ich total verstehen.

01:15:17.45
Christina Dongowski
Und ich finde es auch keine gute Idee, Effi Priest im Abitur zu diskutieren oder halt sozusagen in den Jahrgängen in der Schule zu lesen.

01:15:32.18
Christina Dongowski
Weil da liegt ja das Missverständnis vor, da ist eine sehr junge Frau, die Heldin,

01:15:36.15
Christina Dongowski
Das spricht junge Menschen an.

01:15:37.65
Christina Dongowski
Das ist total falsch.

01:15:38.31
Stefan Sasse
Vielen Dank.

01:15:40.29
Christina Dongowski
Die ist nicht die Heldin des Buchs.

01:15:44.11
Christina Dongowski
Das ist was, was man lernt, wenn man das Buch später liest, wenn man älter ist.

01:15:47.94
Christina Dongowski
Die ist nicht die Heldin, die ist das Opfer.

01:15:52.70
Christina Dongowski
Der Autor und auch der Erzähler hat ganz arg, arg viel Mitleid mit ihr.

01:15:58.04
Christina Dongowski
Es gibt ja immer mal so Anläufe, wo man denkt, wenn man nicht weiß, wie es ausgeht, jetzt könnte es vielleicht doch mal gut ausgehen, aber es geht natürlich nicht gut aus.

01:16:07.62
Christina Dongowski
Das finde ich zum Beispiel gut am Buch, also zu zeigen, dass er das nicht von Anfang an als völlig quasi schicksalhaft verhängt über die darstellt.

01:16:18.82
Christina Dongowski
Das könnte man ja auch machen.

01:16:23.09
Christina Dongowski
Und was ich auch super finde, ist die Darstellung...

01:16:35.31
Christina Dongowski
Das ist eigentlich ein Buch für mittelalte Leute, für Leute, die schon mal mindestens eine Beziehung hinter sich haben.

01:16:43.74
Christina Dongowski
Und es ist ein Buch, ja, ja, genau, es ist ein Buch eigentlich für Leute, um zu verstehen, wie man mit anderen Leuten zusammenleben kann und einfach überhaupt nichts über die Weises.

01:16:45.02
Stefan Sasse
für die von Innenstädtens, ne?

01:17:01.34
Christina Dongowski
Und dann passiert irgendwas total Banales eigentlich und dann bricht das alles zusammen.

01:17:07.04
Christina Dongowski
Und ich finde, das ist, das bringt der unglaublich gut und ich deswegen denke, ist das nichts für junge Menschen, außer vielleicht für jemanden und das wünsche ich niemandem mit 18, 19, 20, der schon mal quasi durch so einen Zusammenbruch von so einer normalen Umgebung gegangen ist.

01:17:25.34
Christina Dongowski
Und dann ist es einem vielleicht auch noch zu nah, wenn man selber vielleicht irgendwie eine schlimme Scheidung von Eltern hinter sich hat.

01:17:31.95
Christina Dongowski
Deswegen denke ich, das Buch wird für völlig falsche Zeit an Leute herangetragen und das schadet diesem Buch.

01:17:39.03
Christina Dongowski
Und was man auch sagen muss, man merkt Theodor Fontane an.

01:17:41.64
Christina Dongowski
Theodor Fontane hat seine Romane angefangen zu schreiben, also die, die wir noch so richtig lesen.

01:17:47.54
Christina Dongowski
Da war der deutlich übersetzter.

01:17:50.29
Christina Dongowski
50, fast glaube ich schon über 60.

01:17:52.09
Christina Dongowski
Und das macht einfach was.

01:17:53.79
Christina Dongowski
Das ist eine Art, auf die Welt zu gucken, da muss man auch erst hin.

01:17:59.22
Stefan Sasse
Gar nicht.

01:17:59.63
Christina Dongowski
Und ich finde, er macht es gut, dass man auch, wenn man jünger ist, da schon mal ein bisschen was mitkriegt.

01:18:05.66
Christina Dongowski
Aber das setzt erfahrene Lesende voraus.

01:18:08.88
Christina Dongowski
Also nicht nur sozusagen Lebenserfahrung, sondern auch Leseerfahrung muss man ein bisschen haben.

01:18:13.54
Christina Dongowski
Und man muss sich ganz klar sein,

01:18:16.90
Christina Dongowski
die haben schon alle einen Plot und der Plot ist auch wichtig, aber das ist nicht auf Plot geschrieben.

01:18:21.75
Christina Dongowski
Es ist sehr sozusagen Atmosphäre und Vibes quasi.

01:18:28.07
Christina Dongowski
Und darum geht es ja auch ganz stark.

01:18:29.69
Christina Dongowski
Was kriegen die Leute überhaupt voneinander mit?

01:18:33.67
Christina Dongowski
Und das ist was, das muss man lernen zu lesen.

01:18:40.35
Christina Dongowski
Und Effie Bries ist nicht das ideale Buch dafür, um das Lernen zu lernen.

01:18:47.43
Christina Dongowski
Und deswegen tut es mir immer leid, wenn die Leute mit Effie Bries gequält werden.

01:18:51.46
Christina Dongowski
Und ich glaube denen auch alles, dass sie da ganz gequält sind.

01:18:54.60
Christina Dongowski
Und ich finde es auch total okay, wenn man in seinem ganzen Leben kein Verhältnis, kein positives Verhältnis zu Theodor Furtanen kriegt.

01:18:59.94
Christina Dongowski
Das ist total okay.

01:19:02.86
Christina Dongowski
Ich finde es schade, weil sozusagen man kann da einiges darüber lernen, auch sozusagen Gelassenheit gegenüber bestimmten

01:19:10.75
Christina Dongowski
Lebenskonstruktion.

01:19:14.27
Christina Dongowski
Aber sozusagen als Schullektüre finde ich das, je mehr ich das, je öfter ich das Buch gelesen habe, je mehr ich auch darüber weiß, wie das selber zustande gekommen ist, desto bizarr finde ich eigentlich, dass man das auf junge Leute draufschmeißt.

01:19:33.50
Stefan Sasse
Ja, das ist auch was, das sage ich im Deutschunterricht ständig.

01:19:37.63
Stefan Sasse
Eigentlich alle Lektüren, die wir im Deutschunterricht lesen, das sind keine Handlungsbücher.

01:19:43.83
Stefan Sasse
Ich sage auch immer sofort, holt euch eine Inhaltszusammenfassung, packt euch die, spoilert euch die.

01:19:48.31
Stefan Sasse
Diese Dinger sind nicht spannend, ihr macht euch nichts kaputt.

01:19:51.37
Christina Dongowski
Nein.

01:19:52.07
Stefan Sasse
Sondern hier geht es um ganz, ganz andere Dinge.

01:19:54.35
Stefan Sasse
Hier geht es um Konzepte, um Vibes, um Stimmungen und so weiter und so fort.

01:20:00.02
Stefan Sasse
Also wenn ich zum Beispiel sowas lese wie Tauben im Gras oder sowas, da geht es doch nicht um die Handlung um Gottes Willen.

01:20:05.82
Stefan Sasse
Das ist...

01:20:07.72
Stefan Sasse
Deswegen brauche ich da im Unterricht auch laute Schaubilder und Handouts, um da überhaupt mal irgendeinen Sinn reinzubekommen.

01:20:14.72
Stefan Sasse
Vorher kannst du da überhaupt nicht drüber reden, weil du erst einmal diese komplette Struktur durchsteigen musst.

01:20:19.82
Stefan Sasse
Und das ist ja auch bei Elfie Priest sowas.

01:20:21.44
Stefan Sasse
Da gibt es ja auch tonnenweise Schaubilder, die dann zeigen, wie ist da eigentlich diese Struktur und Architektur und wer hockt da in welchem preußischen Dorf und wer hat welchen Posten und was bedeutet das eigentlich überhaupt.

01:20:30.84
Christina Dongowski
Ja genau, was bedeutet das überhaupt?

01:20:32.16
Christina Dongowski
Ja, also

01:20:33.20
Stefan Sasse
genau, das brauchst du ja, du musst so viel, das ist das, was ich vorher auch meine, du musst so viel vorenthasten immer, bevor du überhaupt daran denken kannst, diese Dinge zu genießen, da frage ich mich manchmal schon wirklich, was da die Logik war, als die sich überlegt haben, ja, wie du sagst, das werfen wir auf junge Leute drauf, ich glaube wirklich, dass da so diese Gedanke war, ja, da ist eine junge Frau und das klingt so, als müsste man das nutzen, und das ist halt nicht der Fall.

01:21:00.37
Christina Dongowski
Ja, sozusagen, und ich würde jetzt auch so, wenn ich denken würde, okay, die Leute sollten halt mal, wenn man ein Abitur macht, sollte mal mit Theodor Fontane zusammengestoßen sein, würde ich tatsächlich auch nicht Ephi Priess nehmen, sondern sowas wie unter, also es gibt auch viel schmaleres zum Beispiel auch noch, unter dem Birnbaum ist ein Krimi.

01:21:22.20
Christina Dongowski
Dann vielleicht sogar Frau Jenny Dreibel, weil es einfach auch, das ist so eine

01:21:28.45
Christina Dongowski
einen Roman unter Berliner Neureichen.

01:21:31.47
Christina Dongowski
Das ist auch wahnsinnig komisch.

01:21:33.19
Christina Dongowski
Also sozusagen, da glaube ich, gibt es auch schon so eine Kontaktebene von so, Leute haben keinen Geschmack, aber sehr viel Geld.

01:21:42.46
Christina Dongowski
Und das passiert dann.

01:21:44.32
Christina Dongowski
Und da... Ah, okay.

01:21:46.51
Stefan Sasse
Ich fürchte, da muss ich dich enttäuschen, das kommt alles nicht an.

01:21:49.39
Stefan Sasse
Also ja, das wäre theoretisch gesehen besser.

01:21:52.09
Stefan Sasse
Ich glaube, solche Gedanken waren ja beim zerbrochenen Krug dann auch der Auslöser.

01:21:54.71
Christina Dongowski
Ja.

01:21:55.84
Stefan Sasse
Die verstehen das einfach nicht.

01:21:56.95
Stefan Sasse
Also die sitzen auch da und denken, was zur Hölle ist daran eine Komödie?

01:22:00.71
Christina Dongowski
Ja, aber das finde ich, ist eine gute Frage bei Zerbrochen-Groog.

01:22:01.48
Stefan Sasse
Also die

01:22:04.65
Christina Dongowski
Das finde ich, ist eine wirklich gute Frage bei Zerbrochen-Groog.

01:22:06.80
Christina Dongowski
Warum nennt er das Komödie?

01:22:08.66
Stefan Sasse
Also ich finde, es gibt eine lustige Szene, das ist das, wo die Mutter die Geschichte von dem Krug erzählt und alle super genervt sind.

01:22:16.69
Stefan Sasse
Da habe ich tatsächlich ganz leicht die Mundwinkel nach oben gezogen beim Lesen, aber ansonsten geht es mir da genauso.

01:22:22.07
Stefan Sasse
Ich finde es auch nicht gut.

01:22:22.38
Christina Dongowski
Aber das haben ja schon die Zeitgenossen gedacht.

01:22:22.91
Stefan Sasse
Ja.

01:22:24.06
Christina Dongowski
Die haben schon gesagt, Alter, du bist du?

01:22:27.40
Christina Dongowski
Das ist keine Komödie.

01:22:30.48
Christina Dongowski
Das ist ja eine tatsächlich interessante Frage.

01:22:32.58
Christina Dongowski
Was hat Heinrich von Kleist geritten, das Ding Komödie zu nennen?

01:22:36.28
Christina Dongowski
Was hat er sich denn dabei gedacht?

01:22:38.06
Stefan Sasse
Vielleicht war es ein Verleger.

01:22:38.96
Stefan Sasse
Ja.

01:22:39.02
Stefan Sasse
Ja.

01:22:39.66
Christina Dongowski
Vielleicht war es sein Villiger, vielleicht sein Agent, der gesagt hat, verkauft sich besser.

01:22:43.04
Christina Dongowski
Vielleicht aber auch Heinrich von Kleist, der gesagt hat, euch zeige ich es.

01:22:47.90
Christina Dongowski
Denkt mal drüber nach, warum das eine Komödie ist.

01:22:51.44
Christina Dongowski
Ist ja alles drin.

01:22:52.16
Christina Dongowski
War ja auch ein schwieriger Mensch.

01:22:56.41
Christina Dongowski
Aber ich finde es seltsam, also warum nicht akzeptieren, dass für junge Menschen diese Art Literatur einfach nicht so viel bringt und dann macht man vielleicht, also dass man eher das Technische angeht und sagt, so wir lernen jetzt einfach, wenn jemand dazu kommt, wie knackt man so Zeug oder wie geht man da dran und gut ist.

01:23:15.34
Christina Dongowski
Ah, okay.

01:23:15.80
Stefan Sasse
Das ist genau das, weil man diesen Kanon haben möchte.

01:23:18.96
Stefan Sasse
Die Idee ist immer, man muss, man kann kein Abitur haben ohne X. Das liegt ja allen Bildungsplandiskussionen zugrunde.

01:23:27.67
Stefan Sasse
Das ist ja die Frage, warum sind bestimmte Inhalte im Geschichtebildungsplan?

01:23:32.64
Stefan Sasse
Warum haben wir Gemeinschaftskunde, also Politik, als ein ordentliches Schulfach?

01:23:38.63
Stefan Sasse
Warum machen wir dieses?

01:23:39.65
Stefan Sasse
Das ist immer, ohne das kann man kein Abitur haben.

01:23:42.37
Stefan Sasse
Und natürlich kann man.

01:23:44.54
Stefan Sasse
Also jedes einzelne von denen lässt sich rausstreiten.

01:23:46.42
Stefan Sasse
Natürlich nicht alles, weil dann hast du gar nichts mehr, aber dieses Argument ist quasi immer dasselbe.

01:23:52.25
Christina Dongowski
Ah, okay.

01:23:52.57
Christina Dongowski
Genau.

01:23:52.92
Stefan Sasse
Immer dieses Kanon, der da genannt wird, der ist auch immer fluide und ganz, ganz schwer greifbar, weil da ja alle sehr unterschiedlicher Meinung sind.

01:23:52.99
Christina Dongowski
Mehr will ich ja gar nicht.

01:24:00.75
Stefan Sasse
Es gibt ja auch Leute, die sagen, es muss unbedingt Faust sein, manche sagen, es muss unbedingt Goethe sein.

01:24:04.51
Stefan Sasse
Dann gibt es wieder welche, die sagen, nö, Goethe muss es auch nicht sein, Hauptsache irgendein alter Text.

01:24:08.33
Stefan Sasse
Dann gibt es Leute wie du und ich, die sagen, Text lesen und verstehen wir schon gut.

01:24:14.81
Stefan Sasse
Ja genau, also das kommt halt darauf an, aber so oder so ist da immer so eine kanonische Idee da dabei.

01:24:20.29
Stefan Sasse
Also immer die Frage, was müssen die jungen Leute kennen, wissen, um sich Abiturient oder Abiturientin schimpfen zu dürfen.

01:24:23.98
Christina Dongowski
Oh Gott, die Abendinger.

01:24:28.72
Stefan Sasse
Ja.

01:24:34.51
Stefan Sasse
Genau, aber das wäre jetzt quasi, und ich behaupte das jetzt einfach mal, ja, das war jetzt Teil 1 von unserer Diskussion zu Kunst und Kultur.

01:24:43.11
Stefan Sasse
Ich fand's super spannend, ich fand's ja auch echt sehr unterhaltsam, deinen Thread zu lesen und das noch viel besser mit den zusätzlichen Erklärungen bei manchen Punkten.

01:24:50.95
Stefan Sasse
Ich bin sicher, diejenigen, die den Thread auch gelesen haben und die jetzt zugehört haben, werden ihren Lieblingslied dann irgendwie vermissen.

01:24:58.35
Stefan Sasse
Das darf dann auch gerne in die Kommentare.

01:25:00.07
Stefan Sasse
Ich hau dich dann mal an, dass du dann vielleicht da Stellung dazu beziehst oder sowas.

01:25:03.82
Christina Dongowski
Ciao.

01:25:04.52
Stefan Sasse
Genau, aber never read the comments.

01:25:06.48
Stefan Sasse
Aber dann sehen wir uns hoffentlich bald wieder für einen zweiten Teil und allen anderen.

01:25:11.52
Stefan Sasse
Danke fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal.

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