Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit seinem jüngsten Urteil zum ersten Mal einen bundesrepublikanischen Haushalt für verfassungswidrig erklärt hat, hängt die deutsche Politik in der Luft - von Wirtschaft und Klima ganz zu schweigen. Mit Ariane rede ich darüber, wie wir das Urteil einordnen, welche Konsequenzen daraus erwachsen.
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(Musik: Intro aus Accou – Sarabande BWV 1002 (Partita No.1 for violin solo in B-minor), Outro aus Accou – Bourree (I.S. Bach BWV 1002, Violin Partita No 1 in B minor))
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Shownotes:
In einem wegweisenden Urteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig erklärt. Das Gericht hat dabei erstmals die Anforderungen und Grenzen der sogenannten Schuldenbremse in Art. 109 Abs. 3, Art. 115 Abs. 2 GG neu bewertet und strenge Maßstäbe festgelegt. Drei Hauptprobleme standen im Mittelpunkt des Verfahrens: Erstens, welche Anforderungen und Grenzen ergeben sich aus den genannten Artikeln für Neuverschuldungen bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen. Zweitens, ob ungenutzte Kreditermächtigungen durch Zuführung an ein Sondervermögen auf kommende Haushaltsjahre übertragen werden dürfen. Drittens, ob ein Nachtragshaushaltsgesetz rückwirkend für ein bereits abgelaufenes Haushaltsjahr erlassen werden kann. Das Gericht betonte, dass eine Naturkatastrophe oder außergewöhnliche Notsituation vorliegen muss, um die Schuldenbremse zu durchbrechen, und kritisierte, dass der Gesetzgeber den Zusammenhang der ergriffenen Maßnahmen mit der Corona-Pandemie nicht ausreichend dargelegt hat. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung der ergriffenen Maßnahmen lehnte das Gericht ab, betonte jedoch den politischen Spielraum des Haushaltsgesetzgebers. Des Weiteren stellte das Gericht fest, dass die faktisch unbegrenzte Übertragung von Kreditermächtigungen auf kommende Haushaltsjahre verfassungswidrig ist und eine jährliche politische Verantwortung für den Einsatz von Krediten in außergewöhnlichen Notsituationen erforderlich ist. Die Verabschiedung des Nachtragshaushaltsgesetzes nach Ablauf des Haushaltsjahres wurde als Verstoß gegen das Gebot der Vorherigkeit erklärt. Das Urteil wird als wegweisend betrachtet und könnte die bisherige Großzügigkeit des Bundesverfassungsgerichts im Staatsschuldenrecht beenden. Es markiert das Ende einer laxen Haltung gegenüber der Schuldenbremse und könnte zu weiteren Verfassungsänderungen führen. (Valentin Meickmann, Verfassungsblog)
Die Repolitisierung des Politischen
Die Analyse betont die politischen Konsequenzen dieser Entscheidung. Es wird darauf hingewiesen, dass die Klimaschutzmaßnahmen und die finanziellen Herausforderungen, die damit verbunden sind, nicht mehr durch kreative Finanzkonstruktionen umgangen werden können. Stattdessen müssen politische Entscheidungen über den Umgang mit gesellschaftlichen Konflikten getroffen werden, insbesondere in Bezug auf die Sparmentalität Deutschlands und die steigenden Kosten des Klimaschutzes. Die Argumentation des Gerichts, dass die ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichend zur Krisenbewältigung notwendig seien, wird kritisch hinterfragt, und es wird auf mögliche Unklarheiten und versäumte Chancen für eine fundiertere Abgrenzung hingewiesen. Insgesamt wirft die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur rechtliche, sondern auch politische Fragen auf, die die Gesellschaft vor die Herausforderung stellen, konkrete Entscheidungen über ihre finanzielle und politische Zukunft zu treffen. (David Schwartz, Verfassungsblog)
Bundeswirtschaftsminister Habeck erlebt einen Tag mit judikativen Herausforderungen: Während er in einem Berliner Kino über alternative Kontrollinstanzen schwärmt, erfährt er im Bundeskanzleramt, dass der Haushalt der Regierung für die Klimapolitik in Höhe von 60 Milliarden Euro als verfassungswidrig erklärt wurde. Ein beispielloser judikativer Shutdown für die Bundesregierung. Habeck zeigt Enttäuschung über das Urteil und listet auf, wofür die Mittel vorgesehen waren, darunter die Senkung der Stromkosten und die Förderung von Gebäudesanierungen. Bei der Erwähnung von "Förderung von Immobilität" sorgt ein möglicher Versprecher für Ironie angesichts des gescheiterten Ausbaus der Ladesäulen für E-Autos. Trotzdem versichert Habeck, dass alle Verpflichtungen eingehalten werden. Abends spricht er im Kino am Alexanderplatz über die Bedeutung von Dokumentarfilmen für die Demokratie, vielleicht auch als subtile Karlsruhe-Kritik angesichts der rechtlichen Herausforderungen des Tages. (Simon Strauß, FAZ)
Die Ökonomin Claudia Kemfert schlägt vor, dass die Bundesregierung den Klimanotstand ausrufen könnte, um die Schuldenbremse auszusetzen und die Finanzierungslücke im Klimaschutz zu schließen, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts entstanden ist. Kemfert betont, dass der Klimanotstand vorhanden ist und Maßnahmen gerechtfertigt sind, um die geplanten Mittel bereitzustellen. Ein alternativer Weg besteht laut Kemfert in der Streichung klimaschädlicher Subventionen, wodurch mehr als 60 Milliarden Euro eingespart werden könnten. Allerdings ist aus rechtlichen Gründen nur die Hälfte kurzfristig streichbar. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Regierung keine Kreditermächtigungen von 60 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds verschieben darf, was als Rückschlag für den Klimaschutz betrachtet wird. Der Fonds ist ein zentrales Instrument für Klimaschutzprojekte, und die Finanzierungslücke beträgt mehr als ein Viertel der geplanten Ausgaben bis 2027. (Anja Krüger, taz)
Das Urteil des Verfassungsgerichts wird zum Bumerang für Friedrich Merz
Das Bundesverfassungsgerichtsurteil, das die Verschiebung von 60 Milliarden Euro für den Klima- und Transformationsfonds (KTF) durch die Bundesregierung verbot, hat nicht nur Auswirkungen auf die Ampelkoalition, sondern auch auf mögliche Kanzlerkandidaten wie Friedrich Merz. Das Gericht setzt Grenzen für eine mögliche künftige Regierung, da es bereits jetzt festlegt, was rechtlich möglich ist, und gleichzeitig ermahnt, politisch Notwendiges zu reformieren. Das Urteil bestätigt, dass die Schuldenbremse in ihrer aktuellen Form ungeeignet ist, den Herausforderungen der Zeit angemessen zu begegnen. Merz, als Oppositionsführer, hat durch die Klage gegen den Nachtragshaushalt der Ampel die politische Landschaft verändert, aber er muss nun eigene Antworten auf drängende Fragen finden, darunter die Finanzierung von Investitionen in Infrastruktur, Rüstung und Digitalisierung sowie die Schaffung von Flexibilität unter Beibehaltung der Schuldenbremse. Es wird argumentiert, dass Merz, falls er ernsthaft an der Kanzlerkandidatur interessiert ist, eine eigene, pragmatische Haushalts- und Finanzpolitik entwickeln muss, um den Anforderungen der Zeit gerecht zu werden. (Benedikt Becker, Stern)
Auf der verzweifelten Suche nach Plan B
Ein Plan B - wie er laut Regierung in der Schublade liegen sollte - scheint nicht zu existieren, stattdessen laufend Krisentelefonate und sich widersprechende Vorschläge von allen Seiten. Lindner möchte das Geld wohl zusammenkürzen, Habeck will auf den KTF keinesfalls verzichten. Problematisch ist besonders das Jahr 2024, hier ist die Lücke zwar nur 25Mrd groß, aber das Haushaltsjahr ist eigentlich schon abgeschlossen und auf Kante genäht.
Wirtschaftsweisen-Chefin fordert Aussetzen der Schuldenbremse
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat offensichtlich eine Diskussion über die Schuldenbremse und ihre Auswirkungen ausgelöst. Monika Schnitzer, Chefin der Wirtschaftsweisen, und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sprechen sich für ein Aussetzen der Schuldenbremse im kommenden Jahr aus und plädieren mittelfristig für eine Reform der Regel im Grundgesetz.Schnitzer betont, dass eine Reform der Schuldenbremse größere Spielräume für die Schuldenfinanzierung von Nettoinvestitionen schaffen könnte, insbesondere im Kontext von Klimaprojekten. Sie schlägt vor, eine erneute Ausnahme von der Schuldenbremse zu begründen, indem man die Auswirkungen der Energiekrise und die damit verbundenen Mehraufwendungen für die Abfederung der Lasten sowie den Ausbau der Energieversorgung berücksichtigt. Das Fehlen von 60 Milliarden Euro im Klima- und Transformationsfonds aufgrund des Verfassungsgerichtsurteils wird als erhebliche Einschränkung für die Finanzierung von Klimaprojekten und die geplante Auszahlung von Klimageld ab 2025 betrachtet. Der DGB schließt sich dieser Forderung an und betont, dass die Schuldenbremse kurzfristig ausgesetzt werden sollte. Stefan Körzell vom DGB argumentiert, dass die Schuldenbremse unflexibler und investitionsfeindlicher sei als viele dachten. Er fordert eine grundlegende Reform, die Nettoinvestitionen von der Schuldenregel ausnimmt, sowie eine stärkere Einbeziehung hoher Vermögen zur Finanzierung der Transformation. Beide betonen die Dringlichkeit, notwendige Investitionen in den Klimaschutz und die Transformation voranzutreiben und rufen die demokratischen Fraktionen im Bundestag dazu auf, gemeinsam eine tragfähige Lösung zu finden. Es wird darauf hingewiesen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland von der Politik Handlungsfähigkeit erwarten. (Birgit Marschall, Rheinische Post)
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (CDU)
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Nachtragshaushalt zur Bewältigung der Corona-Folgen verfassungswidrig und nichtig ist. Dies ist das erste Mal, dass das Gericht zur Schuldenbremse im Grundgesetz Stellung nimmt. Die Entscheidung hat weitreichende Auswirkungen auf die Finanz- und Haushaltsplanung der Bundesregierung. Der Streitpunkt liegt in der Übertragung von nicht benötigten 60 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für Corona-Folgen in den Klima- und Transformationsfonds, finanziert durch Schulden. Da die Schuldenbremse Ausnahmen für zweckgebundene Sondervermögen zulässt, wurde die Klage von 197 CDU/CSU-Abgeordneten eingereicht. Friedrich Merz betont, dass dies das Ende von Schattenhaushalten bedeutet und die Regierung vor Herausforderungen stellt. Die CDU/CSU fordert eine Unterbrechung der Haushaltsberatungen, die Vermeidung verfassungswidriger Nachtragshaushalte und die Ablehnung einer Lockerung der Schuldenbremse. Merz mahnt die Regierung, ihre Prioritäten im Haushalt neu zu ordnen. (CDU)
Bundesverfassungsgericht stärkt die Schuldenbremse (FDP)
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021, das 60 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für Corona-Folgen in den Klima- und Transformationsfonds umwidmete, verfassungswidrig ist. Die Richter bemängelten die mangelnde Begründung für diese Umschichtung. Finanzminister Christian Lindner betonte, dass das Urteil Klarheit zur Schuldenbremse schaffe und die Regierung nun Richtung und Prioritäten präzisieren müsse. Lindner schloss Steuererhöhungen und eine Lockerung der Schuldenbremse aus, betonte aber die Notwendigkeit, effektivere Politik mit weniger Geld zu machen. Er sperrte den Wirtschaftsplan des Klima- und Transformationsfonds für 2024 und 2025, außer für Energieeffizienzmaßnahmen im Gebäudebereich. Die Ampel-Koalition hält die Schuldenbremse ein, während die FDP die Große Koalition für frühere Verstöße kritisiert. Die Entscheidung zwingt zu Konsolidierung und Priorisierung in der Haushaltspolitik, wobei Lindner die neu gewonnene Rechtsklarheit nutzen möchte, um die Schuldenbremse zu stärken, nicht zu schwächen. (FDP)
Die 60 Milliarden Euro, die für den Klimaschutz aus dem Corona-Hilfsfonds umgewidmet werden sollten, sind durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts verloren. Das finanzielle Dilemma trifft die Ampel-Regierung schwer, die 2021 einen Trick plante, um sowohl die Schuldenbremse ab 2023 als auch Investitionen in den Klimaschutz zu ermöglichen. Der Klima- und Transformationsfonds sollte als Wundertopf dienen, um nicht genutzte Kredite aus der Coronakrise zu parken und für verschiedene Zwecke zu nutzen. Doch das Gericht erklärte die Idee als verfassungswidrig, da die Schuldenbremse grundsätzlich eingehalten werden müsse. Dies verdeutlicht das eigentliche Problem: die Schuldenbremse von 2009, die dringende Investitionen in den klimaneutralen Umbau, die marode Infrastruktur und die Bildung verhindert. Die Richter betonen, dass die Schuldenbremse reformiert oder aufgehoben werden muss, da der Klimawandel keine Naturkatastrophe ist, die eine Ausnahme rechtfertigt. Die Forderung nach Reform oder Aufhebung der Schuldenbremse wird mit Blick auf die notwendigen Investitionen in den Klimaschutz und andere Bereiche hervorgehoben. (Anna Lehmann, taz)
Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Nutzung von Corona-Hilfsgeldern für den Klimafonds führt nach Ansicht von Thomas Fricke zu einer potenziellen wirtschaftlichen Krise, die er als "Merzession" bezeichnet. Er kritisiert die Schuldenbremse, die durch das Urteil zur Belastung wird. Finanzminister Lindner reagiert bereits mit Ausgabenkürzungen, was die Konjunktur gefährden könnte. Fricke hinterfragt die Sinnhaftigkeit der Mittelkürzungen und welche wichtigen Projekte, wie der Ausbau von Schienen oder Elektromobilität, gefährdet sind. Er weist darauf hin, dass auch der Oppositionsführer Merz an der Umgehung der Schuldenbremse beteiligt war, als es um den Sonderfonds für die Bundeswehr ging. Fricke argumentiert, dass die Schuldenbremse in einer komplexen Welt mit Krisen und strukturellen Veränderungen nicht mehr zeitgemäß ist. Er plädiert dafür, die Schuldenbremse auszusetzen und die Notfallklausel zu aktivieren, um auf die Einsicht von Verfassungsrichtern zu hoffen. (Thomas Fricke, Spiegel)
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