Die lang angeteaserte und nun endlich offizielle Parteineugründung Sahra Wagenknechts hält gerade das politische Berlin in Atem. Welche Perspektiven hat die Partei? Wem schadet, wem nützt sie? Was verbirgt sich eigentlich hinter dem viel diskutierten “Linkskonservatismus”? Und nicht zuletzt: schließt sich hier ein antidemokratisches, populistisches Hufeisen, oder besteht in der neuen Partei sogar eine Chance, die Demokratie zu stärken? Ich habe mir dem Politikwissenschaftler und Zeithistoriker Thorsten Holzhaupt eingeladen, um das zu diskutieren.

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(Musik: Intro aus Accou – Sarabande BWV 1002 (Partita No.1 for violin solo in B-minor), Outro aus Accou – Bourree (I.S. Bach BWV 1002, Violin Partita No 1 in B minor))

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Shownotes:

Linkskonservativer Populismus

Der Artikel von Thorsten Holzhauser diskutiert die Entstehung und Entwicklung des linkskonservativen Populismus in der deutschen Linken, insbesondere im Kontext von Sahra Wagenknechts politischem Programm. Holzhauser beleuchtet, wie Wagenknecht eine politische Bewegung schuf, die sich sowohl aus linkskonservativen als auch linksprogressiven Strömungen zusammensetzt. Die Begriffe "Linksprogressive" und "Linkskonservative" werden als Selbstbezeichnungen für die beiden Fraktionen verwendet.

Der Autor analysiert, dass Wagenknechts Linkskonservatismus populistische Polarisierungen, nationale Töne und antiliberale Positionen in verschiedenen politischen Bereichen umfasst, wie Einwanderung, Asyl, Identität, Klima und Umwelt. Dabei stellt er fest, dass dieser Ansatz nicht nur innerhalb der Partei umstritten ist, sondern auch historische Wurzeln hat, die bis in die 1990er Jahre zurückreichen.

Die Strategie der PDS (Partei des demokratischen Sozialismus) nach dem Ende der DDR, insbesondere ihre Proteststrategie gegen den Westen, wird als Vorläufer des linkskonservativen Populismus betrachtet. Holzhauser betont, dass die PDS damals eine populistische Diskursführung verfolgte, indem sie das Volk gegen die Eliten stellte und sich als Vertreterin der Ostdeutschen positionierte. Diese Strategie war erfolgreich, besonders in Ostdeutschland, wo die PDS von der Unzufriedenheit mit dem Transformationsprozess profitierte.

Der Artikel geht weiter auf die Ambivalenz des linkskonservativen Populismus in Bezug auf Fragen von Krieg und Frieden ein. Es wird darauf hingewiesen, dass trotz offizieller Ablehnung bestimmter Kriege durch die Partei, einige Politiker rechte Codes verwendeten und sich mit autokratischen Herrschern solidarisierten. Dies führte zu Spannungen innerhalb der Partei, da einige Mitglieder Bedenken wegen möglicher rechter Tendenzen äußerten.Die Diskussion erstreckt sich auch auf die Agenda 2010-Proteste im Jahr 2005, die als Vorläufer für aktuelle Friedensdemonstrationen betrachtet werden. Hier wird die Verbindung von linkskonservativen Positionen mit populistischer Mobilisierungstechnik hervorgehoben, insbesondere in Bezug auf Themen wie soziale Gerechtigkeit, Kampf der Kulturen und Identitätsfragen.

Der Artikel schließt mit der Feststellung, dass die Partei derzeit vor einem existenziellen Konflikt steht, da die Spannungen zwischen den progressiven und linkskonservativen Strömungen weiter zunehmen. Der Generationenwechsel innerhalb der Partei, verbunden mit einem klaren progressiven Gesellschaftsbild, könnte dazu führen, dass die linkskonservative Ausrichtung aufgegeben wird. Es bleibt jedoch unklar, ob die Partei diesen Konflikt überwinden kann oder ob sie auseinanderbrechen wird. (Thorsten Holzhauser, Merkur)

BRD noir

Der Artikel beleuchtet detailliert die politische Reise von Sahra Wagenknecht, beginnend als prominente Kommunistin in der PDS bis hin zu ihrem jüngsten Versuch, eine überparteiliche linke Bewegung namens "Aufstehen" zu gründen. Die Analyse skizziert, wie Wagenknecht ihre politische Position im Laufe der Jahre transformiert hat, insbesondere in Bezug auf ihre wirtschaftspolitischen Ansichten.

Ursprünglich bekannt als eine herausragende Vertreterin der Kommunistischen Plattform in der PDS, wird Wagenknecht als eine eloquente und scharfsinnige Politikerin beschrieben, die sich oft im Konflikt mit ihrer eigenen Parteiführung befindet. Die Autorin hebt hervor, wie Wagenknechts politischer Wandel von der Bewunderung für die DDR-Wirtschaftspolitik hin zu einer kritischen Position gegenüber dem gegenwärtigen Kapitalismus stattgefunden hat, insbesondere nach der Finanzkrise von 2008.

Die Gründung von "Aufstehen" wird als ein Versuch Wagenknechts betrachtet, eine Bewegung zu schaffen, die über die Parteigrenzen hinweggeht und sich auf die soziale Frage konzentriert. Der Artikel hebt jedoch hervor, dass diese Bewegung letztendlich scheiterte und Wagenknecht sich weiterhin als innerparteiliche Opposition innerhalb der Partei Die Linke positioniert, indem sie betont, dass die Parteiführung die soziale Frage vernachlässigt habe.

Die politische Strategie von Wagenknecht wird als Form des Linkskonservatismus beschrieben, die sozialpolitisch progressiv, aber gesellschaftlich konservativ ist. Die Analyse warnt jedoch vor möglichen Gefahren, da Wagenknechts Ansatz Elemente sowohl aus dem linken als auch aus dem rechten Spektrum vereint. Es wird betont, dass dies dazu beitragen könnte, rechtsextreme Diskurse zu legitimieren und zu stärken.

Abschließend stellt der Artikel die Frage, ob Wagenknecht möglicherweise eine eigene Partei gründen wird und wie erfolgreich diese sein könnte. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass Wagenknechts politischer Ansatz kontroverse Reaktionen hervorrufen und möglicherweise zu einer weiteren Fragmentierung des politischen Spektrums führen könnte. (Oliver Nachtwey, FAZ)

Linken-Chef sieht neue Partei Wagenknechts "deutlich rechts"

Die Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht präsentiert in Berlin ihren Verein BSW ("Bündnis Sahra Wagenknecht"), der als Ausgangspunkt für die Gründung einer eigenen Partei dienen könnte. Dieser Schritt signalisiert einen endgültigen Bruch zwischen Wagenknecht und der Linkspartei, für die sie bisher eine prominente Vertreterin war. Wagenknecht betont, dass es ihr um eine "seriöse Adresse" gehe, die nicht nur Protest ausdrückt, sondern auch Konzepte für eine bessere Politik hat.

Bei der Vorstellung wird sie von der bisherigen Linkenfraktionschefin Amira Mohamed Ali und dem Bundestagsabgeordneten Christian Leye begleitet. Linken-Chef Martin Schirdewan sieht in einer neuen Partei, die aus Wagenknechts Initiative hervorgehen könnte, vor allem eine Konkurrenz für rechte Parteien und weniger für die Linkspartei. Er vermutet, dass Wagenknecht sich deutlich rechts positionieren müsste, um Erfolg zu haben. Schirdewan betont, dass Wagenknechts Partei keine linke Partei sein werde, da eine linke Partei Menschen solidarisch zusammenführen und nicht gegeneinander ausspielen sollte.

Die SPD zeigt sich besorgt über die erwartete Spaltung der Linken. SPD-Chef Lars Klingbeil hat bereits signalisiert, dass Mitglieder der Linken unter bestimmten Bedingungen in der SPD willkommen sind. SPD-Parlamentarische Geschäftsführerin Katja Mast kritisiert Wagenknecht dafür, dass sie in Zeiten, in denen die Gesellschaft zusammengeführt werden müsse, ihre eigene Partei spalte. Es bleibt abzuwarten, wie die Linke auf die mögliche Abspaltung reagiert und wie sich dies auf ihre Rolle im Bundestag auswirkt. (ZEIT)

Ihr großer Sprung

Sahra Wagenknecht, politische Urgestein mit über 30 Jahren Erfahrung, steht vor einem radikalen Schritt. Sie gründet das "Bündnis Sahra Wagenknecht – für Vernunft und Gerechtigkeit", das sich zu einer neuen Partei entwickeln soll. Der Artikel beschreibt ihren Weg von der Ankündigung bis zu ihrer Entscheidung, sich von der Linken zu trennen. Ein langer, menschenleerer Flur symbolisiert ihre Eile. Die Hintergründe der Parteigründung werden beleuchtet: Wagenknecht möchte eine Struktur von 500 zuverlässigen Personen schaffen, die diverse Posten besetzen können. Dabei warnt sie vor Glücksrittern und betont, dass andere den Parteiaufbau übernehmen müssen, damit sie sich auf ihre Stärken fokussieren kann: Überzeugen und Reden.

Der Artikel skizziert auch ihre Beziehung zu Dietmar Bartsch, der sie jahrelang verteidigte, aber nun scheinen sie kaum miteinander zu sprechen. Wagenknecht reflektiert über ihren psychischen Druck vor vier Jahren und erklärt, dass sie zwischen positivem und negativem Stress unterscheidet. Die Herausforderungen innerhalb der Linken veranlassen sie dazu, eine neue politische Heimat zu suchen. Die Frage, ob Wagenknecht tatsächlich eine Partei gründen kann, die das deutsche Parteiensystem beeinflusst, wird diskutiert. Die mediale Aufmerksamkeit und Prognosen über mögliche Auswirkungen auf bestehende Parteien werden kritisch betrachtet. Der Artikel stellt auch Wagenknechts Unterstützer vor, darunter Diether Dehm, der jedoch aktuell die Organisation des Parteiaufbaus ablehnt.

Es wird betont, dass Wagenknecht eine Einzelgängerin war, die oft Kompromisse ablehnte. Die Suche nach fähigen Organisatoren für ihre neue Partei gestaltet sich als Herausforderung. Kritische Punkte, wie die fehlende Klärung von Organisationsfragen und angeblich rekrutierten Kommunalpolitikern, werden aufgegriffen. Der Artikel hinterfragt, ob Wagenknecht als Politikerin oder als Medienphänomen wahrgenommen wird. Wagenknechts politischer Fokus und ihre Wandlung von marxistischen Ansichten zu einem kulturellen Kampf werden beleuchtet. Der Artikel analysiert ihre Visionen, die sich oft auf die 1960er-Jahre und den Sozialstaat beziehen.

Es wird die Frage aufgeworfen, ob sie die Hoffnungen und Ängste der Menschen ansprechen kann. Schließlich werden ihre Überlegungen zu möglichen Bündnissen mit der CDU thematisiert. Die Artikelstruktur bietet eine umfassende Darstellung von Wagenknechts politischem Schritt und beleuchtet die verschiedenen Facetten ihrer Entscheidung. (Robert Pausch, ZEIT)

Wagenknechts Einheitspartei

Sahra Wagenknechts Popularität wird oft auf Charisma zurückgeführt, obwohl ihr Auftritt eher affektlos und wenig mitreißend ist. Im Vergleich zu anderen Populisten wie Trump oder Johnson wirkt sie unbehaglich in der Menge und verfügt nicht über deren Small-Talk-Fähigkeiten. Trotz ihres Selbstanspruchs, eine "seriöse Adresse" für Protestwähler zu sein, bleiben ihre politischen Konzepte unklar, wie im Gründungsmanifest ihres Vereins ersichtlich wird. Wagenknechts Stärke liegt möglicherweise darin, Gegensätze zu verbinden. Ihr politisches Projekt erscheint wie ein rhetorisches Mash-up aller Parteien, ein Mix aus Linkskonservatismus, sozialdemokratischen Forderungen und nationalistischen Elementen.

Dieser wilde Mix erzeugt ein politisches Gefühl, das auf die Aufhebung aller Gegensätze abzielt, ähnlich einer bundesdeutschen Einheitspartei. Trotz programmatischer Inkonsistenzen spricht Wagenknecht eine postdemokratische Sehnsucht an, die in Deutschland verbreitet ist. Die Vorstellung, dass Widersprüche sich auflösen, ohne dass man streiten muss, spiegelt sich in ihrer politischen Botschaft wider. Ihre Eigenschaftslosigkeit wird so nicht als Schwäche, sondern als bewusstes Feature betrachtet, das es ihr ermöglicht, den Versuch einer Einpersonenvolkspartei zu starten. (Nils Markwardt, ZEIT)

"Diese Partei muss sich Sorgen machen" (Interview mit Constantin Wurthmann)

Sahra Wagenknecht plant die Gründung einer "linkskonservativen" Partei, dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Der Politikwissenschaftler Constantin Wurthmann prognostiziert einen Erfolg, insbesondere durch den Zulauf von AfD-Sympathisanten. Die Linken könnten in eine interne Schlammschlacht geraten, während Wagenknecht sich als Brückenbauerin zwischen verschiedenen politischen Lagern positioniert. Obwohl ihre politischen Konzepte noch unklar sind, sieht Wurthmann in Wagenknecht die Möglichkeit, gesellschaftliche Gegensätze zu überbrücken und eine demokratische Exit-Strategie für konservative Wähler zu bieten.

Wurthmann betont, dass Wagenknecht nicht nur als "linke" Politikerin wahrgenommen wird, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft Zuspruch findet. Er sieht sie als eine Figur, die Positionen aus dieser Mitte teilt, und bezeichnet sie als eine mögliche Repräsentantin für Menschen, die sich in der gesellschaftlichen Debatte als Opfer fühlen. Diese Positionierung könnte Wagenknecht zu einer politischen Alternative für konservative Wähler machen, die sich von den etablierten Parteien nicht ausreichend vertreten fühlen. (Tom Schmidtgen, T-Online)

Das Ende der Linksfraktion, nur wann?

Sahra Wagenknecht und neun weitere Abgeordnete der Linken haben die Partei verlassen und den Verein "Bündnis Sahra Wagenknecht" gegründet. Obwohl sie vorerst in der Linksfraktion des Bundestags bleiben wollen, stellt sich die Frage, ob die Fraktion ihnen den vorübergehenden Verbleib erlauben wird. Die Gründung einer neuen Partei wird für Anfang 2024 angekündigt. Der Artikel analysiert die möglichen Auswirkungen auf die Fraktion, insbesondere die Frage, ob der Fraktionsstatus der Linken im Bundestag automatisch erlischt, da die Anzahl der Mitglieder unter die erforderliche Mindeststärke von 37 fällt. Auch die qualitative Voraussetzung der politischen Homogenität einer Fraktion wird diskutiert, da nun parteilose Abgeordnete Teil der Fraktion sind. Der Artikel betrachtet die Optionen, ob der Fraktionsstatus automatisch erlischt oder ob der Bundestag ihn aufgrund des Verlusts der politischen Homogenität aberkennen könnte, und betont die Bedeutung der Funktionsfähigkeit des Bundestags. (Jannik Klein, Verfassungsblog)

Left behind: Sahra Wagenknecht’s new populism

Sahra Wagenknecht, eine bekannte deutsche Politikerin, sorgte für Aufsehen, indem sie Die Linke verließ, um eine neue Partei zu gründen. Ihr Ansatz stellt herkömmliche links-rechts-politische Identitäten in Frage und kombiniert linkspopulistische und rechtsgerichtete Elemente. Wagenknecht zielt darauf ab, den dynamischen Wählerübergang zwischen populistisch links und rechts anzusprechen und behauptet, dass diejenigen, die zur rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) gewechselt sind, im Grunde natürliche Anhänger der Linken sind. Ihre Agenda umfasst anti-establishment-Gefühle, Euroskepsis und Kritik an Lockdowns und stimmt sowohl mit linken als auch mit rechten Ansichten überein. Wagenknecht ist der Ansicht, dass Die Linke ihre Arbeiterbasis vernachlässigt und somit eine Gelegenheit für eine staatliche, sozialkonservative Alternative besteht. Trotz Kritik und unsicherer Umfrageergebnisse repräsentiert ihre Initiative einen neuartigen Ansatz für die deutsche Politik, der die Vergänglichkeit und Persönlichkeitszentriertheit begrüßt und die herkömmliche links-rechts-Dichotomie in Frage stellt. (Marcus Colla, Lowy Institute)

"Das grenzt an Geschichtsklitterung" (Interview mit Patrice Poutros)

Der Historiker Patrice G. Poutrus kritisiert in einem Interview die Forderungen nach einer Neuauflage des Asylkompromisses von 1992/93. Er betont, dass eine solche Forderung ohne die Berücksichtigung der damaligen rassistischen Gewalt und ihrer Ursachen an Geschichtsklitterung grenze. Poutrus argumentiert, dass die rassistischen Brandanschläge in den 1990er Jahren nicht nur von der Anzahl der Asylbewerber abhingen, sondern auch von der Art und Weise, wie über Migration in Deutschland diskutiert wurde. Er weist darauf hin, dass die Zahl der Spätaussiedler in den 1980er Jahren politisch akzeptiert wurde, während die Diskussion über Asylbewerber eine hysterische Abwehr auslöste. Poutrus warnt vor einer Einschränkung oder Abschaffung des individuellen Asylrechts und betont, dass die aktuellen Probleme der Kommunen nicht primär mit dem Thema Asyl, sondern mit strukturellen Problemen wie der Finanzordnung zusammenhängen. Er kritisiert die Argumentation, dass die Lösung in der Einschränkung des Asylrechts liege, als eine Gestaltungsvermeidungsstrategie und warnt davor, dass solche Maßnahmen langfristig die Gesellschaft ins Autoritäre führen könnten. (Christian Bangel, ZEIT)

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